Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Die 3 Königskinder - Italienische Märchen
Die drei Königskinder
Vor langer Zeit lebten einmal drei Schwestern, die waren sehr sittsam,
anmutig und schön, doch von niedriger Herkunft, denn sie waren die
Töchter eines Bäckers. Eine von ihnen hieß Brunora, die andere
Lionel!« und die dritte Claretta.
Eines Tages befanden sich diese drei jungen Mädchen in ihrem Garten
und waren außerordentlich vergnügt; da kam Lancelot, der König des
Landes, vorüber, der mit reichem Gefolge auf die Jagd zog. Als
Brunora, die älteste von den Schwestern, diese vornehme Gesellschaft
sah, sprach sie zu ihren beiden Schwestern: „Wenn ich den
Haushofmeister des Königs zum Mann bekäme, so wollt' ich mich
verpflichten, den ganzen Hof mit einem Becher Wein satt zu machen."
„Und ich," sagte Lionella, „ich will mich rühmen, dass wenn ich den
geheimen Kämmerer des Königs heiratete, ich ganz allein mit einer
Spindel, die ich besitze, so viel Leinwand spinnen wollte, um den
ganzen Hof mit schönen, feinen Hemden zu versehen."
„Und ich," sagte Claretta, „darf mich rühmen, dass, wenn der König
mein Gemahl würde, ich ihm drei Kinder schenken wollte, zwei Knaben
und ein Mädchen, und jedes von ihnen sollte lange Locken vom feinsten
Golde haben, eine goldene Kette um den Hals und einen Stern auf der
Stirn."
Diese Worte hörte einer von den Hofleuten, der sofort zum Könige ging
und ihm alles, was die Mädchen gesprochen hatten, Wort für Wort
hinterbrachte. Als der König dies hörte, ließ er die Mädchen sogleich
vor sich kommen und befragte eine Jede von ihnen, was sie da im Garten
unter einander gesprochen hätten. Da verbeugten sich alle drei
ehrfurchtsvoll und wiederholten ihm, eine nach der andern, jedes ihrer
Worte.
Da dies dem Könige sehr wohl gefiel, so verheiratete er ohne
Weiteres Brunora mit seinem Haushofmeister, der Kämmerer erhielt
Lionel!a zur Frau und er selbst wählte Claretta. Dann gingen sie alle
auf die Jagd und als man nach Haufe zurückkehrte, wurden die
Hochzeiten aufs Prächtigste gefeiert.
Aber die Mutter des Königs war damit sehr unzufrieden, denn
wenngleich ihre Schwiegertochter von bewunderungswürdiger Schönheit
war und sehr anmutig zu reden verstand, so stammte sie doch aus
niedrigem Geschlecht und schien ihr der Macht und der Würde des Königs
durchaus nicht angemessen.
Und ebenso war ihr der Gedanke unerträglich, dass der Haushofmeister
und der Kämmerer die Schwäger des Königs sein sollten! Die
Schwiegermutter fasste daher gegen ihre Schwiegertochter einen so
heftigen Hass, dass sie sie nicht vor Augen sehen konnte; verbarg dies
aber, um ihren Sohn nicht zu erzürnen.
Nun traf es sich, dass der König in ein anderes Land reisen musste; er
empfahl daher seiner Mutter auf das Angelegentlichste die Königin, und
jene hieß ihn ohne Sorge reifen, da sie für ihre Schwiegertochter alle
nur mögliche Sorgfalt haben wolle. Kaum war der König abgereist, so
gebar die Königin drei Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, und alle
drei (so wie die Königin, da sie noch Jungfrau war, es versprochen
hatte) hatten goldenes Haar, welches lockig über ihre Schultern fiel,
eine schöne goldene Kette und einen Stern mitten auf der Stirn. Die
boshafte Schwiegermutter, bei welcher kein Mitleid zu finden war,
entflammt von einem grausamen und tödlichen Hass, beschloss, als die
zarten Kinderchen geboren waren, sie umbringen zu lassen, damit man
nie wieder etwas von ihnen höre und die Königin bei dem Könige in
Ungnade falle.
Dazu waren auch die Schwestern der Claretta von einem so heftigen
Neide gegen sie entzündet worden, weil sie die Gemahlin eines Königs
war, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe hatten und mit allen Ränken und
Listen unaufhörlich danach trachteten, die Schwiegermutter noch viel
mehr gegen sie aufzubringen.
