Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Der Floh - Italienische Märchen
Der Floh
Es ward einmal der König von Altamonte von einem Floh gebissen. Diesen
fing er mit großer Geschicklichkeit, und als er ihn betrachtete,
schien er ihm so groß und schön, dass er sich ein Gewissen daraus
machte, ihn auf dem Folterbett des Nagels sterben zu lassen. Er
steckte ihn daher in eine Flasche, und da er ihn alle Tage mit dem
Blut seines eigenen Armes fütterte, wuchs das Tier so gewaltig, dass
man ihm nach Verlauf von sieben Monaten ein anderes Quartier anweisen
musste, weil es fetter ward, als ein Hammel.
Als der König dies sah, so ließ er ihm die Haut abziehen und gerben,
und sodann öffentlich ausrufen, wer erraten könne, von welchem Tiere
dies Fell sei, solle die Tochter des Königs zur Frau bekommen.
Als diese Bekanntmachung ergangen war, eilten die Leute
haufenweise herbei und kamen aus den letzten Enden der Welt, um
ihr Glück zu versuchen. Der Eine sagte, es wäre die Haut von einem
Affen, der andere die von einem Luchs, der Dritte von einem
Krokodil!, und wieder Einer, es wäre von dem, und wieder ein
Anderer, es wäre von jenem Tiere. Alle aber waren hundert Meilen
links und Keiner traf den Nagel auf den Kopf. Endlich sah sich
dieses Gerippe ein wilder Mann an, das abscheulichste Ungetüm von
der Welt, bei dessen Anblick der keckste Bursche in Zittern und
Beben geriet. Nachdem jener nun das Fell berochen und beschnüffelt
hatte, wusste er sogleich, woran er war,, und sagte: „Dies Fell
ist das Fell des Königs der Flöhe."
Der König, da er sah, dass der wilde Mann die Sache so gut
getroffen, wollte sein Wort nicht brechen, und ließ seine Tochter
Porziella rufen, ein Mädchen wie Milch und Blut; sie war so gerade
wie eine Spindel, und man hätte sie mit den Augen verschlingen
mögen, so schön war sie.
„Mein liebes Kind“, sagte der König, „du kennst wohl das Manifest,
das ich habe ergehen lassen, und weißt auch, wer ich bin. Mit
einem Wort, ich kann mein Versprechen nicht zurücknehmen. Das Wort
ist gegeben, ich muss es auch erfüllen, und wenn mir gleich das
Herz darüber springt. Wer hätte sich denken können, dass dieser
Gewinn einem wilden Manne zufallen würde! Aber da ohne den Willen
des Himmels kein Blatt vom Baume fällt, so muss ich auch glauben,
dass diese Heirat im Himmel geschlossen worden ist. Hab' also
Geduld und sei meine gute Tochter, und widersprich deinem Vater
nicht, denn mein Herz sagt mir, dass du zufrieden leben wirst; man
hat das Glück oft da gefunden, wo man es am wenigsten vermutete."
Als Porziella diese traurige Nachricht vernahm, so füllten sich ihr
die Augen mit Tränen, die Wangen erbleichten, ihre Knie zitterten,
und sie war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Zuletzt brach sie
in Tränen aus und sagte zum Vater: „Was hab' ich dir denn zu Leide
getan, dass du diesen Jammer über mich bringst? Wie hab' ich mich
doch gegen dich vergangen, dass du mich diesem Ungeheuer
überlieferst? o erbarmungswürdige Porziella, wie ein unglückliches
Schaaf bist du jetzt der Fraß eines Wehrwolfs! Ist das die Liebe,
welche du für dein Blut hegst, ist das die Zärtlichkeit, welche du
der erweisest, die du deinen Augapfel nanntest? So reißest du dir
aus dem Herzen die, welche ein Teil deines Blutes ist, o Vater,
grausamer Vater, du bist nicht von Menschen entsprossen,
Seeungeheuer haben dir das Leben gegeben, und wilde Katzen dich
gesäugt. Aber was sage ich, Ungeheuer des Meeres und der Erde —
jedes Tier liebt seine Jungen, du allein hast kein Herz, du allein
hassest deine Tochter! Hätte mich doch lieber die Mutter erwürgt!
