Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Die 2 Brüder - Italienische Märchen
Die zwei Brüder
Es war einmal ein Vater, der hatte zwei Söhne, Marcuccio und Parmiero.
Als er nun im Begriff war, mit der Natur die Rechnung abzuschließen
und das Buch des Lebens zu zerreißen, rief er sie an sein Bett und
sagte zu ihnen: „Meine geliebten Söhne, es wird nicht lange mehr
dauern, so werde ich der Natur meine Schuld abtragen und da ich euch
nun von Herzen liebe, so darf ich von euch nicht scheiden, ohne euch
ein gutes Andenken zu hinterlassen, auf dass ihr mit Hülfe des
Nordsterns des guten Rates das Meer der Trübsale durchsegeln und in
einen sichern Hafen einlaufen könnt."
Öffnet also eure Ohren, denn was, ich euch gehe ist meines
Erachtens nach ein Reichtum, den Räuber euch nicht entreißen, ein
Haus, welches Erdbeben nicht umstürzen und ein Besitz, den die
Würmer nicht verzehren können.
Vor allen Dingen nun seid gottesfürchtig, dann folgt euch alles
Übrige von selbst nach. Wer diese Straße einschlägt, hat sich wohl
beraten und sein Schäfchen ins Trockene gebracht. Ergebet euch
nicht der Faulheit, indem ihr wie die Schweine im Saukoben
aufwachset. Wer sein eigenes Pferd striegelt, den kann man nicht
Stallknecht nennen; man muss sich helfen, wie man kann, wer für
einen anderen arbeitet, erwirbt sein eigenes Brot.
Seid sparsam mit dem, was ihr habet; wer spart der erwirbt; viele
Pfennige machen einen Taler; wer spart, der findet; gut zwar sind
Freunde und Vetter, unglücklich aber das Haus, wo nichts ist; wer
guten Wind hat, der schifft, und wer Geld hat, gedeiht; wer aber
kein Geld hat, der ist und bleibt ein Narr. Und darum, meine
lieben Kinder, gebt nicht mehr aus, als ihr einnehmt; esset nicht
mehr, als ihr verdienen könnt, denn eine kleine Küche macht ein
großes Haus. Plaudert nicht zu viel, denn die Zunge hat kein Bein,
schlägt aber Manchem den Rücken ein; hört, seht und schweigt, wenn
ihr in Frieden leben wollt; was ihr seht, das habt gesehen, und
was ihr hört, das habt gehört; esset wenig und sprechet wenig, wer
viel spricht, redet nicht immer klug und ein Schwätzer kann sich
leicht um den Hals reden. Seid zufrieden mit Wenigem; besser sind
die Bohnen zeitlebens, als Zuckerwerk eine kurze Zeit; besser ist
es, sich an Wenigem zu erfreuen, als Vieles unnütz zu
verschwenden; wer kein Fleisch essen kann, lebe von der Brühe, und
wer den Braten nicht hat, nage am Knochen.
Geht immer mit Leuten um, welche besser sind als ihr, denn sag' mir,
mit wem du umgehst und ich werde dir sagen wer du bist; wer mit
einem Lahmen umgeht, hinkt am Ende des Jahres, wer sich unter die
Kleie mengt, den fressen die Säue; dem Schurken gib von dem
Deinigen und lass ihn laufen, denn üble Gesellschaft bringt den
Menschen an den Galgen.
Erst überleget und dann handelt; denn es hilft nichts, den Brunnen
zuzudecken, wenn das Kind hineingefallen ist; wenn das Fass voll
ist, spunde es zu, nicht wenn es ausgelaufen ist. Erst kaue und
dann verschlinge. Vorgetan und nachbedacht, hat Manchen in groß
Leid gebracht. Wer langsam gehl, kommt auch ans Ziel, zum
Schnellsein hilft nicht Eilen.
Fliehet allen Streit und Zank, mischt euch nicht in Dinge, die euch
nichts angehen. Ein Pferd, das viel ausschlägt, bekommt mehr
Schläge als es austeilt; wer mit dem Messer sticht, kommt durch's
Messer um; der Krug geht so lange an den Brunnen, bis er bricht.
Lasst euch nicht vom Dünkel ausblasen, denn es gehört mehr dazu als
ein weißes Tischluch. Seid freundlich gegen Jeden und vertraget
euch mit Jedem, denn der Vernünftige muss bedenken, dass er zu
einem Haufen Asche wirb.
