Märchen Autoren: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z
Märchen Titel: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z
Märchen Themen: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z

Das Ziegengesicht - Italienische Märchen

Das Ziegengesicht

Es hatte ein Bauer zwölf Töchter, eine immer kleiner als die andere, wie die Orgelpfeifen, denn jedes Jahr machte ihm sein wackeres Weib Ceccuzza ein Geschenk mit einem Töchterchen, so dass der arme Mann, um seine Familie anständig zu ernähren, alle Tage für Lohn graben ging. Mit all seiner Mühe und Plage aber brachte er es nur so weit, dass sie nicht eben vor Hunger starben.
Da er nun eines Tages am Fuß eines hohen Berges arbeitete, am Eingang einer Höhle, die so schaurig und finster war, dass die Sonne Furcht hatte, hineinzuschauen, kam mit einmal aus derselben eine grüne Eidechse, groß wie ein Krokodil!, so dass der arme Bauer vor Entsetzen ganz außer sich geriet, und von dem Aussperren des Rachens jenes hässlichen Tieres den Schluss seiner Tage erwartete.

Die Eidechse setzte sich jedoch nieder und sprach: „Hab' keine Furcht, wackerer Mann, denn ich komme nicht her, um dir ein Leid zuzufügen; vielmehr komme ich bloß zu deinem Besten."
Als Masaniello, denn so hieß der Arbeitsmann, dies hörte, kniete er vor ihr nieder und sagte: „Gnädige Frau, wie du da heißt, ich bin in deiner Gewalt, mach's gnädig mit mir und habe Mitleid mit mir armen Teufel, der ich zwölf arme Würmer zu ernähren habe."
„Gerade deswegen“, erwiderte die Eidechse, „bin ich hergekommen, um dir zu helfen. Bring' mir daher morgen das kleinste deiner Kinder, denn ich will es wie meine eigene Tochter aufziehen, und es wert halten wie mein eigenes Leben."

Als der arme Mann dies hörte, war er mehr bestürzt, als ein falscher Spieler, den man auf der Tat ertappt; denn als er vernahm, dass die Eidechse eine Tochter, und zwar die kleinste haben wollte, so erwog er leicht, dass das nicht umsonst geschehe, und sie der Eidechse als Nachtisch ihrer Mahlzeit dienen solle. Demnach sagte er zu sich selbst: „Gebe ich ihr mein Kind, so gebe ich ihr meine Seele; gebe ich's ihr nicht, so verschlingt sie mich mit Haut und Haar. Sag' ich ihr das Kind zu, so reiß' ich mir das Herz aus, widerspreche ich ihr, so saugt sie mir das Blut aus. Tue ich, was sie verlangt, so nimmt sie mir einen Teil meiner selbst; tue ich es nicht, so nimmt sie mir das Ganze. Was fang' ich an, wozu entschließ' ich mich, wie find' ich einen Ausweg? O welch einen unglückseligen Tag habe ich erlebt, welch ein Unheil hat der Himmel über mich gebracht!" Also sprach er bei sich.
Die Eidechse sagte hierauf: „Entschließe dich rasch und tue, was ich dir gesagt, denn so will ich es und so geschehe es."

Masaniello, der diesen Endbeschluss hörte, und sich an niemand wenden konnte, ging ganz niedergeschlagen nach Hause, so blass, als hätte er die Gelbsucht. Ceccuzza, da sie ihn so traurig und niedergeschlagen sah, fragte sogleich: „Was ist dir zugestoßen, lieber Mann? Hast du mit jemanden einen Streit gehabt, ist eine Exekution gegen dich verhängt worden, oder ist uns der Esel gefallen?"
„Nichts der Art“, erwiderte Masaniello, „sondern eine gehörnte Eidechse hat mich so in Schreck gesetzt, denn sie hat mir gedroht, wenn ich ihr nicht unsere jüngste Tochter brächte, so würde sie mir einen Streich spielen, dass ich daran denken sollte. Darum geht es mir im Kopfe herum wie ein Mühlrad, ich bin hier zwischen Angel und Tür', von einer Seite drängt mich die Liebe, von der andern die Sorge für mein Haus. Du weißt, wie ich unsere Renzolla liebe, ich liebe sie mehr als mein Leben; wenn ich nun der Eidechse diese Lust meiner Tage nicht gebe, so nimmt sie mich, wie ich stehe und gehe; daher rate mir, was ich tun soll, liebe Ceccuzza."

