Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Die Hindin im Walde - Französische Märchen
Die Hindin im Walde
Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten sehr glücklich
mit einander. Sie liebten sich zärtlich und ihre Untertanen beteten
sie an. Nur eins fehlte zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit, sie
hatten keine Kinder. Die Königin glaubte, ihr Gemahl werde sie dann
noch viel mehr lieben und reiste alle Frühjahr nach einem großen
Walde, in welchem mehrere heilsame Quellen sprudelten. Aus allen
Gegenden der Welt kamen Leute hierher, um von dem Wasser dieser Quelle
zu trinken.
Eines Tages als die Königin am Rande der einen saß, befahl sie allen
ihren Frauen, sich zu entfernen und sie allein zu lassen. Darauf brach
sie in ihre gewöhnlichen Klagen aus: „Wie unglücklich bin ich doch“,
rief sie, „nicht ein Kind zu haben! Die ärmsten Frauen haben welche;
feit fünf Jahren schon bitte ich täglich den Himmel darum und immer
vergebens! Ja, ich werde dieses Glück nie erleben!"
Bei diesen Worten bemerkte sie in dem Wasser des Quells eine Bewegung;
ein großer Krebs kam gleich darauf zum Vorschein und sprach zu ihr:
„Erhabene Königin, euer Wunsch soll erfüllt werden. Hier in der Nähe
befindet sich ein kostbarer Palast, von Feenhänden erbaut; doch kein
Mensch kann ihn finden, denn er ist von so dichten Wolken
eingeschlossen, dass das Auge eines Sterblichen nicht hindurch dringen
kann. Wollet ihr euch indes der Leitung einer armen Krebsin
anvertrauen, die eure untertänigste Dienerin ist, so erbiete ich mich,
euch dahin zu führen."
Die Königin hörte ihr ohne Unterbrechung zu; einen Krebs reden zu
hören, war ihr etwas ganz Neues und setzte sie nicht wenig in
Erstaunen. Sie nahm das Anerbieten mit vielen Freuden an,
entschuldigte sich jedoch, sie könne nicht rückwärts gehen. Die
Krebsin lächelte und verwandelte sich auf der Stelle in eine alte
Frau. „Nun“, sprach sie, „wollen wir nicht rückwärts gehen, ich bin
ganz damit einverstanden. Betrachtet mich überhaupt als eine eurer
Freundinnen, denn ich wünsche nichts weiter, als euch hilfreich zu
sein."
Sie stieg trockenen Fußes aus dem Wasser; ihr Gewand war weiß, mit
Karmoisin gefüttert, und ihr Haar mit grünen Bändern durchflochten.
Man konnte nicht leicht eine anmutigere alte Frau sehen. Sie begrüßte
die Königin und umarmte sie. Dann schlugen sie ohne Verzug einen
Waldweg ein, den die Königin, so viele tausend - und tausendmal sie
hier gewesen war, doch nie betreten hatte. Wie hätte dies auch
geschehen können; es war der Weg, den die Feen nahmen, wenn sie die
Quelle besuchten. Er war für gewöhnlich mit Sträuchern und Dornen
verschlossen; kaum aber nahte sich die Königin, so trieb das
Strauchwerk augenblicklich Rosen, Jasmin- und Orangenbäume schlangen
ihre Zweige in einander und bildeten so einen schattigen Gang, mit
Blättern und Blumen überwölbt.
Veilchen sprossen aus der Erde und Vögel aller Art flatterten auf den
Bäumen und sangen zum Entzücken. Die Königin hatte sich von ihrem
Erstaunen noch nicht erholt, als ihre Augen durch einen Anblick nie
gesehener Pracht geblendet wurden. Sie sah einen Palast, ganz von
Diamanten erbaut; die Mauern, das Dach, die Decken, der Fußboden, die
Treppen, die Balkons bis auf die Terrassen, alles war aus Diamanten.
Von Bewunderung hingerissen, stieß sie einen lauten Schrei aus und
fragte ihre freundliche Begleiterin, ob dies Schein oder Wirklichkeit
sei. „Es kann nichts Wirklicheres geben“, versetzte jene.
Alsbald öffneten sich die Thore des Palastes und sechs Feen traten
heraus, aber was für Feen! Die schönsten und prachtvollsten, die man
)e gesehen hat. Sie machten der Königin eine tiefe Verbeugung und
reichten ihr jede eine Blume von Edelsteinen zu einem Strauß; sie
empfing eine Rose, eine Tulpe, eine Anemone, eine Akelei, eine Nelke
und eine Granatblüte.
„Wir konnten euch“, sagten die Feen, „kein größeres Zeichen unserer
Hochachtung geben, als euch den Besuch dieses Palastes zu erlauben. Es
freut uns zugleich, euch verkündigen zu können, dass ihr die Mutter
einer schönen Prinzessin sein werdet. Vergesset nicht, uns gleich nach
ihrer Geburt zu rufen; denn wir wollen sie mit allen möglichen guten
Eigenschaften begaben. Ihr dürft nur den Strauß nehmen, welchen wir
euch gegeben haben, und mit dem Gedanken an uns jede Blume bei ihrem
Namen nennen, dann werden wir augenblicklich in eurem Zimmer sein."
Überwältigt von Freude, warf sich die Königin an ihren Hals, und die
Umarmungen dauerten länger als eine gute halbe Stunde. Darauf
ersuchten sie die Königin, in ihren Palast zu treten, dessen
wundersame Schönheit sich unmöglich beschreiben lässt. Der Baumeister
der Sonne hatte ihn erbaut und das im Kleinen geschaffen, was der
Sonnenpalast im Großen ist. Die Königin, die einen solchen Glanz kaum
ertragen konnte, musste mehr als einmal die Augen schließen.
Aus dem Palast gingen sie in den Garten. Schönere Früchte hat es nie
gegeben! Die Aprikosen waren größer als ein Kopf, an dem vierten Teil
einer Kirsche hatte man genug, und sie war von so lieblichem
Geschmack, dass die Königin, als sie davon genossen, ihr ganzes Leben
nichts anders hätte essen mögen. Auch einen Obstgarten gab es da von
lauter künstlichen Bäumen, die abtr so gut Leben hatten und wuchsen
wie die andern.
Das Entzücken der Königin lässt sich gar nicht beschreiben; wie freute
sie sich auf die kleine Prinzessin, wie dankte sie den liebenswürdigen
Feen, die ihr eine so angenehme Nachricht verkündigten. Es gab kein
Zeichen der Erkenntlichkeit, womit sie ihnen nicht ihren Dank
ausgedrückt hätte; ganz besonders der Fee der Quelle. Die, Königin
verweilte bis gegen Abend in dem Palast. Da sie die Musik liebte, so
ertönte ihr zu Ehren ein Gesang wie von himmlischen Stimmen; man
überhäufte sie mit Geschenken und nachdem sie allen diesen hohen Damen
gedankt hatte, kehrte sie mit der Fee der Quelle zurück.
Zu Hause waren alle in großer Sorge um sie gewesen, man hatte sie
überall gesucht und konnten sich nicht vorstellen, wo sie sein könne;
man fürchtete sogar, irgend ein verwegener Fremdling habe sie um ihrer
Schönheit und Jugend willen entführt.
So bezeigte nun jeder bei ihrer Rückkehr eine außerordentliche Freude,
und da sie ihrerseits auch über die freundlichen Aussichten, welche
man ihr gegeben hatte, sehr vergnügt war, so unterhielt sie sich so
aufgeweckt und fröhlich, dass alle Welt entzückt war.