Es traf sich nun, dass zu der nämlichen Zeit, als die Königin
niederkam, drei junge Hunde geboren wurden, zwei männliche und ein
weiblicher, die vorn auf der Stirn eine Art Stern hatten und Streifen
um den Hals, die wie Halsketten aussahen. Die zwei nichtswürdigen
Schwestern also, von einem teuflischen Geist beseelt, nahmen diese
drei jungen Hündchen, brachten sie zu der Königin Mutter, verbeugten
sich ehrerbietig und sprachen: „Wir wissen wohl, dass eure Hoheit
unsere Schwester nicht besonders lieben, und das mit allem Recht, weil
sie von niedriger Herkunft ist und es eurem Sohn, unserm gnädigsten
König, nicht ziemt, eine Frau solchen Standes zur Gemahlin zu haben.
Da wir nun von der Gesinnung eurer Hoheit unterrichtet sind, so kommen
wir hier und bringen euch drei kleine Hündchen, die mit einem Stern
auf der Stirn geboren sind, und bitten, uns euren Willen hierüber
vernehmen zu lassen."
Die Alte war über diesen Gedanken sehr erfreut und beschloss, die
Hündchen ihrer Schwiegertochter zu bringen, die ihre Kinder noch nicht
gesehen hatte, und ihr zu sagen, dies seien sie. Und damit dieser
ruchlose Anschlag nicht entdeckt würde, befahl das boshafte Weib der
Hebamme, sie sollte die Königin benachrichtigen, sie habe drei junge
Hündchen geboren. Darauf begaben sich die Schwiegermutter und die
Schwestern der Königin nebst der Hebamme zu ihr und sprach: „Da sieh,
du schöne Königin, was für reizende Kinderchen du geboren hast! Pflege
sie nur ja recht sorgsam, damit der König, wenn er zurückkommt, diese
artigen Kinder munter und gesund finde.
Bei diesen Worten legte die Hebamme die Hündchen zu ihr und tröstete
sie heuchlerischer Weise, sie möge sich doch ja in Geduld fassen und
nicht verzweifeln deshalb, denn dergleichen Dinge wären schon manchen
vornehmen Leuten begegnet. So hatten nun diese schändlichen Weiber ihr
boshaftes, gottloses Vorhaben ausgeführt und jetzt blieb nur noch
übrig, diesen armen, unschuldigen Kindern den Tod zu geben.
Allein Gott wollte nicht, dass sie ihre Hände mit ihrem eigenen Blute
befleckten; sie nahmen also einen kleinen, wohlverpichten Kasten,
legten die Kinder hinein, warfen ihn in den nahen Fluß und ließen ihn
mit dem Strom forttreiben.
Der gerechte Gott, welcher immer die Unschuld schützt, sandte gerade
als der Kasten geschwommen kam, an das Ufer dieses Flusses einen
Müller. Als dieser den Kasten erblickte, zog er ihn heraus, öffnete
ihn und fand die drei Kinderchen, die ihn lächelnd ansahen.
Und weil sie so schön waren, glaubte er, es müssten die Kinder irgend
einer vornehmen Frau sein. Er machte nun den Kasten halb wieder zu,
nahm ihn auf die Schulter und trug ihn geradeswegs nach Hause, wo er
zu seiner Frau sagte: „Da sieh einmal, ich bitte dich, liebe Frau, was
ich an dem Ufer des Flusses gefunden habe! Ich mache dir ein Geschenk
damit."
Als die Frau diese hübschen Kinderchen sah, freute sie sich sehr und
zog sie mit solcher Liebe auf, als ob es ihre eigenen gewesen wären.
Den einen Knaben nannte sie Aquirino, den andern Fluvio, weil er in
einem Flusse gefunden worden und das Mädchen Serena.
König Lancelot inzwischen freute sich schon in voraus, wenn er an
seine Heimkunft dachte, an die drei holden Kinderchen, die er finden
würde. Seine Hoffnung aber wurde sehr vereitelt, denn die boshafter
Mutter erfuhr kaum, dass ihr Sohn dem Palaste nahe, so lief sie ihm
entgegen und erzählte ihm, seine teure Gemahlin habe anstatt dreier
Kinder drei junge Hunde geboren. Hierauf führte sie ihn in das Zimmer,
wo die unglückliche Claretta in tiefem Kummer lag und wies ihm 1>ie
drei Hündchen an ihrer Seite.
