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Das Königskind - Märchen von Simrock
Das Königskind
Einem Soldaten träumte, er sollte seinen Abschied nehmen, so würde er sein Glück
machen. Da geht er zu seinem Hauptmann und begehrt seinen Abschied. Der redet
ihm aber zu, noch zu bleiben, verspricht, ihn befördern zu lassen und macht ihn
auch gleich zum Gefreiten. Der Soldat lässt sich bereden; in der Nacht träumt
ihm aber wieder, er sollte seinen Abschied begehren, sonst könnte er sein Glück
nicht finden. Er geht also wieder zum Hauptmann und dringt aus seinen Abschied.
Der Hauptmann sagt aber, er solle doch ja bleiben, er könne es noch bis zum
General bringen, und macht ihn auch gleich zum Korporal. Noch einmal lässt er
sich beschwatzen; als ihm aber in der Nacht wieder träumt, er müsse seinen
Abschied nehmen, weil er sonst sein Glück nicht finden könne, geht er zum
dritten Mal zum Hauptmann und besteht aus seinem Abschied und kriegt ihn auch
nun wirklich. Alsbald begibt er sich auf die Wanderschaft und kommt in eine
Hauptstadt, wo alles mit schwarzen Tüchern behangen ist. Da geht er in ein
Wirtshaus und fragt, was die schwarzen Tücher bedeuteten, die von allen Häusern
hingen. Da sagt der Wirt, des Königs Tochter sei schon vor der Geburt verwünscht
gewesen; als sie aber zur Welt gekommen sei, habe sie gleich zu sprechen
angefangen und dem Könige gesagt, sie müsse binnen dreien Tagen sterben: alsdann
solle er sie vor dem Hochaltar begraben lassen und jede Nacht eine Schildwacht
dahin schicken; auch ein gebratenes Kalb mit einem Fässchen Wein auf einen Tisch
stellen lassen.
Das sei auch geschehen; aber jeden Morgen sei der Schildwacht das Genick
gebrochen gewesen; darum wolle jetzt Niemand mehr da Schildwacht stehen,
obgleich der König habe ausrufen lassen, wer sein Kind erlöse, solle sie zur
Gemahlin haben und nach seinem Tode das Königreich erben. Der Soldat sagte, so
sollte er dem König melden, ein Korporal erbiete sich, heute Nacht den Posten zu
beziehen. Der Wirt sah ihn mit großen Augen an und sagte, dann müsste er aber
viel Courage haben.
Ja, die hätte er auch, er sollte nur gleich mit ihm zu dem König gehen. Da
bringt ihn der Wirt zum Könige: der freut sich sehr, gibt ihm Tschako
(militärische Kopfbedeckung), Gewehr und Patrontasche und bestimmt ihm die Zeit,
wann er in die Kirche kommen müsse. Als nun die Stunde schlagen sollte, ward ihm
doch ein wenig graulich; er geht also ins Wirtshaus, sich erst Mut zu trinken.
Da warnt ihn der Wirt noch einmal, er käme gewiss ums Leben so gut als alle
Andern vor ihm. Endlich kriegt er solche Angst, dass er sich kurz entschließt
und mit der ganzen Montur durchgeht. Als er aber vors Tor kommt, hört er hinter
sich eine Stimme rufen: „Johann, Johann, wo willst du denn hin? Das ist ja der
Weg nicht auf den Posten. Wenn du nicht hingehst, kannst du dein Glück nicht
finden." „Holla", denkt er, „hängt das so zusammen, so willst du doch lieber
hingehen." Er wendet also wieder um und geht bis dicht vor die Kirche: Da ruft
ihm dieselbe Stimme noch zu, er sollte vor dem Altar nur fleißig auf- und
abpatrouillieren, drei Viertel vor Zwölf aber sein Gewehr absetzen,
Patrontasche, Säbel und Tschako darauf hängen und dann auf die Kanzel sitzen
gehen. Alsdann werde mit dem Schlage Zwölf der Sarg heraufsteigen, der Deckel
sich auftun und das Königskind herauskommen und ihn suchen; wenn er sich aber
still halte, finde es ihn nicht. Das tat der Korporal, patrouillierte fleißig
vor dem Hochaltar auf und ab, setzte um drei Viertel vor Zwölf sein Gewehr ab,
hängte Patrontasche, Säbel und Tschako darüber, und ging aus die Kanzel sitzen.