Die Fee der Quelle hatte in der Nähe des königlichen Palastes Abschied
genommen, wobei sich die Danksagungen und Freundschaftsbezeugungen
verdoppelten; und da die Königin sich noch acht Tage bei der Quelle
aufhielt, so unterließ sie nicht mit ihrer liebenswürdigen Führerin,
die zuerst immer als Krebs erschien und dann ihre natürliche Gestalt
annahm, in den Palast der Feen zurückzukehren.
Die Königin reiste ab und nach einiger Zeit gebar sie eine Prinzessin,
welche sie Sehnsuchtblüte nannte. Alsbald nahm sie den Strauß, den sie
empfangen hatte, nannte alle Blumen nach der Reihe und auf der Stelle
sah man die Feen erscheinen. Jede kam auf einem Wagen von
verschiedenem Aussehen; der eine war von Ebenholz, gezogen von weißen
Tauben, andere von Elfenbein, mit kleinen Raben bespannt, noch andere
von Zedernholz. Das waren ihre Friedensequipagen, denn wenn sie böse
waren, so kamen sie nur mit fliegenden Drachen einher, die aus Maul
und Nase Feuer sprühten, Schlangen, Löwen, Leoparden, Tigern, auf
denen sie von einem Ende der Welt bis zum andern in kürzerer Zeit, als
man Guten Tag oder Guten Abend sagt, dahinfuhren. Doch diesmal
befanden sie sich in ihrer allerbesten Laune.
Mit einem heitern und würdevollen Aussehen traten sie in das Gemach
der Königin, begleitet von ihren Zwergen und Zwerginnen, die mit
Geschenken ganz beladen waren. Nachdem sie die Königin umarmt hatten,
und die kleine Prinzessin geküsst, breiteten sie das Wickelzeug aus,
welches von so feiner und so vortrefflicher Leinwand war, dass es
hundert Jahr in Gebrauch sein konnte, ohne abgenutzt zu werden; die
Feen hatten es in ihren Mußestunden gesponnen. Was die Spitzen
anbetrifft, so waren sie noch bewundernswürdiger als die Leinwand,
denn die ganze Weltgeschichte war hinein gestickt oder gewebt. Sodann
zeigten sie die Windeln und die Deckbetten, die auch mit
außerordentlichem Fleiß gestickt waren, und tausenderlei anmutige
Kinderspiele darstellten. Seit es Sticker und Stickerinnen gibt, ist
etwas so Wunderbares nicht gesehen worden. Aber als nun die Wiege zum
Vorschein kam, schrie die Königin laut auf, denn diese übertraf noch
alles frühere. Sie war aus einer seltenen Holzart gefertigt, von der
das Pfund hunderttausend Taler kostete. Vier kleine Liebesgötter
hielten sie; alle vier waren Meisterwerke, an denen die Kunst den
Werth des Stoffes noch übertraf, obgleich eine unbeschreibliche Menge
von Diamanten und Rubinen dazu verwendet waren. Diese kleinen
Liebesgötter hatten durch die Macht der Feen Leben erhalten, so dass,
wenn das Kind schrie, sie es wiegten und einschläferten; was für die
Ammen ganz erstaunlich bequem war.
Die Feen nahmen selbst die kleine Prinzessin auf ihre Knie, wickelten
sie ein und küssten sie mehr als hundertmal, denn sie war so schön,
dass man sie nicht ansehen konnte, ohne sie zu lieben. Als sie
bemerkten, dass das Kind trinken wollte, schlugen sie mit ihren
Zauberstäben auf die Erde, und sogleich erschien eine Amme, wie sie
sich für dieses reizende Kind eignete.
Nun hatten sie nur noch das Kind zu begaben und die Feen beeiferten
sich es zu tun. Die eine begabte sie mit Tugend, die andre mit Geist,
die dritte mit außerordentlicher Schönheit, die vierte mit
Reichtümern, die fünfte wünschte ihr eine lange Gesundheit und die
letzte, dass ihr jede Arbeit, die sie unternähme, gelingen solle.
Die Königin war ganz entzückt und bedankte sich tausend und
abertausendmal für die Geschenke, welche sie der kleinen Prinzessin
gemacht hatten, als man plötzlich einen Krebs erscheinen sah, der so
dick war, dass er nur mit Mühe zur Tür herein konnte.
„Ha, undankbare Königin“, sagte der Krebs, „ihr habt mich also nicht
für Wert gehalten, euch meiner zu erinnern? Ist es möglich, dass ihr
die Fee der Quelle so rasch vergessen habt, so wie die guten Dienste,
die ich euch erwies, da ich euch zu meinen Schwestern führte? Wie?
Alle habt ihr gerufen und mich allein vernachlässigt? Gewiss hatte ich
ein Vorgefühl davon, welches mich nötigte die Gestalt eines Krebses
anzunehmen, als ich euch das erste Mal sprach, und welches mir dadurch
sagen wollte, dass eure Freundschaft anstatt vorwärts, rückwärts gehen
würde."
Die Königin, untröstlich über den von ihr begangenen Fehler,
unterbrach sie und bat um Verzeihung. Sie sagte ihr, wie sie geglaubt
habe ihre Blume gleich denen der übrigen zu nennen, der Strauß von
Edelsteinen habe sie irre gemacht, sie sei gewiss nicht fähig, die
großen Verbindlichkeiten, welche die Fee ihr erwiesen habe, zu
vergessen; sie bat sie inständigst, ihr ihre Freundschaft nicht zu
entziehen und besonders der Prinzessin geneigt zu sein.
Sämtliche Feen, welche befürchteten, sie werde sie nur mit Elend und
Missgeschick begaben, vereinigten sich mit der Königin, sie zu
besänftigen. „Meine teure Schwester“, sagten sie zu ihr, „eure Hoheit
erzürne sich nicht gegen eine Königin, die nie die Absicht gehabt,
euch ein Missfallen zu erregen: habt doch die Gnade und verlasst diese
Krebsfigur, zeigt euch in allen euren Reizen."
Die Fee der Quelle, die etwas eitel war, wurde durch die
Schmeicheleien ihrer Schwestern ein wenig besänftigt. „Nun wohl“,
sagte sie, „ich will, der Prinzessin Sehnsuchtblüte nicht alles das
Böse zufügen, was ich mir vorgenommen hatte, denn ich hatte in der Tat
Luft, sie zu verderben, und Niemand hätte mich daran hindern können;
aber ich sage euch, wenn sie vor ihrem fünfzehnten Jahr das Tageslicht
erblickt, so wird sie Grund haben, es zu bereuen, ja es wird sie
vielleicht das Leben kosten."
Die Tränen der Königin und die Bitten der Feen vermochten sie nicht
von dem, was sie einmal gesagt hatte, Etwas zurückzunehmen. Sie
entfernte sich auf ihren Krebsscheren, denn sie hatte ihr Krebskleid
nicht ablegen wollen.
Als sie sich aus dem Zimmer entfernt hatte, bat die betrübte Königin
die Feen um ein Mittel, ihre Tochter vor dem Unglück, mit welchem sie
bedroht war, zu bewahren. Sie beratschlagten sogleich untereinander
und endlich, nachdem sie mehrere verschiedene Vorschläge in Erwägung
gezogen hatten, entschlossen sie sich, einen Palast ohne Türen und
Fenster zu bauen, in den nur ein unterirdischer Eingang führe, und die
Prinzessin an diesem Ort bis zu dem verhängnisvollen drohenden Jahr
aufzuziehen.
