Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Die 7 Tauben - Italienische Märchen
Die sieben Tauben
Es war einmal in dem Lande Arzano eine gute Frau, welche jedes Jahr
einen Sohn gebar, so dass ihrer sieben waren, Einer immer etwas größer
als der andere, wie die Orgelpfeifen. Als nun die Söhne etwas
herangewachsen waren, sägten sie zu ihrer Mutter Cannetella: „Wisse,
liebe Mutter, wenn das Kind, welches du erwartest, diesmal nach so
viel Söhnen nicht eine Tochter ist, so sind wir fest entschlossen, das
Haus zu verlassen und in die weite Welt zu gehen.
Als die Mutter diese böse Drohung vernahm, bat sie den Himmel, dass er
ihren Söhnen diesen Gedanken benehmen und sie vor dem Verlust der
sieben Edelsteine, wofür sie ihre Söhne achtete, bewahren möge.
Da min die Stunde der Geburt herankam, sagten die Söhne zu Gannetella:
„Wir werden dort auf jener Anhöhe vor dem Hause warten. Ist es ein
Sohn, so setz' ein Tintenfass und eine Feder auf das Fenster; ist es
aber eine Tochter, eine Spindel und einen Spinnrocken. Erblicken wir
das Letztere, so wollen wir den Rest unsers Lebens in deinem Hause
zubringen, sonst aber vergiss uns nur immerhin, denn dann müssen wir
fort."
Als die Söhne sich entfernt hatten, wollte der Himmel, dass Gannetella
ein schönes Töchterchen gebar; allein die Amme, welche den Brüdern das
Zeichen geben sollte, war so verwirrt, dass sie statt des Spinnrockens
und der Spindel das Tintenfass und die Feder hinsetzte.
Als die sieben Brüder dies sahen, nahmen sie die Beine auf den Buckel
und gingen so lange, bis sie nach drei Jahren in einen dichten Wald
kamen, in dem das Hans eines wilden Mannes stand. Diesem waren einmal
im Schlaf von einer Frau die Augen ausgestochen worden und er war
daher ein so großer Feind dieses Geschlechtes, dass er alle Weiber,
die er nur in seine Gewalt bekommen konnte, auffraß.
Als die Brüder an das Haus des wilden Mannes gelangt waren,
ermüdet von der Reise und erschöpft vom Hunger, baten sie ihn, er möge
doch aus Mitleid ihnen ein Stück Brot reichen, worauf Jener
antwortete, er würde ihnen zu essen geben, wenn sie ihm dienen
wollten, und sie sollten nichts weiter zu tun haben, als Jeder einen
Tag bei ihm die Aufwartung machen.
Als die Brüder dies vernahmen, so erschien ihnen solch ein Vorschlag
sehr willkommen, sie gingen darauf ein und blieben in dem Dienst des
wilden Mannes.
Dieser lernte sich ihre Namen auswendig und nannte den einen
Giangrazio, den andern Cecchitiello, den dritten Pascale, den vierten
Nuccio, den fünften Pone, den sechsten Pezzillo, den siebenten
Carcavecchia, denn so hießen die Brüder; und nachdem er ihnen ein
Zimmer seines Hauses angewiesen, gab er ihnen den nötigen Unterhalt,
so dass sie ihr Leben ziemlich gut hinbringen konnten.
Unterdessen aber war die Schwester herangewachsen, und da sie von
ihrer Mutter hörte, dass sieben Brüder von ihr in die weite Welt
gegangen seien und man nichts mehr von ihnen erfahren habe, setzte sie
es sich in den Kopf, sie aufzusuchen, und brachte es bei der Mutter so
weit, dass diese, von vielen Bitten mürbe gemacht, sie als Pilgerin
kleidete und sie gehen ließ.
Sie fing nun an zu wandern und zu wandern und fragte von Ort zu Ort,
wer die sieben Brüder gesehen, bis sie endlich in einem Wirtshause
Nachricht von ihren Brüdern erhielt. Nachdem sie sich den Weg in jenen
Wald hatte zeigen lassen, befand sie sich eines Morgens, als die Sonne
mit dem Federmesser der einzelnen Strahlen die von der Nacht auf das
Papier des Himmels gemachten Kleckse ausradierte, an jenem Orte, wo
ihre Brüder wohnten, die sie mit großer Freude erkannten und jenes
Tintenfass und jene Feder verwünschten, welche fälschlicher Weise zu
so vielem Unglück Anlass gegeben. Sie schmeichelten ihr auf
tausendfache Weise, hießen sie ruhig in ihrem Zimmer bleiben, damit
der wilde Mann sie nicht sähe, und außerdem schärften sie ihr ein, sie
solle ja von Allem, was sie esse, einer Katze, die sich in jener Stube
befand, einen Teil abgeben, denn sonst würde das Tier ihr gewiss
irgend einen Streich spielen.
