Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Canetella - Italienische Märchen
Canetella
Es war einmal der König von Bello-Puojo, der wünschte nichts sehnlicher, als Kinder zu bekommen. Nachdem er diesen Wunsch lange Zeit vergebens mit sich getragen, und die Götter mit Bitten bestürmt hatte, beschenkte ihn endlich seine Gemahlin Renzolla mit einem hübschen Töchterlein, der er den Namen Cannetella beilegte. Als sie nun wie eine Tanne herangewachsen war, sagte der König zu ihr: „Du bist jetzt groß genug, meine liebe Tochter, um zu heiraten; da ich dich aber von ganzem Herzen liebe, und hierin nur nach deinem Wunsche handeln möchte, so sage mir, was für einen Mann du haben willst; wähle du selbst, denn wie du willst, so will ich tun.
Cannetella, da sie dieses Anerbieten hörte, dankte ihrem Vater und
entgegnete ihm, sie wünsche gar nicht zu heiraten. Da der Vater ihr
jedoch mit Bitten unaufhörlich zufetzte, sagte sie endlich: „Um mich
für so viel Liebe nicht undankbar zu beweisen, bin ich entschlossen,
mich in deinen Willen zu fügen, nur wünsch' ich einen solchen Mann wie
kein zweiter mehr in der Welt zu finden ist."
Als der Vater dies vernahm, stellte er sich ganz vergnügt vom frühen
Morgen bis spät in die Nacht ans Fenster und indem er alle
Vorübergehenden genau in Augenschein nahm, sagte er, da gerade ein
Mann von schönem Äußern vorbeikam, zu seiner Tochter: „Komm rasch,
liebe Cannetella, und sieh' zu, ob dieser da dir behagt."
Nachdem sie ihn hatten heraufrufen lassen, veranstalteten sie ein
schönes Gastmahl, bei dem an Speisen und Getränken nichts fehlte, was
man nur irgend wünschen konnte.
Während sie nun bei Tafel saßen, fiel dem Jüngling eine Mandel aus dem
Munde, die er jedoch geschickt wieder aufhob und unter das Tischtuch
legte.
Nachdem das Mahl zu Ende, ging er fort, worauf der König Cannetella
fragte: „Wie gefällt dir der Jüngling?"
Sie erwiderte: „Das ist mir ein schöner Tölpel! ein so großer Mensch
wie der sollte sich doch wahrhaftig keine Mandel aus dem Mundes fallen
lassen!"
Da der König diese Antwort vernahm, trat er wiederum ans Fenster und
als er einen anderen von empfehlendem Äußern vorübergehen sah, rief er
die Tochter herbei, um zu hören, wie ihr dieser gefiele. Cannetella
erwiderte, er solle ihn nur heraufkommen lassen. Ein neues Gastmahl
wurde veranstaltet und nachdem sich der Jüngling nach beendigter Tafel
wieder fortbegeben, fragte der König seine Tochter, wie er ihr
gefiele. „Was soll ich“, versetzte Cannetella, „mit einem Menschen
anfangen, den jederzeit wenigstens ein Paar Diener begleiten sollten,
um ihm den Mantel abzunehmen, da er selbst kein Geschick dazu hat!"
„Wenn das so ist“, erwiderte der König, „so sehe ich wohl, wo du
hinaus willst; denn das sind lauter Ausflüchte eines schlechten
Bezahlers! Aber fasse einen Beschluss, denn ich will dich verheiraten
und mein Haus soll nicht aussterben."
Hierauf gab Cannetella ihrem Vater zur Antwort: „Nun denn, um es euch
gerade heraus zu sagen, mein Herr Vater, Ihr gebt euch nutzlose Mühe
und macht die Rechnung ohne den Wirth, denn nie werde ich mich einem
Manne anvertrauen, der nicht einen Kopf und Zähne von Gold hat."
Der König, höchst erzürnt, seine Tochter so eigensinnig zu finden,
genügte gleichwohl ihrem Willen und ließ demzufolge eine
Bekanntmachung ergehen, dass wer irgend in seinem Königreiche die von
seiner Tochter geforderten Eigenschaften besitze, vor ihn kommen
solle, denn er würde ihm seine Tochter zur Frau und das Reich zur
Mitgift geben.