Drei Schläge mit der Zauberrute brachten ein solches Gebäude
vollkommen zu Stande. Es war von weißem und grünem Marmor, die Decken
und Wände von Diamanten und Smaragden, die Blumen, Vögel und tausend
anmutige Gegenstände bildeten. Die Fußdecken waren von buntem Sammet,
mit eigenhändigen Stickereien der Feen, welche, um der jungen
Prinzessin das Wichtigste aus der Vergangenheit leichter einzuprägen,
dasselbe kunstreich darin dargestellt hatten.
Jm ganzen Palast schien kein anderes Licht, als das der Wachskerzen;
aber sie brannten jederzeit in solcher Menge, dass es hell wie der Tag
war. Alle die Lehrmeister, deren die Prinzessin zu ihrer vollkommenen
Ausbildung bedurfte, wurden hierher geholt. Der lebendige Geist, die
leichte Auffassungsgabe der Prinzessin trafen fast immer schon in
voraus, was man ihr begreiflich machen wollte, und setzten Jeden in
Verwunderung, denn in einem Alter, wo andere kaum ihre Amme nennen
können, sprach sie die erstaunlichsten Dinge. Aber freilich, wer von
den Feen begabt ist, kann nicht unwissend und dumm bleiben.
Wenn ihr Geist alle, die in ihre Nähe kamen, entzückte, so brachte
ihre Schönheit nicht minder mächtige Wirkungen hervor; sie riss die
Unempfindlichsten hin und die Königin, ihre Mutter, hätte sich gar
nicht von ihr getrennt, wenn ihre Pflicht sie nicht an den König,
ihren Gemahl, gefesselt hätte. Die guten Feen kamen von Zeit zu Zeit
die Prinzessin zu besuchen, und brachten ihr immer ganz
unvergleichlich schöne Dinge mit, die prächtigsten und
geschmackvollsten Kleider und vieles, vieles Andere. Aber unter allen
Feen war Tulipane die, welche sie am zärtlichsten liebte, und der
Königin, ihrer Mutter, auf das dringendste anempfahl, sie ja nicht das
Tageslicht sehen zu lassen, bevor sie fünfzehn Jahr alt wär'.
„Unsre Schwester von der Quelle“, sagte sie, „ist rachsüchtig, und
eben so sehr, wie wir an diesem Kinde Anteil nehmen, wird sie
ihrerseits ihm nach Möglichkeit zu schaden suchen; darum könnt ihr gar
nicht wachsam genug sein."
Die Königin versprach ihr ohne Unterlass die äußerste Wachsamkeit zu
beobachten; aber als ihre geliebte Tochter sich der Zeit näherte, wo
sie das Schloss verlassen sollte, ließ sie sie male n und schickte ihr
Bildnis an die vornehmsten Höfe von der ganzen Welt. Keiner der
Prinzen, die es sahen, konnte sich der Bewunderung erwehren, aber
einer von ihnen wurde sogar so davon ergriffen, dass er sich nicht
mehr davon trennen konnte; er stellte es in sein Kabinett, schloss
sich mit ihm ein, sprach mit ihm, als ob es Leben hätte und ihn
verstehen könnte und sagte ihm die zärtlichsten Dinge von der Welt.
Der König, der seinen Sohn fast gar nicht mehr zu Gesicht bekam,
fragte, was er treibe, und weshalb er nicht mehr so aufgeräumt sei wie
sonst. Einige geschwätzige Höflinge antworteten ihm, es stehe zu
befürchten, dass der Prinz den Verstand verliere, denn er verschließe
sich ganze Tage in sein Kabinett und man höre ihn sprechen, als ob er
sich mit Jemanden unterhielte.
Diese Nachricht setzte den König in Unruhe. „Wär' es möglich“, sagte
er zu seinen Vertrauten, „dass mein Sohn den Verstand verlöre? Und er
hat doch jederzeit so viel an den Tag gelegt; ihr wisst, wie sehr man
ihn immer bewundert hat und ich finde noch gar nichts Irres in seinen
Augen, er scheint mir mehr melancholisch; ich muss mit ihm reden,
vielleicht entdecke ich, von welcher Art Torheit er angesteckt ist."
Er ließ ihn sogleich holen und nachdem sich alle Andern entfernt
hatten, fragte er ihn nach einigen gleichgültigen Dingen, worauf der
Prinz ziemlich zerstreute Antworten gab, und zuletzt fragte er ihn,
was er denn habe, dass seine Laune und sein Aussehen so verwandelt
seien?
Der Prinz, welcher diesen Augenblick für günstig hielt, warf sich zu
seinen Füßen und antwortete: „Ihr habt beschlossen, mir die Prinzessin
Schwarzmaul zur Gemahlin zu geben, ihr werdet bei dieser Verbindung
Vorteile finden, die ich euch bei der mit der Prinzessin
Sehnsuchtblüte nicht versprechen kann; aber die Reize, welche ich bei
dieser finde, finde ich bei der andern nicht."
„Und wo hast du sie denn gesehen?“, fragte der König. „Man hat mir die
Bildnisse Beider gebracht“, antwortete Prinz Tapfer (denn so nannte
man ihn, seit er drei große Schlachten gewonnen hatte) „und ich
bekenne euch, dass ich für die Prinzessin Sehnsuchtblute eine so
heftige Neigung gefasst habe, dass, wenn ihr euer der Prinzessin
Schwarzmaul gegebenes Wort nicht zurücknehmt, ich sterben muss;
glücklich, mein Leben zu beendigen, wenn ich ohne Hoffnung bin, Der
anzugehören, die ich liebe."
„Das ist also ihr Bildnis“, fragte der König ernst, „mit welchem es
dir beliebt, Gespräche zu führen, die dich bei allen Höflingen
lächerlich machen? Sie halten dich für verrückt, und wenn du wüsstest,
was mir darüber zu Ohren gekommen ist, so würdest du dich schämen,
eine solche Schwäche an den Tag zu legen."
„Ich kann mir über eine so schöne Neigung keine Vorwürfe machen“,
verfetzte der Prinz. „Wenn ihr das Bildnis dieser reizenden Prinzessin
gesehen hättet, so würdet ihr meine Gefühle für sie billigen."
„Nun, so geh und bring es her“, sprach der König mit einer Heftigkeit,
die seinen Unwillen deutlich zu erkennen gab. Der Prinz würde in Sorge
deshalb gewesen sein, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, dass
nichts auf der Welt der Schönheit der Prinzessin Sehnsuchtblute
gleichkommen könne. Er eilte in sein Kabinett und brachte es dem
König, der fast eben so entzückt davon war wie sein Sohn.
„Ja, mein teurer Sohn“, rief er aus, „ich stimme mit deinen Wünschen
überein; ich werde selbst wieder jung werden, wenn ich eine so
liebenswürdige Prinzessin an meinem Hose habe; ich will auf der Stelle
Gesandte an den Hof der Prinzessin Schwarzmaul schicken und mein
Versprechen zurücknehmen; ja auf die Gefahr hin, dass es zu einem
grausamen Kriege kommen sollte."
Der Prinz küsste ehrfurchtsvoll die Hand seines Vaters und umarmte
mehr als einmal seine Knie. Er war so vergnügt, dass man ihn kaum
wieder erkannte, er drängte den König, Gesandte abzuschicken, nicht
allein zur Prinzessin Schwarzmaul, sondern auch zur Prinzessin
Sehnsuchtblute.
Er wünschte, dass man für letztere den vermögendsten und fähigsten
Mann wähle, weil er mit allem Glanz auftreten, und durch seine
Beredsamkeit für die Wünsche der Prinzessin geneigt machen sollte.