Da fuhr mit dem Schlage Zwölf der Sarg empor, der Deckel schlug zurück, das Kind
kam heraus, sah sich um und sagte: „Mein Vater hat mir heute die Schildwacht
geschickt, aber weder das gebratene Kalb noch das Fässchen Wein; auch weiß ich
nicht wo die Schildwacht geblieben ist. Schildwacht, melde dich!" Dem Korporal
rieselte es kalt den Leid herab, doch hielt er sich still und gab keinen Laut
von sich. Nun schwebt das Kind mitten durch die Kirche nach der Orgel und fängt
an zu spielen und spielt fast eine Stunde: Da schwebt es wieder durch die Kirche
zurück, sieht den Soldaten aus der Kanzel und ruft: „Schildwacht! Schildwacht!
Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe jetzt nicht mehr Zeit, sonst sollte
es dir übel bekommen!" Da legte es sich mit dem Schlag Ein Uhr wieder in den
Sarg und der Sarg schließt sich und fährt hinab. Jetzt war die Luft rein, der
Korporal kam von der Kanzel herunter und patrouillierte wieder fleißig vor dem
Hochaltar auf und nieder. Am Morgen kommt der König mit vier schwarzen Rappen
Gefahren und stößt den Schlüssel in die Kirchentür. Der Korporal ruft: „Wer da?"
„Gut Freund!“, sagte der König; „Bist du noch am Leben? Ei! das freut mich! Du
kannst mein Kind noch erlösen." Da musste er sich zu dem König in den Wagen
setzen und mit ihm nach dem Schlosse fahren, wo er ganz köstlich bewirtet ward.
Danach sagte der König, jetzt dürfe er spazieren gehen oder reiten nach seinem
Belieben; am Abend müsste er aber wieder in die Kirche auf Posten. Als nun die
Stunde kam, war es ihm noch nicht recht heimlich, er geht also wieder ins
Wirtshaus, sich guten Mut zu trinken. Da sagt der Wirt: Einmal sei es ihm
geglückt; daraus solle er sich aber nicht verlassen, sonst werde er zuletzt doch
noch daran glauben müssten so gut als die Andern alle. Darüber fasst ihn wieder
die Angst, dass er abermals mit Sack und Pack ausreißt, jetzt aber mit Fleiß
einen andern Weg nimmt um der Stimme auszuweichen. Aber kaum ist er vor dem
Tore, so hört er sich wieder beim Namen rufen: „Wo willst du hin, Johann? Hier
ist ja nicht der Weg aus Posten. Wenn du nicht hingehst, kannst du dein Glück
nicht finden. Gib Acht, ich will dir auch sagen, was du tun musst, damit dir
kein Leid geschieht. Verbirg dich, wenn die Glocke anfängt Zwölf zu schlagen,
hinter den heiligen Johanna aus dem Hochaltar; da kann dich das Kind nicht
gewahr werden."
Da kehrte der Korporal wieder um und ging in die Kirche, wo er fleißig vor dem
Hochaltar auf und ab patrouillierte und es in allen Stücken hielt wie gestern;
nur dass er diesmal aus dm Hochaltar hinter den heiligen Johannes sitzen ging.
Mit dem Schlage Zwölf fuhr der Sarg empor und tat sich auf, das Kind kam heraus,
sah sich um und sagte dann: „Mein Vater hat mir heute zwar die Schildwacht
geschickt, aber weder das gebratene Kalb noch das Fässchen Wein; ich weiß auch
nicht wo die Schildwacht steckt. Schildwacht, melde dich!" Aber die Schildwacht
hielt sich still und gab keinen Laut von sich. Da schwebte das Kind durch die
Kirche nach der Orgel und fing an zu spielen und spielte fast eine Stunde. Dann
schwebte es von der Orgel zurück nach der Kanzel und blies die Kanzel an, dass
sie niederstürzte und in tausend Stücke auseinander brach. Wie es aber nach dem
Hochaltar kommt, sieht es die Schildwacht hinter dem heiligen Johannes sitzen
und ruft: „Schildwacht! Schildwacht! Warum hast du dich nicht gemeldet? Bliebe
mir noch ein Augenblick Zeit, so sollte es dir schlecht gehen. Jetzt muss ich
wieder in meinen Sarg!" Als nun der Deckel zuschlug und der Sarg hinabfuhr,
stieg der Korporal wieder hinter dem heiligen Johannes her vom Hochaltar
herunter und patrouillierte auf und ab bis an den hellen Morgen. Da kam der
König mit sechs schwarzen Rappen gefahren und nahm den Korporal freundlich in
seinen Wagen. Der sagte ihm, das Kind habe
aber nun schon zum zweiten Mal den Tisch mit dem gebratenen Kalb und mit dem
Fässchen Wein vermisst; warum er die nicht in die Kirche stellen lasse? „Ja“,
sagte der König, „das habe es auch gleich nach der Geburt schon verordnet; weil
es aber immer nichts davon angerührt habe, sei es zuletzt in Vergessenheit
geraten. Morgen aber sollte es an nichts fehlen, er möchte sich nur zeitig
einstellen." Da ging der Korporal am Abend wieder ins Wirtshaus, sich frischen
Mut zu trinken, denn damit war es wieder nicht ganz im Reinen. Der Wirt machte
ihm aber diesmal so bange vor dem Halsumdrehen, dass er zum dritten Mal mit Sack
und Pack ausriss und wieder zu einem dritten Tor hinausrannte; da, meinte er,
würde er wohl der Stimme nicht begegnen. Kaum war er aber im Freien, so hörte er
sie schon rufen: „Heda, Kamerad, willst du denn durchaus deinem Glück aus dem
Wege laufen? Morgen kannst du schon Hochzeit halten und König werden, wenn du
nur diesmal noch aushältst. Ich will dir auch sagen, was du zu tun hast. Verbirg
dich nur ehe es Zwölf schlägt in dem Beichtstuhl; bevor aber das Kind von der
Orgel kommt, lege dich in seinen Sarg: So kann dir nichts zu Leide geschehen.
