Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Corvetto - Italienische Märchen
Corvetto
An den Diensten des Königs von Fiume-Largo befand sich einmal ein wackrer
Jüngling, Namens Corvetto, welcher wegen seines guten Benehmens von seinem Herrn
von Herzen geliebt, aus demselben Grunde aber von allen Hofleuten von ganzem
Herzen gehasst wurde, da sie, selbst ohne jedes Verdienst, die glänzende Tugend
des Corvetto nicht anschauen konnten, der für das bare Geld der Liebe und Treue
sich die Gnade seines Herrn erwarb. Aber die Luft der Gunst, die ihn vom Könige
anwehte, war ein Sirocco für den Neid jener, so dass sie in den Winkeln des
Palastes zu aller Zeit nichts anderes taten, als ihm Böses nachzureden, ihn zu
verleumden, anzuschwärzen, und diesem guten Jünglinge allen Schaden zuzufügen.
„Was hat denn“, sprachen sie, „dieser Bettelbube dem Könige angetan,
dass er ihn dermaßen liebt? Warum ist er so glücklich, dass kein Tag
vorübergeht, an dem er nicht einen neuen Beweis der Gunst empfängt?
wogegen wir immer rückwärts gehen wie die Krebse, immer abnehmen an
Gunst, und doch alles tun, was an uns liegt, wie die Pferde arbeiten,
wie die Tagelöhner schwitzen, wie die Windhunde jagen, um es diesem
Könige recht zu machen. Man muss wahrlich auf dieser Welt als ein
Glückskind geboren werden, denn wer das Glück hat, fällt immer auf die
Beine, aber was ist zu tun! Wir müssen Geduld haben und bersten!"
Solche und andere Worte flogen von dem Bogen ihres Mundes und
waren wie die vergifteten Pfeile, welche gerade auf das Ziel, auf den
Sturz Corvettos, gerichtet waren. O unglücklich ist ein zu der Hölle
des Hofes Verdammter, wo die Schmeicheleien mäßchenweise, die bösen
Dienste aber scheffelweise ausgeteilt, wo Betrug und Verrat
zentnerweise gemessen werden. Wer kann aber die mannigfaltigen
Schlingen erzählen, die sie ihm stellten, wer kann die Seife der
Falschheit schildern, mit welcher sie die Treppe zu den Ohren des
Königs einschmierten, um ihn fallen und den Hals brechen zu machen;
wer kann die Gruben und mit Reisig bedeckten Löcher aufzählen, in die
er, wie sie es wünschten, durch ihre Hinterlist stürzen sollte!'
Indes Corvetto, der ein pfiffiger Bursche war, und die Fallstricke
sah, die Fallen bemerkte, die Listen entdeckte, hielt immer die Ohren
gespitzt und die Augen offen, um sich nicht fangen zu lassen, denn er
wusste, dass die Glücksgöttin der Hofleute gläsern ist. Aber je höher
dieser junge Mensch in der Gunst des Königs stieg, desto tiefer war
auch der Abgrund und der Hass der Andern, welche, da sie am Ende nicht
mehr wussten, auf welche Weise sie ihn sich vom Halse schaffen
sollten, weil ihren Verleumdungen doch nicht geglaubt wurde, auf den
Gedanken kamen, ihn auf der Straße des Lobes zu einem Abgrunde zu
führen; eine Kunst, in der Hölle erfunden, und bei Hofe verfeinert.
Dieser bedienten sie sich nun auf folgende Weise.
Es lebte zehn Meilen von Schottland, wo der Sitz dieses Königs war,
ein wilder Mann, der grimmigste und schrecklichste, der je im Lande
der wilden Männer gelebt hat, und weil er von dem Könige verfolgt
wurde, hielt er sich in einem dichten Wald auf der Spitze eines Berges
verborgen. Und so hoch war der Berg, dass er den Vögeln selbst
unzugänglich war, und so dicht der Wald, dass nie ein Strahl der Sonne
hindurch drang. Dieser wilde Mann nun hatte ein sehr schönes Ross,
welches unter andern vorzüglichen Eigenschaften auch die der Sprache
besaß, denn es redete durch Zauberei wie wir.
Da nun die Hofleute wussten, wie böse der wilde Mann war, wie
schrecklich der Wald, wie hoch der Berg, und wie groß die
Schwierigkeit, sich dieses Pferdes zu bemächtigen: gingen sie zum
Könige, und schilderten ihm sehr lebendig die Vorzüge jenes Tieres,
welches würdig sei, einem Könige anzugehören. Er möge deshalb irgend
ein Mittel ausfindig machen, um es den Klauen jenes wilden Mannes zu
entreißen, wozu Corvetto sich am besten eignen würde, weil er ein
schlauer und gewandter Jüngling sei, der den Hund wohl vom Ofen zu
locken verstehe.