Lasst euch nicht mit vornehmen Leuten ein, denn besser ist's, einen
Karren zu ziehen, als bei Hofe zu dienen. Zuneigung vornehmer
Herren und abgezogener Wein ist am Morgen gut, am Abend verdorben;
von vornehmen Herren gibt's nichts anders als gute Worte und faule
Äpfel; wo deine Dienste unfruchtbar sind und die Hoffnungen leer,
da schwitzest du ohne Mitleid, läufst ohne Erholung, schläfst ohne
Ruhe und isst ohne Wohlgeschmack.
Hüte dich vor einem arm gewordenen Reichen, vor einem vornehm
gewordenen Bauern, vor einem verzweifelten Bettler, vor einem
unwissenden Fürsten, vor einem eigennützigen Richter, vor einer
eifersüchtigen Frau, vor einem stillen Wasser, vor bösen Nachbarn
und vor neidischen Zungen.
Endlich gebt euch Mühe, etwas zu lernen, denn wer was weiß, hat was,
und wer Grütze im Kopf hat, kommt auch in einem Walde durch und
einem guten Pferde fehlt es nicht an einem Sattel.
Tausend andere Dinge würde ich euch noch zu sagen haben, aber der
Tod sitzt mir schon an der Kehle und der Atem geht mir aus."
Nachdem er dies gesagt, hatte er kaum Kraft genug, die Hand empor zu
heben, um sie zu segnen. Hierauf zog er die Segel des Lebens ein
und gelangte in den Hafen aller irdischen Leiden.
Als der Vater verschieden war, fing Marcuccio, der sich die Worte
desselben ins Herz gegraben, au, in den Schulen zu studieren,
Universitäten zu besuchen, mit den Studenten sich zu befreunden
und über hohe Dinge zu disputieren, so dass er, ehe man sich
dessen versah, einer der ersten Gelehrten des Landes wurde.
Ab« weil die Armut nur zu oft eine Begleiterin der Tugend ist und
von dem, welcher mit dem Oel der Weisheit gesalbt ist, häufig das
Wasser des guten Glückes abläuft, so blieb dieser arme Mensch
immer elend und in dürftigen Umständen, musste meistenteils satt
sein vom Studieren und war lüstern, nur einen Teller abzulecken.
Von den Büchern ermüdet, ganz und gar hilflos, bemühte er sich,
über die Unverdaulichkeit nachzudenken und war doch allezeit
nüchtern. Dagegen führte Parmiero ein luftiges Leben und quälte
sich nicht mit Sorgen; bald spielte er, bald besuchte er
Wirtshäuser und gedieh bei alledem auf das Beste, ohne sich
irgendwie um das Gute und Schöne zu bekümmern.
Als Marcuccio sah, dass es seinem Bruder dermaßen gut erging, fing
er schon an Reue zu empfinden, dass er auf den Rat des Vaters
einen solchen Weg eingeschlagen hatte. Denn das Füllhorn der
Gelehrsamkeit hatte seinen Beutel nur geleert, so dass er immer
mehr und mehr abnahm, wohingegen Parmiero immer runder und feister
wurde und weil er seine Finger zu brauchen wusste, den Beutel
stets voll hatte.
Endlich konnte er seine drückende Not nicht länger ertragen, suchte
seinen Bruder aus und bat ihn, da das Glück ihn doch zum
Sonntagskind gemacht habe und dasselbe Blut in ihren Adern rinne,
um seine Unterstützung.
Aber Parmiero, der in der Fülle des Wohllebens hartherzig geworden
war, entgegnete ihm: „Du, der du auf den Rat des Vaters den
Studien obgelegen und mir oft meinen Lebenswandel und das Spiel
vorgeworfen hast, geh' du deiner Wege und überlasse mich mir
selbst, denn von mir hast du nicht das Salz zum Brote zu erwarten;
die paar Dreier, die ich habe, brauche ich selber, du bist alt und
verständig genug , und wer nicht zu leben versteht, ist selber
Schuld an seinem Unglück; Jeder für sich und Gott für uns alle.
Nachdem er dies und anderes der Art zu seinem Bruder gesagt, drehte
er ihm den Rücken zu.
Marcuccio, der sich von seinem eigenen Bruder auf so schmähliche
Weise behandelt sah, geriet in solche Verzweiflung, dass er den
Entschluss fasste, sich das Leben zu nehmen und sich auf einen
sehr hohen, hohen Berg begab, dessen Spitze bis in die Wolken
emporragte.