Es hatte aber der König einen grimmigen Feind, Namens Scioravante,
dessen Name selbst in seiner Gegenwart nicht erwähnt werden durfte.
Als dieser nun jene Bekanntmachung vernahm, rief er, als ein
geschickter Zauberer, einige von seinen dienstbaren Geistern herbei,
und befahl ihnen, sie sollten ihm Kopf und Zahne vergolden. Obwohl mm
jene Geister im Anfang die Unmöglichkeit vorschützten und statt dessen
ihm ein Paar goldene Hörner versprachen, taten sie dennoch, von dem
Zauberer gezwungen, alles, was er wollte, woraus er mit Kopf und
Zähnen vom allerfeinsten Golde unter den Fenstern des Königs spazieren
ging.
Als der König das, was er gerade suchte, wahrnahm, so rief er auf der
Stelle die Tochter und sagte zu ihr: „Da sieh', da ist es gerade, was
wir suchen, es könnte in der Tat nicht besser sein, wenn ich mir's
selbst gemacht hätte." Und indem Scioravante vorübergehen wollte, rief
der König ihn an: „Wart' doch ein wenig, Bruder, du bist ja sehr
eilig, als hättest du Quecksilber in den Beinen. So warte doch nur, du
sollst alsbald Sachen und Leute bekommen, welche dich und meine
Tochter begleiten sollen, die ich dir laut meines Versprechens zur
Frau geben will."
„Ich danke euch vielmals", versetzte Scioravante, „es ist aber gar
nichts weiter Notwendig. Gebt mir nur ein Pferd, und ich nehme sie
dann vor mich auf den Sattel, denn in meinem Hause fehlt es weder an
Dienern, noch an sonst etwas; es ist alles vorhanden wie Sand am
Meer."
Und so setzte denn Scioravante endlich seinen Willen durch, nahm
Cannetella vor sich ans das Pferd und begab sich auf den Rückweg nach
Hause.
Gegen Abend brachte er sie in einen Stall, wo einige Pferde angebunden
standen, und sagte zu ihr: „Merke wohl auf, ich muss jetzt nach Hanse
gehen, bis wohin es noch sieben Jahre weit ist; erwarte mich ja in
diesem Stall und geh' nicht heraus und lass dich von keinem lebenden
Wesen erblicken, sonst wird es dir schlimm ergehen."
Hierauf erwiderte Cannetella: „Ich bin deine Magd und werde ganz nach
deinem Willen handeln; aber ich möchte wohl wissen, wovon ich mich
unterdessen ernähren soll." „Du kannst dir nehmen“, war die Antwort
Scioravantes, „was den Pferden an Futter übrig bleibt."
Man wird sich leicht vorstellen, wie betrübt Cannetella wurde und wie
sie die Stunde verwünschte, in der sie geboren war. Was ihr an Speise
abging, ersetzte sie durch Jammern und Wehklagen, indem sie ihr
Schicksal verwünschte, welches sie von dem königlichen Palaste in den
Stall, von den Matratzen zum Stroh, von den Leckerbissen der
väterlichen Tafel zu den Überbleibseln des Pferdefutters getrieben
hatte.
Dieses elende Leben brachte sie nun ein Paar Monate zu, während
welcher Zeit den Pferden, man sah nicht von wem, zu fressen gegeben
wurde; was hiervon übrig blieb, diente zu Cannetellas Nahrung.
Nach Verlauf dieser Zeit guckte sie einmal durch eine Ritze in der
Wand und erblickte einen sehr schönen Garten, in welchem sich so viele
Pomeranzenspaliere, so viele Zitronenlauben, so viele Blumenbeete,
Fruchtbäume und Weinlauben befanden, dass es eine wahre Freude war,
dies alles nur zu sehen. In Folge dessen überfiel nun die arme
Cannetella ein heftiges Gelüst, einige dieser anlockenden Früchte zu
genießen und sie sagte bei sich selbst: „Ich will ganz leise
hinausgehen, um mir einige abzupflücken; mag nun entstehen, was da
wolle. Indes wer könnte wohl dies meinem Manne wieder sagen! Und
sollt' er's dennoch unglücklicherweise wieder erfahren, nun, so ist's
ja eben nur eine Weintraube gewesen."