Als seine Frau dies hörte, sagte sie zu ihm: „Wer weiß, lieber Mann, ob diese Eidechse unser Unglück will; wer weiß, ob diese Eidechse nicht vielleicht das sichere Ende unseres Elendes ist; du weißt ja, dass wir meistenteils uns selbst das größte Unglück zufügen, und wie scharf wir immer zusehen müssen, um unser eigenes Wohl zu erkennen; darum geh' hin, bringe sie ihr, denn mein Herz sagt mir, dass für unser armes Kind ein großes Glück daraus hervorgeht."
Diese Worte sagten dem Masaniello zu, und am nächsten Morgen, da kaum die Sonne mit der Leuchte ihrer Strahlen den Himmel erhellte, nahm er das kleine Mädchen an die Hand und brachte es zur Grotte.
Die Eidechse, welche schon auf der Lauer stand, um den Landmann zu erwarten, ging, sobald sie ihn gewahr wurde, auf ihn zu, nahm das Töchterchen, gab dem Vater einen Sack mit Gold und sagte: „Geh, verheirate deine andern Töchter mit dieser Aussteuer und sei unbekümmert, denn Renzolla hat einen Vater und eine Mutter gesunden, sie ist glücklich, dass sie in meine Hände gekommen ist."

Masaniello, ganz verdutzt, dankte der Eidechse und kehrte zu seiner Frau zurück; er erzählte ihr das Vorgefallene und zeigte ihr das Geld, mit welchem sie denn auch die andern Töchter verheirateten, wobei ihnen noch genug übrig blieb, um sich damit die Mühseligkeiten dieses Lebens zu erleichtern.
Die Eidechse aber, sobald sie Renzolla empfangen, zauberte sogleich einen sehr schönen Palast hervor, führte das Mädchen hinein, und erzog es mit königlicher Pracht, als wäre es wirklich eine Königstochter gewesen; man hätte sagen können, dass ihm selbst das Blaue vom Himmel nicht fehle. Renzolla aß wie eine Gräfin, kleidete sich wie eine Fürstin, und hatte hundert dienstfertige Zofen, die sie bedienten. Durch eine so gute Lebensweise wurde sie denn, ehe man sich's versah, rund wie ein Tönnchen.
Da geschah es einmal, dass der König in jenem Walde auf die Jagd ging. Unvermerkt überfiel ihn die Nacht, und da er nicht wusste, wohin er sich wenden sollte, und in jenem Palast den Schimmer eines Lichtes gewahr wurde, schickte er einen Diener ab, um den Herrn des Hauses zu ersuchen, ihm eine Herberge zu bewilligen.
Als der Diener an die Tür' klopfte, ging ihm die Eidechse in Gestalt einer schönen Frau entgegen, und nachdem sie seine Bitte vernommen, erwiderte sie, sein Herr sei tausend Mal willkommen, es solle ihm nichts abgehen an Allem was er nur bedürfe.

Da der König diese Antwort vernahm, begab er sich in den Palast, und wurde aufs Beste empfangen, indem hundert Edelknaben mit angezündeten Fackeln ihm entgegen kamen, so dass es aussah, wie der Leichenzug eines reichen Mannes. Andere hundert Edelknaben brachten das Getränk auf den Tisch. Noch andere hundert verjagten mit großen Fächern die Fliegen; besonders aber Renzolla wartete dem König mit so vieler Anmut auf, indem sie ihm zu trinken reichte, dass er mehr Liebe als Wein trank.

