Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Rot, weiß und schwarz - Französische Märchen
Rot, weiß und schwarz
Der älteste Sohn eines mächtigen Königs ging einmal ganz allein im
Winter auf einem Felde, welches mit Schnee bedeckt war. Er bemerkte
einen Raben und schoss ihn. Der Vogel stürzte tot hernieder und
bespritzte den weißen Schnee mit seinem Blut. Der Glanz seines
schwarzen Gefieders, die blendende Weiße des Schnees und die Rote des
Bluts gaben ein Farbengemisch, dessen lebhafter Reiz den Prinzen
entzückte. Er konnte die Vorstellung davon nicht wieder los werden, so
schwebten ihm die Farben beständig vor Augen, bis in seinem Herzen
endlich ein heftiges Verlangen erwachte, eine Frau zu besitzen, so rot
wie Blut, so weiß wie Schnee und so schwarzhaarig wie das Gefieder des
Raben.
Eines Tages, da er ganz in Gedanken daran versunken war, hörte er eine
Stimme, die sagte zu ihm: „Mein Prinz, begebt euch in das Wunderland,
so werdet ihr mitten in einem ungeheuren Walde einen Apfelbaum finden,
mit schöneren und größeren Früchten, als ihr sie je gesehen habt;
pflücket drei davon, bezähmt euch aber ja, sie eher als vor eurer
Rückkehr zu öffnen; sie werden euch eine Schönheit darbieten, gerade
wie ihr sie wünscht."
Das Wunderland war weit entfernt und schwer zugänglich, aber
nichts konnte den Prinzen von der Reise dahin abhalten. Er machte
sich augenblicklich auf den Weg, zog über Meer und Land und
durchsuchte mit außerordentlicher Sorgfalt den ganzen Wald, bis er
den Baum fand. Er brach drei schöne Äpfel und da er in dem ersten
Gefühl seiner Freude der Neugier, die ihn quälte, nicht
widerstehen konnte, so öffnete er einen davon.
Sogleich kam ein junges Mädchen heraus, so bezaubernd schön und so
ganz nach seinem Wunsch, dass er von Bewunderung hingerissen war.
Aber diese Schönheit, weit entfernt, ihm gewogen zu sein,
betrachtete ihn mit zornigen Blicken und indem sie sich beklagte,
dass er sie entführt habe, verschwand sie in dem nämlichen
Augenblick. Die Ungeduld, welcher er fast unterlag, musste ihn
natürlich in Verzweiflung bringen; doch da sein Gemüt für Trost
leicht empfänglich war, so beruhigte er sich bald damit, die
beiden anderen Äpfel würden ihm seinen Verlust ersetzen. Voll von
dieser süßen Hoffnung, beschloss er, sie nicht eher zu öffnen, als
bis er in seinem Vaterlande angekommen sei. Mein die traurigsten
Erfahrungen sind oft nicht im Stande, vor einer Schwachheit zu
bewahren. Die Ungeduld des Prinzen war noch stärker als seine
Vernunft, und er konnte auch das zweite Mal dem Verlangen nicht
widerstehen, einen dieser Äpfel zu öffnen.
Er befand sich gerade auf dem Meere, und da man selten einige
Zerstreuung auf diesem traurigen Element genießt, so hätten wohl
sehr wenige Leute in einem ähnlichen Falle anders gehandelt. Er
bildete sich ein, wenn er das ganze Schiff, auf dem er fuhr,
bedecken ließe, so könnte die Schöne nicht entwischen. Er öffnete
also den zweiten Apfel, und wie das erste Mal kam ein Mädchen von
unvergleichlicher Schönheit heraus, sie bezeigte ihm aber ganz
eben so ihr Missvergnügen, und aller Vorsichtsmaßregeln
ungeachtet, welche der Prinz genommen hatte, verschwand sie in
gleicher Weise, wie die erste verschwunden war. Diese beiden
Erfahrungen waren Indes kaum hinreichend, den Prinzen klug zu
machen.
Endlich langte er in seiner Heimat an und als er den letzten Apfel,
der ihm geblieben war, aufmachte, kam ein junges Mädchen heraus,
eben so schön, aber sanfter, als die beiden früheren. Er vermählte
sich alsbald mit ihr und lebte in der glücklichsten Ehe von der
Welt.