Cianna, denn so hieß die Schwester, schrieb sich diesen Rat in die
Schreibtafel des Herzens, teilte alles, was sie hatte, immer
brüderlich mit der Katze: dies für mich, dies für dich, dies für die
Tochter des Königs. Es trug sich aber zu, dass, als die Brüder im
Dienste des wilden Mannes einmal auf die Jagd gegangen war, sie ihr
eine Schüssel mit Erbsen zum Kochen zurückließen, und indem sie
dieselben auslas, fand sie unglücklicher Weise eine Haselnuss
darunter, welche der Stein des Anstoßes ihrer Ruhe wurde. Denn da sie
dieselbe verzehrte, ohne die Hälfte davon der Katze zu geben, sprang
diese voller Bosheit auf den Herd und löschte das Feuer aus.
Als Cianna dies sah und nicht wusste, was sie anfangen sollte, lief
sie gegen den Befehl ihrer Brüder aus dem Zimmer, ging in die Stube
des wilden Mannes und suchte ein wenig Feuer.
Der wilde Mann, der die Stimme eines Weibes hörte, sagte: „Sei mir
herzlich willkommen, denn du hast das gefunden, was du suchst. Hierauf
nahm er einen Schleifstein, schmierte ihn mit Oel ein und fing an sich
die Zähne tüchtig zu schärfen.
Cianna, da sie bemerkte, wie übel sie angekommen war, ergriff ein
Stück Holz, lief in ihre Stube zurück, stemmte es gegen die Türe und
schob vor dieselbe Tische, Stühle, Bettstellen, Steine und was sonst
noch sich in der Stube befand. Als der wilde Mann seine Zähne gehörig
geschliffen hatte, lief er nach der Stube, und da er sie verschlossen
fand, fing er an mit dem Fuß dagegen zu schlagen, um sie einzustoßen.
Bei diesem Lärm kamen die Brüder zurück und da sie diese Unruhe
gewahrten und sich von dem wilden Manne des Verrates beschuldigen
hörten, dass sie nämlich ihre Stube zum Schlupfwinkel seiner Feindin
gemacht hätten, sagte Gangrazio, welcher der älteste und verständigste
unter den Brüdern war, zu dem wilden Manne: „Wir wissen nichts von
alledem, es könnte wohl sein, dass diese verdammte Frau unglücklicher
Weise während unserer Abwesenheit sich in das Zimmer geschlichen; da
sie sich aber von innen so sehr verschanzt hat, so komm nur mit mir,
denn ich werde dich an einen Ort bringen, wo wir ihr, ohne dass sie
sich verteidigen kann, über den Hals kommen werden.
Sie fassten also den wilden Bären bei der Hand und führten ihn an
einen ganz tiefen Graben, gaben ihm dort einen tüchtigen Stoß und
warfen ihn hinunter. Darauf nahmen sie eine Schaufel und bedeckten ihn
mit Erde, ließen sodann die Schwester die Tür aufmachen und lasen ihr
tüchtig den Text über das, was sie getan, und über die Gefahr, in
welche sie sich gestürzt hatte, indem sie ihr anbefahlen, in Zukunft
vorsichtiger zu sein, vor allen Dingen aber sich zu hüten, Gras in der
Nähe des Ortes abzupflücken, wo der wilde Mann begraben sei, denn
sonst würden sie alle in sieben Tauben verwandelt.
„Behüte der Himmel“, erwiderte Cianna, „dass ich euch dieses Unglück
zufügen sollte." Hierauf setzten sie sich in den Besitz aller Sachen
des wilden Mannes und lebten ganz fröhlich, indem sie warteten, bis
der Winter vorübergegangen sein würde und sie sich auf den Weg machen
könnten, um nach Hause zurückzukehren.
