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Bruder Stiefelschmer - Märchen von Simrock
Bruder Stiefelschmer
Ein Fleischergesell, der sich tief im Walde verirrt hatte, traf da einen Jäger
an, der auf einem Baumstamm ruhte und sehr schmuck gekleidet war, auch
glanzlederne Stiefeltrug. Den grüßte er freundlich und weil er auch müde war,
setzte er sich zu ihm und fragte:
Wohin, woher,
Bruder Stiefelschmer?
Der Jäger musste des Grußes lachen und sagte: Ich weiß selber nicht woher noch
wohin. Ich bin im Walde verirrt und hoffte schon, Ihr würdet den Weg wissen. Es
soll hier im Walde nicht richtig sein. Bah! sagte der Fleischer, bange machen
gilt nicht. Seht ihr hier meinen Stab? So lang ich den bei mir habe, fürchte ich
mich vor tausend Teufeln nicht. Der Jäger sah den Stock an und sagte: Nun, der
ist doch so gefährlich noch nicht. Ich habe Hirschfänger und Büchse; aber was
verschlägt das, wenn wir den Räubern in die Hände fallen, die hier ihr Wesen
treiben sollen? Nur nicht ängstlich! sagte der Fleischer. Wir wollen
zusammenhalten; ich weiß hier auch nicht Weg und Steg. Das ist ein schlechter
Trost, meinte der Jäger.
Sie gingen zusammen und kamen bald an ein Haus im Walde. Da freute der Fleischer
sich und rief:
Komm, Bruder Stiefelschmer,
Hier geht's lustig
her.
Ungern folgte der Jäger, es schien ihm da nicht geheuer. Der Fleischer war aber
schon in der Stube und bestellte ein Abendbrot und zwei Betten. Bruder
Stiefelschmer horchte an der Türe und hörte eine alte Frau zu seinem Gefährten
sagen: Ihr seid hier ganz unrecht und solltet euch je eher je lieber aus dem
Staube machen, denn ich habe zwölf Söhne und wenn sie nach Hause kommen und euch
hier finden, seid ihr Kinder des Todes. Papperlapapp!, sagte der Fleischer, da
müssten wir auch mit dabei sein.
Ich habe keine Bange nicht: Bringt uns nur bald etwas zu acheln, sonst müssen
wir Hungers sterben. Das ist doch der schlimmste Tod, hab ich mir sagen lassen.
Damit ging er vor die Türe und suchte nach dem Jäger; aber der hatte sich
unterdes in der Scheuer versteckt. Endlich fand er ihn zwischen zwei großen
Heubündeln: Er musste ihn mit Gewalt hervorziehen. Sei doch gescheit, sagte er:
Willst du hier verhungern? Komm mit ins Haus und verlass dich auf meinen
Zauberstab. So lang ich den habe, brauchst du nichts zu fürchten. Das Essen kann
jetzt angerichtet sein und ich will wetten, es wird dir auch munden. Aber wir
sind hier in eine Räuberhöhle geraten, warf der Jäger ein. Meinst du denn,
versetzte der Fleischer, in einer Räuberhöhle könnte man von der Luft leben?
Komm nur mit herein und iss für zweie, wer weiß, wenn wir wieder was ergattern:
Die Garküchen sind selten hier im Walde. Ich rate dir, trinke gleich einen guten
Stiefel: hernach, wenn die Räuber kommen und ich ihnen die Suppe gesalzen habe,
darfst du mir nichts mehr anrühren. Dabei musst du aber doch tun als könntest du
nicht satt werden. Hörst du wohl, Bruder Stiefelschmer? Und noch eins, nimm dich
zusammen und lass dir die preußischen Ängste nicht anmerken. Und wenn du siehst,
dass ich meinen Stab dreimal so in der Luft schwenke und ihn dann wie einen
Stimmhammer auf den Tisch stoße, dass die Gläser klirren, so mach mir gleich
alles mit deinem Hirschfänger nach. Du wirst sehen, das tut Wunder. Jetzt komm
mit, Bruder Stiefelschmer.
