Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Der Bärin - Italienische Märchen
Der Bärin
Es war einmal ein König von Rocca-Aspra, welcher die Mutter der
Schönheit selbst zur Frau hatte, die jedoch im besten Lauf ihrer Jahre
vom Rosse der Gesundheit fiel und sich das Leben brach.
Bevor ihr aber das Licht des Lebens ausging, rief sie ihren Gemahl,
und sagte zu ihm: „Ich weiß, du hast mich immer herzlich geliebt,
darum erfülle mir jetzt eine Bitte und versprich mir, dich nie wieder
zu verheiraten, im Fall du nicht eine zweite Frau triffst, die so
schön ist, als ich es gewesen bin. Tust du das nicht, so hinterlasse
ich dir eine furchtbare Verwünschung, und werde dich noch von einer
andern Welt aus meine Rache empfinden lassen."
Der König, welcher seine Frau von Grund des Herzens liebte,
brach, als er diesen Wunsch vernahm, in ein heftiges Weinen aus,
und konnte lange Zeit kein Wort erwidern. Endlich sagte er zu
ihr: „Ehe ich mich wieder nach einer Frau umsehe, eher soll mich
die Erde verschlingen. Glaube doch ja nicht, meine geliebte
Frau, dass ich jemals wieder für ein anderes Weib Zuneigung
empfinden könne. D u warst die Geliebte meines Herzens, d u
nimmst auch mein Herz mit dir fort." Während dieser Worte
schloss die arme Königin röchelnd die Augen. Der König, als er
sich von ihrem Tode überzeugt hatte, ließ seinen Tränen von
Neuem freien Lauf, und brach in ein solches Weinen aus, dass der
ganze Hof davonlief, während der König in einem fort den Namen
seiner geliebten Gattin laut ausrief, das Schicksal, das sie ihm
geraubt, verfluchte, und sich den Bart ausriss, Verwünschungen
gegen die Gestirne ausstoßend, die ein solches Unglück über ihn
gesendet hätten.
Aber weil er das bekannte Sprichwort: „Der Schmerz am Ellenbogen
und um eine, hingeschiedene Frau tut sehr weh, dauert aber nicht
lange“, an sich erfahren sollte, so war kaum noch die Nacht auf
dem Paradeplatz des Himmels erschienen, um die Musterung über
die Sterne abzuhalten, als er anfing an den Fingern folgende
Rechnung zu halten.
Meine Frau ist jetzt tot, und ich bin Wittwer; ist es nun nicht
traurig, dass ich ohne Hoffnung bleiben soll, noch andere Kinder
um mich zu sehen, als allein diese unselige Tochter, welche sie
mir zurückgelassen hat? Es wird also Notwendig sein, auf eine
neue Vermählung zu denken. — Aber was fällt mir ein, wo find'
ich eine Frau, die an Schönheit meinem verstorbenen Weibe gleich
käme, da jede andere doch im Vergleich mit ihr nur hässlich
erscheinen muss! wo find' ich eine zweite von solchem Wuchs, von
solcher Anmut, von solcher Schönheit, da die Natur, nachdem sie
jene gebildet, die Form zerbrochen zu haben scheint! O weh', in
welch' ein Labyrinth hab' ich mich gestürzt, wozu das unselige
Versprechen, welches ich geleistet habe! Wie aber, ich habe den
Wolf noch nicht gesehen und fliehe schon? erst wollen wir suchen
und dann ratschlagen. Sollte die Welt wirklich auf immer für
mich verloren sein — für mich allein hier alle Hoffnung
verschwunden?"
Nach diesen Worten ließ er alsbald eine Bekanntmachung durch das
ganze Reich ergehen, die schönsten Frauen der ganzen Welt
sollten sich einfinden zur Prüfung ihrer Schönheit, denn die
schönste wolle er zum Weibe nehmen, und ihr ein Königreich als
Morgengabe bringen.
Als das Gerücht hiervon sich überall hin verbreitet hatte, so gab
es auch nicht eine Frau in der ganzen Welt, die nicht
herbeigeeilt wäre ihr Glück zu versuchen. Da blieb auch keine,
noch so hässliche, zurück, die sich zur Probe nicht gestellt
hätte; denn sobald nur von der Schönheit die Rede ist, will
selbst die abschreckendste Missgestalt freiwillig nicht
zurückstehen. Sie sei die Schönste, denkt eine Jede, und nimmt
die Wahrheit gar übel hin.
