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Acht Pfennige täglich - Märchen von Simrock

Acht Pfennige täglich

Es war einmal ein Kaiser, der gab ein Gesetz, dass der eines harten Todes sterben sollte, der an seinem Festtag arbeite. Darauf berief er einen Zauberer und sagte ihm, welches Gebot er hätte ausgehen lassen; er besorge aber, man werde ihm die Übertretung zu verheimlichen wissen: Darum sollte er ihm ein Mittel ausfindig machen, woran er erkennen könnte, wenn jemand seinem Gebot zuwider handle. Da schuf der Zauberer durch seine Kunst eine Säule mitten in der Stadt und setzte darauf einen Abgott, der dem Kaiser genau anzeigte, wer das Gesetz gebrochen und an dem verbotenen Tage gearbeitet hätte. Und auf die Anklage dieses Abgotts hatten schon viele das Leben eingebüßt. Nun war aber in der Hauptstadt ein Schmied, der pflegte an dem Festtage des Kaisers wie an jedem gewöhnlichen Tage zu arbeiten und hatte es auch heute wieder getan. Als er nun Nachts in seinem Bette lag, bedachte er, wie er das Gebot des Kaisers verletzt und wie Mancher durch den Verrat der Säule das Leben verloren habe. Hiermit stand er auf und ging zu dem Abgott, drohte ihm und sprach: „O Säule, Säule, dein Geschwätz hat schon manchem armen Sünder das Leben gekostet; aber ich befehle dir jetzt, mich nicht zu verraten, sonst schlag ich dir dein Haupt ab und zerschmettere es mit meinem Hammer. Darum lass dir raten und schweige von mir.

Des Morgens in aller Frühe schickte der Kaiser nach seiner Gewohnheit seinen Boten an die Säule und ließ fragen, ob Jemand wider sein Gebot getan habe. Als aber die Voten kamen und den Auftrag des Kaisers ausrichteten, sprach die Säule: Schauet aus und lest, was an meiner Stirne geschrieben steht. Die Boten blickten auf und sahen an der Stirne geschrieben:

„Die Zeit verkehrt sich, die Menschen verschlimmern sich, und wer die Wahrheit sagt, dem wird das Haupt zerschlagen mit einem eisernen Hammer. Darum höre, sieh und schweige, willst du in Frieden leben. Geht hin und sagt euerm Herrn, was ihr gehört und gelesen habt."

Da schieden die Boten von dem Abgott und hinterbrachten dem Kaiser was sie vernommen hatten. Und als der Kaiser dies hörte, befahl er zwölfen seiner Ritter, sich eilends zu wappnen und zu der Säule zu gehen; wenn dann Jemand komme, der Böses wider sie im Schilde führe, dem sollten sie Hände und Füße binden und ihn gefangen vor ihn führen. Die zwölf Ritter kamen zu der Säule, grüßten sie im Namen des Kaisers und baten sie, denjenigen zu nennen, der das Gebot übertreten und ihr gedroht hätte. Da sprach sie: So nehmt dort den Schmied gefangen, denn der ist es gewesen, der das Gebot des Kaisers nicht in Acht genommen und mir gedroht hat.

Da gingen die zwölf Ritter, ergriffen den Schmied und führten ihn gefangen vor den Kaiser. Da sprach dieser: Sag an, warum hältst du nicht das Gebot, das ich gesetzt habe? Der Schmied antwortete: Ich kann das Gebot nicht halten, denn ich muss alle Tage acht Pfennige verdienen, die ich nicht erschwingen kann, wenn ich nicht arbeite. Da fragte der Kaiser: Wozu bedarfst du denn die acht Pfennige? Der Schmied sprach: Das will ich euch sagen. Das ganze Jahr hindurch muss ich täglich zwei Pfennige erstatten, zwei Pfennige ausleihen, zwei verlieren und zwei verzehren. Das macht acht Pfennige, die ich täglich haben muss. „Wie soll ich das verstehen?“, fragte der Kaiser, „du musst dich deutlicher erklären." Da hub der Schmied an und sprach: Herr, zwei Pfennige muss ich meinem Pater erstatten, der mich von Jugend aus erzogen hat, nun aber alt ist und nichts mehr verdienen kann. Auch hab ich einen Sohn, der in die Schule geht: dem muss ich täglich zwei Pfennige leihen, die er mir auch erstattet, wenn ich alt werde. Ferner hab ich ein Weib, welcher ich täglich zwei Pfennige geben muss: die sind verloren, denn wenn ich sterbe, so nimmt sie einen andern Mann und vergisst mein ganz. Endlich bedarf ich selber zweier Pfennige, die ich verzehre mit Essen und Trinken. Darum, gnädiger Herr, bedenkt meinen Notstand und fällt ein gerechtes Urteil, denn ihr habt wohl gehört, dass ich der acht Pfennige keinen entbehren kann.

