Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Der Zauberlehrling - Italienische Märchen
Der Zauberlehrling
Auf der Insel Sizilien, in der schönen und berühmten Stadt Messina
lebte ein Mann namens Lactantius, der war in zweierlei Künsten sehr
geschickt. Bei Tage vor den Augen der Leute trieb er das
Schneiderhandwerk; dagegen heimlich, zur Nachtzeit, die schwarze
Kunst. Eines Abends hatte er sich in sein Zimmer eingeschlossen, und
war eben mit allerhand magischen Vorkehrungen beschäftigt, als das
Unglück einen jungen Menschen herbeiführte, der sich bei ihm in der
Lehre befand.
Dionysius, so hieß der Lehrling, war zurückgekehrt, um aus dem Zimmer
des Lactantius Einiges zu holen, welches er vergessen hatte. Da er die
Tür verschlossen fand, drinnen aber Geräusch vernahm, schlich er leise
herzu, guckte durch die Öffnung des Schlüsselloches, und sah nun die
Zauberkünste seines Meisters. Der junge Mensch empfand ein so
lebhaftes Vergnügen dabei, dass er von jetzt auf nichts Anderes sann,
als wie er die Kunststücke des Schneiders heimlicherweise erlernen
könnte. Nun hatten Nadel, Fingerhut und Schere gute Ruh' bei ihm; er
bekümmerte sich um Nichts, als das zu lernen, was man ihn nicht lehren
wollte, und so wurde er aus einem fleißigen, achtsamen, brauchbaren
Arbeiter, als den er sich anfangs gezeigt hatte, ein schlaffer, träger
und unaufmerksamer, der an seiner Beschäftigung nicht mehr wie sonst
Vergnügen fand. Als Lactantius diese Veränderung seines Lehrlings
wahrnahm, jagte er ihn aus seinem Dienst und schickte ihn seinem Vater
zurück, der nicht wenig überrascht und betrübt war, seinen Sohn wieder
zu haben, und nicht begreifen konnte, was mit ihm vorgegangen sei.
Einige Zeit darauf, nachdem der Vater des Dionys seinen Sohn
wiederholt und unter Tränen zu seiner Pflicht ermahnt hatte, führte er
ihn aufs Neue zu dem Schneider, und bat diesen inständigst, ihn wieder
anzunehmen; wenn er sich aber in Zukunft schlecht aufführe und nicht
arbeiten wolle, ihn derb zu züchtigen. Es sei sein einziger Wunsch,
dass der Knabe das Handwerk erlerne.
Lactantius, dem guten armen Manne zu Liebe, ließ sich nicht lange
bitten, nahm seinen Lehrling wieder auf und unterwies ihn alle Tage
mit großer Sorgfalt im Zuschneiden und Nähen.
Weil aber Dionys durchaus nichts lernen wollte, gab ihm sein Herr
bei jeder Gelegenheit die Elle zu kosten, ließ sie nach Herzenslust
auf seinem Buckel tanzen, und so fort, so dass der arme Teufel, der
mehr Schläge bekam, als Bissen Brot, das Gesicht immer braun und blau
geschlagen oder das Bügeleisen auf seinem Leibe abgedruckt hatte,
welches alles er jedoch standhaft ertrug, so unempfindlich machte ihn
das Verlangen, jene geheime Kunst zu erlernen, die er alle Nächte
durch das Schlüsselloch seinen Meister treiben sah.
Dieser, welcher seinen Lehrburschen für einen albernen Tölpel hielt,
da er das, was man ihm zeigte, nicht begreifen konnte, trug weiter
keine Sorge, seine Hexenkünste vor ihm geheim zu halten, denn er
meinte, wer nicht einmal das Zuschneiden erlernen könne, welches doch
eine so leichte Sache sei, der werde um so viel weniger die Hexerei
begreifen, welche doch ein so schwieriges Ding fei. Deshalb
verheimlichte er seine Kunst nicht länger vor Dionys, der sich jetzt
für den glücklichsten aller Menschen hielt, und trotz dem, dass man
ihn für einen solchen Dummkopf und Esel hielt, der der Beachtung gar
nicht einmal wert sei, in wenig Tagen schon ein solcher Meister in der
Schwarzkunst wurde, dass er mehr davon verstand als sein Lehrherr.
Eines Tages nun ging der Vater des jungen Menschen an dem Hause des
Lactantius vorüber, und da er seinen Sohn nicht in der Bude bemerkte,
trat er ins Haus, und sah ihn dort statt Zuschneiden und sein Handwerk
treiben, Holz in die Küche tragen, Wasser holen, das Kind wiegen, das
Haus scheuern, kurzum alle Dienste eines Stubenmädchens verrichten.