Da musste Bruder Stiefelschmer, er mochte wollen oder nicht, mit ihm in die
Stube und tüchtig reinhauen und mit dem Glase Bescheid tun (trinken). Es währte
auch nicht lange, so kamen die zwölf Räuber, und als der Hauptmann die beiden
Gäste sah, rief er laut: Nun, Gott sei's getrommelt und gepfiffen: Das ist ein
Wundpflaster. Den ganzen Tag haben wir nichts gefangen; nun sind uns hier
wenigstens ein paar Vögel ins Garn geflogen. Aber seid ihr auch fett? Ich meine
wohl, sagte der Fleischer, indem er seine Katze schüttelte, dass die Goldfritze
klangen. Und Bruder Stiefelschmer sieht mir auch nicht aus, als hätte ihm der
Mond in den leeren Beutel geschienen. Ihr könnt uns wohl eine tüchtige
Galgenmalzeit bereiten, denn wir wissen schon was die Glocke geschlagen hat.
Aber wir wollen uns wenigstens erst gehörig anrichten lassen und nicht mit
leerem Magen über die Klinge springen (umbringen lassen). Was uns die Alte hier
aufgetischt hat, ist wie ein Tropfen auf einen heißen Stein gefallen, so
ausgehungert sind wir hier im Walde.
Ihr sprecht vernünftig, sagte der Hauptmann, und uns soll es auf eine Malzeit
nicht ankommen. Versäumt aber das Tischgebet nicht. Wir machen nicht viel
Federlesens, wenn wir im Tritt sind. Aber Alte, warum trägst du nicht auf?
Siehst du nicht, wie schlapp wir sind? Wir haben hier einen guten Fang getan: du
musst tüchtig auftischen.
Es ist drinnen gedeckt, sagte die Alte. Ich wusste nicht, dass die Fremden
mitessen sollten. Geht nur hinein, der Braten dampft schon, und wenn es euch
recht ist, will ich Glühwein aufsetzen.
Recht, alte Katze, sagte der Hauptmann; aber einen guten Kübel voll, denn der
König hat uns Schweiß gekostet. Ich weiß nicht, ob ich noch einen Tropfen Bluts
im Leibe habe. Es hieß, er jage inkognito im Walde: Da haben wir alles
durchgestöbert, und die im Eiskeller auch; aber wenn D i e nicht glücklicher
gewesen, W i r haben keinen Schwalbenschwanz von einem König zu Gesicht
gekriegt.
Wer weiß, wozu es gut war, sagte der Räuber Einer. Ich traue dem König die
Courage nicht zu, allein im Walde zu jagen; aber wenn uns die ganze Suite
begegnet wäre —
Lasst es gut sein, sagte der Hauptmann, und geht mit mir hinein. Nun ich sehe,
die Alte hat's wohl mit uns gemeint. Hier ist auch Futter genug für unsere
ausgehungerten Galgenvögel. Die Alte soll noch zwei Gedecke auflegen. Aber da
ist sie ja schon. Nun setzt euch und tut als ob ihr zu Hause wärt. Recht so,
guter Freund, an meine grüne Seite. Aber warum nehmt ihr denn nicht Platz,
Bruder Stiefelschmer, wenn mir Recht ist —
Ja, Bruder Stiefelschmer, ihr seht es ihm an den Füßen an. Er hat noch nicht
recht eingeheizt, darum zitiert er so. Wenn die Bowle kommt, vergeht ihm das.
Nun saßen sie alle Vierzehn um den Tisch herum und ließen sich wohlschmecken,
was die Alte beschert hatte. Auch Bruder Stiefelschmer langte zu, weniger aus
Hunger, als um sich nicht mahnen zu lassen. Als sie sich einen guten Kropf
gegessen hatten, kam die Alte und sagte, der Kübel sei so schwer, dass zweie
befohlen werden müssten, ihn auf den Tisch zu tragen; sie habe nicht Macht dazu.
Der Hauptmann schickte seinen Nachbar zur Linken und den Fleischer, der ihm zur
Rechten saß. Es waren beide starke Leute; aber die Achselbänder krachten ihnen,
als sie die riesige Bowle auf die Tafel hoben. Der Hauptmann ließ es sich nicht
nehmen, die Gläser selbst zu füllen. Da klopfte der Fleischer seinem Nachbar zur
Rechten auf die Schulter und sagte:
Nun, Bruder Stiefelschmer,
komm du mal her
und lass uns die Gesundheit
der ganzen Compagnie trinken. So ist's recht, rief der Hauptmann, unser Gast mit
der Katz versteht sich auf Lebensart. Es ist ein flotter Bursch, den könnten wir
brauchen. Stoßt alle mit ihm an: Die ganze Compagnie soll leben, hoch! Aber
Bruder Stiefelschmer muss noch besser einheizen. Will der Wein nicht schmecken?
