Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Der Müller im Himmel - Märchen von Simrock
Der Müller im Himmel
Es war ein pfiffiger Müller, der lehrte die Säcke tanzen. Wenn sie in seine
Mühle kamen, pfiff er ihnen ein Liedchen vor, und wollten sie nicht tanzen dazu,
so mussten sie zur Strafe Korn lassen. Als er nun gestorben war, ward ihm ein
ehrliches Begräbnis zugedacht von zwei Pfarrern aus einmal, denn seine Mühle lag
grade auf der Grenze zweier Kirchspiele, und da hätte ihn der eine Pfarrer gern
begraben und der andre noch lieber. Um nun den Streit zu schlichten, band man
ihn nach dem Rat eines klugen Mannes auf einen Esel: Wohin der ihn trüge, da
solle er begraben werden. Und sieh, der Esel wusste noch am besten Bescheid,
denn er trug ihn grade unter den Galgen und da wurde er auch begraben. Seine
Seele aber nahm ein Teufel und führte ihn vor das Höllentor. Da stand Meister
Satanas und fragte: „Wen bringst du denn da geschleppt?" „Den pfiffigen Müller
von Zweibrücken“, sagte der Teufel. „Holla, Passamagori“, rief Satanas, „der mag
so nicht einpassieren. Erst muss er ins Himmelreich gucken, damit es ihn desto
mehr verdrießt, wenn er die Seligkeit da sieht und kann ihrer nicht teilhaft
werden." Also führte ihn der Teufel vor das Himmelstor: Da war Gesang und Spiel
und die Engelchen tanzten auf der Mauer. „Siehst du nun“, fragte ihn der Teufel,
„wie lustig es da zugeht?"
„Dummerjan“, versetzte der Müller, „kann ich denn durch die Wände sehen? Warte
doch bis die Tür aufgeht." Da kam eben St. Peter an die Pforte, einen frommen
Mann einzulassen, dem er flügelweit auftat. Der pfiffige Müller tat, als wollte
er eben nur hineingucken; aber ehe sich's der Teufel versah, war er hinter St.
Peters Rücken hineingewischt. Der Teufel schlug gleich Lärm und verlangte seinen
Braten: Das sei doch keine Kost für solche Leckermäuler.
St. Peter, der die Beschwerde begründet fand, hatte ihn bald ausgewittert und
fragte: „Wie bist du hier hereingekommen? Scher dich gleich heraus, hier hast du
nichts zu schaffen." „Fein sachte“, spottete Pfiff, „solche Eile hat es noch
nicht! Hier ist es zu schön, als dass ich schon wieder hinaus begehrte. Ehe der
Hahn dreimal gekräht hat, verleugne ich meinen Heiland nicht." Der hat Haare auf
den Zähnen, dachte St. Paul, da muss ich dem Alten zu Hilfe kommen. „Jetzt seid
so gut, Freund, und trollt Euch Eures Weges. Dort hat der Zimmermann ein Loch
gelassen." „Ei, mit wem hab ich denn die Ehre?“, fragte der Müller höflich. „Ich
bin St. Paul, der Apostel." „Wenn ihr St. Paul seid“, sagte der Müller, „so
haltet Frieden und werft keinen Stein auf mich. Ich bin nicht St. Stephan.
Blinder Eifer schadet nur." „Da hast du auch deinen Teil“, sagte Petrus.
Beschämt ging St. Paul hinweg und klagte den Unfug Gott dem Herrn.