Der gute Mann geriet darüber in solche Betrübnis, dass er seinen Sohn
mit sich nach Hause nahm, und ihn dort folgendermaßen auszuschelten
anfing:
„Du weißt, Dionys, wie viel ich auf dich verwendet habe, in der
Hoffnung, du werdest ein Handwerk erlernen, womit du eines Tages dich
und mich ernähren könntest; aber ach! ich habe mein Korn ins Wasser
gesät, denn du hast nie etwas lernen wollen. Wahrhaftig, dies ist mein
Tod, denn ich befinde mich in einem solchen Elend, dass ich weder mir
selbst zu raten noch zu helfen weiß, noch irgend ein Mittel kenne,
dich zu ernähren. Deshalb beschwöre ich dich, mein Sohn, lerne, so
viel nur in deinen Kräften steht, deinen Lebensunterhalt auf eine
ehrliche Art erwerben."
Nach diesen Worten fing der gute Mann an zu weinen, Dionys aber, von
seinen Tränen gerührt, entgegnete ihm:
„Lieber Vater, ich danke euch tausendmal von ganzem Herzen für alle
Mühe und Sorge, die ihr um meinetwillen ertragen habt; aber ich bitte
euch, glaubt nicht, dass, wenn ich auch das Schneiderhandwerk nicht
erlernte, wie es euer Wunsch war, ich deswegen meine Zeit mit
Nichtstun und an den Nägeln Kauen zugebracht habe. Nein, ich habe
vielmehr durch meine langen Nachtwachen und unermüdliche Anstrengungen
eine Kunst erlernt, die ich in Zukunft mit solchem Erfolge auszuüben
gedenke, dass ihr und ich alle unsere Tage davon in Friede und Freude
leben können. Beruhigt euch also, lieber Vater, ich bitte euch, und
quält euch nicht länger, sondern Fasst guten Mut und tröstet euch.
Damit ihr jedoch nicht meint, ich sage euch dergleichen Dinge nur so
vor, um euch für den Augenblick zufrieden zu stellen, so will ich euch
gleich den Beweis geben."
„Ich werde mich morgen, vermittelst meiner geheimen Kunst, in ein
schönes Pferd verwandeln; dann legt mir Sattel und Zaum an, führt mich
auf den Markt und verkauft mich. Wenn ihr euern Handel gemacht habt,
so geht, die Tasche voll Geld, ruhig nach Hanse, und ihr werdet mich
hier in der nämlichen Gestalt, in welcher ihr mich jetzt erblickt,
wieder finden. Urteilt nun selber, ob ich etwas Nützliches gelernt
habe oder nicht, da ihr in so kurzer Zeit euch auf so lange den
nötigen Lebensunterhalt erwerben könnt. Aber vor Allem warne ich euch
und bitte, euch ja in Acht zu nehmen, dass, indem ihr mich verkauft,
ihr nicht auch den Zaum mit fort gebt; diesen müsst ihr, es komme, wie
es wolle, durchaus zurückbehalten, sonst könnte ich nicht mehr zu euch
zurückkehren und ihr würdet mich vielleicht Zeit eures Lebens nicht
mehr wieder sehn."
Am folgenden Morgen entkleidete sich Dionys im Beisein seines Vaters,
und nachdem er sich den ganzen Leib mit einer Salbe eingerieben hatte,
murmelte er einige Worte, worauf der gute Alte zu seinem größten
Erstaunen statt seines Sohnes plötzlich ein schönes, kraftvolles Pferd
erblickte, welches er anschirrte, wie sein Sohn ihn geheißen und auf
den Markt führte. Kaum dass ihn dort die Kaufleute und Rosstäuscher
erblickten, so umringten sie ihn, ganz entzückt über die Schönheit und
den Anstand des Pferdes, welches seine Glieder und den ganzen Körper
so ungezwungen regierte, mit solcher Leichtigkeit und solchem Feuer,
dass es bewunderungswürdig war. Alle fragten, ob das Pferd zu
verkaufen sei und der Alte bejahte es.