Er ist etwas schwach, meinte der Fleischer; aber man muss nur desto mehr
trinken; vielleicht hilft das. Darf ich noch e i n e Gesundheit ausbringen? Ei,
rief der Hauptmann, den des Gastes Mut freute, warum denn nicht! Noch zweie
meinetwegen! Nun, das soll ein Wort sein, noch zweie, sagte der Fleischer. So
trinke ich denn die erste auf unsern Hauptmann und der soll leben hoch! Und
abermals hoch! Und zum dritten Mal hoch! Hoch! Rief die ganze Bande und stieß
mit dem Fleischer an, dass die Gläser platzten. Auch Bruder Stiefelschmer säumte
nicht mit allen anzustoßen und das Glas bis auf die Nagelprobe zu leeren. Nun
bin ich begierig, dachte er bei sich, wem das dritte Hoch gelten wird.
Der Hauptmann bedankte sich der erwiesenen Ehre, schenkte den Fremden und der
ganzen Compagnie die Gläser wieder voll und bat, nun das dritte Hoch folgen zu
lassen. Da fasste der Fleischer sein Glas, hob es auf und sagte: Das dritte Glas
leere ich auf die Brudercompagnie im Eiskeller drüben, und damit ihr desto
geneigter ihre Gesundheit trinkt, soll ich einen schönen Gruß vermelden und den
König hätten sie gefangen. Den König gefangen! Das ist bitter, sagte der
Hauptmann. Bitter, dass wir ihn nicht selber haben. Aber doch süß, fügte er
hinzu, dass er gefangen ist und so mag es denn gelten. Die ganze Compagnie im
Eiskeller hoch! Und nochmals hoch! Und zum dritten Mal hoch! Sie stießen alle an
und tranken aus; auch Bruder Stiefelschmer ließ sich nicht erst mahnen und tat
seine Schuldigkeit.
„Ich wollte, der Wein wäre auch so bitter bei der Süße: Wie magst du das
schlaffe Zeug nur vertragen, Bruder Stiefelschmer?" Mir schmeckt die Bowle
vortrefflich, entgegnete der Jäger. „Zu süß, Bruder Stiefelschmer, zu süß! Das
widersteht beim dritten Glase, und ich tränke gern noch mehr."
Aber, unterbrach sie der Hauptmann, wie kommt ihr zu dem Auftrag? Kennt ihr das
Zeichen? Ihr seht mir gar nicht aus als wärt ihr von der Bande. Lasst uns das
Zeichen sehen! Der Fleischer stand auf, schwenkte seinen Stab dreimal über den
Kopf und stieß ihn wie einen Stimmhammer auf den Tisch, dass die Gläser den Ton
gaben. Bruder Stiefelschmer tat fast a tempo (zur selben Zeit) mit seinem
Hirschfänger das Gleiche. Wer hätte das gedacht?, sagte der Hauptmann
verdrießlich. Und der kleine bange Hase Bruder Stiefelschmer ist auch von der
Compagnie? Man irrt sich doch nicht mehr als in den Menschenkindern. So will ich
nun auch eine Gesundheit ausbringen. Unsere beiden Gäste sollen leben, hoch! Nur
einen Augenblick Geduld, bat der Fleischer. Die Bowle ist zu süß, des Zeugs kann
man nicht viel trinken. Fragt doch die Alte, ob sie keine grünen Pomeranzen hat.
Pomeranzen, sagte der Hauptmann; die wachsen auch hier im Walde! Ei,sagte der
Fleischer, sie wachsen auch nicht in meiner Katze und doch trag ich immer welche
bei mir. Seht her! Die werft hinein: Sie sind ganz frisch und grün.