Als aber die Mahlzeit beendet, und der Tisch abgeräumt war, ging der König schlafen, und Renzolla zog ihm selbst die Schuhe von den Füßen und das Herz aus der Brust, so dass der König, von ihrer schönen Hand berührt, sein Gebein und seine Seele von dem Liebesgift durchdrungen fühlte. Darum ließ er sich angelegen sein, um nicht vor Liebesqual zu sterben, den Schatz dieser Schönheiten zu erlangen, und indem er die Fee herbeirief, forderte er Renzolla von ihr zur Frau. Da die Fee das Wohl ihrer Pflegetochter vor Augen hatte, sagte sie dieselbe dem Könige nicht nur ohne weiteres zu, sondern gab ihr auch noch eine Mitgift von sieben Millionen Goldtalern.
Der König, voller Freude über sein Glück, begab sich mit Renzolla fort, die, voll Undankbarkeit gegen das, was die Fee an ihr getan, ohne ein Wort der Erkenntlichkeit mit ihrem Gemahl fortzog. Als die Fee eine solche Undankbarkeit sah, verwünschte sie Renzolla, dass sich ihr Antlitz in ein Ziegengesicht verwandeln möge. Und kaum hatte sie diese Verwünschung ausgesprochen, so dehnte sich Renzollas Mund in ein Maul aus mit einem ellenlangen Bart, die Backen zogen sich ein, die Haut ward grob und hart, das Gesicht haarig, die zierlichen Flechten verwandelten sich in spitze Hörner, so dass der König bei diesem Anblick ganz in Entsetzen geriet, denn er konnte nicht begreifen, wie es zuging, dass eine so außerordentliche Schönheit sich plötzlich in ein so hässliches Ungetüm verwandele. Und aus tiefstem Herzen weinend und seufzend, sagte er: „Wo sind die Haare, die mich fesselten, wo die Augen, die mich durchbohrten, wo der Mund, die Wonne meiner Seele — aber wie? soll ich der Gatte einer Ziege sein, und soll ich, weil sie eine Ziege ist, ein Bock sein? Nein, nein, ich will nicht um eines Ziegengesichtes willen mich dem Spott aller Welt aussetzen!"
Mit diesen Worten sperrte er Renzolla, als sie in seinem Palast anlangten, mit einer Zofe in ein Kämmerlein, und gab beiden zehn Bündel Flachs zu spinnen, und setzte ihnen eine Woche als Termin, um ihre Arbeit zu vollenden.

Die Zofe, dem Könige gehorsam, fängt an den Flachs zu kämmen, ihn auf die Kunkel zu winden, die Spindel zu drehen, die Strähne zu flechten, und zu arbeiten wie ein Pferd, so dass Sonnabend Abend die Arbeit beendet war. Renzolla aber, die sich noch in derselben Lage zu befinden meinte, wie in dem Hause der Fee, weil sie nicht wusste, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war, wirft den Flachs zum Fenster hinaus und sagt: „Was denkt der König, dass er mir diese Arbeit gibt? Will er Hemden, so kann er sie sich kaufen; er glaube doch nicht, dass ich auf der Straße gefunden bin, er erinnere sich, dass ich ihm sieben Millionen Goldtaler ins Hans gebracht habe, dass ich sein Weib bin und nicht seine Magd. Er muss wohl ein großer Esel sein, dass er mich auf diese Weise behandeln will!"
Gleichwohl, als der Sonnabendabend herankam und sie sah, dass die Zofe ihre ganze Arbeit beendet hatte, empfand sie große Furcht, es möchte ihr schlimm ergehen. Daher begab sie sich in den Palast der Fee, und erzählte dieser ihr Unglück. Die Fee umarmt sie mit großer Zärtlichkeit und gibt ihr einen Sack voll gesponnenen Flachses, damit sie denselben dem Könige vorweise, und sich so als fleißige Arbeiterin und tüchtige Hausfrau bewähre. Renzolla aber nimmt den Sack, ohne ein Wörtlein des Dankes, und kehrt in den Palast zurück, während die Fee über das hässliche Benehmen ihrer Pflegetochter im hohen Grade erzürnt und aufgebracht war.