Zufällig befand sich auch Lactantius auf dem Markte, der, als er das
Pferd gesehen und scharf ins Auge gefasst, sogleich erkannte, dass es
ein verzaubertes sei. Er entfernte sich daher ohne alles Aufsehen aus
dem Gewühl, lief schleunigst nach Hause, verkleidete sich als ein
Kaufmann, steckte eine große Summe Geldes zu sich und kehrte nach dem
Markte zurück, woselbst er den guten Mann mit seinem Pferde noch
antraf. Er näherte sich demselben und indem er es aufmerksam
betrachtete, erkannte er, dass es sein Lehrling Dionys sei. Darauf
fragte er den Alten, ob er es ihm verkaufen wolle; jener sagte zu, und
sie wurden mit einander Handels einig. Lactantius zahlte ihm
zweihundert Goldtaler für das Pferd. Als er es aber beim Zaum
ergreifen und mit fortführen wollte, entgegnete der Alte, er habe ihm
das Pferd und nicht den Zaum verkauft, den er behalten wolle, oder der
ganze Handel möge rückgängig werden. Indes Lactantius wusste ihn so
wohl zu beschwatzen, ihn so mit glatten Worten zu überlisten, dass er
den Zaum und das Pferd behielt, welches er nach Hause führte, in dem
Stall an die Krippe festband, und es zum Frühstück und Abendbrot mit
so viel hundert Stockschlägen traktierte, dass das arme Tier in Kurzem
zu Haut und Knochen abmagerte und das Mitleid eines Jeden erregte, der
es ansah.
Lactantius aber hatte zwei Töchter; als diese die Grausamkeit ihres
nichtswürdigen Vaters sahen, gingen sie täglich in den Stall, um nach
dem unglücklichen Pferde zu sehen. Sie liebkosten es, schmeichelten
ihm und behandelten es so gut, als sie nur konnten, ja einmal nahmen
sie es sogar beim Halfter und führten es an den Fluss hinaus, um ihm
zu trinken zu geben. Das Pferd aber befand sich kaum am Wasser, als es
sich hineinstürzte und, indem es sich in einen kleinen Fisch
verwandelte, in den Wellen verschwand.
Als die Mädchen dieses seltsame Ereignis sahen, blieben sie ganz
sprachlos vor Erstaunen, dann kehrten sie nach Hause zurück und
ergaben sich dort der heftigsten Betrübnis, welche man je gesehen hat;
sie zerschlugen sich die Brust, zerrauften ihre schönen, langen Haare
und schluchzten in einem fort. Einige Zeit darauf kehrte Lactantius
zurück; er war in dem Stall gewesen, um sein Pferd mit einem anderen
Wischer als von Stroh zu striegeln, zu seinem größten Erstaunen aber
war es verschwunden. Sehr erbost darüber, begab er sich zu seinen
Töchtern, die er in Tränen fand. Ohne nach der Ursache ihrer Tränen zu
fragen, denn er wusste wohl, von welcher Seite ihr Unglück kam, sagte
er zu ihnen: „Meine Kinder, seid ohne Furcht und sagt mir nur das
Einzige, was aus dem Pferde geworden ist, damit ich augenblicklich
meine Maßregeln treffen kann."
Bei diesen Worten beruhigten sich die armen Mädchen und erzählten ihm
alles, wie es sich begeben hatte. Als ihr Vater dies vernahm,
entkleidete er sich sogleich, lief nach dem Flusse, verwandelte sich
in einen Raubfisch, stürzte sich dann ins Wasser und verfolgte mit
aller Kraft seiner Floßfedern das kleine Fischchen, um es zu
verschlingen.
Als dieses den Raubfisch mit seinen furchtbaren Zähnen hinter sich
bemerkte, war es in großer Sorge, von ihm verschlungen zu werden,
näherte sich dem Ufer des Flusses, und verließ denselben, verwandelt
in einen schönen, in Gold gefassten Rubin. Darauf sprang er in das
Körbchen der Königstochter, welche gerade am Fluss spazieren ging und
sich damit belustigte, kleine Steinchen, die am Ufer lagen, aus dem
feinen Sande aufzulesen.
Kaum war die Prinzessin, welche Violante hieß und die einzige Tochter
des Königs war, nach Hause gekommen, so nahm sie ihre Beute aus dem
Körbchen und sah nun unter den Steinen den Ring leuchten. Ganz erfreut
steckte sie ihn sogleich an den Finger und konnte nicht aufhören, ihn
zu betrachten.
Als die Nacht einbrach und die Prinzessin sich in ihr Schlafgemach zur
Ruhe begeben hatte, verwandelte sich der Ring plötzlich in einen
schönen Jüngling. Er hielt der Prinzessin, welche erschrocken laut
aufschreien wollte, den Mund zu, dann warf er sich zu ihren Füßen und
bat um Verzeihung. Sie möge nicht glauben, dass er in einer
unehrerbietigen Absicht gekommen sei, sondern einzig um ihre Hülfe
anzuflehen; worauf er ihr sein ganzes Missgeschick und die
Verfolgungen erzählte, die er zu erdulden gehabt hatte.