Sie ging also hinaus und stärkte und erquickte ihren durch Hunger ganz
entkräfteten und abgemagerten Körper.
Aber kurze Zeit darauf kehrte ihr Mann zurück und sogleich klagte
eines der Pferde Cannetella an, dass sie Trauben gegessen, worüber
Scioravante so in Wut geriet, dass er ein Messer aus der Tasche zog
und sie töten wollte.
Da warf sich Cannetella vor ihm auf die Erde nieder und bat ihn, er
möchte doch wohl überlegen, was er tue, denn der Hunger jage selbst
den Wolf aus dem Walde, und sie redete so lange und brachte so viel
vor, ihn zum Mitleiden zu bewegen, bis Scioravante endlich zu ihr
sagte: „Diesmal verzeih' ich dir und schenke dir das Leben; aber wenn
du noch einmal meinen Befehl übertrittst und ich erfahre, dass du dich
aus dem Stalle hinausbegeben hast, so hat deine Stunde geschlagen.
Darum hüte dich, denn ich reise noch einmal fort und werde sieben
Jahre abwesend bleiben; gehorchst du mir nicht, so sollst du die alte
und die neue Rechnung bezahlen."
Nach diesen Worten ging er fort, Cannetella aber ergoss sich in einen
Tränenstrom, rang die Hände, schlug die Brust und riss sich die Haare
aus dem Kopfe, indem sie sagte: „Wäre ich doch nie geboren, da mir ein
so jammervolles Schicksal bestimmt ist, ach Vater, wie unglücklich
hast du mich gemacht! Doch warum klag' ich über meinen Vater, da ich
selbst Schuld bin an allen meinen Leiden! hier hab' ich ja den
gewünschten Kopf von Gold, der mich in dieses Unglück gestürzt hat; so
straft mich der Himmel dafür, dass ich nicht nach dem Willen meines
Vaters handelte! — Kein Tag verging, dass sie diese Klagen und Seufzer
nicht wiederholte, bis ihre Augen sich in zwei Quellen verwandelten
und das Gesicht so mager und bleich wurde, dass es ein Jammer war sie
anzusehen.
Nach Verlauf eines Jahres nun zog zufälligerweise bei jenem Stall der
Küfer des Königs, den Cannetella kannte, vorüber. Sie rief ihn an und
ging hinaus. Jener, als er sich bei seinem Namen nennen hörte und
gleichwohl die arme Königstochter nicht wieder erkannte, geriet außer
sich vor Verwunderung. Nachdem er aber gehört hatte wer sie sei,
steckte er sie, teils aus Mitleid, teils um sich die Gnade des Königs
zu erwerben, in ein leeres Fass, welches er auf einem Lasttier mit
sich führte, und gelangte so um vier Uhr des Nachts an den Palast des
Königs, woselbst er heftig an das Thor pochte. Da nun die Diener eilig
herbeikamen und sahen, dass es nur der Küfer sei, schimpften sie ihn
tüchtig aus, wie er sich unterstehe, zu so ungelegener Stunde zu
kommen und alle aus ihrem Schlaf zu stören.
Als der König diesen Lärm und den Grund desselben vernahm, ließ er den
Küfer vor sich kommen in der Überzeugung, es müsse etwas ganz
Ungewöhnliches vorgefallen sein, dass Jener zu so ungeeigneter Stunde
sich dergleichen herausnehme. Nachdem der Küfer das Lasttier
abgeladen, ließ er Cannetella aus dem Fasse herauskriechen, allein der
Vater erkannte sie nicht eher wieder, als bis er ein Mal, welches sich
auf ihrem rechten Arme befand, erblickt hatte. Sobald er jedoch volle
Gewissheit erlangt, umarmte und küsste er sie tausendmal und ließ ihr
sogleich eine gute Mahlzeit bereiten. Nachdem sie dieser aus allen
Kräften zugesprochen, sagte der Vater zu ihr: „Wer hätte das geglaubt,
meine liebe Tochter, dass ich dich in einem solchen Zustande wieder
sehen würde, wie siehst du aus, wer hat dich so herabgebracht?"