Als der Kaiser dies hörte, wusste er nicht was er tun sollte. Er dachte: Wenn ich ihm geböte, von seiner Sitte zu lassen, so würde ich ihn verdrießen und irre machen, ich will ihm lieber ein strenges Gebot auferlegen und wenn er dawider verstößt, ihn zugleich für alles bestrafen, was er meinen Befehlen zuwider getan hat. Geh mit Gott, sprach er zu dem Schmied, und arbeite fleißig fort wie bisher; nur hüte dich wohl, bei Todesstrafe jemand etwas von unserer Unterredung zu sagen, es sei denn, dass du zuvor hundertmal unser kaiserliches Antlitz gesehen habest. Diesen Befehl ließ der Kaiser von seinem Schreiber auszeichnen. Der Schmied beurlaubte sich und ging an seine Arbeit.

Bald daraus berief der Kaiser die Weisen des Landes an seinen Hof, um sie aus die Probe zu stellen, legte ihnen den Fall von den acht Pfennigen vor, von welchen zweie erstattet, zweie ausgeliehen, zwei verloren und zwei verzehrt würden, und fragte sie, wie das zu verstehen sei. Die Weisen wussten nicht gleich Bescheid und baten um eine achttägige Bedenkzeit, welche ihnen auch bewilligt wurde. Da hielten sie Zusammenkünste und berieten sich, konnten aber aller ihrer Bemühungen ungeachtet das Rätsel nicht lösen bis sie zuletzt Mutmaßten, dass sich die Frage aus den Schmied bezöge, welchen der Kaiser hätte verhaften und vor sich bringen lassen. Sie begaben sich also in seine Wohnung und fragten ihn um die Bedeutung der seltsamen Worte. Aber der Schmied, dem der Kopf aus dem rechten Flecke saß, hütete sich wohl, sein Geheimnis zu verraten. Als sie ihm aber zuletzt Geld anboten, ward er willfährig und sprach: Besteht ihr daraus, es zu wissen, so geht hin und bringt mir hundert Goldgülden: unter keiner andern Bedingung werdet ihr es erfahren. Die Weisen, denen kein anderes Mittel übrig blieb, wollten die Frist nicht verstreichen lassen und brachten ihm die verlangten Goldstücke. Der Schmied nahm sie, bevor er ihnen ein Wort sagte, Stück für Stück in die Hand und beschaute das Gepräge, welches aus der einen Seite den Kopf des Kaisers darstellte, mit aufmerksamem Wohlbehagen. Als das geschehen war, sagte er den Weisen Alles, was er dem Kaiser über die acht Pfennige gesagt hatte. Da gingen sie befriedigt von ihm und erwarteten den Ablauf der acht Tage.

Als diese verstrichen waren, ließ sie der Kaiser vor sich berufen, um die Antwort der Weisen aus die ihnen vorgelegte Frage zu hören und sieh, sie sagten ihm genau dasselbe, was er von dem Schmied gehört hatte. Den Kaiser wunderte es sehr, wie sie das erfahren hätten. Er ließ also den Schmied vor sich rufen und gedachte bei sich selbst: Den will ich gut bezahlen. Sie werden ihm mit Versprechungen und Drohungen so lange zugesetzt haben bis er ihnen Alles verraten hat; durch ihre eigene Weisheit hätten sie es nun und nimmermehr herausgebracht. Da hat er sich aber selber geschadet.

Als nun der Schmied kam, redete ihn der Kaiser an: Meister, ihr habt euch schwer an meinem Gebot vergangen, indem ihr verrietet, was ich befahl geheim zu halten: das wird euch übel bekommen. Da sprach der Schmied: Gnädiger Herr, Ihr habt zu verfügen, nicht bloß über mich, über die ganze Welt, nach euerm Wohlgefallen; ich unterwerfe mich euch wie einem geliebten Vater und Herrn. Wisst aber, dass ich nicht glaube, wider euern Befehl gehandelt zu haben, denn ihr befahlt mir, niemand was ich euch gesagt zu offenbaren, ich hätte denn zuvor hundertmal euer kaiserliches Antlitz geschaut. Ich durste daher dem Ansinnen der Weisen des Landes kein Gehör geben bevor ich nicht der gestellten Bedingung Genüge geleistet. Diese suchte ich also zu erfüllen und ließ mir, ehe ich ein Wort sagte, hundert Goldgulden geben, besah in ihrer Gegenwart euer daraus ausgeprägtes Antlitz und sagte ihnen dann erst, was sie zu wissen begehrten. Damit, gnädiger Herr, meine ich nicht wider euch verstoßen zu haben.

Als dies der Kaiser hörte, musste er lachen und sprach: Geh mit Gott, du bist klüger als alle meine Weisen. Der Herr schenke dir Heil und Segen! Damit beurlaubte sich der Schmied und lebte fortan in Frieden nach seiner Weise.

Deutsche Märchen, Karl Simrock - 1864, mit angepasster Schreibweise.

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