Als er dahin gelangt war, und so gut er konnte auf einem sehr engen
Pfad zwischen Felsen und Klippen sich bis zur Spitze
emporgearbeitet hatte, fing er heftig zu weinen an und wollte sich
von oben hinunterstürzen, als eine schöne Frau in einem grünen
Gewand, das goldene Haar mit einem Lorbeerkranz geschmückt, seinen
Arm ergriff, ihn zurückhielt und sagte: „Was willst du tun,
Unseliger? Wozu lässt du dich von deinem Unmut fortreißen? Bist du
es, der als ein tugendhafter Mensch so viel Öl verbrannt und so
viel Schlaf verloren hat, um zu studieren? Bist du es, der, um mit
seinem Ruhm die Welt zu erfüllen, so lange Zeit sich abgemüdet und
abgearbeitet hat und jetzt, mitten auf dem Wege, sich zu Grunde
richten will, ohne sich derjenigen Waffen zu bedienen, die ihm in
der Schmiede des Wissens gegen das Elend und die Unbeständigkeit
des Glückes bereitet sind? Weißt du denn nicht, dass die Tugend
der beste Zuckerkant gegen den Husten der Armut, ein Tabak gegen
den Schnupfen des Neides, ein Rezept gegen die Krankheit der Zeit
ist? Weißt du denn nicht, dass die Tugend der Kompass ist, mit
welchem man am Besten den Stürmen des Unglücks widersteht, eine
Windfackel, um in der Nacht des Unheils sicher einherzugehen und
das sicherste Wohnhaus, um das Erdbeben der Leiden zu überdauern?
Kehr' um, kehr' zu dir selbst zurück und kehr' den Rücken dem
nicht zu, was dir in Gefahren Mut, in Leiden Kraft, in der
Verzweiflung Beruhigung verschaffen kann. Wisse, dass der Himmel
dich auf diesen so schwer zu besteigenden Berg geschickt hat, den
Wohnsitz der Tugend, damit sie selbst dich der bösen Absicht, die
dich verblendete, entreiße. Darum fasse Mut, ändere deinen Sinn
und damit du siehst, dass die Tugend immer gut ist, immer Werth
hat und immer hilft, so nimm dieses Pulver und begib dich in das
Königreich Campo-Largo, wo die Tochter des Königs schwer erkrankt
daniederliegt, ohne dass man ein Mittel für ihre Krankheit findet.
Gib ihr dieses Pulver in einem frischen Ei und sogleich wird das
Übel gehoben werden, das ihr am Leben nagt, und du selbst wirst so
großen Lohn davon tragen, dass die Armut dich verlassen wird und
du leben kannst, wie es dir zukommt, ohne der Unterstützung
Anderer zu bedürfen."
Marcuccio, der ihr an der Nase angesehen hatte, wer sie war, warf
sich zu ihren Füßen und bat sie wegen des Unrechts, welches er zu
begehen im Begriff war, um Verzeihung, indem er zu ihr sagte: „Der
Schleier fällt mir jetzt von den Augen und ich sehe, dass du die
Tugend bist, die von Vielen gelobt und von so Wenigen befolgt
wird, die Tugend, welche den Geist läutert, den Verstand schärft,
zu ehrenvollen Bemühungen aneifert und ihren Flug bis in den
höchsten Himmel emporrichtet. Ich erkenne dich und bereue, mich
der Waffen, die du mir verliehen, so schlecht bedient zu haben,
verspreche dir aber von heut' an, das Gegengift, welches du mir
gegeben hast, so zu benutzen, dass mir das Böse nimmer wieder an
den Leib kommen soll."
Indem er ihr nun den Fuß küssen wollte, verschwand sie vor seinen
Augen, ihn voll Trostes zurücklassend, wie einen armen Kranken,
der die Gefahr einer schweren Krankheit überstanden hat.
Marcuccio stieg hierauf von dem Berg wiederum hinab und begab sich
nach Campo-Largo, woselbst er, in dem königlichen Palast
angelangt, den König sogleich wissen ließ, dass er in der Absicht
komme, die Krankheit seiner Tochter gründlich zu heilen.
Demzufolge wurde er mit der größten Freude empfangen und in das
Zimmer der Prinzessin geführt, wo er das arme Mädchen im Bette
fand, so dürr und abgemagert, dass sie nur Haut und Knochen noch
hatte; die Augen waren ihr so tief eingefallen, dass mau ein
Teleskop gebrauchte, um sie zu sehen; die Nase war so spitz, dass
man sie durch ein Nadelöhr hatte ziehen können, die Backen so
eingefallen, dass die Prinzessin wie der leibhaftige Tod aussah
und bis aufs Kinn hing ihr die Unterlippe herab — mit einem Wort,
sie war so verunstaltet, dass sie mit dem Glase des Erbarmens dem
Mitleid zutrank.
