Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Der Dummling - Italienische Märchen
Der Dummling
Es war einmal ein Mann, ein steinreicher Mann, aber weil man auf
dieser Welt kein vollkommenes Glück genießen kann, so hatte er einen
sehr einfältigen, albernen Sohn, der nicht bis auf drei zählen konnte.
Da er nun seine dummen Streiche nicht länger ertragen konnte, so gab
er ihm eine gute Hand voll Dukaten und schickte ihn nach dem
Morgenlande, um Handel zu treiben, indem er wohl wusste, dass das
Reisen in fremden Ländern, der Umgang mit mancherlei Leuten den Geist
ausbildet, das Urteil schärft und den Menschen erfahren macht.
Moscione, dies war der Name des Sohnes, setzte sich also zu Pferde und
ritt nach Venedig zu, der Vorratskammer wunderbarer Dinge, um sich
dort auf irgend ein Schiff zu begeben, das nach Kairo unter Segel
ginge. Nachdem er ein gutes Stück geritten, sah er einen Menschen am
Fuße einer Pappel stehen, zu dem sagte er: „Wie heißt du, mein lieber
Junge, woher bist du, und was kannst du?"
Jener antwortete: „Ich heiße Blitzschnell, ich bin von Pfeilstadt und
kann wie der Blitz laufen."
„Ich möchte wohl eine Probe davon sehen“, erwiderte Moscione.
„Wart' nur ein wenig“, versetzte Blitzschnell, „so wirst du gleich
sehen, ob ich dir etwas vorlüge."
Und indem sie eine kleine Weile so standen, siehe, da kommt eine
Hirschkuh über das Feld her.
Blitzschnell lässt sie ein Stück vorauslaufen, um ihr einen Vorsprung
zu geben, und macht sich dann mit solcher Schnelligkeit und so
leichtfüßig auf die Beine, dass die Spur seiner Schuhe auf einem mit
Mehl bestreuten Wege nicht sichtbar gewesen wäre. In ein paar Sprüngen
hatte er die Hirschkuh erreicht.
Moscione war sehr verwundert und fragte, ob er bei ihm bleiben wolle,
denn er würde ihn ordentlich bezahlen.
Blitzschnell war es zufrieden und sie begaben sich auf den Weg.
Sie waren aber noch nicht vier Meilen gegangen, so fanden sie einen
andern Burschen, zu dem Moscione sagte: „Wie heißt du, Kamerad, woher
bist du und was kannst du?"
Jener antwortete: „Ich heiße Hasenohr, ich bin aus Neugierigtal
und wenn ich meine Ohren an die Erde lege, so höre ich, ohne mich von
der Stelle zu rühren, was in der Welt vorgeht, alle Listen und
Streiche, alle Pfiffe und Kniffe, die ersonnen und gesponnen werden."
„Wenn das wahr ist“, erwiderte Moscione, „so sage mir, was bei mir
zu Hause vorgeht."
Hierauf legte Jener das Ohr an die Erde und sprach: „Ein alter Mann
sagt zu seiner Frau, gelobt sei der Himmel, der mich von diesem
Moscione befreit hat, denn wenn dieser Tölpel, der für mich ein wahrer
Gram war, durch die Welt umherzieht, so wird er wenigstens zum
Menschen werden, nicht langer ein so gar dummer Esel, Faulpelz und
Müßiggänger bleiben."
„Genug, genug“, sagte Moscione, „du redest die Wahrheit und ich glaub'
es. Komm mit mir und dein Glück ist gemacht."
Der junge Mensch sagte zu und nachdem sie sich so auf den Weg gemacht,
fanden sie nach zehn Meilen Weges noch einen Dritten, zu dem Moscione
sagte: „Wie heißt du, mein wackerer Mann, wo bist du geboren und was
verstehst du?"
Jener antwortete: „Ich heiße Punkttreffer, ich bin aus Trefferichtig
und treffe mit meiner Armbrust so genau, dass ich eine Erbse von einem
Stein schieße."
„Das möcht' ich wohl einmal sehen“, erwiderte Moscione; und Jener
spannte die Armbrust und schoss eine Erbse von einem Steine herunter,
worauf Moscione ihn wie die Andern mit sich nahm.
Und nachdem er noch eine Tagereise gegangen war, so traf er auf einige
Leute, welche in der größten Sonnenhitze einen Damm aufwarfen.