Der König warf demnach seine Augen auf Florindo, einen vornehmen
jungen Herrn, der eine ausnehmende Beredsamkeit besaß und viele
Millionen Taler jährlicher Einkünfte. Er hing an dem Prinzen mit
außerordentlicher Liebe und ihm zu Gefallen traf er Zurüstungen zu dem
prachtvollsten Aufzuge von der Welt. Er betrieb sie mit der größten
Schnelligkeit, denn die Liebe des Prinzen nahm täglich zu und ohne
Unterlass beschwor ihn derselbe abzureisen. „Denket, dass es sich um
mein Leben handelt“, sagte der Prinz zu ihm, „dass ich den Verstand
verliere, wenn ich daran denke, der Vater dieser Prinzessin könnte
eine andere Verbindung eingehen und diese nicht wieder zu meinen
Gunsten auflösen wollen, so dass ich die Prinzessin für immer
verlöre."
Florindo ermutigte ihn, um soviel als möglich Zeitzugewinnen, denn
erwünschte, dass sein Aufwand ihm Ehre mache. Er hatte vier und
zwanzig Karossen ganz von Gold und Diamanten blitzend und mit der
feinsten Miniatmmalerei geschmückt; außerdem fünfzig andere Wagen,
vier und zwanzig tausend Pagen zu Pferde, prächtig gekleidet und der
Rest dieses großen Gefolges stach in nichts davon ab.
Als der Gesandte sich von dem Prinzen beurlaubte, umarmte ihn derselbe
zärtlich und sagte zu ihm: „Mein teurer Florindo, erinnert euch, dass
mein Leben von der Heirat abhängt, die ihr zu vermitteln geht, bietet
alles auf, um die liebenswürdige Prinzessin, die ich anbete, zu
gewinnen und hier herzuführen."
Er gab ihm zugleich tausend Geschenke mit, die eben so wertvoll waren,
als in allen ihren Beziehungen artig und schmeichelhaft.
Der Gesandte trug das Portrait des jungen Prinzen, welches von einem
Maler so kunstreich gefertigt worden war, dass es sprach und kleine
Artigkeiten voll Geist sagte. Allerdings antwortete es nicht auf
alles, was man zu ihm sagte, aber es mangelte ihm doch nur selten an
einer Antwort. Florindo versprach dem Prinzen, nichts zu verabsäumen,
seinen Wunsch zu befriedigen, und fügte hinzu, er nehme so viel Geld
mit sich, dass, wenn man ihm die Prinzessin verweigere, er Gelegenheit
finden würde, eine ihrer Kammerfrauen zu bestechen und sie zu
entführen.
„Nein“, schrie der Prinz, „ich kann mich nicht dazu verstehen, sie
würde durch euer so wenig ehrerbietiges Verfahren beleidigt werden."
Florindo antwortete hierauf nichts und reiste ab.
Das Gerücht seiner Reise ging seiner Ankunft voran. Der König und die
Königin waren entzückt darüber. Sie schätzten den König, seinen Herrn,
und kannten die Heldentaten des Prinzen Tapfer, aber noch mehr seinen
vortrefflichen Charakter; so dass, wenn sie auf dem ganzen Erdkreis
einen Gemahl für ihre Tochter hätten suchen sollen, sie keinen
würdigeren hätten finden können. Man richtete einen Palast zur Wohnung
des Gesandten ein, und traf alle Anstalten, den Hof in der äußersten
Pracht erscheinen zu lassen.
Der König und die Königin hatten beschlossen, den Gesandten zu ihrer
Tochter zu führen; aber die Fee Tulipane kam zur Königin und sagte:
„Hütet euch ja, den Florindo zu unserm Kinde zu bringen (denn so
nannte sie die Prinzessin); er darf sie nicht eher sehen und ihr dürft
sie nicht eher zu dem Könige reisen lassen, der um ihre Hand anhält,
als bis sie ihr fünfzehntes Jahr vollendet hat; denn ich bin
überzeugt, wenn sie früher abreist, so begegnet ihr irgend ein
Unglück."
Die Königin umarmte die gute Tulipane, versprach ihrem Rate zu folgen
und sie gingen auf der Stelle zur Prinzessin.
Der Gesandte langte an, sein Einzug dauerte drei und zwanzig Stunden,
denn er hatte sechs mal hundert tausend Maulesel; ihre Schellen und
Hufeisen waren von Gold, ihre Decken von Sammet und Brokat mit Perlen
gestickt; in den Straßen war ein Gedränge ohne Gleichen, alle Welt war
herbeigeströmt, um das Schauspiel mit anzusehen. Der König und die
Königin gingen ihm entgegen, so erfreut waren sie über seine Ankunft.
Wir sagen nichts von der feierlichen Anrede, welche er hielt, und von
den Höflichkeiten, die man sich gegenseitig erwies; als er jedoch die
Prinzessin zu begrüßen verlangte, war er nicht wenig erstaunt, dass
man ihm diese Bitte versagte.
„Wenn wir euch, Herr Florindo“, antwortete der König, „eine
anscheinend so billige Sache abschlagen, so geschieht dies nicht etwa
aus einem besonderen Eigensinn — ich muss euch die merkwürdige
Geschichte unserer Tochter erzählen, so werdet ihr uns beistimmen."
„Eine Fee fasste seit dem Augenblick ihrer Geburt einen Hass gegen sie
und bedrohte sie mit einem sehr großen Unglück, wenn sie vor
vollendetem fünfzehnten Jahr das Tageslicht sähe; wir halten sie daher
in einem Palast, wo sich die schönsten Gemächer unter der Erde
befinden. Als wir den Entschluss fassten, euch zu ihr zu führen, riet
sie uns ab, dies zu tun."
„Wie, gnädiger Herr“, versetzte der Gesandte, „soll ich den Kummer
haben, ohne sie zurückzukehren? Ihr bewilligt sie dem Könige, meinem
Herrn, für seinen Sohn, sie wird mit größter Ungeduld erwartet: ist es
möglich, dass ihr euch durch solche Kleinigkeiten, wie die
Prophezeiungen der Feen, abhalten lassen könnt? Hier ist das Portrait
des Prinzen Tapfer, welches ich den Auftrag habe ihr zu überreichen;
es ist so ähnlich, dass ich bei seinem Anblick ihn selbst zu sehen
glaube."
Er wies es vor, und das Portrait, welches nur unterrichtet war, zur
Prinzessin zu reden, sagte: Schöne Sehnsuchtblüte, ihr könnt euch
nicht vorstellen, mit welcher Ungeduld ich euch erwarte; kommt bald an
unsern Hof, und schmückt ihn mit eurer unvergleichlichen Anmut.
Das Portrait sagte nichts weiter, und der König und die Königin waren
so erstaunt, dass sie Florindo baten, es ihnen zu geben, um es zur
Prinzessin zu tragen. Hocherfreut über diese Bitte, legte er das
Bildnis in ihre Hände.
Die Königin hatte bis dahin mit ihrer Tochter über das Vorgefallene
noch nicht gesprochen, ja sie hatte es sogar den Damen, welche um sie
waren, verboten, ihr von der Ankunft des Gesandten das Mindeste zu
sagen; Indes sie hatten ihr nicht gehorcht, und die Prinzessin wusste,
dass es sich um ihre Vermählung handle; doch war sie klug genug, ihrer
Mutter nichts davon merken zu lassen. Als diese ihr das Portrait des
Prinzen wies, und dasselbe zu sprechen anfing und ihr ein eben so
seines wie zärtliches Kompliment sagte, geriet sie in das größte
Erstaunen, denn sie hatte nie etwas dem Ähnliches erlebt, und das
liebenswürdige geistreiche Aussehen des Prinzen entzückte sie nicht
weniger, als das, was ihr das Bildnis sagte.