Riecht einmal wie köstlich! Das gibt eine andere Herzstärkung. Dabei ließ er den
Hauptmann die Goldfritze sehen, dass ihm der Mund wässerte nach dem Fang, der
ihm nun entging, da sie mit von der Eiskellerbande waren, mit der sie gute
Freundschaft hielten. Er schlug es sich aber bald wieder aus dem Sinn: Die
Gefangenschaft des Königs war ein Trost mehr wert als zwanzig Goldkatzen. So
sprach er der Bowle kräftig zu, und vergaß darüber den Toast, den er schon
angekündigt hatte. Wirklich mundete sie nun immer besser je mehr die grünen
Pomeranzen zogen. Er schenkte den Nachbarn und schenkte den Nahen und den Fernen
fleißig ein und brauchte keinem zuzureden; nur Bruder Stiefelschmer tadelte das
Getränk: es sei zu bitter, die grünen Pomeranzen hätten nicht so lange drin
bleiben dürfen. Wir wollen uns nicht darüber zanken, sagte der Fleischer, Bruder
Stiefelschmer; aber ich glaube, die Pomeranzen sind nicht Schuld. Du hast vorher
schon ein Übriges getan und kriegst nun Angst vor St. Ulrich. Da bist du aber
schief gewickelt (bist im Unrecht). Man kann jetzt ein Achtel mehr davon
vertragen. Bitter dem Mund ist dem Herzen gesund. Dieser Ansicht stimmten die
andern alle bei und sprachen so lange zu bis der Eine rechts, der Andere links
vom Stuhle fiel und der Hauptmann unter dem Tische lag.
Jetzt geschwind in den Stall, Bruder Stiefelschmer: Da hab ich ein paar blanke
Rappen gesehen. Damit reiten wir in die Hauptstadt und lassen die Vögel in den
Käfig setzen. Die Leimruten halten sie wohl so lange fest: Dafür lass ich die
grünen Pomeranzen sorgen. Die andere Bande im Eiskeller sitzt auch auf dem
Kloben: Der König wird seinen Diener loben. Aber die alte Frau wollen wir erst
in den Keller sperren, damit sie uns nicht einen Strich durch die Rechnung
macht." Damit ging es leichter als er gedacht hatte, denn die Alte hatte sich
auch ein Gutes getan und lag nun und schlief wie ein Ast. Sie merkte es gar
nicht, als man sie aus dem Bette hob und im Keller wie einen Anker auf den
Sattel zwischen zwei Fässer legte.
Nun Bruder Stiefelschmer,
Ist dir das Herz noch schwer?
Pfeifend und trällernd schwangen sich jetzt der Fleischer und Bruder
Stiefelschmer auf die feisten Rappen und ritten zur Residenz. Am Tor trat
sogleich die Wache ins Gewehr und präsentierte. Auch blieb hier und da einer
stehen und machte Front. Darum kümmerten sich aber die beiden nicht, sondern
ritten weiter dem Schlossplatz zu. Vor dem Schloss wirbelten die Trommeln, die
ganze Wachmannschaft sprang hervor, stellte sich in Reih und Glied und der
Offizier kommandierte: Präsentiert das Gewehr! Bruder Stiefelschmers sah den
Fleischer an, ob er auch überrascht sei, aber davon konnte er nicht die Spur
gewahren. Als sie abstiegen und ins Schloss gingen, sagte der Fleischer: Einer
von uns beiden muss der König sein. Wollen wir abschaffen? Nun, ich bin's, sagte
der Jäger. Aber wer bist Du, mein Retter? — Ich bin der neu ernannte
Polizeipräsident und bitte um Gnade, Majestät, wenn ich ihr Inkognito zu streng
beobachtet habe. Nun war der König der Überraschte. Wie bist du aber im
Eiskeller zurecht gekommen, wo du das Zeichen erfahren hast?, fragte der König.
Da hab ich mich für den neuen Hauptmann der andern Bande ausgegeben, der den
König mit eigener Hand gefangen hätte. Darüber haben sie auch grüne Pomeranzen
zu kosten gekriegt. Hab ich meine Sache gut gemacht? — Exzellent hast du es
gemacht: Ich lege dir hiermit den Bruder Stiefelschmer bei; aber mit dem Gruß
Bruder Stiefelschmer wird mich Exzellenz günstig verschonen und dazu reinen Mund
halten. Krönen Sie nun ihr Werk, Exzellenz, nehmen Sie Mannschaft und ein Paar
Leiterwagen und heben die beiden Nester aus. Es ist Platz genug in der
Hofvogtei.
Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864, mit angepasster Schreibweise.