Er empfand ein solches Mitleid mit ihnen, dass er sagte: „Wie, meine
lieben Freunde, haltet ihr es denn bei einer solchen Pferdearbeit in
einer Hitze aus, die ein Ei in einer Minute gar kochen könnte?"
Worauf einer von ihnen antwortete: „Wir sind so frisch wie eine Rose,
denn wir haben einen jungen Menschen bei uns, der uns dergestalt in
den Rücken bläst, als wenn ein Westwind wehte."
„Lasst mich ihn einmal sehen!“, sagte Moscione.
Der junge Mensch wurde gerufen und Moscione fragte ihn: „Wie heißt du,
woher bist du und was kannst du?"
Jener antwortete: „Ich heiße Blasius, bin aus Windstadt und mache mit
dem Munde alle Winde; wenn du einen Westwind willst, so mach' ich ihn
dir in einem Augenblick; wenn du einen Nordwind willst, so werfe' ich
dir Häuser um."
„Was ich nicht sehe, glaub' ich nicht“, entgegnete Moscione.
Sogleich fing Blasius an, anfänglich ganz sanft, zu blasen, dass es
der Wind schien, der gegen Abend zu wehen anfängt. Dann aber, indem er
sich plötzlich gegen einige Bäume umdrehte, erhob er einen solchen
Sturmwind, dass er eine Reihe von Eichen umwarf.
Als Moscione dieses sah, nahm er ihn gleichfalls als Begleiter mit
sich, und indem sie weiter zogen, fand er noch einen andern jungen
Menschen, zu dem er sagte: „Wie heißt du, mit Verlaub? woher bist du,
wenn man's wissen darf? und was kannst du, wenn man danach fragen
darf?"
„Ich heiße Starkrücken, bin aus Kraftburg und habe solche Gewalt, dass
ich einen Berg aus den Rücken nehme und er mir leicht wie eine Feder
scheint."
„Wenn das so ist“, antwortete Moscione, „so verdientest du der König
der Lastträger zu sein, aber ich möchte wohl eine Probe deiner Stärke
sehen."
Und Starkrücken fängt an, sich eine Bürde Steine, Baumstämme und viele
andere Lasten dieser Art aufzuladen, so viel, dass hundert Wagen es
nicht fortgeschafft hätten.
Als Moscione dieses sah, nahm er ihn gleichfalls zu sich und so kamen
sie denn endlich nach Blumenthal, wo ein König regierte, der eine
Tochter hatte, die wie der Wind lief und über ein Saatfeld hingeeilt
wär', ohne die Spitzen zu biegen. Er hatte daher eine Bekanntmachung
ergehen lassen, dass, wer sie im Laufen erreiche, dem würde er sie zur
Frau geben; wer aber zurückbleibe, dem solle der Kopf abgeschlagen
werden.
Als Moscione daselbst angelangt war und diese Bekanntmachung vernommen
hatte, ging er gleich zum Könige und erbot sich, mit der Tochter zu
laufen. Und nachdem er die schöne Bedingung eingegangen war, entweder
die Fersen tüchtig in Bewegung zu setzen oder den Kopf zu verlieren,
ließ er eines Morgens dem König wissen, dass er sich nicht wohl
befände und da er selber nicht laufen könne, so wolle er anstatt
seiner einen Andern schicken.
„Nur immer zu“, erwiderte Cianetella, die Tochter des Königs, „mag
kommen, wer da will, ich bin für alle bereit."
Wahrend nun der Platz ganz voll von Leuten war, die den Wettlauf mit
ansehen wollten, Fenster und Balkons von Menschen wimmelten, so dass
keine Stecknadel zur Erde fallen konnte, erschien Blitzschnell, begab
sich an das Ende des Platzes und erwartete das Zeichen.
Da mit einem Male ward auch Cianetella sichtbar mit aufgeschürzten
Gewändern, leicht beschuht, und nachdem sie sich neben ihn hingestellt
und den Trompetenstoß vernommen, fingen sie an zu laufen mit solcher
Schnelligkeit, dass es schien, als würden Hasen von Windspielen
verfolgt.
Aber Blitzschnell, der den Namen in der Tat hatte, ließ sie mehr als
eine Elle hinter sich und als sie an dem Ziele ankamen, hörte man
alsbald das Schreien, Lärmen, Pfeifen, Händeklatschen und Trampeln der
Leute, welche riefen: „Es lebe der Fremde!“, worüber Cianetella sehr
niedergeschlagen und traurig wurde; voller Scham, sich besiegt zu
sehen.