Da der König nicht wusste, dass unter den Blumen dieser Worte sich die
Schlange des Neides verberge, rief er alsbald Corvetto und sagte zu
ihm: „Wenn du mich liebst, so sieh' zu, dass du das Pferd des wilden
Mannes, meines Feindes, bald in deine Gewalt bekommst; ich will dir
diesen Dienst reichlich vergelten und belohnen."
Corvetto merkte wohl, wer ihm diesen Streich spiele; Indes um sich dem
Könige gehorsam zu bezeigen, macht er sich augenblicklich auf den Weg
nach dem Berge, schleicht sich ganz leise in den Stall des wilden
Mannes, sattelt das Pferd, schwingt sich hinauf, und begibt sich auf
den Rückweg.
Das Pferd aber, da es sich aus dem Palast hinausspornen sah, rief:
„Aufgepasst! denn Corvetto führt mich fort."
Als der wilde Mann dies vernahm, jagte er ihm nach mit allen Tieren,
welche ihm dienten, mit allen Pavianen, Bären, Löwen, Wehrwölfen, um
ihn seine Kühnheit hart büßen zu lassen.
Der Jüngling Indes spornt darauf los, entfernt sich immer weiter von
dem Berge, und stets mit verhängtem Zügel jagend, gelangte er an den
Hof, wo er das Pferd dem Könige überreicht, der ihn vor Freude umarmt
wie einen Sohn, sodann einen Beutel ergreift, und Corvetto die Hände
mit Goldstücken füllt.
Den Hofleuten war dies ein neuer Stich ins Herz, als sie sahen,
dass die List, durch welche sie das Glück des Corvetto zu zerstören
gedachten, bloß dazu diente, ihm den Weg zu höherer Gunst zu bahnen.
Da sie jedoch wussten, dass ein Baum nicht auf den ersten Streich
fällt, wollten sie ihr Glück zum zweiten Mal versuchen und sagten zum
Könige: „Heil dir zu dem schönen Pferde, welches fürwahr die Zierde
des königlichen Marstalles sein wird; nur fehlen dir noch die Tapeten
des wilden Mannes, welche so kostbar sind, dass es sich gar nicht
beschreiben lässt. Besitzest du auch diese, so ist wahrlich kein
Monarch auf der Welt dir zu vergleichen. Niemand aber könnte dir
besser zu diesem Schatz verhelfen, als Corvetto, denn der versteht es,
wie man diese Dinge anzufangen hat."
Der König, der da tanzte, wie man ihm vorspielte, und von diesen
bittern, aber verzuckerten Früchten nur die Schale genoss, ruft
Corvetto, und bittet ihn inständigst, ihm nun auch die Tapeten des
wilden Mannes zu verschaffen, wie er ihm dessen Pferd schon verschafft
habe.
Corvetto, ohne ein Wort zu erwidern, begab sich augenblicklich
nach dem Berge des wilden Mannes, schlich sich unbemerkt in das
Zimmer, wo er schlief, verbarg sich unter dem Bette, und erwartete,
zusammengeduckt, die Ankunft der Nacht. Darauf als der wilde Mann und
die Frau sich zu Bette gelegt hatten, macht sich Corvetto an die
Arbeit, nimmt die Tapeten behutsam herab, und indem er auch die
Bettdecke mit fortnehmen will, fängt er an ganz sachte zu ziehen.
Der wilde Mann aber erwachte alsbald, und sagte zu der Frau, sie
solle nicht so sehr ziehen, denn sie decke ihn auf, und er könne sich
leicht erkälten.
„Jm Gegenteil, du deckst mich auf“, erwiderte die wilde Frau,
„denn ich habe nichts mehr von der Decke auf dem Leibe."
„Wo zum Kuckuck aber ist denn die Decke?“, rief der wilde Mann,
und indem er die Hand auf die Erde steckte, fasste er dem Corvetto ins
Gesicht. Sogleich fing er an zu schreien: „Ein Dieb, ein Dieb! Hülfe!
Lichter!“, so dass bei diesem Geschrei das ganze Haus in Aufruhr
geriet.
Corvetto Indes, welcher die Sachen bereits durch das Fenster hinab
geworfen hatte, springt ihnen nach, und nachdem er ein hübsches Bündel
gemacht, begibt er sich auf den Weg nach der Stadt, und es lässt sich
nicht sagen, wie sehr der König ihn liebkoste, und wie die Hofleute
vor Ärger darüber grün und gelb wurden.
