Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Vardiello - Italienische Märchen
Vardiello
Granonia von Aprano war eine sehr verständige Frau, hatte aber einen
Sohn Namens Vardiello, welcher der größte Einfaltspinsel weit und
breit war. Weil jedoch die Augen einer Mutter selten scharfsichtig
sind, so war sie ihm dennoch mit solcher Zärtlichkeit zugetan, und
schmeichelte und liebkoste ihn alle Zeit, als wenn er das
liebenswürdigste Geschöpf von der Welt wär'.
Diese Granonia besaß eine Gluckhenne, welche brütete, und auf welche
sie große Hoffnung gesetzt hatte. Da sie nun einmal ein Geschäft
außerhalb des Hauses hatte, rief sie den Sohn und sagte zu ihm: „Mein
liebes Söhnchen, gib wohl Acht auf diese Gluckhenne, und wenn sie etwa
fortfliegen will, so sieh' zu, dass du sie wieder in das Nest
zurückjagst, sonst werden die Eier kalt und würden mir nichts
einbringen."
„Dafür lasst mich nur sorgen“, entgegnete Vardiello, „Ihr habt das
keinem Tauben gesagt."
„Noch Eins“, sprach die Mutter, „sieh', mein lieber Junge, hier in
dieser Kammer befindet sich ein Gefäß mit einigen vergifteten
Früchten; sieh' wohl zu, dass dich die hässliche Sünde des Naschens
nicht etwa verführt."
„Ei nicht doch“, antwortete Vardiello, „das Gift wird mich nicht
verlocken, und ich will mir den Rat wohl gesagt sein lassen."
So ging nun die Mutter fort, und Vardiello blieb zu Hause. Um
keine Zeit zu verlieren, ging er in den Garten, einige kleine
Arbeiten zu verrichten. Als er jedoch mitten in der Arbeit ist,
sieht er, wie die Henne aus dem Neste fliegt; daher fängt er an zu
rufen: „Husch, husch, st, st!"
Aber die Henne kümmerte sich darum nicht, und Vardiello, als er
ihren Eigensinn sah, und nachdem er vergebens sein: husch, husch!
gerufen, stampfte mit dem Fuße, und nachdem er mit dem Fuße
gestampft, wirft er die Mütze nach ihr, und nachdem er die Mütze
nach ihr geworfen, wirft er einen Knüppel, der ihm gerade vor den
Füßen lag, und macht ihr auf solche Art unversehens den Garaus.
Als Vardiello dieses Unglück gewahr wurde, wollte er demselben so
gut als möglich abhelfen, und aus der Roth eine Tugend machend,
und damit ihm die Eier nicht kalt würden, hat er nichts Eiligeres
zu tun, als sich selbst auf das Nest zu setzen.
Da er jedoch zu sehr darauf drückte, so machte er einen hübschen
Eierkuchen. Als er den neuen Schaden wahrnahm, wollte er mit dem
Kopf gegen die Mauer rennen; zuletzt jedoch, weil jeder Schmerz
endlich nachlässt, und sein Magen anfing rebellisch zu werden,
beschloss er, die Henne zuzubereiten, rupfte ihr die Federn aus,
steckte sie an einen großen Bratspieß, machte ein gewaltiges Feuer
und fing an sie zu braten. Als sie nun fast gar war, breitete er
ein reines Tischtuch über einen alten Kasten, nahm einen Krug und
stieg in den Keller, um das Fässchen mit Wein anzuzapfen. Während
er indes mitten in diesem Geschäft war, vernahm er plötzlich ein
Geräusch, einen Lärm, ein Getöse im Hause, als wenn der Teufel
sein Spiel darin hätte. Ganz bestürzt dreht er sich um und sieht
eine große Katze, welche mit samt dem Spieß die Henne
weggeschleppt, und eine andere war hinter ihr her, indem sie Beide
abwechselnd gewaltig miauten.
Vardiello, um auch diesem Unglück abzuhelfen, stürzt wie ein
wütender Löwe auf die Katzen los, lässt in der Eile das Fässchen
mit offenem Hahn, und nachdem er die Katzen durch alle Winkel des
Hauses verfolgt, bekommt er die Henne zwar glücklich wieder,
inzwischen aber war aller Wein aus dem Fässchen herausgelaufen.