Als nun die Stadt ganz voll von Frauen war, so ließ der König sie
in Reih' und Glied stellen, und begann zwischen ihnen hin und
her zu gehen, und indem er sie von oben bis unten betrachtete,
und bald diese, bald jene beäugelte, so schien die eine ihm eine
zu niedrige Stirn zu haben, die andere eine zu lange Nase, die
dritte einen zu großen Mund, die vierte zu dicke Lippen, die
fünfte war zu lang, die sechste zu kurz, die siebente zu dick,
die achte zu mager. Die Spanierin gefiel ihm nicht wegen ihres
Teints, die Neapolitanerin nicht wegen ihres Ganges, die
Deutsche schien ihm zu kalt und phlegmatisch, die Französin zu
wunderlich und launisch, die Venetianerin kam ihm wie ein Bündel
Flachs vor, ihrer weißlichen Haare wegen: mit einem Wort, er
schickte sie alle fort, die Eine aus dem einen, die andere aus
dem andern Grunde.
Da er nun sah, dass so viel schöne Gesichter sich leer und
ungenügend erwiesen hatten, er aber entschlossen war, seinen
Willen auszuführen, so fiel ihm seine eigene Tochter ein, und er
sprach bei sich: „Wozu such' ich Wasser in der Wüste, da doch
Preziosa, meine eigene Tochter, ein so vollkommenes Ebenbild der
Mutter ist. Ich habe dieses schöne Gesicht in meinem Hause, und
such' es, wer weiß wo!"
Als er jedoch diesen Gedanken seiner Tochter mitteilte, erhob sie
ein unbeschreibliches Jammern und Weinen, worauf der König ganz
wütend zu ihr sagte: „Schweig und halte deinen Mund, heut Abend
ist unsere Hochzeit, sonst ist das Ohr das Geringste, was ich
dir nehme."
Als Preziosa diesen Entschluss vernahm, zog sie sich in ihr Gemach
zurück, und fing an so heftig und anhaltend zu weinen, bis ihr
die Tränen versiegten. Indem sie nun so kummervoll dasaß, kam
eine alte Frau, welcher sie manchmal ein Almosen gab, und da die
Alte ihre Wohltäterin so niedergeschlagen sah, fragte sie nach
der Ursache ihres Schmerzes. Darauf, als sie diese erfahren,
sagte sie zu ihr:
„Sei gutes Muts, meine Tochter, verzweifle nicht, denn für alles
ist ein Kraut gewachsen, nur nicht für den Tod. Jetzt höre: Wenn
dein Vater heute Abend seinen Entschluss ausführen will, so
stecke dir nur diesen Span in den Mund, und du wirst dich
augenblicklich in eine Bärin verwandeln. Mach' dich sodann aus
dem Staube, denn ans Furcht wird er dich fliehen lassen, und
begib dich gerades Weges in den Wald, wo der Himmel dir dein
Glück seit dem Tage, da du geboren wurdest, aufbewahrt hat.
Sobald du dich aber wiederum in einen Menschen verwandeln
willst, so nimm dir den Span aus dem Munde, und sogleich wirst
du deinen Wunsch erfüllt sehen."
Preziosa umarmte hierauf die alte Frau, ließ ihr einen großen
Beutel mit Mehl geben, ein gewaltiges Stück Schinken und Speck,
und nahm darauf von ihr Abschied.
Als der Abend herannahte, ließ der König die Feuerwerker kommen,
lud alle Großen seines Hofes ein, und veranstaltete ein
prächtiges Fest; und als es Abend geworden, setzten sie sich zu
Tische und fingen an tüchtig drauflos zu trinken. Der König
begab sich hierauf zur Ruhe, und befahl, die Jungfrau, seine
Tochter, herbeizurufen, welche rasch den Span in den Mund nahm,
und, verwandelt in die Gestalt einer schrecklichen Bärin, auf
ihn losging, worauf der König, vor Schrecken ganz außer sich,
sich in die Betttücher einhüllte, und vor dem nächsten Morgen
den Kopf nicht wieder herausstreckte.
Unterdessen ergriff Preziosa die Flucht, und begab sich in einen
großen und dunkeln Wald, woselbst sie ihren Aufenthalt nahm.