Wäre die Wiege mir doch zum Totenbett geworden, die Brust der Amme
zum Giftbecher, die Windeln zu tödlichen Schlingen und die
Klapper, die man mir umhängte, zur Keule, da es so weit mit mir
kommen sollte, diesen schrecklichen Tag zu erleben, an dem ich von
der Hand einer Harpie mich geliebkost, mich umarmt von
Bärentatzen, von zwei Eberhauern mich geküsst sehen soll!"
Sie wollte noch weiter sprechen, als der König ganz entrüstet sie
unterbrach: „Nur behutsam, denn der Becher ist von Glas. Gieße nur
langsam, damit die Hefe nicht mitkommt. Halte deinen Mund und lass
die Zunge nicht zu sehr laufen. Nicht allzu bitter, denn der
Zucker ist teuer. Was ich tue, ist wohlgetan. Mache nicht, dass
mir der Senf in die Nase steige, denn wenn ich dir erst über den
Hals komme, so lass ich dir keinen Knochen im Leibe ganz. Schreibe
ja deinem Vater keine Gesetze vor; seit wann ist es Sitte, dass
ein Mädchen, dass ein Ding, welches den Windeln kaum entwachsen
ist, sich meinem Willen widersetze? Rasch, gib ihm die Hand und
geh' in diesem Augenblick mit ihm in sein Haus, denn ich will
nicht dieses unverschämte kecke Gesicht noch einen Augenblick vor
Augen sehen." Die betrübte Porziella, als sie sich in solcher
Bedrängnis sah, fasste die Hand des wilden Mannes mit dem Gesicht
eines zum Tode Verdammten, mit dem Blick einer Wahnsinnigen, mit
dem Herzen eines, der sich zwischen dem Beil und dem Blocke
befindet, und wurde von ihm in einen dichten Wald geschleppt, wo
die Bäume den Rasen überwölbten, damit ihn die Sonne nicht schaue,
wo die Bäche, weil sie im Dunkeln gingen, über die Steine
stolperten und die wilden Tiere ohne Furcht und Scheu sich lustig
machten, wo nie der Fußtritt eines Menschen hinkam, der nicht die
Straße verloren.
An diesem unseligen schauerlichen Aufenthalt befand sich das Haus
des wilden Mannes, ganz austapeziert und ausgeschmückt rings umher
mit Knochen von Menschen, die er aufgefressen. Denkt euch nun den
Schrecken, das Grauen, das Zittern und Beben, das Entsetzen,
welches das arme Mädchen empfand, fo werdet ihr leicht glauben,
dass jeder Tropfen Blut ihr zu Eis erstarrte. Aber das war noch
nicht alles, denn zu Mittag bekam sie Erbsen und zu Abend Bohnen;
und wieder Bohnen und Erbsen, Erbsen und Bohnen und so fort.
Inzwischen war der wilde Mann auf die Jagd gegangen; als er
zurückkehrte, war er ganz beladen mit toten Leibern und sagte:
„Nun kannst du dich nicht beklagen, liebe Frau, dass ich dich
nicht pflege, hier hast du einen guten Vorrat von Essen; nimm und
mach' dich luftig, denn eher wird der Himmel auf die Erde fallen,
eh' ich dich an irgend etwas Mangel leiden lasse." Die arme
Porziella spuckte aus und wandte voll Abscheu das Gesicht fort.
Der wilde Mann, der dies wohl bemerkte, entgegnete: „Das heißt
Perlen den Schweinen vorwerfen, aber es hat nichts auf sich. Ich
bin zu morgen auf eine Schweinsjagd eingeladen worden, von da
werde ich dir ein paar Schweine nach Hause bringen; dann wollen
wir mit unsern Freunden und Vettern ein herrliches Mahl
veranstalten, und so luftig und guter Dinge unsere Ehe beginnen."
Hierauf begab er sich in den Wald, und während sie, ganz in
traurigen Gedanken verloren, am Fenster steht, geht zufällig eine
alte Frau an dem Hause vorüber, die, vor Hunger erschöpft, sie um
ein Stück Brod bittet. „O liebe Frau“, erwiderte das arme Mädchen,
„Gott weiß, dass ich mich in der Gewalt eines Ungeheuers befinde,
das mir nichts anderes ins Haus bringt, als Menschenviertel, dass
ich nicht weiß, wie ich diesen Gräuel auch nur ansehen soll, so
dass ich das jämmerlichste Leben zubringe, welches nur je geführt
worden ist, und bin doch eine Königstochter! Und bin doch mit
Zuckerwerk groß gezogen worden, und habe doch stets gehabt, was
ich wollte."