Als Vardiello dies bemerkte und sah, was er wiederum angerichtet,
geriet er ganz außer sich vor Schrecken; da er sich aber als ein
gescheiter Mensch wohl zu helfen wusste, so nahm er, um auch
dieses Unglück bestmöglichst zu verbergen, damit die Mutter die
Zerstörung nicht wahrnehme, einen Sack mit Mehl und schüttete ihn
über den ausgelaufenen Wein.
Dem ungeachtet, indem er das Maß des angerichteten Unglücks wohl
erwog, und all' die Ungeheuern Albernheiten, die er begangen,
überdachte, beschloss er, sich von der Mutter nicht lebendig
wieder finden zu lassen.
Er fällt demnach über den Topf mit eingemachten Nüssen her, von dem
die Mutter ihm gesagt, dass sie vergiftet seien, und hört nicht
eher auf zu essen, als bis er den Boden sieht und den Wanst
gehörig angefüllt hat; hierauf verkriecht er sich in einen Ofen.
Inzwischen kommt die Mutter nach Hause und klopft vergeblich lange
Zeit an die Tür'. Da aber Niemand hört, stößt sie die Tür' mit den
Füßen auf und ruft mit lauter Stimme nach ihrem Sohn. Da sie auch
jetzt keine Antwort empfängt, so verwünscht sie ihr Leben, zeigt
die äußerste Betrübnis und fängt noch lauter an zu schreien: „O
Vardiello, Vardiello, bist du taub, dass du nicht hörst; bist du
lahm, dass du nicht herbeikommst; bist du krank, dass du nicht
antwortest; wo bist du denn, du Diebsgesicht? Wo hast du dich denn
verkrochen, du nichtsnutziger Taugenichts?"
Vardiello, als er dieses Gekreisch hörte, sagte endlich doch mit
kläglicher Stimme: „Hier bin ich, ich bin im Ofen, und du wirst
mich nimmer wieder sehen, liebe Mutter."
„Warum denn?", fragte die bekümmerte Mutter. „Weil ich vergiftet
bin“, erwiderte der Sohn.
„Ach“, sagte Granonia, „und wie hast du denn das angefangen? Was
hast du denn für eine Veranlassung gehabt, dir das Leben zu
nehmen, und wer hat dir denn das Gift gegeben?" Hierauf erzählte
denn Vardiello der Reihe nach alle die hübschen Geschichten, die
er angerichtet, wobei die Mutter fast vor Ärger hätte umkommen
mögen.
Zudem hatte sie noch viel Mühe, dem Vardiello seine Einbildung aus
dem Kopf zu bringen; weil sie ihn aber trotz alledem so herzlich
liebte, gab sie ihm Einiges mit Sirup Angemachte, und brachte ihn
dadurch endlich zu der Überzeugung, dass es kein Gift, sondern nur
eine Magenstärkung gewesen sei, was er zu sich genommen habe.
Nachdem sie ihm nun auf das Freundlichste zugesprochen und
tausendfach geschmeichelt, zog sie ihn aus dem Ofen, gab ihm ein
schönes Stück Leinwand und sagte, er solle hingehen und es
verkaufen, sich aber wohl vorsehen, sich nicht mit Leuten von zu
vielen Worten einzulassen.
„Seid unbesorgt“, sagte Vardiello, „und haltet mich nicht für so
dumm."
Er nahm hierauf die Leinwand und zog nun durch die Straßen der Stadt
Neapel, wohin er sich mit dieser Ware begeben, indem er ausrief:
„Wer kauft Leinwand, Leinwand?"
Aber wie viele Leute ihn auch fragten: „Was ist das für Leinwand?",
so entgegnete er immer: „Mit euch mag ich nichts zu schaffen
haben, ihr macht mir zu viel Worte."
Und wenn ihn Jemand fragte: „Wie teuer ist die Leinwand?“, so nannte
er ihn einen unausstehlichen Schwätzer.
Zuletzt kam er in den Hof eines unbewohnten Hauses, woselbst eine
Bildsäule aus Gips stand. Der arme Mensch, ganz müde von dem
vielen Umherlaufen, setzte sich auf einen Brunnenrand, und weil er
Niemanden in jenem Hause aus- und eingehen sah, sagte er ganz
erstaunt zu der Statue: „Sagt mir, guter Freund, wohnt Niemand in
diesem Hause?"
Da ihm die Statue, wie natürlich, keine Antwort gab, so schien sie
ihm allerdings von sehr wenig Worten zu sein, und Vardiello sagte
daher: „Wollt ihr diese Leinwand kaufen? Ich lasse sie euch sehr
wohlfeil." Und da die Statue noch immer schwieg, sprach er:
„Meiner Treu', ich habe meinen Mann gefunden; nehmt sie hin, und
gebt mir, was ihr wollt, morgen komm' ich nach dem Gelde.",
Damit lässt er die Leinwand auf seinem Sitze liegen, so dass der
Erste Beste, der in das Haus zufällig eintrat, mit der Leinwand
davonging.