Einige Zeit nach der Hochzeit musste er in den Krieg ziehen und
seine schöne Rotweißschwarz verlassen. Die Königin Mutter, in
deren Gewalt sich jetzt die junge Königin befand, hatte diese
Heirat nie gebilligt. Sie ließ nun ihre Schwiegertochter auf eine
grausame Art umbringen, warf den Leichnam in den Schlossgraben,
und um ihrer Bosheit die Krone aufzufetzen, schob sie an die
Stelle der unglücklichen Königin eine Person unter, welche ihr
völlig ergeben war.
Als der Prinz heimkehrte, war er sehr erstaunt, eine Frau zu finden,
die von der, welche er verlassen hatte, so verschieden war. Aber
die Königin, seine Mutter, versicherte ihm ganz bestimmt, die
Person, welche sie ihm vorstellte, sei seine Gemahlin. Sie
leugnete alle die augenscheinlichen Verschiedenheiten nicht,
schrieb aber diese Verwandlung den Folgen der Zauberei zu.
In der Tat gab die Art, auf welche der Prinz seine Gemahlin gefunden
hatte, dieser Rede einige Wahrscheinlichkeit; genug, sei es nun
aus Sanftmut oder aus Mangel an Misstrauen, der Prinz glaubte, was
man ihm sagte. Aber nichts war fähig, ihn von seiner ersten
Neigung zu heilen. Tag und Nacht träumte er von der Vergangenheit,
und er verweilte oft ganze Stunden, an ein Fenster seines Palastes
gelehnt.
Eines Tages, da er wieder in dieser traurigen Beschäftigung
zubrachte, erblickte er in dem Schlossgraben einen Fisch, dessen
glänzende Schuppen rot, weiß und schwarz waren. Dieser Anblick
ergriff ihn so sehr, dass er kein Auge mehr von dem Fisch
verwendete.
Die alte Königin, die eine so besondere Aufmerksamkeit für eine
Folge seiner ersten Neigung hielt, beschloss, jeden Gegenstand,
der ihn daran erinnere, zu zerstören. Sie befahl daher heimlich
der falschen Prinzessin, das heftigste Verlangen zu bezeigen, den
Fisch, an welchem ihr Gemahl so außerordentlich hing, zu
verzehren. Es war ihm unmöglich eine Bitte zu verweigern, die in
den Augen aller Welt so geringfügig erscheinen musste. Man fing
den Fisch, man trug ihn der vermeinten Königin auf und der Prinz
fiel wieder in seinen früheren Trübsinn zurück.
Ein andermal ward er durch den Anblick eines Baumes getröstet, der
Rot, weiß und schwarz war. Dieser Baum war von einer unbekannten
Art; Niemand hatte ihn gepflanzt, noch gesät: er war plötzlich auf
der Stelle emporgewachsen, wo man die Fischschuppen hingeworfen
hatte. Der schöne Baum verursachte dem Prinzen das nämliche
Vergnügen und folglich der Königin den nämlichen Verdruss;
sogleich beschloss sie sein Verderben, ungeachtet der Einwendungen
des betrübten Prinzen. Man riss den Baum heraus und verbrannte
ihn; aber aus der Asche des Baumes stieg augenblicklich ein
prächtiges Schloss empor, aus roten Rubinen, weißen Perlen und
schwarzem Schmelz. Die drei Farben, welche der Prinz so sehr
geliebt hatte, machten hier eine bezaubernde Wirkung. Lange Zeit
bemühte er sich vergebens, in dieses schöne Schloss zu gelangen,
die Tore blieben verschlossen und er begnügte sich, sie
unaufhörlich zu betrachten, und verweilte mehrere Tage in dieser
Beschäftigung, die ihm den Gegenstand seiner Wünsche zurückrief.
Seine Ausdauer wurde endlich belohnt; die Türen öffneten sich, er
trat in den Palast, und nachdem er eine Menge Gemächer, die auf
das Kostbarste geschmückt waren, durchschritten hatte, fand er in
einem Kabinett seine erste Gemahlin, die er so zärtlich geliebt
hatte und deren Andenken ihm so teuer war. Sie machte ihm
Vorwürfe, dass sie durch seine zu große Nachgiebigkeit so viel
gelitten habe; zugleich aber bewies sie ihm die lebhafte Freude,
welche sie empfand, da sie sah, dass er die Verzeihung, welche sie
ihm so gern bewilligte, so sehr verdiene.
Das Glück der beiden Widervermählten wurde nun durch nichts mehr
gestört und sie lebten mit einander und ihrem Schicksal vollkommen
zufrieden.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.