Obgleich nun die Königin unter heißen Tränen versicherte, dies könnten
ihre Kinder nicht sein, so bestätigten doch die nichtswürdigen
Schwestern die Aussage der gottlosen Mutter. Der König geriet hierüber
in die heftigste Bestürzung und wäre vor Schmerz fast zur Erde
gesunken; als er jedoch wieder zur Besinnung kam, lieh er den Worten
seiner Mutter unbedingt Glauben. Weil indes die arme Königin so
geduldig war und standhaft die Angriffe des Neides und der Bosheit
über sich ergehen ließ, so konnte es der König nicht übers Herz
bringen, sie sterben zu lassen, sondern er befahl, sie unter den Ort
zu bringen, wo man das Kochgeschirr und die Teller abwusch, und der
Abgang aus diesem ekelhaften Spülwasser, der da hinab fiel, sollte ihr
zur Nahrung dienen.
Während nun die arme Königin in diesem widerwärtigen Aufenthalt ihr
Leben zubrachte, gebar die Frau des Müllers einen Sohn, den sie mit
den drei andern Kindern liebevoll erzog. Jeden Monat pflegte die Frau
ihren Kleinen die Haare zu beschneiden, aus denen kostbare Perlen und
Edelsteine herausfielen, so dass der Müller sehr bald ein reicher Mann
wurde, sein Handwerk aufgab und mit Frau und Kindern ganz vergnügt und
behaglich lebte.
Als die drei fremden Kinder heranwuchsen, erfuhren sie, dass sie nicht
die leiblichen Kinder des Müllers und der Müllerin seien, sondern dass
man sie auf dem Flusse gefunden habe. Sie gerieten darüber in große
Unruhe, entschlossen sich, ihr gutes Glück zu versuchen, nahmen
Abschied von ihren Pflegeeltern und gingen davon, womit der Müller und
dessen Frau gar nicht zufrieden waren, denn sie sahen sich dadurch des
großen Gewinnes beraubt, der ihnen aus den goldenen Locken Jener
zufiel.
Die drei Geschwister nun reisten so lange, bis sie endlich in der
Hauptstadt ihres Vaters anlangten. Daselbst verweilten sie, mieteten
sich ein Haus, welches sie mit einander bewohnten und ernährten sich
von dem Ertrage der Edelsteine und Perlen, die ihnen vom Kopfe fielen.
Eines Tages ging der König mit einigen anderen Hofleuten spazieren und
zufällig traf es sich, dass sie vor dem Hanse der drei Geschwister
vorbeikamen. Diese, welche den König noch nie gesehen hatten, eilten
sogleich hinab an die Haustür, entblößten ihr Haupt, beugten das Knie
und verneigten sich ehrfurchtsvoll bis zur Erde. Der König, der einen
Falkenblick hatte, betrachtete sie aufmerksam und sah, dass sie einen
Stern auf der Stirn hatten, und sogleich durchzuckte ihn auch eine
Ahnung, dies seien seine eigenen Kinder. Er hielt also an und fragte
sie: „Wer seid ihr, woher kommt ihr?"
„Ich heiße Aquirino," erwiderte der eine, „und ich Fluvio," der
andere, „und ich," sagte das Mädchen, „heiße Serena."
„Nun wohlan," sagte der König, „ich lade euch ein, morgen bei mir zu
speisen." — Die jungen Leute wurden zwar ein wenig verlegen hierüber;
da sie indes die Ehre, welche ihnen der König erwies, nicht ablehnen
konnten, so nahmen sie die Einladung an.
Als der König in seinen Palast zurückgekehrt war, sagte er zu seiner
Mutter: „Als ich heute spazieren ging, sah ich zwei sehr schöne
Jünglinge nebst einem sehr anmutigen Mädchen; alle drei hatten einen
goldenen Stern auf der Stirn, und wenn mich meine Ahnung nicht
täuscht, so sind das die Kinder, welche die Königin Claretta mir einst
versprochen hat."