Dem Mamiccio, der sie in einer so übeln Lage erblickte, traten die
Tränen in die Augen, als er die Schwäche unserer Natur den
Angriffen der Zeit, den Leiden des Körpers und den Übeln des
Lebens so unterworfen sah. Er forderte Indes sogleich ein frisches
Ei, ließ sich einen Löffel Suppe bringen, rührte hierauf Beides
mit dem Pulver unter einander, gab es der Prinzessin mit Gewalt zu
trinken und deckte sie mit vier Decken zu.
Kaum war die Nacht hereingebrochen, als die Kranke ihre Zofen
herbeirief, sich ein frisches Bett machen ließ, weil das ihrige
von Schweiß ganz durchnässt war, und in dem frischen Bette sich
der Ruhe übergab, etwas, das in den sieben Jahren ihrer Krankheit
ihr noch nicht begegnet war. Man fasste demnach die beste
Hoffnung, gab ihr ein stärkendes Tränkchen und indem sie täglich
zusehends besser wurde und ihr Appetit sich wieder einstellte,
verging keine Woche, dass sie gänzlich wiederhergestellt war und
das Bett verlassen konnte.
Der König, ihr Vater, welcher den Marcuccio für den Gott der
Heilkunst selber hielt, beschenkte ihn nicht nur mit sehr schönen
Besitzungen, sondern erhob ihn auch zum ersten Rat seines Hofes,
indem er ihn zugleich mit einer der reichsten Frauen jenes Landes
vermählte.
Parmiero unterdessen hatte alles verloren, was er besaß, denn Geld,
im Spiel gewonnen, ist rasch zerronnen; und da er sich nun wieder
arm und unglücklich sah, beschloss er so lange zu gehen, bis er
entweder in einem anderen Lande ein besseres Glück fände oder sein
Leben darüber verlöre.
Er ging also ununterbrochen, bis er nach Verlauf von sechs Monaten
endlich im Hin- und Herwandern nach Campo-Largo gelangte, so matt
und müde, dass er sich kaum mehr auf den Beinen erhalten konnte,
und da er überdies noch vor Hunger fast dem Tode nahe war und die
Kleider ihm stückweise von dem Leibe fielen, geriet er in eine so
heftige Verzweiflung, dass er in einem verfallenen Hause außerhalb
der Stadt sich die Strumpfbänder losknüpfte, daraus eine schöne
Schlinge machte, die er an einem Balken befestigte, sodann auf
einen kleinen Steinhaufen stieg, welchen er sich zusammengetragen
hatte und sich hinunterfallen ließ, um sich den Tod zu geben.
Das Schicksal fügte es jedoch, dass der Balken, welcher wurmstichig
und faul war, durch die Last seines Körpers entzweibrach und er
dermaßen auf die Steine niederfiel, dass seine Rippen es ein Paar
Tage spürten.
Indem aber der Balken auseinander brach, fielen zugleich eine Menge
goldener Ketten und Ringe heraus, die in der Höhlung desselben
verborgen gelegen hatten und unter anderem auch ein lederner
Beutel mit Goldstücken.
Parmiero, der sich so unversehens der Grube der Armut entrissen sah,
geriet jetzt vor Fröhlichkeit ganz außer sich und nachdem er sich
dieser unverhofften Glücksgüter bemächtigt hatte, begab er sich
vollen Laufes in ein Wirtshaus, um die gesunkenen Lebensgeister
auf das Beste wieder zu erquicken.
Zwei Tage vorher Indes hatten einige Räuber diese Sachen dem
nämlichen Wirte geraubt, bei welchem Palmiero jetzt einkehrte, und
sie in jenem ihnen wohlbekannten Balken verborgen, um sie nach und
nach zu Gelde zu machen.
Als nun Parmiero, nachdem er sich den Magen gehörig angefüllt hatte,
den Beutel aus der Tasche zog, um zu bezahlen, ließ der Wirt,
welcher sein Eigentum sogleich wieder erkannte, schleunigst einige
Gerichtsdiener herbeiholen und den Parmiero vor den Richter
bringen, der ihn durchsuchen ließ und das Geraubte bei ihm fand.
Hierauf wurde er denn sogleich als überführt betrachtet und dazu
verurteilt, auf dem Dreibein zu tanzen.