Dort nun lebte sie in der angenehmen Gesellschaft so vieler
anderen Tiere, bis einstmals der Sohn des Königs von
Aqua-Currente durch jenen Wald kam, und da er die Bärin
erblickte, vor Furcht fast des Todes war. Das Tier jedoch
näherte sich ihm, schmeichelnd und liebkosend, und mit dem
Schwanze wedelnd wie ein Hündlein, worauf er ein Herz fasste,
die Bärin streichelte, und ihr die schönsten Worte gab. Sodann
führte er sie nach Hause, befahl sie zu pflegen wie ihn selbst,
und ließ sie in einen Garten bringen, der an den königlichen
Palast stieß, um sie, so oft er wollte, vom Fenster aus sehen zu
können.
Als nun eines Tages alle Leute sich aus dem Hause entfernt hatten,
und der Prinz allein zurückgeblieben war, trat er, um die Bärin
zu sehen, ans Fenster, und sah nun, wie Preziosa um sich das
Haar zurecht zu machen, nachdem sie den Span aus dem Munde
genommen, sich die goldenen Flechten kämmte. Als der Prinz ihre
Schönheit wahrnahm, geriet er vor Erstaunen und Verwunderung
ganz außer sich, und, sogleich die Treppe hinunterstürzend,
eilte er in de n Garten hinab.
Preziosa aber, welche wahrgenommen hatte, dass der Prinz sie
belausche, steckte sich wiederum den Span in den Mund, und nahm
ihre frühere Gestalt alsbald wieder an.
Als Jener unten anlangte, und das nicht fand, was er von oben
gesehen, ging ihm diese getäuschte Erwartung so nahe, dass er in
einen tiefen Trübsinn, und vier Tage nachher in eine schwere
Krankheit verfiel, wobei er in einem fort sagte: „Liebe Bärin,
liebe Bärin."
Die Mutter, da sie diese Worte vernahm, bildete sich ein, die
Bärin habe ihm irgend ein Leid zugefügt, und befahl, sie zu
töten. Allein die Diener, welche die zahme Bärin lieb gewonnen
hatten, wollten nicht so grausam gegen sie handeln, sondern
führten sie in den Wald zurück, und meldeten der Königin, sie
hätten ihr das Leben genommen.
Als diese Nachricht zu den Ohren des Prinzen gelangte, gebärdete
er sich wie ein Unsinniger, stand krank, wie er war, aus dem
Bette auf, und wollte die Diener für das was sie getan, hart
züchtigen, vernahm aber von ihnen was vorgefallen war.
Hierauf setzte er sich zu Pferde, und trabte so lange umher und
suchte so emsig, bis er am Ende die Bärin wieder auffand. Er
brachte sie nun von Neuem nach Hause, führte sie in sein Zimmer,
und sagte zu ihr: „O schönes Juwel, das sich in dieser
abschreckenden Haut befindet, o Liebeslicht, in dieser Höhle von
Pelz eingeschlossen, wozu wollen wir miteinander Versteckens
spielen? Ich sterbe vor Sehnsucht nach dieser Schönheit, und du
siehst den offenbaren Beweis, denn wie gekochter Wein bin ich zu
einem Drittel Meiner selbst geworden, so dass ich nur noch aus
Haut und Knochen bestehe. Daher nimm fort den Vorhang dieses
hässlichen Felles, und lass mich den Glanz dieser Schönheit
sehen, nimm fort die Blätter von diesem Korbe, und gewähre mir
einen Anblick dieser schönen Früchte. Wer hat je wol in einen
aus Haaren gewebten Kerker ein so herrliches Werk
eingeschlossen?"
Und viele ähnliche Worte dieser Art fügte er hinzu, d« er aber
sah, dass alle seine Reden fruchtlos blieben, streckte er sich
von Neuem auf das Bett, und wurde von einem so heftigen
Krankheitsanfall ergriffen, dass die Ärzte ihn fast verloren
gaben.
Die Mutter, welche kein andres Glück auf Erden kannte, als ihren
Sohn, sagte zu ihm: „Mein teures Kind, woher dieser Kummer,
woher dieser Gram? Du bist jung und geliebt, du bist groß und
reich, — sprich, denn ein verschämter Bettler behält die Tasche
leer. Willst du eine Gemahlin, so wähle, und ich verschaffe sie
dir; nimm du und ich bezahle; siehst du denn nicht, dass dein
Leid das meine ist? Dir pocht der Puls, mir das Herz, du hast
nur das Fieber, ich aber bin todkrank, denn ich habe keine
andere Stütze meines Alters als dich. Daher fass' ein Herz, und
erfreue das meinige, stürze dieses Reich, dieses Haus und deine
Mutter nicht in endlosen Jammer."