Da ging der Korporal getrost in die Kirche, patrouillierte bis drei Viertel auf
Zwölf vor dem Hochaltar auf und ab, hängte dann Patrontasche, Säbel und Tschako
an sein Gewehr und versteckte sich hinter dem Beichtstuhl. Schlag Zwölf fährt
der Sarg empor und springt auf, das Kind kommt heraus, sieht sich um und ruft:
„Heut hat mir mein Vater nicht bloß die Schildwacht geschickt, auch den Tisch
mit dem gebratenen Kalb und dem Fässchen Wein; die Schildwacht sehe ich aber
wieder nicht. Schildwacht, melde dich!" Aber die Schildwacht hielt sich still
und gab keinen Laut von sich. Da setzte sich das Kind an den Tisch und aß auf
einem Sitz das ganze gebratene Kalb auf und trank auch das Fässchen Wein rein
aus. Dann schwebte es durch die Kirche nach der Orgel und spielte; aber nur
wenige Läufe, so dass der Korporal kaum Zeit hatte, von dem Beichtstuhl nach dem
Hochaltar zu gehen, wo er sich in den offenen Sarg legte. Da schwebte das Kind
schon wieder zurück durch die Kirche und blies den tönernen heiligen Johannes
an, dass er vom Hochaltar fiel und in tausend Stücke zerbrach. Als es aber an
den Sarg kommt, sieht es die Schildwacht da liegen und ruft: „Schildwacht, steh
auf, das ist mein Platz!" Aber die Schildwacht rührte sich nicht. Eben schlug es
Eins, da legte das Kind sich über den Soldaten in den Sarg. Es war aber eiskalt
und so schwer wie Blei. Der Deckel schlug zu und der Sarg fuhr hinab und das
Kind blieb auf dem Korporal liegen bis es seine natürliche Wärme und Schwere
wieder gewann. Denn es fing an zu wachsen, und je größer es wuchs, je leichter
ward es und je mehr verlor sich die Kälte. Endlich war es eine blühende Jungfrau
von zwanzig Jahren geworden: Da fuhr der Sarg empor, der Deckel schlug zurück
und die schöne Jungfrau sprang heraus, bot der Schildwacht die Hand und sprach:
„Schildwacht, steh auf, du hast mich erlöst und sollst nun mein Gemahl werden."
Damit zog sie ihn zu sich empor und bot ihm den Mund zum Kuss. Hatte er da nicht
sein Glück gemacht? Inzwischen war es auch Morgen geworden: Da kam der König mit
acht schwarzen Rappen gefahren und wie er seine Tochter erlöst findet, schickt
er den Kutscher mit dem Wagen zurück und befiehlt, acht weiße Schimmel
vorzuspannen. Dann ließ er den Korporal mit der jungen Königin einsteigen,
setzte sich dazu und fuhr nach dem Schlosse. Da ward nun ein großes Gastmahl
gerüstet und in der Stadt ausgerufen, die Königstochter sei erlöst, und der sie
erlöst habe, solle sie zum Altar führen und des Königs Nachfolger werden. Da war
großer Jubel, die schwarzen Tücher wurden mit roten vertauscht und alles Volk
drängte sich in die Kirche, der Trauung beizuwohnen. Daraus ward die Hochzeit
mit so großen Freuden begangen, dass wenig daran gefehlt hätte, wenn ich nur
auch dabei gewesen wäre.
Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864, mit angepasster Schreibweise.