Und mit diesen Worten fing sie zu weinen an wie ein kleines Kind,
dem man das Essen fortnimmt, so dass die alte Frau, von Mitleid
ergriffen, zu ihr sagte: „Sei nur gutes Muts, mein schönes Kind,
zerstöre deine Schönheit nicht durch Weinen, ich werde dir nach
allen Kräften zu helfen suchen. Jetzt höre. Ich habe sieben Söhne,
wie die Riesen: Mast, Nardo, Cola, Micco, Petrullo, Ascadeo und
Ceccone. Diese meine sieben Söhne besitzen ganz außerordentliche
Kräfte. Wenn Mase das Ohr auf die Erde legt, so hört er alles, was
dreißig Meilen im Umkreise sich regt. Wenn Nardo spuckt, so macht
er ein großes Meer von Seifenschaum; wenn Cola ein Eisen auf die
Erde wirft, so entsteht ein Feld voll scharfer Messer; wenn Micco
nur ein Reis hinwirft, so erhebt sich ein dichter Wald; wenn
Petrullo einen Wassertropfen ausgießt, so brauset ein furchtbarer
Strom; wenn Ascadeo einen Stein hinwirft, so steigt ein gewaltiger
Turm aus der Erde, und Ceccone zielt so genau mit seiner Armbrust,
dass er auf eine Meile weit einer Henne ein Auge ausschießt. Mit
Hülfe dieser meiner Söhne nun, die voller Höflichkeit und
Freundlichkeit sind, und gewiss Mitleid mit dir haben werden, will
ich dich wohl den Klauen dieses wilden Mannes entreißen, denn
dieser hübsche leckere Bissen passt nicht für die Schnauze eines
solchen scheußlichen Ungeheuers."
„Das ist ja vortrefflich“, erwiderte Porziella, „und jetzt ist
gerade die beste Zeit, denn das Ungetüm ist eben ausgegangen und
kommt erst morgen Abend wieder; wir werden also Zeit haben, uns
aus dem Staube zu machen."
„Heut Abend kann es nicht geschehen“, entgegnete die alte Frau,
„denn ich wohne ziemlich weit von hier. Es ist aber genug, wenn
ich und meine Söhne uns morgen früh daran machen, dich aus deiner
bedrängten Lage zu befreien."
Hierauf ging sie fort, und Porziella, der das Herz vor Freude
schwoll, legte sich zur Ruhe nieder. Aber kaum dass die Vöglein
der Sonne ihren Morgenruf zwitscherten, siehe da kaum auch die
alte Frau mit den sieben Söhnen, und Porziella in die Mitte
nehmend, begaben sie sich auf den Weg zur Stadt. Sie waren aber
noch keine halbe Meile gegangen, als Mase, die Ohren auf die Erde
legend, ausruft: „Aufgepasst, es gilt, der Fuchs ist da! Der wilde
Mann ist schon nach Hause gekommen, und da er die Jungfrau nicht
gefunden, so hat er sich eiligst auf den Weg gemacht, um uns
einzuholen."
Als Nardo dies vernahm, spuckte er auf die Erde und machte ein Meer
von Seifenschaum. Der wilde Mann kommt heran, und als er diese
Seiflauge erblickt, eilt er nach Hause, nimmt einen Sack voll
Werg, und wickelt ihn sich so um die Füße, dass er endlich, wenn
auch mit großer Mühe, das Hindernis glücklich überwindet.
Mase, der wiederum sein Ohr auf die Erde legt, spricht hierauf: „Der
Tausend noch einmal, da kommt er ja wieder." Hierauf wirft Cola
ein Stück Eisen auf die Erde, und alsbald ersteht ein Feld von
Rastrmessern.
Der wilde Mann, der sich den Weg versperrt sieht, eilt noch einmal
nach Hause, hüllt sich von Kopf bis zu Fuß in Eisen, kehrt zurück
und durchschreitet so das Feld.