,Als der König das Gespinst empfing, gab er Renzolla und der Zofe jeder einen Hund, und befahl, sie sollten dieselben pflegen und großziehen.

Die Zofe erzog den ihrigen mit aller Sorgfalt, und behandelte ihn beinahe wie einen Sohn.
Renzolla aber sagte: „Ich weiß nicht, was ich denken soll? Bin ich denn unter den Heiden? Soll ich einen Hund kämmen und füttern?" Und mit diesen Worten wirft sie den armen Hund zum Fenster hinaus, so dass er auf der Stelle mausetot blieb.

Nach einigen Monaten aber befahl der König, die Hunde herbeizuholen, und Renzolla, der nicht wohl zu Mute war, eilte von Neuem zur Fee. Sie fand diesmal an der Tür' derselben einen alten Mann als Türsteher, der sagte zu ihr: „Wer bist du und was verlangst du?"
Als Renzolla diese Frage an sich richten hörte, entgegnete sie zornig: „Kennst du mich nicht, du Ziegenbart? Wie kannst du mir auf diese Weise begegnen?"
„Da kann man wohl sagen“, erwiderte der alte Mann, „der Dieb jagt den Häschern nach, der Kessel straft den Ofentopf, ich ein Ziegenbart? Du bist ein Ziegenbart und mehr noch, denn durch deinen Dünkel verdienst du dies und noch Schlimmeres. Warte nur ein wenig, unverschämtes Ding, ich will dir ein Licht anstecken und dir zeigen, wohin deine Anmaßung dich gebracht hat."

Mit diesen Worten lief er in seine Kammer, nahm einen Spiegel und hielt ihn der Renzolla vor, welche bei dem Anblick ihres hässlichen, haarigen Gesichts fast in Ohnmacht fiel, und die heftigsten Schmerzen empfand, sich so verwandelt und unkenntlich wieder zu sehen.
Darauf sagte der alte Mann: „Du musst dich erinnern, Renzolla, dass du die Tochter eines Bauern bist, und die Fee dich zu einer Königin gemacht hat; du aber warst undankbar, und hast dich für so viel Zeichen reiner Liebe wenig erkenntlich gezeigt. Darum musst du diese Strafe ohne weiteres ertragen; da ist keine Hülfe; wie du gewollt, so geschieht es dir; dazu hat deine Frechheit dich gebracht, dass du durch die Verwünschung der Fee nicht nur dein früheres Antlitz, sondern auch deinen hohen Stand verloren hast. Wenn du aber diesen weißen Bart verlieren willst, so wirf dich der Fee zu Füßen, so bitte sie um Verzeihung mit inständigem Flehen, zerkratze dir dein Angesicht, schlage dir deine Brust, und bitte sie um Vergebung für dein schlechtes Benehmen, denn da sie ein weiches Herz hat, so wird sie mit deinem Unglück Mitleid empfinden."

Renzolla, die sich heftig erschüttert fühlte, tat wie der Alte ihr hieß, und die Fee gab ihr auch unter vielen Umarmungen und Küssen die frühere Gestalt wieder, legte ihr ein goldbesticktes Kleid an, schenkte ihr einen prächtigen Wagen, und brachte sie so, von einer Schar Diener begleitet, zum Könige zurück. Dieser, da er sie so schön und herrlich erblickte, gewann sie von Neuem lieb wie sein Leben, und konnte sich gar nicht darüber zu gut geben, dass er sie so viel Leiden hatte ausstehen lassen.

So führte Renzolla nun ein frohes Leben, indem sie den Gatten liebte, die Fee ehrte, und sich gegen den alten Mann dankbar bewies, weil sie auf ihre eigenen Kosten hatte erfahren müssen, dass es in allen Fällen gut sei, sich dankbar zu beweisen.

Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.

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