Violante, durch den hellen Schein der Lampe, welche in ihrem Zimmer
brannte, so wie durch die Worte des Jünglings, den sie sehr hübsch und
einnehmend fand, einigermaßen beruhigt, empfand Mitleid mit ihm und
sagte: „Junger Mann, du bist sehr verwegen, an einen Ort zu kommen, an
welchen man dich nicht gerufen hat. Allein ich will dir in Rücksicht
deines Missgeschicks verzeihen. Deine Erzählung hat mein ganzes
Mitleid erweckt und ich will dir zeigen, dass ich nicht von Marmor
bin, noch ein Herz von Diamant habe; ja ich bin entschlossen, dir von
ganzem Herzen, so weit es meine Ehre erlaubt, in Allem beizustehen."
Der Jüngling bedankte sich hierauf ganz untertänig und als es Tag
wurde, verwandelte er sich wieder in den Ring, welchen die Prinzessin
zu ihren kostbarsten Juwelen legte.
Um diese Zeit geschah es, dass der König, Violantens Vater, in eine
schwere Krankheit verfiel, bei der seine Ärzte keinen Rat wussten,
sondern sie für unheilbar erklärten, so dass es von Tage zu Tage
schlimmer damit wurde. Dies kam auch zu den Ohren des Lactantius, der
es nicht so bald hörte, als er sich in einen Doktor verkleidete, nach
dem königlichen Palast ging, und vor den König gebracht, sich genau
von der Krankheit unterrichtete; darauf fühlte er den Puls,
betrachtete das Antlitz und sagte: „Die Krankheit Eurer Majestät ist
allerdings hartnäckig und sehr gefährlich, aber fassen Sie Mut, denn
in Kurzem will ich Sie herstellen; ich besitze ein Mittel, mit welchem
ich in wenig Tagen die allergefährlichste, grausamste Krankheit, die
es nur auf der Welt gibt, heben kann."
„Meister Arzt“, versetzte der König, „wenn ihr mir meine Gesundheit
wiedergeben könnt, wie ihr sagt, so verspreche ich euch dies dermaßen
zu vergelten, dass ihr alle Zeit eures Lebens zufrieden sein sollt.
„Mein König“, sagte hierauf der Arzt, „ich bitte Sie nicht um Stand,
Würden und Reichtümer, sondern nur, dass es Eurer Majestät gefallen
möge, mir eine einzige Gnade zu erweisen."
Dies versprach ihm der König, vorausgesetzt, dass er nichts
Unmögliches oder Törichtes von ihm verlange.
„Ich bitte Eure Majestät um weiter nichts“, sagte der Arzt, „als um
einen in Gold gefassten Rubin, der sich gegenwärtig in dem Besitz
Ihrer Tochter, der Prinzessin, befindet."
Der König, da er eine so geringfügige Bitte vernahm, erwiderte:
„Meister, wenn ihr nichts weiter wollt, so seid überzeugt, vollkommen
zufrieden gestellt zu werden; worauf der Arzt sich bei dem Könige ganz
untertänigst bedankte, und ihn mit solcher Sorgfalt zu kurieren
anfing, dass der König in weniger als zehn Tagen wieder frisch und
gesund war.
Als der König wieder hergestellt war, ließ er in Gegenwart des Arztes
seine Tochter rufen, und hieß sie, ihre sämtlichen Juwelen
herbeiholen. Die Prinzessin gehorchte. Als der Arzt aber alles wohl
besichtigt und durchmustert hatte, sagte er: der Rubin, welchen er
wünsche, sei nicht darunter und die Prinzessin möge nachsehen, wo er
sich befände.
Die Prinzessin, welche ihren Rubin über alles liebte, versicherte
jedoch, keine andern Edelsteine weiter zu besitzen, als die, welche
sich hier befänden; worauf der König zu dem Doktor sagte: „Geht jetzt
und kommt morgen wieder, ich werd' es schon dahin bringen, dass meine
Tochter mir den Ring gibt."
Nachdem sich der Arzt entfernt hatte, rief der König Violante und
fragte sie auf das Liebreichste, wo denn der schöne Rubin sei, welchen
der Arzt zu haben wünsche, und sie möge ihn doch geben, er wolle ihr
einen weit schönern und größeren dafür schenken. Aber sie leugnete so
standhaft, dass der König nichts anfangen konnte.
Kaum befand sie sich wieder in ihrem Gemach, als sie sich einschloss,
und bitterlich zu weinen anfing über den Verlust ihres armen Rubins,
den sie ganz in Tränen badete, ihn auf das Zärtlichste küsste und den
Tag und die Stunde verwünschte, da der Doktor seinen Fuß in den Palast
des Königs, ihres Vaters, gesetzt habe.