Weil jedoch der Lauf zweimal unternommen werden musste, so rechnete
sie darauf, den Schimpf wieder gut zu machen, ging nach Hause,
bezauberte alsbald einen Ring, dass, wer ihn am Finger trug, nicht nur
nicht laufen, sondern nicht einmal gehen konnte und schickte ihn dem
Blitzschnell als Geschenk, damit er ihn ihr zu Liebe am Finger trüge.
Hasenohr, der diese List der Königstochter wohl vernahm, hielt sich
ruhig und erwartete den Ausgang der Sache.
Am frühen Morgen traten sie wieder in die Schranken und singen von
Neuem ihren Lauf an. Cianetella aber schien nicht sowohl eine neue
Atalanta, als Blitzschnell ein lendenlahmer Esel, denn er konnte
keinen Schritt tun.
Aber Punkttreffer, der die Gefahr des Gesellen sah und von Hasenohr
gehört hatte, was die Glocke geschlagen, packt seine Armbrust und
schießt mit einem Pfeile nach dem Fingerringe Blitzschnells
dergestalt, dass er den Stein aus dem Ringe schoss, in welchem die
Kraft des Zaubers saß.
Sogleich wurden die gebannten Beine Blitzschnells wieder frei, der mit
vier Sprüngen die Cianetella überflügelte und den Sieg davon trug.
Als der König den Dummling als Sieger erblickte, überlegte er lange,
ob ob er ihm die Tochter geben solle oder nicht. Die Weisen seines
Hofes, welche er zu Rat zog, antworteten ihm, dass Cianetella kein
Bissen für den Mund eines solchen Tagediebes wäre, wie Jener, und dass
er, ohne sein Wort zu brechen, das Versprechen in ein Geldgeschenk
verwandeln könnte und dass dies jenem Bettler wohl lieber sein müsste,
als alle Weiber der Welt.
Dem Könige gefiel diese Antwort und er ließ den Moscione fragen,
welche Geldsumme er statt der Frau, die ihm versprochen war, haben
wolle.
Dieser beriet!) sich mit seinen Gefährten und entgegnete: „Ich
verlange so viel Gold und Silber, als mein Gefährte hier forttragen
kann.
Der König war's zufrieden, ließ den Startnicken kommen und belohnt ihn
mit einer Menge Koffer voll Dukaten, Säcken mit Krontalern, Beuteln
mit Gulden, Fässern mit Kupfergeld und Kästchen mit Halsketten und
Ringen.
Je mehr sie aber auf ihn luden, desto gerader stand er wie ein Turm,
so dass, weil der Schatz, die Banken und die Wechsler nicht Geld genug
hatten, der König seine Hofleute umherschickte, um sich Leuchter,
Becken, Schalen, Schüsseln, Körbe und anderes Silbergerät zu leihen.
Aber alles dieses reichte noch nicht hin, um das Gewicht voll zu
machen.
Als die Räte diesen unerwarteten Ausgang erblickten, und sahen, was
jene Bettler davon trugen, sagten sie zu dem Könige, es wäre ja eine
große Eselei, die ganzen Schätze des Königreichs diesen Leuten
mitzugeben und er würde wohl tun, rasch einen Trupp Soldaten
nachzuschicken, der ihnen diese kostbare Last wieder abnähme.
Alsbald schickte der König eine Schar bewaffneter Leute zu Fuß und zu
Pferde ab, welche ihnen nachsetzen und sie des Schatzes, welchen
Starkrücken forttrug, berauben sollten.
Hasenohr, welcher diesen schlimmen Beschluss vernahm, benachrichtigte
seine Genossen davon, während der Staub der Verfolger sich schon bis
zum Himmel emporhob.
Blasius aber hatte kaum die Gefahr wahrgenommen, so fing er an,
dergestalt zu blasen, dass er alle Feinde nicht nur auf die Erde
niederblies, sondern sie auch mit einem Haufen Sand bedeckte, so dass
Mascione ohne alles Hindernis in das Haus seines Vaters zurückkam.
Dort teilte er mit seinen Gefährten den Gewinn, worüber sie nicht
wenig erfreut waren. Er selbst blieb bei seinem Vater, steinreich, und
man sah in ihm einen goldbeladenen Esel, der das Sprichwort bewährte:
„Gott schickt den Zwieback dem, der Zähne dazu hat."
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.