Bei diesen Worten wurde der ruchlosen Mutter, als ginge ihr ein
Dolchstich durchs Herz. Sie ließ sogleich die Hebamme rufen, welcher
man die Kinder übergeben hatte und fragte sie heimlich: „Was sagt ihr
dazu, Mutter, dass die Kinder des Königs am Leben sind und schöner als
je?"
„Wie ist das möglich?" versetzte die Hebamme, „sind sie denn nicht im
Fluss ertrunken? Und woher wisst ihr denn das?"
„So viel ich aus den Worten des Königs entnehme," entgegnete jene, so
sind sie am Leben, und ich hab' also euren Beistand jetzt sehr nötig,
sonst sind wir in Todesgefahr."
„Ängstigt euch nicht, gnädige Frau," sagte die Hebamme, „denn ich
hoffe mein Spiel so zu karten, dass sie alle drei ihren Tod finden."
Und damit ging sie schleunig hinweg und begab sich geradeswegs in die
Wohnung der drei Geschwister, Ivo sie Serena ganz allein fand. Sie
grüßte sie freundlich und nachdem sie eine Zeitlang über dies und
jenes mit ihr geschwatzt hatte, sagte sie: „Mein schönes Kind, hast du
nicht vielleicht ein wenig von dem tanzenden Wasser?"
„Nein," sagte das Mädchen.
„Ach, mein Töchterchen, was für herrliche Dinge würdest du sehen, wenn
du von dem tanzenden Wasser hättest, und wenn du dir nur ein einziges
Mal das Gesicht damit wüschest, so würdest du noch tausendmal schöner
werden, als du schon jetzt bist"
„Aber wieso soll ich es denn anfangen," fragte Serena, „um davon zu
bekommen?"
„Ei nun," sagte die Alte, „du musst deine Brüder ausschicken, es zu
suchen und sie werden es auch ganz gewiss finden, denn es ist nicht
gar weit von hier." — Nach diesen Worten ging sie fort.
Als die Brüder Fluvio und Aquirino nach Haufe kamen, lief ihnen Serena
entgegen, bat sie, ihr doch die Liebe zu tun und sich alle Mühe zu
geben, ihr von dem tanzenden Wasser zu verschaffen. Anfänglich
spotteten die Brüder darüber und wollten nichts damit zu tun haben, da
sie nicht wussten, wo sie es finden sollten. Endlich aber, bewogen von
den inständigen Bitten ihrer Schwester, nahmen sie eine Flasche und
machten sich auf den Weg.
Sie waren schon eine gute Strecke gegangen, als sie an eine sehr
klare, frische Quelle gelangten, aus welcher eine schöne weiße Taube
trank, die ganz ohne Furcht zu ihnen sagte: „Jünglinge, was sucht
ihr?"
Fluvio antwortete: „Wir suchen nach einem kostbaren Wasser, welches
tanzt, wie man sagt."
„O ihr Ärmsten," rief die Taube, „wer hat euch nach diesem Wasser
ausgeschickt?"
„Unsere Schwester," erwiderte Fluvio.
Darauf sagte die Taube: „Wahrhaftig, ihr geht eurem Tode entgegen,
denn es hat dort eine Menge giftiger Tiere, die euch auf der Stelle
verschlingen werden. Aber lasst mich dafür sorgen, ich werde euch
davon bringen."
Darauf nahm sie die Flasche, welche die Jünglinge mitgebracht hatten,
band sie unter ihren rechten Flügel und flog davon. Sie flog nach dem
Ort, wo sich das kostbare Wasser befand und nachdem sie die Flasche
damit gefüllt hatte, kehrte sie zu den Jünglingen zurück, die sie mit
großer Sehnsucht erwarteten. Diese empfingen das Wasser, sagten der
Taube den gebührenden Dank und kehrten nach Haufe zurück. Als sie
jedoch das Wasser ihrer Schwester übergaben, baten sie dieselbe sehr
ernstlich, sie in Zukunft mit dergleichen Aufträgen zu verschonen, da
sie in Todesgefahr gewesen wären.
Ein paar Tage darauf begegnete der König wiederum den jungen Leuten
und sagte zu ihnen: „Warum seid ihr denn nicht am andern Tage
gekommen, mit mir zu speisen? Ihr hattet ja doch die Einladung
angenommen?"
„Verzeihen eure Majestät," antworteten sie, „dringende Geschäfte waren
Schuld daran."