Der Ärmste, der sich kurz vorher in der größten Fülle des Glücks
befunden hatte und jetzt nun, statt an einem verfaulten Balken an
einem festen neuen Galgen das Leben verlieren sollte, fing an zu
heulen und zu schreien, dass er unschuldig sei und dass er diesen
Urteilsspruch nicht anerkenne.
Während er nun jammernd durch die Straßen einherzog und ausrief,
dass keine Gerechtigkeit in der Welt sei, dass man die Armen nicht
höre und dass er, weil er den Richter und dessen Genossen nicht
bestochen, jetzt mit seinem Leben dafür büßen solle, begegnete er
zufällig seinem Bruder, welcher erster Rat und Oberrichter war.
Dieser ließ den Zug anhalten, um den Verurteilten zu vernehmen. Als
dieser ihm nun den ganzen Vorfall erzählt hatte, antwortete
Marcuccio: „Sei nur ruhig, denn du kennst dein Glück nicht, da du
ohne Zweifel jetzt statt einem kleinen Kettchen eine viel längere
und festere finden wirst; geh nur immer zu, denn der Galgen ist
dein leiblicher Bruder; wo andere ihr Leben lassen, da füllst du
dir deinen Beutel an."
Parmiero, als er diesen Bescheid hörte, sagte zu ihm: „Ich will
Gerechtigkeit und keinen Spott, denn das, was sie mir jetzt
aufbürden, ist mir nie in den Sinn gekommen; meine Hände sind
rein, ich selbst bin ein ehrlicher Mann, wenn du mich auch gleich
so zerrissen und zerlumpt siehst, denn der Rock macht nicht den
Mann. Aber weil ich meinen Vater Marchionno und meinen Bruder
Marcuccio nicht gehört habe, so ergeht es mir so traurig und ich
muss nun hart dafür büßen.
Marcuccio, als er sich und seinen Vater erwähnen hörte, geriet in
große Unruhe und da er den Parmiero genau ansah, erkannte er
endlich in ihm seinen Bruder wieder und fühlte sich von Scham,
Liebe, Ehre, Gerechtigkeit und Mitleid bekämpft.
Er schämte sich, einen zum Tode Verdammten als seinen Bruder zu
bekennen, und doch bekümmerte es ihn, dass er seinen leiblichen
Bruder in dieser Lage sah, aus der er ihn gern befreit hätte; die
Ehre hielt ihn zurück, sich vor dem Könige als den Bruder eines
Verbrechers anzugeben, und die Gerechtigkeit wollte, dass der
beleidigte Teil Genugtuung habe, während das Mitleid ihn antrieb,
seinen Bruder zu erretten.
Während er nun so hin und her schwankte, was er tun sollte, erschien
plötzlich im vollen Lauf ein Gerichtsdiener, der vor Eile fast den
Atem verloren hatte und rief aus: „Halt ein, halt ein!"
„Was gibt es?“, fragte der Rat, und Jener erwiderte: „Zum Glück
jenes Jünglings hat sich etwas sehr Merkwürdiges zugetragen; denn
indem zwei Gauner hingegangen waren, Gold und Kostbarkeiten, die
sie in dem Balken eines alten Hauses verborgen hatten, abzuholen,
und sie dieselben nicht vorfanden, dachte Jeder von ihnen, sein
Genosse habe ihm diesen Streich gespielt; sie fielen sich daraus
in die Haare und haben sich gegenseitig tödlich verwundet. Vor den
Richter getragen, haben sie die Tal alsbald eingestanden und
dadurch die Unschuld dieses armen Mannes auf das Klarste erwiesen.
Ich bin daher abgesandt worden, um diesen jungen Menschen von der
verhängten Todesstrafe zu befreien.
Als Parmiero dieses hörte, geriet er in lebhafte Freude und
Marcuccio, der die Ehre seines Bruders wieder hergestellt sah, gab
sich alsbald zu erkennen und sagte zu Palmiero:
„Lieber Bruder, nachdem du gesehen hast, dass aus dem Laster und aus
dem Spiel dein Verderben erfolgte, so sieh auch, dass die Tugend
zu Glück und Freude führt. Jetzt aber komm ohne Weiteres in mein
Haus, wo du mit mir die Früchte der Tugend genießen kannst, welche
du so sehr hasstest; denn ich will die Schmähungen, die du mir
angetan hast, vergessen und dich lieb haben, wie mich selbst."
Darauf umarmte er ihn auf das Herzlichste, brachte ihn in sein Haus,
bekleidete ihn von Kopf bis zu Fuß auf das Beste und bewies ihm so
unwiderleglich, dass alles andere eitel ist und nur die Tugend
allein den Menschen glücklich macht.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.