Eines Tages nun trug es sich zu, dass, als die Brüder gerade
ausgegangen waren, Holz zu fällen, um sich gegen die Kälte zu
schützen, die von Tag zu Tag heftiger wurde, ein armer Pilger durch
jenen Wald kam und einen Affen, der auf einer Tanne saß, neckte;
worüber dieser so in Bosheit geriet, dass er einen Tannzapfen nahm und
ihn dem Pilger so heftig an den Kopf warf, dass das Blut herab lief
und der arme Teufel zu schreien anfing, als wenn er am Spieß steckte.
Cianna lief bei dem Lärm herbei und voll Mitleid für den Verwundeten
pflückte sie, ohne sich zu besinnen, eine Hand voll Rosmarin von einem
Strauch, der auf dem Grabe des wilden Mannes wuchs, machte von
gekautem Brot und Salz ein Pflaster, reichte ihm dann noch ein
Frühstück und ließ ihn hierauf seines Weges ziehen.
Während sie nun den Tisch für die Brüder zurecht machte, siehe da
kamen sieben Tauben herbei geflogen und sprachen zu ihr: „Wie viel
besser wär' es doch gewesen, man hätte dir die Hände abgehauen, dir,
welche du die Ursache alles unsers Unglücks bist, als dass du jenen
verdammten Rosmarin abpflücktest, der uns so übel bekommen ist. Hast
du denn Katzengehirn gegessen, Schwester, dass du so ganz unsern Rat
vergessen, jetzt sind wir nun Vögel geworden, Preis gegeben den Klauen
der Hühnergeier, Sperber und Habichte, und Genossen aller der Vögel,
die unter dem Himmel umherfliegen. In der Tat, du hast uns einen
schönen Streich gespielt, jetzt sind wir Preis gegeben allen Schlingen
und Vogelruten! Um einem Pilger den Kopf zu heilen, hast du deinen
sieben Brüdern die Köpfe zerbrochen, denn uns ist nicht anders zu
helfen, als wenn du die Mutter der Zeit findest, die dich lehren kann,
was bei unserm Unglück zu tun sei."
Cianna, ganz außer sich vor Schreck, bat die Brüder um Verzeihung und
erbot sich so lange in der Welt umherzugehen, bis sie das Haus jener
alten Frau gesunden, und indem sie sie bat, immer zu Hause zu bleiben,
damit demselben nicht etwas widerführe, bis sie zurückkehre, trat sie
sogleich ihre Wanderschaft an und schritt rüstig zu, ohne zu ermüden,
denn obwohl sie zu Fuß ging, diente doch das Verlangen, den Brüdern zu
helfen, ihr als Reitpferd, mit welchem sie drei Meilen in der Stunde
mache.
Als sie an ein Ufer kam, wo das Meer heftig an den Felsen brandete,
sah sie einen großen Walisisch, welcher zu ihr sagte: „Mein hübsches
Mädchen, was suchst du?"
Sie erwiderte: „Ich suche das Haus der Mutter der Zeit."
„Weißt du, was du tun sollst?“, versetzte der Wallfisch, „geh immer
dieses Ufer entlang, eben so den ersten Fluss, welchen du antriffst,
so wirst du Jemand finden, der dir den Weg zeigt. Aber thu mir den
Gefallen, wenn du zu jener guten Alten kommst, sie um eine
Gefälligkeit für mich zu bitten: dass sie mir nämlich ein Mittel sage,
wie ich sicher umher schwimmen kann, ohne so oft an Klippen zu stoßen
und auf den Sand zu geraten."
„Dafür lass mich nur sorgen“, versetzte Cianna, und nachdem sie ihm
für seinen Rat gedankt, fing sie an auf dem Kiessand entlang zu laufen
und kam endlich nach langem Wege an einen Fluss, ging denselben hinauf
und kam auf ein schönes Gefilde, woselbst sie eine Maus antraf, die zu
ihr sprach: „Wo gehst du so allein hin, mein hübsches Mädchen?"
Cianna erwiderte: „Ich suche die Mutter der Zeit."
„Du hast noch lange zu gehen“, antwortete die Maus, „aber verliere den
Mut nicht, denn jede Sache nimmt ein Ende, geh nur immer gegen die
Berge hin, welche, wie die vornehmen Herren sich den Titel Hoheit
geben lassen, und du wirst immer eine bessere Nachricht hören, als die
du erwartest. Aber tu mir den Gefallen, wenn du bei dem Hause
ankommst, so frage doch die gute Frau, wie ich mich von den
Nachstellungen der Katzen befreien könne."