Als der Prinz seine Mutter so reden hörte, sagte er: „Nichts in
der Welt kann mich erfreuen, als nur der Anblick der Bärin. Wenn
du mich also gesund sehen willst, so lass sie bei mir bleiben;
Niemand anders als sie soll mich pflegen, mir das Bett machen,
und mir die Mahlzeit bereiten, denn ich werde dann ohne Weiteres
gesund werden."
Die Mutter wunderte sich zwar sehr, dass die Bärin den Koch und
den Kammerdiener vorstellen sollte, und fürchtete fast, ihr Sohn
rede im Fieber. Um ihn jedoch zufrieden zu stellen, ließ sie die
Bärin herbeiholen. Diese, als sie sich an dem Bette des Prinzen
befand, hob die Tatze auf, und fühlte ihm an den Puls, so dass
die Königin sich eines Lächelns nicht erwehren konnte. Der Prinz
aber sagte zur Bärin: „Meine Liebe, willst du mir nicht kochen,
mir zu essen geben und mich pflegen?“, worauf die Bärin mit dem
Kopf nickte, und, wie es schien, den Vorschlag annahm.
Die Mutter ließ daher ein Paar Hühner bringen, in der Stube des
Prinzen Feuer auf dem Herde anzünden und Wasser übersetzen,
worauf die Bärin ein Huhn ergriff, es tötete, abrupfte, ausnahm,
einen Teil davon an den Spieß steckte und von dem andern ein
Ragout bereitete, so dass der Prinz, der früher keinen Bissen
hatte essen wollen, sich jetzt die Finger danach leckte.
Hierauf gab die Bärin ihm mit so vieler Anmut zu trinken, dass die
Königin sie vor Vergnügen auf die Stirn küsste. Nachdem alles
dies geschehen, und der Prinz sich zu den Ärzten hinunter
begeben hatte, machte die Bärin sogleich das Bett, eilte in den
Garten, pflückte Rosen und Pomeranzen blühten und streute sie
über das Lager hin, so dass die Königin sagte, diese Bärin sei
in der Tat ein wahrer Schatz, und der Prinz wohl bei Verstande,
dass er ihr in solchem Grade zugetan sei. *
Als der Prinz aber das freundliche Benehmen der Bärin gewahr
wurde, entbrannte er nur noch mehr, und sagte zur Königin:
„Meine liebe Mutter, wenn ich dieser Bärin nicht einen Kuss
geben darf, so muss ich sterben“, worauf die Königin sich zu der
Bärin wandte und sprach: „Küsse ihn immer, mein liebes Tier, und
lass meinen armen Sohn sich nicht ganz verzehren."
Die Bärin näherte sich also dem Prinzen, und dieser, sie in seine
Arme schließend, konnte sich gar nicht satt an ihr küssen. Dabei
geschah es jedoch, ich weiß nicht wie, dass ihr das Holzstück
aus dem Munde fiel, und so befand sich Preziosa plötzlich in
vollem Glanze ihrer Schönheit in den Armen des Prinzen. Heftig
drückte dieser sie in seine Arme und sagte: „Nun bist du ins
Netz gefallen, und sollst mir nicht wieder entkommen."
Errötend über diesen unerwarteten Vorfall, entgegnete Preziosa:
„Ich bin in deinen Händen, du bist mein Her r und Gebieter"; und
nachdem der Prinz von der Königin gefragt worden, wer dieses
schöne Mädchen sei, und wodurch sie zu diesem wilden Leben
gekommen, erzählte sie der Reihe nach die ganze Geschichte ihrer
Leiden.
Die Königin, welche sie in hohem Grade belobte, sagte hierauf zu
ihrem Sohne, sie sei es wohl zufrieden, dass er ein so
tugendhaftes Mädchen zur Gemahlin nehme. Da nun der Prinz nichts
Anderes auf der Welt wünschte, verlobte er sich sogleich mit
ihr, und die Mutter gab beiden ihren Segen, und veranstaltete
eine prächtige Hochzeitfeier. Also bewährte sich an Preziosa
wiederum die Wahrheit des Sprichwortes:
Wer Gutes tut, erwarte jederzeit wieder Gutes!
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.