Cannetella erwiderte hierauf: „Jener ungläubige Heide hat mich wie
einen Hund geplagt, so dass ich alle Augenblicke nahe daran war zu
sterben, aber ich will dir gar nicht erzählen was ich alles
ausgestanden, denn meine Leiden sind so groß gewesen, dass sie allen
Glauben übersteigen. Genug, ich bin bei dir, lieber Vater, und will
mich nicht mehr von deinen Füßen trennen und eher Magd sein in deinem
Hause als Königin bei einem Andern; eher will ich einen Kittel, wo du
bist, als einen Mantel von Gold, entfernt von dir; eher will ich einen
Spieß in deiner Küche drehen als einen Zepter unter dem Baldachin
eines andern tragen."
Inzwischen kehrte Scioravante in den Stall zurück und sogleich wurde
ihm von den Pferden berichtet, dass der Küfer Cannetella in einem
Fasse fortgeführt habe. Als der wilde Mann dies hörte, eilte er voller
Zorn nach Bello-Puojo und sprach eine alte Frau an, die gerade dem
Palaste des Königs gegenüber wohnte, indem er zu ihr sagte: „Was
willst du von mir haben, wenn du mich die Tochter des Königs sehen
lässt?" Und da sie hundert Dukaten von ihm forderte, zog Scioravante
den Beutel heraus und zählte ihr sie auf, worauf sie ihn auf den
Söller hinaufstiegen ließ, von wo er Cannetella in dem obern Stockwerk
erblickte, da sie sich gerade die Haare auskämmte.
Cannetella, als hätte sie geahnt, was geschehe, wandte ihre Augen nach
jener Gegend hin, erblickte Jenen, eilte die Treppe hinunter und rief
ihrem Vater zu: „Mein Herr und Vater, wenn du mich nicht auf der
Stelle in ein Zimmer mit sieben eisernen Türen verschließest, so bin
ich verloren."
„Wenn es weiter nichts ist“, versetzte der König, „das soll
geschehen"; und sogleich wurden die Türen fest geschlossen.
Als Scioravante dies wahrnahm, kehrte er zu der alten Frau zurück und
sagte zu ihr: „Ich gebe dir was du willst, wenn du in den Palast des
Königs gehst, dich unter irgend einem Vorwande in das Zimmer der
Prinzessin schleichst und ihr unter das Kopfkissen dieses Zettelchen
steckst und dazu leise sprichst: „Alle mögen schlafen, nur Cannetella
sei wach!"
Die alte Frau forderte noch hundert Dukaten und tat wie er wünschte.
Hierauf kam ein so gewaltiger Schlaf über alle Leute im Hause, dass
sie sämtlich wie tot lagen, nur Cannetella blieb wach. Als sie nun die
Türen einstoßen hörte, fing sie aus Leibeskräften an zu schreien,
gleich als wenn sie am Spieß steckte. Weil aber Niemand da war, der
auf ihr Geschrei herbeigeeilt wäre, so geschah es, dass Scioravante
alle sieben Türen aufsprengte, in das Zimmer hineindrang und
Cannetella mit samt ihren Betten aufpackte, um sie fortzutragen.
Glücklicherweise jedoch fiel der Zettel, den die Alte unter das
Kopfkissen gesteckt, auf die Erde und da die arme Prinzessin noch
immer aus vollem Halse schrie, so erwachten die Leute im ganzen Hause.
Bei dem Gekreisch der Cannetella eilten sie herbei, ergriffen den
wilden Mann und machten ihm den Garaus, so dass er also in seinem
eigenen Netze sich fing, welches er für die unglückliche Prinzessin
ausgestellt, und demnach zu seinem eigenen Schaden die Wahrheit des
Sprichworts erfuhr:
„Wer Andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein."
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.