Cianna versprach ihr diesen Gefallen zu erweisen und machte sich auf
den Weg zu den Bergen hin, welche ihr ganz nahe schienen, aber fast
nimmer zu erreichen waren. Als sie doch endlich bei ihnen angekommen
war, setzte sie sich müde auf einen Stein nieder, wo sie ein Heer von
Ameisen sah, die einen Vorrat von Korn herbeischleppten.
Eine derselben näherte sich der Cianna und fragte sie: „Wer bist du
und wohin gehst du?" — Und diese, die gegen Jedermann höflich war,
antwortete: „Ich bin ein unglückliches Mädchen, die um eines nötigen
Geschäftes willen das Haus der Mutter der Zeit aufsucht."
„Geh nur immer weiter“, erwiderte die Ameise, „denn hinter diesen
Bergen liegt eine große Ebene, wo man dir weitere Nachricht geben
wird. Aber tu uns einen großen Gefallen und vergiss nicht jene alte
Frau zu befragen, wie wir Ameisen etwas länger leben können, denn es
scheint mir eine große Torheit, so großen Vorrat für ein so kurzes
Leben zu sammeln."
„Sei nur ruhig“, sagte Cianna, „denn ich will die Freundlichkeit, die
du mir erwiesen, vergelten“, und nachdem sie bei jenen Bergen
vorübergegangen, gelangte sie in eine große Ebene, in welcher sie nach
einiger Zeit einen hohen uralten Baum fand, welcher zu Cianna sagte:
„Wohin gehst du denn so betrübt, liebes Mädchen? Komm unter meinen
Schatten und ruhe dich aus."
Sie aber dankte ihm vielmals und entschuldigte sich, weil sie große
Eile habe, die Mutter der Zeit aufzusuchen.
Als der Baum dies hörte, so sprach er: „Du bist nicht weit mehr davon;
du brauchst kaum einen Tag noch zu gehen, so wirst du auf einem Berge
oben ein Haus wahrnehmen, in welchem die Mutter der Zeit wohnt. Aber
wenn du so freundlich und gütig sein willst, so bemühe dich doch zu
erfahren, was ich tun muss, um die verlorene Ehre wieder zu erlangen,
denn ich, der ich früher ein vornehmer Mann gewesen, bin jetzt die
Speise der Schweine geworden."
„Lass nur Cianna dafür sorgen“, erwiderte diese, „und ich werde mir
alle Mühe geben, dir zu dienen."
Nach diesen Worten ging sie fort, ohne anzuhalten, und kam an den Fuß
eines unermesslich hohen Berges, welcher mit seinem Kopfe den Wolken
ins Gesicht stieß. Daselbst fand sie einen alten Mann, der sich vor
Müdigkeit in einen Hansen Heu gelegt hatte.
Als dieser Cianna erblickte, erkannte er sie sogleich als die, welche
ihm die Kopfwunde geheilt, und nachdem er von ihr gehört hatte, was
sie suche, so sagte er zu ihr, dass er der Zeit den Mietzins für seine
Wohnung auf Erden bringe und dass die Zeit ein Tyrann sei, der sich
aller Dinge auf Erden bemächtigt habe und von Allem Tribut verlange,
besonders aber von Menschen seines Alters. Und weil Cianna ihm früher
dienstreich gewesen, so wolle er ihr hundertfach vergelten, indem er
in Betreff dessen, was sie beabsichtige, ihr einen guten Rat erteile.
Es sei ihm leid, dass er sie selbst nicht begleiten könne, doch sein
Alter sei eher dazu bestimmt, hinunter als hinaufzusteigen, und es
nötige ihn, an dem Fuß des Berges zu bleiben, um seine Rechnung mit
den Schreibern der Zeit, welches die Mühseligkeiten, Leiden und
Gebrechlichkeiten des Lebens seien, in Ordnung zu bringen und die
Schuld der Natur zu bezahlen.
Also sagte er nun zu ihr: „Höre wohl zu, mein liebes Mädchen, was ich
dir sage. Auf der Spitze dieses Berges hier wirst du ein uraltes Haus
finden; die Mauern sind voller Risse, die Grundlagen verfault, die
Türen wurmstichig, und mit einem Wort alles verfallen und zerstört.