Als der Rubin die heißen Tränen sah, welche den Augen der schönen
Prinzessin entströmten und die tiefen Seufzer hörte, die aus ihrem
Herzen drangen, nahm er seine menschliche Gestalt an und sagte zu ihr:
„Prinzessin, von der mein ganzes Leben abhängt, ich beschwöre euch,
bekümmert euch nicht dermaßen über mein Unglück; lasst uns vielmehr
auf irgend einen Ausweg sinnen, denn jener Arzt, der mich so eifrig in
seine Gewalt zu bekommen trachtet, ist Niemand anders als mein
Todfeind Lactantius, der mich umbringen will. Also bitte ich euch, so
klug, verständig und wohl beraten ihr seid, gebt mich nicht in seine
Hände, sondern stellt euch erzürnt und werft mich gegen die Wand — für
das Weitere lasst mich nur sorgen.
Am folgenden Morgen kam der Arzt wieder zum Könige, der ihm sagte, wie
seine Tochter versichert habe, jenen Ring nicht zu besitzen. Als
Lactantius dies hörte, ward er sehr unwillig, beteuerte das Gegenteil
und behauptete, der Rubin befände sich in den Händen der Prinzessin.
Der König ließ hierauf in Gegenwart des Arztes die Prinzessin noch
einmal herbeirufen und sagte zu ihr: „Violante, du weißt, dass ich
durch die Sorgfalt und die Kenntnis dieses Mannes meine Gesundheit
wiedererlangt habe; zur Belohnung verlangt er nichts weiter von mir,
als den Ring, der sich nach seiner Aussage in deinen Händen befindet
und den du gleichwohl verweigerst. Ich hätte geglaubt, die Liebe,
welche du für mich empfindest, würde dich nicht bloß einen Rubin,
sondern dein Leben selbst hingeben lassen. Ich bitte dich bei dem
Gehorsam, welchen du mir schuldig bist, bei dem Wohlwollen, welches
ich für dich hege, verweigere mir nicht länger diesen Ring, für den
ich dir geben will, was du nur verlangen magst."
Als die Prinzessin den so bestimmten Willen des Königs, ihres Vaters,
vernommen hatte, ging sie in ihr Gemach, nahm alle ihre Juwelen, unter
welche sie auch den Rubin legte, und in Gegenwart des Königs einen
nach dem andern in die Hand nehmend, wies sie dieselben dem Arzte, der
sogleich, als er den Rubin erblickte, die Hand darauf legen wollte,
indem er sagte: „Prinzessin, dies ist der Ring, den ich wünsche, und
den mir der König versprochen hat."
Allein die Prinzessin, ihn zurückstoßend, entgegnete: „Halt, Meister,
ihr werdet ihn bekommen!" — Und den Ring zwischen den Fingern haltend,
rief sie aus: „Also dies mir so teure und kostbare Juwel ist es,
welches ihr verlangt! Ihn soll ich fortgeben, dessen Verlust mich für
alle Zeiten meines Lebens trostlos machen wird. Aber ich geb' ihn
nicht aus gutem Willen, sondern weil es der König, mein Vater,
durchaus verlangt."
Mit diesen Worten, warf sie den Rubin gegen die Wand. Sobald aber der
Ring zur Erde fiel, verwandelte er sich augenblicklich in einen
schönen Granatapfel, der aufsprang und seine Körner überall hin
verstreute.
Als der Arzt dies sah, ward er auf der Stelle zu einem Hahn, um alle
Körner aufzupicken und so den armen Dionys zu verderben; aber er
täuschte sich; denn eins von den Körnchen hatte sich so verborgen,
dass es der Hahn nicht bemerken konnte. Dieses Körnchen nun wartete
die gute Gelegenheit ab, verwandelte sich in einen Fuchs, und mit
Ungestüm auf den Meister Hahn zustürzend, packt er ihn beim Halse,
erwürgt ihn und frisst ihn auf in Gegenwart und zum großen Erstaunen
des Königs und seiner Tochter Violante.
Nachdem dies geschehen war, nahm Dionys seine menschliche Gestalt
wieder an, und erzählte nun alles dem Könige, welcher ihm hierauf die
Prinzessin zur Frau gab. Sie lebten lange Zeit mit einander in Glück
und Frieden, und der gute alte Vater des Dionys wurde jetzt aus einem
dürftigen, armseligen Bettler ein reicher und vermögender Mann,
während dem Lactantius seine eigene Bosheit das Leben gekostet hatte.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.