Darauf sagte der König: „Nun, so erwart' ich euch morgen zu Mittag und
bleibt dies Mal nicht aus," worauf sich die jungen Leute nochmals
entschuldigten.
Als der König in den Palast zurückgekehrt war, erzählte er seiner
Mutter, er habe die Jünglinge wieder gesehen mit dem goldenen Stern
auf der Stirn. Sie geriet darüber in die äußerste Bestürzung und ließ
auf der Stelle die Hebamme kommen, der sie alles erzählte und sie
dringend bat, doch alles Mögliche zu tun, um die Gefahr abzuwenden.
Die Alte tröstete sie und sagte, sie solle nur ganz ohne Sorge sein,
sie wolle schon machen, dass man nie wieder etwas von ihnen höre.
Darauf verließ sie schleunig den Palast und begab sich in die Wohnung
der Jungfrau, fand diese allein und fragte sie, ob sie schon von dem
tanzenden Wasser habe?"
Serena bejahte es, aber es sei nicht ohne große Gefahr für ihre Brüder
geschehen.
„Ich wünschte dir wohl, mein Töchterchen," sagte die Hebamme, „dass du
nun auch noch einen singenden Apfel bekämst; denn in deinem ganzen
Leben hast du noch nichts so Schönes gesehen und noch nie einen so
anmutigen Gesang gehört."
„Ich weiß aber nicht, wie ich ihn bekommen soll," versetzte Serena,
„denn meine Brüder werden gewiss nicht danach gehen wollen, weil sie
schon einmal dem Tode näher gewesen sind als dem Leben."
„Sie haben dir schon das tanzende Wasser gebracht," sprach das
heuchlerische Weib, „und sind nicht davon gestorben und also, wie sie
dir das Wasser geholt haben, werden sie dir auch wohl den Apfel
verschaffen können." Und damit nahm sie Abschied und ging hinweg. Sie
war nicht sobald fort, als die Brüder kamen und Serena zu ihnen sagte:
„Ach, meine lieben Brüder, ich möchte gar zu gern den singenden Apfel
besitzen und mich an ihm ergötzen, wie er so anmutig singt, und wenn
ihr nicht tut, um was ich euch bitte, so glaubt nur, dass ich in
Kurzem tot sein werde."
Die Brüder waren sehr unwillig darüber und entgegneten ihr, sie hätten
nicht Luft, um ihres Gelüstes willen ihr Leben aufs Neue in Gefahr zu
setzen, wie sie es schon einmal getan hätten. Aber Serena bat so
inständig, weinte und seufzte so kläglich, dass ihre Brüder sich
endlich entschlossen, ihr zu Willen zu tun, es möge daraus entstehen,
was da wolle, worauf sie zu Pferde stiegen und fortreisten.
Nach einiger Zeit kamen sie an ein Wirtshaus, traten hinein und
fragten den Wirth, ob er ihnen sagen könne, wo der Apfel zu finden,
der so schön singe.
Er wisse es wohl, war die Antwort, aber dahin könnten sie unmöglich
gelangen, denn er befinde sich in einem herrlichen Garten, der von
einem furchtbaren Tier bewacht werde, welches Jeden verschlinge, der
sich nur nahe.
„Was sollen wir denn nun tun?" fragten die Jünglinge, denn haben
müssen wir ihn, es komme, wie es wolle."
Da entgegnete der Wirth: „Wenn ihr tun wollt, was ich euch sage, so
werdet ihr den Apfel bekommen, ohne dass euch das Tier etwas anhat.
Ihr müsst," fuhr er fort, „diesen Mantel nehmen, der ganz mit Spiegeln
bedeckt ist, und Einer von euch muss ihn sich umhängen und so
bekleidet ganz allein in den Garten gehen, dessen Tür ihr offen finden
werdet. Der andere aber bleibe draußen und lasse sich um Himmelswillen
nicht sehen. Sobald nun Jener in den Garten tritt, wird ihm das Tier
entgegen kommen und wenn es sich selbst in den Spiegeln erblickt,
augenblicklich tot zur Erde fallen. Hierauf gehe er zu dem Baum mit
dem singenden Apfel, pflücke diesen behutsam ab und hüte sich ja,
rückwärts zu schauen, wenn er den Garten verlässt."