„Würdest du böse sein“, fragte die Königin lachend, „einen Gemahl zu
erhalten, der diesem Prinzen gliche?"
„Es hängt nicht von mir ab, eine Wahl zu treffen“, antwortete die
Prinzessin; „doch ich werde immer mit der, welche ihr für mich trefft,
zufrieden sein."
„Nun aber“, fuhr die Königin fort, „wenn die Wahl auf diesen hier
fiele, würdest du dich nicht glücklich schätzen?"
Sie errötete, schlug die Augen nieder und antwortete nichts. Die
Königin schloss sie in ihre Arme und küsste sie mehrere Mal; sie
konnte sich der Tränen nicht erwehren, wenn sie daran dachte, dass sie
auf dem Punkt stehe, sie zu verlieren, denn es fehlten nur noch drei
Monate, so wurde die Prinzessin fünfzehn Jahr alt. Sie verbarg jedoch
ihren Schmerz, und erzählte ihr alles, was die Gesandtschaft Florindos
anbetraf, ja sie gab ihr sogar die kostbaren Geschenke, welche
derselbe für sie mitgebracht hatte.
, Als der Abgesandte sah, dass seine Bitten, ihm die Prinzessin
mitzugeben, vergebens waren und dass man sich begnüge, sie ihm zu
versprechen, doch so feierlich, dass er keinen Grund hatte daran zu
zweifeln, so kehrte er nach kurzer Zeit nach Hause zurück, um seinem
Herrn von dem Erfolg seiner Unterhandlungen Bericht abzustatten.
Als der Prinz erfuhr, dass er seine geliebte Sehnsuchtblüte nicht
unter drei Monaten erwarten dürfe, brach er in solche Klagen aus, dass
der ganze Hof in Besorgnis geriet; er aß und schlief nicht mehr, wurde
traurig und träumerisch, seine blühende Gesichtsfarbe erlosch, er
blieb ganze Tage auf einem Sofa in seinem Kabinett liegen und
betrachtete das Bildnis seiner Prinzessin: er schrieb ihr alle
Augenblicke und überreichte die Briefe dem Portrait, als ob es im
Stande gewesen war' sie zu lesen; endlich wurde sein Körper immer
schwächer; er verfiel in eine gefährliche Krankheit, und es fehlte
nicht an Doktoren und Gelehrten, welche die Ursache davon errieten.
Der König war in Verzweiflung, .er liebte seinen Sohn zärtlicher, als
je ein Vater den seinigen geliebt hat. Er stand auf dem Punkt ihn zu
verlieren; welcher Schmerz für einen Vater! Er sah kein Mittel,
welches den Prinzen heilen könnte; denn dieser verlangte nach
Sehnsuchtblüte, ohne welche er sterben müsse. Der König entschloss
sich also, in dieser großen Not, den König und die Königin, die Eltern
der Prinzessin Sehnsuchtblüte, zu besuchen, und sie zu beschwören, mit
dem Zustande, in welchen der Prinz gebracht sei, Mitleid zu haben, und
eine Vermahlung nicht zu verschieben, die niemals stattfinden würde,
wenn sie durchaus darauf beständen, dass die Prinzessin ihr
fünfzehntes Jahr vollendet habe.
Dieser Schritt war ungewöhnlich, aber es wäre noch sonderbarer
gewesen, wenn er einen so liebenswürdigen teueren Sohn hätte sterben
lassen. Indes es fand sich eine Schwierigkeit, die unüberwindlich war,
das war sein hohes Alter, welches ihm nicht anders als in der Sänfte
zu reisen erlaubte, und dieses Fuhrwerk passte schlecht zu der
Ungeduld seines Sohnes. Er schickte deshalb den getreuen Florindo und
schrieb die rührendsten Briefe von der Welt, um den König und die
Königin für seine Wünsche zu gewinnen.
Inzwischen empfand Sehnsuchtblüte nicht weniger Vergnügen, das Bildnis
des Prinzen zu betrachten, als er das ihrige. Sie ging alle
Augenblicke an den Ort, wo es stand und wie sorgfältig sie auch ihr
Gefühl zu verbergen suchte, so gelang ihr dies doch nicht gegen alle.
Unter andern bemerkten Viole und Langdorn, ihre Hoffräulein, die
kleine Unruhe, von welcher sie gequält wurde, recht wohl. Viole liebte
ihre Prinzessin zärtlich und war ihr treu ergeben: Langdorn hingegen
beneidete immer insgeheim den Rang und die Vorzüge derselben. Ihre
Mutter hatte die Prinzessin erzogen, war ihre Hofmeisterin gewesen und
war jetzt ihre Ehrendame: dieselbe hätte sie also wie das Köstlichste
von der Welt lieben sollen; da sie aber ihre eigne Tochter ganz
närrisch liebte, und sah, dass diese die schöne Prinzessin hasste, so
konnte sie ihr gleichfalls nicht wohlwollen.
Der Abgesandte, den man an den Hof der Prinzessin Schwarzmaul
geschickt hatte, wurde eben nicht zum besten aufgenommen, als man den
Auftrag erfuhr, mit welchem er beladen war. Diese äthiopische
Prinzessin war das rachsüchtigste Geschöpf von der Welt; sie fand, es
hieße sie sehr geringschätzig behandeln, nachdem man Verbindlichkeiten
gegen sie eingegangen, ihr sagen zu lassen, dass man für sie danke.
Sie hatte das Bildnis des Prinzen gesehen, welches ihr den Kopf ganz
eingenommen hatte, und die Äthiopierinnen, wenn sie erst lieben,
lieben weit leidenschaftlicher, als andere.
„Wie, mein Herr Gesandter“, sagte sie, „bin ich euerm Herrn nicht
reich und schön genug? Durchreist meine Staaten, so werdet ihr finden,
dass sie zu den größten der Welt gehören; kommt in meine Schatzkammer,
so werdet ihr mehr Gold sehen, als alle Minen von Peru je geliefert
haben: endlich, betrachtet die Schwärze meines Antlitzes, diese
Plattnase, diese dicken Lippen — bin ich nicht schön?"
„Gnädigste Prinzessin“, antwortete der Gesandte, welchem nicht wohl zu
Mute war, „ich tadle meinen Herrn so sehr, als es einem Untertan nur
erlaubt ist, und wenn mich der Himmel auf den ersten Thron der Welt
gesetzt hätte, so wusste ich wahrhaftig wohl, wem ich denselben
anböte."
„Diese Worte retten euch das Leben“, entgegnete die Prinzessin; „ich
hatte beschlossen, mit meiner Rache bei euch anzufangen, aber es wäre
ungerecht gewesen, da ihr an dem schlechten Benehmen eures Prinzen
nicht Schuld habt: geht und sagt ihm, dass es mir Vergnügen mache, mit
ihm zu brechen, weil ich so schlechte Leute nicht liebe."
Der Gesandte, welcher nichts mehr wünschte, als seinen Abschied, hatte
ihn kaum empfangen, als er auf der Stelle Gebrauch davon machte.
Aber die Äthiopierin war gegen den Prinzen Tapfer zu erbittert, um ihm
zu verzeihen; sie bestieg ihren Elfenbeinwagen, der von sechs Straußen
gezogen wurde, welche zehn Meilen in der Stunde machten, und begab
sich nach dem Palast der Fee der Quelle. Diese war ihre Pathe und
zugleich ihre beste Freundin; sie erzählte derselben ihr Begebnis und
bat sie auf das inständigste, ihrer Rache beizustehen.