Noch einmal legt Mase sein Ohr auf die Erde und ruft: „Jetzt
vorgesehen! Da kommt der wilde Mann wieder angelaufen, als wenn er
flöge.
Alsbald lässt Micco durch ein Reis einen furchtbaren Wald
emporwachsen, durch den man nur mit äußerster Schwierigkeit
hindurch dringen kann. Als jedoch der wilde Mann an den Wald
gelangt, nimmt er ein scharfes Jagdmesser, welches er an der Seite
trug, haut rechts eine Pappel, links eine Hagbuche nieder, fällt
auf der einen Seite eine Steineiche, auf der andern eine Fichte,
so dass er mit vier oder fünf Hieben den ganzen Wald zur Erde
streckt, und dieses Hindernis aus dem Wege räumt.
Mase, welcher die Ohren immer steif hielt, ruft hierauf von Neuem
aus: „Jetzt sind wir in der größten Roth, denn der wilde Mann ist
uns schon wieder auf den Fersen."
Als Petrullo dieses hört, nimmt er aus einer Quelle, die ohne
Unterlass aus einem Felsen hervorsprudelt, einen Schluck Wasser,
spritzt es auf die Erde, und also bald sieht man einen breiten
Strom vorüberrauschen, dessen Fluten tobend daherbrausen.
Der wilde Mann, als er dieses neue Hindernis gewahr wird, zieht sich
sogleich die Kleider aus, nimmt sie auf den Kopf und schwimmt an
das andere Ufer.
Mast, der seine Ohren in einem fort spitzt, hört das Geräusch der
Fußtritte des wilden Mannes und sagt: „Es steht schlimm mit uns,
denn der wilde Mann trabt so hinter uns her, dass der Himmel uns
beistehen möge. Wir wollen uns daher wohl vorsehen und dem Sturm
ausweichen. Wenn nicht, so ist es mit uns für immer vorbei."
„Hab' keine Furcht“, sagte Ascadeo, „ich werde mit dem Ungeheuer
schon fertig werden." Und kaum hat er dies gesagt, so wirft er
einen Stein hin, worauf ein Turm aus der Erde steigt, in welchen
sie sich rasch hineinbegeben und die Tür' verrammeln.
Sobald der wilde Mann ankommt und sie in Sicherheit sieht, eilt er
nach Hause, nimmt eine Leiter auf den Rücken, und eilt mit ihr zum
Turme zurück.
Mase, der nicht aufhört zu lauschen, hört von Ferne die Ankunft des
wilden Mannes und spricht: „Jetzt sind wir an dem äußersten Rande
unserer Hoffnungen, denn der wilde Mann kehrt zurück, und zwar mit
großer Wut. Das Herz pocht mir vor Angst, und ich fürchte, es wird
uns schlecht gehen."
„Hab' nur keine Furcht“, erwiderte Eeccone, „und lass mich dafür
sorgen; gib Acht, ich werde ihn gehörig ins Auge nehmen."
Kaum hat er dies gesagt, so lehnt der wilde Mann auch schon die
Leiter an die Mauer, und fängt an hinaufzuklettern. Aber Eeccone,
scharf zielend, schießt seinen Bolzen ab, und das Ungeheuer stürzt
hinunter auf die Erde. Als Eeccone dies sieht, geht er aus dem
Turm hinaus, und schneidet dem wilden Manne mit seinem eigenen
Jagdmesser den Kopf ab, wie wenn es frischer Käse gewesen wäre.
Diesen trugen sie sodann ganz vergnügt zu dem Könige, der voll
Freude war, seine Tochter wiederzubekommen, denn es hatte ihn
schon hundertmal gereut, dass er sie einem wilden Manne vermählt
hatte. Er suchte nun für Porziella einen wohlgefälligen, ihr
angemessenen Ehegemahl, und machte zugleich die Mutter und ihre
sieben Söhne, die seine Tochter von einem so unglücklichen Leben
befreit hatten, zu reichen Leuten, denn er unterließ nicht,
tausendmal sein Unrecht zu bereuen dass er um eines Eigensinnes
willen Porziella so großer Gefahr ausgesetzt habe, ohne zu
bedenken, einen wie großen Fehler derjenige begeht, der Heil und
Glück, da sucht, wo es nicht gefunden werden kann.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.