Die Jünglinge dankten dem Wirth verbindlichst und taten ganz so, wie
ihnen Jener geraten hatte. So gelangten sie denn in den Besitz des
singenden Apfels und brachten denselben ihrer Schwester, die sie
ermahnten, ihnen ja zum letzten Mal einen so gefährlichen Auftrag
gegeben zu haben.
Nach einigen Tagen traf der König wieder die beiden jungen Leute, ließ
sie zu sich rufen und sprach: „Was für ein Grund hat euch abgehalten,
zu mir zu kommen und mit mir zu speisen, nachdem ihr mir eure Zusage
gegeben hattet?"
„Geschäfte von sehr großer Wichtigkeit," antworteten die Jünglinge,
„haben uns dieses Glückes beraubt."
„Nun denn, so sei es also für morgen," sagte der König, „und dass ihr
nur ja nicht ausbleibt!" Worauf Aqnirino versicherte, sie würden mit
Vergnügen erscheinen, wenn sie nicht irgend durch sehr wichtige
Angelegenheiten daran verhindert werden sollten.
Als der König nach Haufe kam, sagte er zu seiner Mutter, er habe schon
wieder die jungen Leute gesehen, die ihm recht im Herzen lägen, weil
er immer jener Kinder gedenke, die ihm Claretta einst versprochen
habe, und er habe keine Ruhe eher, als bis sie einmal zu Mittag bei
ihm gespeist hätten.
Die gottlose Mutter geriet bei diesen Worten in größere Sorge als je,
denn sie fürchtete, nun würde alles entdeckt werden. Sie schickte also
voller Angst nach der Hebamme, ließ sie holen und sagte zu ihr: „Gute
Mutter, ich meinte schon, es wär' um die Kinder geschehen und man
werde nie mehr etwas von ihnen hören; allein sie leben noch, während
wir in Todesgefahr sind."
„Kümmert euch doch ja nicht, Hoheit," versetzte die Hebamme, „denn ich
will es schon dahin bringen, dass kein Hahn mehr nach ihnen kräht."
Und damit lief sie ganz aufgebracht und voller Bosheit zu Serena, bot
ihr guten Tag und fragte, ob sie nun den singenden Apfel habe.
Ja," sagte das Mädchen, „ich besitze ihn."
Aber das schlaue Weib fuhr fort: „Der singende Apfel und das tanzende
Wasser sind wohl ganz gut, bei alledem aber hast du noch nichts, wenn
du nicht auch das besitzest, was ohne Vergleich tausendmal schöner und
reizender ist, als jene ersten Beiden."
„Nun, so sagt mir doch, was ist es denn?" fragte Serena neugierig.
„Es ist ein schöner goldgrüner Vogel," versetzte jene, „der Tag und
Nacht plaudert und wunderbare Dinge erzählt. Ja, wenn du den in deiner
Gewalt hättest, so wärest du wohl das glücklichste Mädchen von der
Welt." — Und mit diesen Worten ging sie fort.
Die Brüder waren kaum zu Haufe gekommen, als Serena sie bat, sie
möchten ihr doch nur noch eine einzige Gunst erweisen. Und als jene
fragten, worin diese Gunst bestehen solle, antwortete sie, sie
verlange den schönen goldgrünen Vogel. Fluvio, welcher dem giftigen
Tiere entgegen gegangen war und jene außerordentliche Gefahr noch
lebendig vor Augen hatte, schlug es ganz bestimmt ab, sich wieder auf
den Weg zu machen.
Aquirino aber, obgleich er sich auch anfänglich wiederholt weigerte,
war endlich doch von seiner brüderlichen Liebe und von den heißen,
unaufhaltbaren Tränen bewegt, welche Serena vergoss, und so
beschlossen denn alle Beide mit einander, ihren Willen zu tun.
Sie setzten sich zu Pferde und nachdem sie mehrere Tage geritten
waren, kamen sie auf eine grüne, blumige Wiese, in deren Mitte ein
sehr schöner, hoher und dichtbelaubter Baum stand, umgeben von
mehreren Bildsäulen aus Marmor, die wie lebendig schienen; und dicht
daneben lies ein kleiner Bach, der die ganze Wiese bewässerte. Auf
diesem Baume nun hüpfte der goldgrüne Vogel lustig von Zweig zu Zweig
und redete so klug und noch viel klüger als ein Mensch. Die Jünglinge
stiegen von ihren Pferden, ließen sie auf der schönen Wiese weiden und
näherten sich den Bildsäulen von Marmor, allein sobald sie dieselben
berührten, verwandelten sie sich gleichfalls in ein paar Bildsäulen.