Die Fee wurde durch den Schmerz der Prinzessin bewegt: sie sah in ihr
Zauberbuch und erkannte sogleich, dass Prinz Tapfer die Prinzessin
Schwarzmaul nur um der Prinzessin Sehnsuchtblüte willen verlasse; dass
er diese aufs heftigste liebe, und nur aus Ungeduld sie zu sehen,
sogar krank geworden sei. Diese Entdeckung entflammte aufs Neue ihren
Zorn, der beinah erloschen war, so dass, wenn die rachsüchtige
Schwarze sie nicht darum beschworen hätte, sie wahrscheinlich nicht
daran gedacht haben würde, der Prinzessin Sehnsuchtblüte, welche sie
seit ihrer Geburt nicht gesehen hatte, etwas Böses zuzufügen.
„Wie“, schrie sie, „diese unglückliche Sehnsuchtblüte hört also noch
nicht auf, mein Missfallen zu erregen? Nein, reizende Prinzessin,
nein, mein Püppchen, ich werd' es nicht dulden, dass man dir einen
Schimpf antue. Kehre nach Hause zurück und verlass dich auf deine
treue Pathe."
Die schwarze Prinzessin dankte und überreichte ihr ein Geschenk von
Blumen und Früchten, welches sie sehr freundlich aufnahm.
Der Gesandte Florindo legte in größter Eil den Weg nach der Hauptstadt
zurück, wo der Vater von Sehnsuchtblüte seinen Hof hielt; er warf sich
dem König und der Königin zu Füßen, und sagte ihnen mit weinenden
Augen in den rührendsten Ausdrücken, dass Prinz Tapfer sterbe, wenn
sie ihm noch länger das Vergnügen verweigerten, die Prinzessin, ihre
Tochter, zu sehen; es fehlten nur noch drei Monate, so sei sie
fünfzehn Jahr alt, und in einer so kurzen Zeit könne ihr nichts Böses
begegnen; er nehme sich die Freiheit zu bemerken, dass die große
Leichtgläubigkeit, welche man unbedeutenden Feen schenke, seine
königliche Majestät beleidige — genug, er redete ihnen so zu, als er
nur immer vermochte.
Man weinte mit ihm, indem man sich den traurigen Zustand vorstellte,
in welchem sich der junge Prinz befand, und sagte dann zu ihm: es
bedürfe einiger Tage, um sich zu entscheiden und ihm Antwort zu geben.
Er entgegnete jedoch, er könne nur einige Stunden Zeit lassen, denn
sein Herr befinde sich in der äußersten Gefahr, er würde sich
einbilden, die Prinzessin sei ihm abgeneigt und sie sei es, welche die
Reise aufschöbe. Man versprach ihm also, ihn schon auf den Abend
wissen zu lassen, was man für ihn tun könne.
Die Königin eilte in den Palast ihrer geliebten Tochter und erzählte
ihr alles, was sich zugetragen hatte. Sehnsuchtblüte empfand einen
unbeschreiblichen Schmerz, bekam Herzbeklemmungen und fiel in
Ohnmacht, und die Königin erkannte hieraus genug, welche Gefühle sie
für den Prinzen hege.
„Betrübe dich nicht“, mein geliebtes Kind, sagte sie zu ihr, „du
vermagst alles zu seiner Heilung, ich bin nur unruhig wegen der
Drohungen, welche die Fee der Quelle bei deiner Geburt ausgestoßen
hat."
„Ich bin überzeugt“, versetzte Sehnsuchtblüte, „bei einigen
Vorsichtsmaßregeln die boshafte Fee hintergehen zu können; könnt' ich
nicht zum Beispiel in einem ganz verschlossenen Wagen reisen, in dem
ich kein Tageslicht sähe? Man brauchte ihn nur des Nachts zu öffnen,
um uns Speisen zu reichen, so würde ich ganz ohne Gefahr zu dem
Prinzen Tapfer kommen."
Der Königin gefiel dieses Auskunftsmittel sehr wohl, sie teilte es dem
Könige mit, der es gleichfalls billigte, so dass man zu Florindo
schickte und ihn schleunigst zu sich berief. Er empfing jetzt die
gewisse Zusicherung, dass die Prinzessin früher abreisen würde; er
könne also jetzt zu seinem Herrn zurück kehren und ihm diese gute
Nachricht überbringen, und um sich noch mehr zu beeilen, so wolle man
auf die Ausstattung und die prächtigen Kleider, welche ihrem Stande
geziemten, weniger Rücksicht nehmen.
Von Freude hingerissen, warf sich der Gesandte zu den Füßen ihrer
Majestäten, um ihnen seinen Dank zu bezeigen, und reiste sodann ab,
ohne die Prinzessin gesehen zu haben.
Die Trennung von dem Könige und der Königin würde Sehnsuchtblüte
unerträglich erschienen sein, wenn sie weniger für den Prinzen
eingenommen gewesen wäre; aber die Liebe ist ein Gefühl, welches fast
alle andern überwältigt. Man baute für die Prinzessin eine Karosse,
die von außen mit grünem Sammet beschlagen und mit großen Goldplatten
verziert war und inwendig mit Silberbrokat, rosenfarbig gestickt; sie
hatte nirgends Fenster, war sehr geräumig, schloss besser als eine
Schachtel und einer der vornehmsten Herren des Königreichs hielt die
Schlüssel in Gewahrsam, welche die Schlösser öffneten, die man an die
Tore gelegt hatte.
Die Begleitung der Prinzessin bestand nur aus wenig Personen, damit
ein zahlreiches Gefolge nicht aufhalte, und nachdem man ihr die
kostbarsten Schmucksachen von der Welt, und einige sehr reiche Anzüge
mitgegeben hatte; endlich, nachdem man Abschied genommen, wobei der
König, die Königin und der ganze Hof fast in Tränen zerflossen,
verschloss man die Prinzessin nebst ihren Ehrendamen, Viole und
Langdorn, in die dunkle Karosse.
Man erinnert sich vielleicht, dass Langdorn die Prinzessin
Sehnsuchtblüte eben nicht liebte, um so mehr liebte sie aber den
Prinzen Tapfer, seit sie dessen sprechendes Portrait gesehen hatte.
Die Neigung, welche sie ergriffen, war so lebhaft, dass, als sie im
Begriff waren abzureisen, sie zu ihrer Mutter sagte, sie sterbe, wenn
die Vermählung der Prinzessin zu Stande käme, und wenn sie ihr Leben
wolle, so müsse sie durchaus ein Mittel ausfindig machen, diese Heirat
zu hintertreiben.
Die Ehrendame erwiderte ihr, sie möge sich nicht härmen, sie werde für
ihren Kummer schon ein Gegenmittel finden, welches sie glücklich
mache.
Als die Königin ihr geliebtes Kind fortschickte, empfahl sie es dieser
nichtswürdigen Frau auf das Allerdringendste. „Welchen Schatz vertraue
ich euch an“, sagte sie zu ihr, „er gilt mehr als mein Leben! Nehmt
die Gesundheit meiner Tochter recht in Acht, aber vor allem tragt die
größte Sorge, dass sie das Tageslicht nicht erblickt; sonst ist alles
verloren. Ihr wisst mit welchem Unglück sie bedroht ist und ich bin
deshalb mit dem Gesandten des Prinzen Tapfer überein gekommen,' dass
man sie bis zu ihrem vollendeten fünfzehnten Jahr in einem Schloss
wohnen lasse, wo sie kein Licht erblickt, als das der Wachskerzen."
