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Die Ordnung der Natur - Märchen von Simrock
Die Ordnung der Natur
Mann und Frau wohnten in einer schlechten Hütte. Der Mann ging alle Tage zu Feld
ackern und die Frau blieb zu Hause und kochte. Da sagte einmal der Mann nach dem
Frühstück zu der Frau: „Du hast es doch recht bequem bei dem bisschen Kochen,
während ich mich aus dem Feld schinden und placken muss." — „Wollen wir etwa
tauschen?“, sagte die Frau, „so will ich zu Felde gehen und du magst da zu Hause
bleiben und kochen." — „Des bin ich zufrieden“, sagte der Mann. Und also
tauschten sie die Rollen: die Frau nahm den Karst aus die Schultern und ging zu
Felde; der Mann blieb mit dem Kochlöffel in der Hand zu Hause. Die erste Frage
war aber nun, was er kochen sollte? „Ei", fiel ihm ein, „wer das Kreuz hat, der
segnet sich: Ich will mein Leibgericht kochen, und das war Reisbrei." Wie er
aber Holz und Reisig geholt und Feuer angemacht hatte, hörte er die Kuh brüllen.
„Ja brülle du nur“, sagte der Mann: „erst muss ich noch Wasser holen gehen,
sonst brennt das Feuer für nichts und wieder nichts."
Er nahm also den Eimer und ging nach dem Brunnen Wasser holen: das goss er in
den Topf und setzte ihn aufs Feuer. Da brüllte die Kuh zum andern Mal. „Ja
brülle nur“, sagte er, „du bist noch nicht an der Reihe: erst muss der Reis im
Topf sein, damit er aufgehen kann." Er lief also hin, holte den Reis, schüttete
ihn in den Topf und rührte ihn mit dem Löffel. Da brüllte die Kuh zum dritten
Mal. „Ja“, sagte der Mann, „jetzt sollst du auch bedient werden." Er ging also
in den Stall zu der Kuh und sah mit Schrecken, dass kein Futter für sie da war.
„Blitz", dachte er, „wenn ich jetzt erst Futter machen soll, darüber fängt das
Wasser an zu kochen und der Reis läuft über und das wäre doch schade für mein
Leibgericht." Da nahm er die Kuh und leitete sie vom Berge her aus sein
bemoostes Strohdach und hieß sie da weiden. Wie er aber in der Küche ist, das
wallende Wasser abgießt und neues aus den Reis schüttet, denkt er: „Wenn die Kuh
herabfiele, könnte sie Hals und Bein brechen und das wäre doch Schade für die
Kuh." Er läuft also wieder hinaus aus das Dach, bindet der Kuh einen Strick um
den Hals, und wirft das Ende des Stricks durch den Schornstein in die Küche; in
der Küche aber bindet er es sich ans Bein und denkt: „Nun kann ich hier geruhig
Reisbrei kochen."
Er goss auch bald das siedende Wasser ab, tat dafür Milch in den Brei und setzte
ihn wieder aufs Feuer, fleißig mit dem Kochlöffel rührend, damit er nicht
anbrenne. Unterdessen weidet die Kuh aus dem schmalen Grat des Daches und setzt
vorsichtig einen Fuß vor den andern wie ein Seiltänzer bis sie an die First des
Hauses kommt. Da reckt sie den Hals nach ein paar schmalen Kräutern zur Seite,
verliert aber das Gleichgewicht und stürzt herab; weil jedoch der Strick zu kurz
ist, hält er sie in der Schwebe, dass sie nicht zu Boden kommt. Indes war sie
schwer genug gewesen, den Mann am andern Ende des Stricks hinaufzuziehen, dass
er im Schornstein zwischen Himmel und Erde zu hängen kam, gerade über dem
Reisbrei.
Darüber kehrt die Frau nach Hause und sieht die Kuh da hängen und die Zunge aus
dem Halse strecken. Zum Glück hatte sie ihr Käsemesser in der Tasche: das holt
sie raus, fasst den Strick mit der Rechten, schneidet mit der Linken ab und
lässt die Kuh sacht zu Boden gleiten; dann läuft sie in die Küche, den Mann
auszuschelten; der steckte aber mit dem Kopf im Reisbreitopf und die Frau musste
ihn erst wieder auf die Füße stellen. Aber auch jetzt war es zum Schelten noch
zu früh, denn Augen und Ohren hingen ihm voll Brei. Sie wusch ihm also erst den
Kopf und wollte nun ihre Strafpredigt anheben; aber der Mann hielt ihr den Mund
zu und sagte: „Sei still, du hast mir ja eben schon den Kopf gewaschen. Künftig
bleibst du wieder zu Haus und kochst, ich aber gehe zu Feld und ackere. Man soll
die Ordnung der Natur nicht verkehren."
Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864, mit angepasster Schreibweise.