Als Vardiello zu seiner Mutter ohne Leinwand zurückkehrte und ihr
seine Geschäfte mitteilte, wollte sie vor Ärger in Ohnmacht fallen
und rief: „Wann wirst du endlich einmal vernünftig werden? Sieh'
mal, was du für dumme Streiche gemacht hast, Tölpel! Aber ich
selbst bin daran Schuld, denn weil ich zu zärtlich gegen dich
gewesen, habe ich dir nicht gleich Anfangs den Kopf zu Recht
gesetzt, und jetzt seh' ich wohl ein, dass ein mitleidiger Arzt
die Wunde unheilbar macht. Aber du machst mir der dummen Streiche
zu viel, und wir werden eine lange Abrechnung halten."
Vardiello dagegen sprach: „Seid nur ruhig, liebe Mutter, denn es
wird nicht so schlimm sein, wie ihr sagt, ihr wollt ja nichts
anderes, als die neuen blitzenden Taler; glaubt ihr denn, ich
lasse mir ein T für ein U machen, dass ich gar so einfältig bin?
Ihr werdet einmal morgen sehen, ob ich meine Sache nicht recht
anzufangen weiß."
Am folgenden Morgen, als die Sonne kaum aufgegangen war, begab sich
Vardiello in den Hof, wo die Bildsäule stand, und sagte: „Guten
Tag, Gevatter, wär's euch wohl gefällig, mir die paar Groschen zu
geben, die ich für die Leinwand noch bekomme?"
Da aber die Statue stumm blieb, fasste Vardiello einen Prügel und
traf sie damit gerade auf die Brust, so dass er ihr eine Ader
entzweibrach, aus welcher ihm dann sein Glück zuströmte, denn er
fand in der Statue einen Topf voll Goldtaler, den er sogleich mit
beiden Händen packte, und über Hals und Kopf nach Hause lief,
indem er rief: „Mütterchen, Mütterchen, o seht einmal, welch ein
Berg roter Dreier!"
Die Mutter, da sie die Goldtaler sah, und fürchtete, ihr alberner
Sohn möchte das Vorgefallene unter die Leute bringen, sagte zu
ihm, er solle sich unter die Haustür' setzen und die
Vorübergehenden um ein Paar Dreier ansprechen.
Vardiello, der Einfaltspinsel, setzte sich also unter die
Haustür', und nun ließ die Mutter länger als eine halbe Stunde
Hände voll Rosinen und trockener Feigen aus dem Fenster
herunterregnen.
Als Vardiello dies gewahr wurde, rief er aus: „O Mutter, Mutter,
stell' Töpfe und Schüsseln unter, wenn dieser Regen fortdauert,
werden wir bald reiche Leute sein!" Und als er sich so den Bauch
gehörig angefüllt, legte er sich schlafen.
Nun trug es sich einmal zu, dass zwei Arbeitsleute mit einander
zankten und vor Gericht gingen, weil jeder von ihnen auf einen
Goldtaler, den sie gefunden, Anspruch machte.
Da kam auch Vardiello dazu und sagte: „Was seid ihr doch für Esel,
dass ihr um solch einen rochen Dreier so sehr mit einander zankt;
ich mache mir wenig daraus, denn vor Kurzem hab' ich einen ganzen
Topf voll gefunden?"
Als der Richter dies vernahm, riss er seine Augen weit auf, und
verhörte ihn auf das Genaueste, wie, wenn und bei wem er diese
Taler gefunden habe, worauf Vardiello antwortete:
„Ich habe sie in einem Palast in einem stummen Menschen gefunden an
dem Tage, als es Rosinen und trockene Feigen regnete."
Da der Richter diese ungereimte Antwort vernahm, so beachtete er die
Sache weiter nicht, und verfügte bloß, den Vardiello in ein
Narrenhaus zu bringen.
So machte die Unwissenheit des Sohnes die Mutter reich, und der
Verstand der Mutter machte die Dummheiten des Sohnes wieder gut,
woraus denn sehr klar hervorgeht:
„Es muss sehr sehr schlimm hergehen, wenn ein Schiff, das ein guter
Lotse steuert, an einem Felsen scheitert.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.