Die Königin überhäufte die Ehrendame mit Geschenken, um ihrer Sorgfalt
dadurch noch mehr versichert zu sein, und diese versprach ihr auch,
die Prinzessin wie ihren Augapfel zu bewachen, und sobald sie
angelangt wären, ihr sogleich Nachricht zu geben.
So durften also der König und die Königin, im Vertrauen auf die
getroffenen Maßregeln, um ihre geliebte Tochter außer Sorge fein, und
dies half wenigstens den Schmerz mäßigen, den ihre Entfernung ihnen
verursachte.
Als Langdorn, die jeden Abend von den Begleitern der Prinzessin,
welche den Wagen öffneten, um ihr Speise zu reichen, hörte, dass man
sich der Stadt nähere, in welcher sie erwartet wurden, drängte sie
ihre Mutter, ihren Plan auszuführen, denn sie fürchtete, der König
oder der Prinz könne ihnen entgegenkommen und es werde dann nicht mehr
Zeit sein. Um die Mittagszeit also, als die Sonne am hellsten schien,
schnitt die Alte plötzlich mit einem großen Messer, welches sie
mitgenommen und ausdrücklich dazu hatte machen lassen, die Decke der
Karosse, in welcher sie eingeschlossen waren, von einander. Prinzessin
Sehnsuchtblüte sah nun zum ersten Mal das Tageslicht; aber kaum hatte
sie es erblickt, so stieß sie einen tiefen Seufzer aus und stürzte
sich in der Gestalt einer weißen Hindin aus dem Wagen, lies bis zum
nächsten Walde und verbarg sich an einer dunkeln Stelle, um
unbeobachtet sich ihrem Schmerz über diese Verwandlung hinzugeben.
Als die Fee der Quelle, welche diesen Streich leitete, sah, dass
sämtliche Begleiter der Prinzessin, die einen ihr folgen, die andern
in die Stadt eilen wollten, den Prinzen Tapfer von diesem
unglücklichen Ereignis zu benachrichtigen, so schien sie sogleich die
Natur gänzlich in Aufruhr zu bringen; Blitz und Donner erschreckten
die Mutigsten, und vermöge ihrer wunderbaren Kunst zerstreute sie alle
diese Leute weit fort, um sie von dem Orte zu entfernen, wo ihre
Anwesenheit ihr nicht gelegen war.
Nur die Ehrendame blieb, so wie Langdorn und Viole. Letztere lief
ihrer Gebieterin nach, rief ihren Namen und erhob ein Wehklagen, dass
Wald und Fels widerhallten. Langdorn zog nun die reichsten Kleider der
Prinzessin Sehnsuchtblüte an. Der königliche Hochzeitmantel war von
einem Reichtum ohne Gleichen und die Krone hatte Diamanten, die zwei-
oder dreimal so dick waren wie eine Faust, der Zepter war aus einem
einzigen Rubin, der Reichsapfel, welchen sie in der andern Hand hielt,
aus einer Perle, größer als ein Kopf; er war sehr schwer zu tragen,
aber die Leute sollten doch nun einmal Langdorn für die Prinzessin
halten, und so durfte sie von all' den königlichen Insignien nichts
zurücklassen.
In diesem Auszuge ging Langdorn, gefolgt von ihrer Mutter, die ihr die
Schleppe des Mantels trug, nach der Stadt. Ganz gravitätisch schritt
diese falsche Prinzessin einher; sie zweifelte nicht, man werde ihr
zum Empfang entgegen kommen, und in der Tat, sie waren noch nicht weit
gegangen, so erblickten sie einen Haufen Reiter, in deren Mitte sich
zwei Sänften befanden, die von Gold und Edelsteinen blitzten und von
Mauleseln getragen wurden, die mit hohen grünen Federbüschen
geschmückt waren (denn grün war die Lieblingsfarbe der Prinzessin).
Der König, welcher sich in der einen und der kranke Prinz, der sich in
der andern Sänfte befand, wussten nicht, für wen sie die beiden Damen
halten sollten, die auf sie zukamen. Einige Reiter sprengten ihnen
sogleich entgegen und schlössen aus dem prachtvollen Anzuge, dass es
Personen von Stande sein müssten. Sie stiegen ab, und näherten sich
ihnen ehrfurchtsvoll.
„Habt doch die Güte und lasst uns wissen“, redete Langdorn sie an,
„wer m diesen beiden Sänften ist."
„Meine Damen“, antworteten sie, „es ist der König und der Prinz, sein
Sohn, die der Prinzessin Sehnsuchtblüte entgegen kommen."
„Nun so geht, ich bitte euch“, fuhr sie fort, „und sagt ihnen, dass
sie hier ist; eine Fee, welche auf mein Glück eifersüchtig ist, hat
durch ein paar hundert Blitze, Donnerschläge und andere erstaunliche
Wunder mein ganzes Gefolge zerstreut: aber hier ist meine Ehrendame,
welche die Briefe des Königs, meines Vaters, und meinen Schmuck bei
sich tragt."
Sogleich küssten die Herren den Saum ihres Kleides und beeilten sich
dem Könige die Nachricht zu bringen, dass die Prinzessin in der Nähe
sei.
„Wie“, schrie er, „sie kommt zu Fuß, am hellen Tage?" — Der Prinz, vor
Ungeduld brennend, rief sie zu sich und statt aller andern Fragen,
sagte er zu ihnen: „Nicht wahr, sie ist ein Wunder von Schönheit, eine
Prinzessin von größter Vollkommenheit?"
Ihr Schweigen überraschte den Prinzen. „Ihr würdet mit euerm Lobe
nicht fertig werden“, fuhr er fort, „und wollt also lieber schweigen?"
„Gnädiger Herr, seht sie selbst“, entgegnete ihm der Kühnste von
ihnen; „die Anstrengungen der Reise haben sie wahrscheinlich
verändert."
Der Prinz war ganz bestürzt; wenn er weniger schwach gewesen wär', so
würde er aus seiner Sänfte gesprungen sein, um seine Ungeduld und
seine Neugier zu befriedigen. Der König verließ die seinige und, mit
dem ganzen Hofstaat sich in Bewegung setzend, traf er auf die falsche
Prinzessin. Aber kaum hatte er einen Blick auf sie geworfen, so stieß
er einen lauten Schrei aus, ging einige Schritte rückwärts und sagte:
„Was seh' ich, welcher Betrug?"
„Gnädiger Herr“, sagte die Ehrendame, kühn auf ihn zuschreitend, „dies
ist die Prinzessin Sehnsuchtblüte mit den Briefen des Königs und der
Königin, ich gebe sie mit dem Schmuckkästchen, welches mir bei der
Abreise übergeben wurde, in eure Hände."
Der König betrachtete bei dem allen ein tiefes Schweigen; jetzt
näherte sich der Prinz, auf Florindo gestützt, seiner falschen Braut.
O Himmel, wie wurde ihm, als er dieses Geschöpf betrachtete, deren
Wuchs furchterregend war. Sie war so groß, dass die Kleider der
Prinzessin ihr kaum die Knie bedeckten; ihre Magerkeit war
entsetzlich, ihre Nase, gekrümmter als die eines Papageis, funkelte
von einem glänzenden Roth, die Zähne standen ganz schief und
schwärzere konnte es gar nicht geben; mit einem Wort, sie war grade so
hässlich, als Prinzessin Sehnsuchtblüte schön war.