Als Serena ihre Brüder die längste Zeit vergebens erwartet hatte,
meinte sie schon, sie auf immer verloren zu haben und gab jede
Hoffnung auf, sie je wieder zu sehen. In diesem kummervollen Zustande,
während sie unaufhörlich den jämmerlichen und elenden Tod ihrer Brüder
beklagte, setzte sie sich zu Pferde, fest entschlossen, selbst ihr
Glück zu versuchen. Sie ritt so lange, Tag und Nacht, bis sie an den
Ort gelangte, wo der goldgrüne Vogel auf dem Baume saß und anmutig
redete. Sobald sie die Wiese betrat, erkannte sie sogleich die Pferde
ihrer Brüder, die hier weideten, und indem sie ihre Blicke bald hier,
bald dorthin wendete, erkannte sie auch ihre Brüder, die sich in Stein
verwandelt hatten und denen die Bildsäulen so vollkommen glichen, dass
Serena aufs Höchste darüber erstaunte. Sie stieg vom Pferde, näherte
sich dem Baum, streckte die Hand aus und ergriff den schönen grünen
Vogel.
Als dieser sich seiner Freiheit beraubt sah, bat er flehentlich, sie
möge so barmherzig sein und ihn loslassen; er wolle es ihr gedenken
zur rechten Zeit und Stunde.
Serena entgegnete ihm, sie würde das nicht eher tun, als bis er ihre
Brüder wieder in den früheren Zustand versetzt habe. Darauf sagte der
Vogel zu ihr: „Schau' unter meinen linken Flügel, so wirst du eine
Feder bemerken, welche viel grüner ist als die übrigen und einige
gelbe Punkte in der Mitte hat. Diese Feder zieh' mir aus, geh' damit
zu den Bildsäulen und sobald du ihnen die Augen mit der Feder berührt
hast, werden deine Brüder in ihren früheren Zustand zurückkehren."
Das Mädchen hob den linken Flügel in die Höhe, fand die Feder, welche
der Vogel ihr bezeichnet hatte und berührte damit nach einander die
Augen der marmornen Bilder, worauf sie sogleich wieder zu Menschen
wurden, zur großen Freude der Schwester, welche ihre Brüder gar nicht
genug umarmen und küssen konnte.
Da Serena ihre Absicht nun erreicht hatte, so bat sie der grüne Vogel
von Neuem, ihm jetzt doch seine Freiheit zu geben und versprach ihr,
diesen Dienst eines Tages mit einem andern zu vergelten, wenn sie je
seines Beistandes bedürfe. Aber Serena war noch nicht zufrieden
gestellt; sie entgegnete ihm, sie würde ihn nicht eher frei lassen,
als bis sie erfahren hätte, wer ihre Eltern seien, und er möge also
bis dahin geduldig sein Schicksal ertragen.
Nun war aber die große Frage, wer den Vogel tragen solle; nach langem
Hin- und Herreden kam man endlich überein, dass ihn Serena nehme, die
ihn mit großer Sorgfalt und Anmut bewahrte und ihn immerzu streichelte
und liebkoste.
Die Brüder stiegen jetzt zu Pferde und Serena, im Besitz des grünen
Vogels, kehrte ganz vergnügt mit ihnen heim.
Der König, welcher an dem Haufe der Geschwister oft vorüberging, war
sehr verwundert, sie gar nicht mehr zu erblicken und fragte die
Nachbarn, was aus ihnen geworden sei; worauf er jedoch zur Antwort
erhielt, man wüsste nichts weiter von ihnen und es sei schon sehr
lange her, als man sie zuletzt gesehen habe. Als sie wieder
zurückgekommen waren, vergingen nicht zwei Tage, so bemerkte sie auch
der König schon und fragte, wo sie so lange Zeit gewesen seien, dass
man sie gar nicht gesehen habe.