Dieser schickte sogleich St. Christophorus, ihn hinauszuweisen. Der pfiffige
Müller erkannte ihn alsbald an seiner großen Keule und diesen ungeschlachten
Gliedmaßen und sagte: „Meinst du, ich fürchte mich vor deinem großen Kolben, du
alter Heide? Du haft damit großen Mord verübt, es klebt viel unschuldiges Blut
daran." So schickte der Herr noch andere Heilige zu ihm; aber allen rückte er
ihre Gebrechen vor, dass sie die Augen niederschlugen und verstummten. Nun waren
sie in großer Verlegenheit, wie sie ihn hinausschaffen sollten. Endlich berieten
sie sich, die unschuldigen Kinder gegen ihn zu schicken, die Herodes ermordet
hatte, denn denen würde er nichts anhaben können. Aber der pfiffige Müller
erdenkt gleich wieder einen neuen Rank und teilt ihnen Pfefferkuchen aus und
Äpfel mit roten Backen und hübsche Bilderchen mit bunten Farben und
Goldverzierung; dann schüttelt er ihnen Birnen und Pflaumen von den Bäumen, und
lässt sie die Fische in dem Teichen füttern. Auch machte er ihnen Windmühlen und
Waldteufel und allerlei anderes Spielzeug; zuletzt pfeift er ihnen ein Liedchen
und lehrt sie im Kreise hüpfen und tanzen und sie begreifen es besser als seine
Säcke. Da war an kein Austreiben zu denken. Endlich machte sich die Mutter
Gottes selber auf und kam zu ihm und sprach: „Mann, du musst hinaus! hier ist
deines Bleibens nicht länger." „Schöne Frau“, sagte der Müller, „wer seid ihr
doch? Alle die Tage meines Lebens habe ich so Holdseliges nicht gesehen.
Die Sonne am Himmel muss sich vor euch verbergen." Da sprach unsere liebe Frau:
„Ich bin die Mutter Gottes." „O heilige Jungfrau“, rief der Müller, „von euch
geschieht mir nichts zu Leide, ihr seid aller Gnaden voll, die Mutter der
Barmherzigkeit: alle Welt hofft aus eure Fürsprache und euer Sohn kann euch
nichts versagen. Ihr seid die Königin des Himmels: in euern Schutz befehl ich
mich." Da wandte sich die Mutter Gottes wieder um und kam zu ihrem Sohne und
sprach: „Ich kann dem Mann nichts zu Leide tun, er hat mich so beschieden, dass
ich's nicht übers Herz bringen kann, ihn hinauszuweisen." Da sprach Gottes Sohn:
„So werd ich selber zu ihm gehen müssten, wenn wir ihn los werden wollen." Da
kam er im Geleit der himmlischen Heerscharen gegangen und sprach zu dem Müller:
„Mann, deine Heimat ist hier nicht: Deine Ränke und Pfiffe und deine scharfe
Zunge helfen dir nicht länger." Da sprach der Müller: „Ihr seid klar und schön
und kommt mit großem Gefolge gegangen; wer seid ihr denn?" „Ich bin“, sprach
Gott der Herr, „der Himmel und Erde geschaffen und die Menschheit erlöst hat."
„Ihr seid Gott selber“, sprach der Müller, „das hör ich wohl. Dann werde ich
aber nicht vertrieben, denn ihr selbst habt gesprochen, wie ich oft predigen
hörte, wer zu euch komme in eures Vaters Haus, den wolltet ihr wohl empfangen."
„Ja“, sprach der Herr, „wenn er auch meines Vaters Willen getan hat. Hätte mein
Vater dich zu mir gesandt, so solltest du ewig mit mir leben. Du hast aber nie
etwas Gutes getan, darum kann deiner Seele nicht Rat werden." „Wie ist mir
denn?“, sagte der Müller, „hab ich nicht euch zu Liebe einmal einen alten Sack
gegeben? Wo bleibt der nun?" Da sprach Gott der Herr: „Geht hin und holt ihm den
alten Sack, er mag ihn nur wieder nehmen. Hier bleiben darf er nicht." Sogleich
ward ihm der alte Sack gebracht. Der Müller bedachte sich nicht lange, breitete
den Sack auf der Erde aus und setzte sich darauf. „Geh jetzt hinaus“, sprach der
Herr, „du hast deinen Teil“, „Ich sitze hier auf meinem Eigentum“, sagte der
Müller, „ich will doch sehen, wer mich davon vertreiben will." — Da musste unser
Herrgott selber über seine seine Schalkheit lachen und ließ ihn sitzen, und da
sitzt er noch hinter der Tür, wenn er nicht seitdem einen bessern Posten
erwischt hat.
Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864, mit angepasster Schreibweise.