Hier sieht man zerbrochene Säulen, dort verstümmelte Statuen, und
nichts ist daran wohlerhalten als ein Wappen über dem Haupttor,
welches eine Schlange darstellt, die sich in den Schweif beißt, einen
Hirsch, einen Raben und einen Phönix. Wenn du hineinkommst, wirst du
Feilen auf der Erde liegen sehen, Sägen, Sicheln und hundert und aber
hundert Kessel mit Asche. Die sind wie die Apothekerbüchsen mit Namen
beschrieben; so liest man zum Beispiel Korinth, Sagunt, Karthago,
Troja und tausend andere Städte, welche untergegangen sind und welche
die Zeit dort als Andenken ihrer Taten aufbewahrt. Wenn du nun dem
Hause nahe bist, so verbirg dich so lange seitwärts, bis die Zeit
herauskommt; dann schleiche dich hinein und du wirst eine alte uralte
Frau finden, deren Bart bis auf die Erde hinabhängt und deren Schädel
den Himmel berührt; Haare, weiß wie der Schweif eines Schimmels,
bedecken ihr die Fersen; ihr Gesicht ist über und über voll Runzeln —
so sitzt sie auf einer Uhr an der Wand, und weil ihre Augenbraunen so
groß sind, dass sie die Augen überdecken, so kann sie dich nicht
sehen, wenn du kommst. Sobald du nun darin bist, nimm sogleich die
Gewichte der Uhr fort und dann ruft die alte Frau an und sag' ihr, was
du von ihr haben willst."
„Sie wird zwar nach ihrem Sohne rufen, dass er herbeikommen soll, dich
aufzufressen; weil aber der Uhr, auf welcher die Mutter sitzt, die
Gewichte fehlen, so kann er nicht gehen, und sie ist gezwungen, dir
alles zu bewilligen, was du forderst. Glaube jedoch nicht eher irgend
einem Schwur, den sie dir leistet, es sei denn, dass sie bei den
Flügeln des Sohnes schwört; dann glaub ihr und tue, was sie dir sagt,
denn du wirst zufrieden gestellt werden."
Mit diesen Worten sank der arme Mann leblos hin und zerfiel in Staub.
Cianna nahm seine Asche und nachdem sie ihre Tränen darunter gemischt,
machte sie ein Grab und legte sie hinein, indem sie den Himmel um Ruhe
für Mutigste unter ihnen hinunter stieg; dort fand er alles Geld, was
man ihnen genommen hatte, und hierauf begaben sie sich wiederum nach
der Meeresküste, wo sie den Wallfisch fanden, und ihm den Rat der Zeit
mitteilten.
Während sie nun sich über ihre fernere Reise besprachen, und über
alles, was ihnen zugestoßen war, sahen sie plötzlich in der Ferne,
bewaffnet bis an die Zähne, die Räuber kommen, die ihrer Spur
nachgefolgt waren. Bei diesem Anblick riefen sie aus: „Weh uns, es ist
mit uns vorbei, denn da kommen jene Schelme mit bewaffneter Hand und
werden uns wohl das Fell über die Ohren ziehen!"
„Habt keine Furcht“, erwiderte der Walisisch, „denn hier bin ich, der
euch aus der Gefahr ziehen wird, um euch die mir bezeugte Liebe zu
vergelten. Steiget nur auf meinen Rücken und ich werde euch bald in
Sicherheit bringen."
Die Unglücklichen, welche sich die Feinde auf dem Nacken und das
Messer an der Kehle sahen, stiegen auf den Walisisch, welcher sich von
dem Ufer entfernte und sie bis in die Nähe von Neapel brachte. Da er
nicht wagte, die Jünglinge daselbst ans Land zu setzen, weil das Meer
dort Untiefen hat, so fragte er sie: „Wo wollt ihr, dass ich euch
hinbringe?"
Sie nannten ihm einen bestimmten Felsen und der Wallfisch brachte sie
dorthin, von wo aus sie sich von der ersten Fischerbarke, die sie
fanden, ans Land setzen ließen, von dort frisch und gesund und reich
in ihre Heimat zurückkehrten, Vater und Mutter erfreuten, und durch
die so an den Tag gelegte Herzensgüte der Cianna ein glückliches Leben
genossen, so dass sich das alte Wort wiederum bestätigte: Jede gute
Tat hat ihren Lohn.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.