Aquirino erwiderte, es hätten sich sehr wunderbare Dinge mit ihnen
zugetragen, und wenn sie nicht, ihrem Versprechen gemäß, gekommen
wären, so bäten sie um seine Verzeihung und zugleich um die Erlaubnis,
ihren Fehler wieder gut machen zu dürfen. Als der König von ihrem
Missgeschick hörte, bedauerte er sie sehr und wollte nicht eher
fortgehen, als bis sie mit ihm in seinen Palast kämen, um dort in
seiner Gesellschaft zu speisen. Da nahm Aquirino heimlich das tanzende
Wasser, Fluvio den singenden Apfel und Serena den schönen grünen Vogel
und so folgten sie dem Könige fröhlich nach dem Palast und setzten
sich mit ihm zur Tafel.
Wie die boshafte Mutter und die neidischen Schwestern das schöne junge
Mädchen sahen und die feinen anmutigen Jünglinge, deren Augen wie
Sterne leuchteten, wussten sie sich vor Angst und Grimm kaum zn
lassen. Als die Mahlzeit vorüber war, sagte Aquirino zum Könige: „Wenn
eure Majestät genehmigen, so wollen wir hier verschiedene Dinge
zeigen, die sich gewiss eures Beifalls erfreuen werden."
Darauf nahm er einen silbernen Becher, goss das tanzende Wasser hinein
und setzte es auf den Tisch. Dann zog sein Bruder Fluvio den singenden
Apfel aus seinem Busen hervor und legte ihn neben das Wasser, und
Serena, die den schönen grünen Vogel auf ihrem Schoß hatte, setzte ihn
ebenfalls rasch auf die Tafel. Da hättet ihr einmal den lieblichen
Gesang hören sollen, nach dessen Tönen das Wasser ganz wundersam zu
tanzen begann! Der König und alle Anwesenden empfanden das lebhafteste
Vergnügen dabei, nur der schändlichen Mutter und den nichtswürdigen
Schwestern gereichte es zur größten Unlust, denn sie verzweifelten
immer mehr an ihrem Leben.
Als Gesang und Tanz vorüber war, fing der Vogel an zu sprechen: „O
großer König," sagte er, „was verdient derjenige, der zweien Brüdern
und einer Schwester nach dem Leben getrachtet hat?"
Die Mutter antwortete rasch: „Nichts Geringeres als den Feuertod," und
alle Übrigen stimmten mit ein.
Da erhoben das tanzende Wasser und der singende Apfel ihre Stimme und
sagten: „O du falsche, abscheuliche Mutter, dein eigener Mund hat dich
verdammt. Und ihr nichtswürdigen Schwestern, ihr habt euch
gleicherweise verdammt nebst der verräterischen Hebamme."
Der König war ganz erstaunt über diese Reden, aber der grüne Vogel
nahm wieder das Wort und sprach: „Majestät, diese hier sind deine drei
Kinder, nach denen du dich so lange gesehnt hast. Deine Kinder sind
es, die einen goldenen Stern auf der Stirn tragen. Und ihre
unschuldige Mutter ist jene, die bis jetzt ihr Leben an jenem
abscheulichen Aufenthalt zugebracht hat."
Sogleich ließ der König sie aus jenem ekelhaften Orte hervorziehen,
standesgemäß bekleiden und herbeiführen. Und obgleich sie in ihrem
traurigem Kerker so lange Zeit und auf so elende Weise zugebracht
hatte, war dennoch ihre frühere Schönheit vollkommen erhalten. Jetzt
erzählte der grüne Vogel in Gegenwart Aller, wie sich alles von Anfang
bis zu Ende zugetragen hatte. Als der König den ganzen Zusammenhang
erfuhr, umarmte und küsste er seine geliebte Gemahlin und seine teuren
Kinder unter vielen Tränen und Seufzern. Das tanzende Wasser aber, der
singende Apfel und der schöne grüne Vogel waren mit einmal, da Niemand
auf sie Achtung gab, verschwunden.
Am folgenden Tage ließ der König mitten auf dem Markte ein großes
Feuer anzünden und die Mutter nebst den beiden Schwestern wurden vor
allem Volk ohne Gnade verbrannt. Darauf lebte der König noch lange
Zeit mit der Königin und seinen drei reizenden Kindern, verheiratete
seine Tochter angemessen und hinterließ seinen Söhnen das Reich.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.