Dem ungeachtet sannen sie aufs Neue, wie sie dem Corvetto mit dem
Nachtrab der Schelmereien in den Rücken fallen könnten, und begaben
sich in solcher Absicht zu dem Könige, welcher vor Freude über die
Tapeten ganz außer sich war, denn dieselben waren nicht nur aus Seide
und mit Gold gestickt, sondern es waren auch viele tausend
verschiedenartige kunstreiche Dinge daraus eingewebt, die alle nur
aufzuzählen meine Zeit nicht hinreichen würde.
Da sie nun, wie gesagt, den König ganz außer sich in vollem Jubel
fanden, sagten sie zu ihm: „Da Corvetto gar so viel verrichtet hat, um
dir gehorsam zu sein, so wäre es eben nichts Großes, wenn er, um dir
ein ganz besonderes Vergnügen zu machen, nun auch noch den Palast des
wilden Mannes verschaffte, der nicht zu schlecht ist, selbst die
Wohnung eines Kaisers zu sein. Ja, er enthält so viele Gemächer, dass
ein Heer darin Herberge finden könnte, und man könnte nicht leicht die
Menge der Höfe zählen, der Säulengänge, Hallen und Säle, die sich
darin in so großer Zahl vorfinden, dass die Kunst sich darüber ärgert,
die Natur sich schämt, und das Erstaunen außer sich gerät.
Der König, der bei jeder Sache gleich in Flammen geriet, ging
alsbald darauf ein, rief den Corvetto, gestand ihm das Gelüst welches
er nach dem Palast des wilden Mannes bekommen, und befahl und bat ihn
inständigst, zu so viel Diensten die er ihm schon erwiesen, auch noch
diesen hinzuzufügen, wofür er ihn mit der Kreide der Dankbarkeit an
die Wirtshaustafel des Gedächtnisses für immer anschreiben würde.
Corvetto, der ein pfiffiger Bursche war, und den Hund wohl vom
Ofen zu locken verstand, nahm alsbald die Beine über den Buckel, und
begab sich nach dem Palast des wilden Mannes.
Daselbst findet er die wilde Frau allein, welche im Kindbett
gewesen; der Mann aber ist ausgegangen, um Gevattersleute zu bitten.
Da die Frau aus dem Bette aufgestanden war, um alles zu dem
bevorstehenden Feste zurecht zu machen, so begab sich Corvetto zu ihr
hinein und sagte mit einer mitleidigen Miene: „Gott grüß' euch,
wackere Frau, ihr seid tüchtig hinter euern Sachen her, warum wollt
ihr euch aber so sehr quälen? Gestern erst seid ihr in Wochen
gekommen, und heute schon strengt ihr euch dermaßen an und habt kein
Mitleid mit euch selbst."
„Was soll ich tun“, erwiderte die wilde Frau, „wenn ich niemand
habe, der mir hilft."
„Ich bin bereit“, versetzte Corvetto, „euch mit Hand und Fuß
beizustehen."
„Nun denn, so seid mir willkommen“, sagte die wilde Frau, „und da
ihr euch mir mit so vieler Freundlichkeit anbietet, so spaltet mir
doch sogleich ein Paar Scheite Holz."
„Sehr gern“, antwortete Corvetto, „nicht nur ein Paar, sondern
viele; nahm hierauf eine frisch geschliffene Art, doch anstatt aus das
Holz zu hauen, gibt er der wilden Frau eins auf den Kopf, dass sie
sogleich zu Boden fällt. Hierauf läuft er vor das Thor, gräbt da eine
sehr tiefe Grube, die er mit grünen Zweigen und Erde zudeckt, und
stellt sich hinter die Türe.
Als er nun den wilden Mann mit den Gevattersleuten ankommen sah,
fing er zu rufen an: „Geht ihr zum Kuckkuck, es lebe der König von
Fiume-Largo."
Da der wilde Mann diesen höhnischen Ausruf vernahm, eilte er
blindlings mit den andern auf Corvetto los, um ihn in kleine Stücke zu
zerhacken; da sie aber alle, von Wut geblendet, über Hals und Kopf in
die Grube stürzten, so machte Corvetto ihnen mit Steinwürfen vollends
den Garaus, worauf er die Türe zuschloss, und die Schlüssel dem Könige
überbrachte.
Als dieser nun den Mut und den seltenen Verstand des Jünglings
überdachte, gab er ihm, trotz seines niedrigen Standes und dem Hohn
des Neides, zum großen Verdruss der Hofleute, seine Tochter zur Frau.
Also wurden die Schlingen des Neides die Stapeln, womit jener das
Schiff seines Lebens in das Meer der Größe rollen ließ; seine Feinde
aber waren zu Schanden gemacht, und außer sich vor Äger, und mussten
ohne Licht schlafen gehen, denn
Mag noch so lang' die Strafe weilen,
Sie wird die Schelme doch ereilen.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.