Der Prinz, ganz beschäftigt mit dem reizenden Bilde seiner Prinzessin,
war wie versteinert bei dem Anblick dieser hier; er war nicht im
Stande nur ein Wort hervorzubringen, er sah sie mit unbeschreiblichem
Erstaunen an und sagte dann, sich zum Könige wendend: „Ich bin
betrogen; dieses wundervolle Portrait, auf welches ich meine Freiheit
hingab, hat nichts von der Person, die man uns schickt; man hat uns zu
täuschen gesucht und es ist ihnen gelungen; es wird mein Leben
kosten."
„Wie meint ihr das, mein Herr“, sagte Langdorn, „man hat euch zu
täuschen gesucht? das wird nie der Fall sein, wenn ihr mich heiratet."
Ihre Unverschämtheit und ihre Kühnheit waren beispiellos. Aber die
Ehrendame trieb es noch weiter: „Ha, meine schöne Prinzessin“, rief
sie, „wo sind wir hingekommen! Empfängt man so eine Dame eures
Standes? Welche Unbeständigkeit, welches Benehmen! Der König, euer
Vater, wird schon Rechenschaft dafür fordern —
„An uns ist es, sie zu fordern“, unterbrach sie der König, „er hatte
uns eine schöne Prinzessin versprochen und schickt uns ein Skelett,
eine Mumie, die Furcht einjagt. Ich wundere mich nicht, dass er diesen
schönen Schatz fünfzehn Jahr lang verborgen gehalten hat, er wollte
einen Betrug damit spielen und uns hat dies Loos getroffen; aber es
ist nicht unmöglich, dafür Rache zu nehmen."
„Welche Beleidigungen“, rief die falsche Prinzessin, „bin ich nicht
sehr unglücklich, auf das Wort solcher Leute gekommen zu sein? Ist das
ein so großes Vergehen, ein wenig schöner als man ist, gemalt worden
zu sein? Begegnet das nicht alle Tage? Wenn in solchen Fällen die
Prinzen ihre Verlobten immer zurückschicken wollten, so würden sich
wenige verheiraten."
Der König und der Prinz von Zorn überwältigt, würdigten sie keiner
Antwort, stiegen jeder in seine Sänfte und ohne weiteres setzte ein
Reiter die Prinzessin hinter sich aufs Pferd und die Ehrendame wurde
in gleicher Weise behandelt. So brachte man sie in die Stadt, wo sie
auf Befehl deS Königs in ein Schloss eingesperrt wurden.
Prinz Tapfer war von dem Schlage, der ihn getroffen hatte, so
niedergedrückt, dass er seinen Kummer ganz in sich selbst verschloss.
Als er Kraft genug hatte, in Klagen auszubrechen, was sagte er nicht
alles über sein grausames Geschick! Er liebte noch immer, und der
ganze Gegenstand seiner Neigung war nur ein Bildnis! Seine Hoffnungen
fanden keine Nahrung mehr, alle die reizenden Vorstellungen, die er
sich von der Prinzessin Sehnsuchtblüte gemacht hatte, waren
vernichtet; lieber wär' er gestorben, als dass er die, welche er dafür
hielt, geheiratet hätte: genug, seine Verzweiflung war grenzenlos; er
könnt' es nicht mehr bei Hofe aushalten, und entschloss sich, sobald
es seine Gesundheit erlauben würde, ihn heimlich zu verlassen und sich
an irgend einen einsamen Ort zu begeben, um den Rest seines traurigen
Lebens daselbst zuzubringen.
Er teilte seinen Entschluss Niemanden mit, als dem getreuen Florindo,
von dem er überzeugt war, dass er ihm überall hin folgen würde und mit
welchem er auch öfter, als mit jedem Andern über den schlechten
Streich sprach, den man ihm gespielt hatte.
Kaum fing er an sich stärker zu fühlen, so reiste er ab und ließ auf
dem Tisch seines Kabinetts einen langen Brief an den König zurück, in
welchem er ihn versicherte, sobald sein Geist ein wenig ruhiger sei,
werde er zu ihm zurückkehren; er bitte ihn zugleich, an ihre
gemeinschaftliche Rache zu denken, und die hässliche Prinzessin
fortdauernd gefangen zu halten.
Man kann sich eine Vorstellung von dem Schmerz machen, welchen der
König empfand, als er diesen Brief empfing; er glaubte die Trennung
von einem so geliebten Sohn nicht überstehen zu können. Während alle
Welt damit beschäftigt war, ihn zu trösten, entfernten sich der Prinz
und Florindo und nach Verlauf von drei Tagen befanden sie sich in
einem weiten Walde, der durch die hohen dichtbelaubten Bäume so
schattig war, wie durch das frische Gras und die Bäche, die ihn nach
allen Seiten durchflössen, anmutig. Der Prinz, durch den langen Weg
ermüdet, denn er war noch immer krank, stieg vom Pferde und warf sich
traurig aufs Gras, die Hand unter dem Kopf, ohne sprechen zu können,
so schwach war er.
„Gnädiger Herr“, sagte Florindo, „während ihr euch ausruht, will ich
einige Früchte suchen, um uns zu erfrischen und ein wenig die Gegend
betrachten, in der wir sind."
Der Prinz antwortete nicht, sondern gab ihm nur durch ein Zeichen die
Erlaubnis zu gehen.
Wir haben die Hindin schon lange verlassen und wollen nun von dieser
unvergleichlichen Prinzessin reden. Als sie ihre jetzige Gestalt in
einer Quelle betrachtete, die ihr als Spiegel diente, weinte sie
trostlos. „Wie, bin ich es?“, sagte sie; „musste ich heut' das
traurigste Geschick erleben, welches nur immer unter der Herrschaft
der Feen einer so unschuldigen Prinzessin begegnen kann! Wie lange
wird meine Verwandlung dauern? Wohin soll ich mich zurückziehen, dass
mich die Löwen, die Bären, die Wölfe nicht verschlingen? Wie kann ich
Gras essen?" Sie tat noch tausend Fragen und der grausamste Schmerz,
den man sich nur denken kann, zerriss ihr Herz. Nur ein geringer Trost
konnte es sein, dass sie eine so schöne Hindin war, als sie eine
schöne Prinzessin gewesen.
Der Hunger trieb Sehnsuchtblüte, Gras zu essen und es schmeckte ihr,
worüber sie nicht wenig erstaunt war. Darauf legte sie sich aufs Moos
nieder und brachte die Nacht in Angst und Schrecken zu. Sie hörte das
Geheul der wilden Tiers in ihrer Nähe, und oft vergaß sie, dass sie
eine Hindin war und wollte auf einen Baum klettern. Der Anbruch des
Tages gab ihr wieder etwas Mut; sie bewunderte seine Schönheit, und
die Sonne schien ihr etwas so Herrliches, dass sie nicht müde wurde,
sie anzublicken; alles, was sie davon hatte sagen hören, schien ihr
weit unter dem, was sie sah; sie war der einzige Trost, den sie an
einem so verlassenen Ort finden konnte. So blieb sie hier nun mehrere
Tage ganz allein.
Die Fee Tulipane, welche die Prinzessin immer geliebt hatte, empfand
lebhaftes Mitgefühl bei ihrem Unglück; aber sie war auch sehr erzürnt,
dass die Königin so wie Sehnsuchtblüte ihre Ratschläge so wenig
beachtet hatten, denn sie hatte ihnen öfter gesagt, wenn die
Prinzessin, ehe sie fünfzehn Jahr alt wär', das Schloss verließe, so
würde es ihr schlimm ergehen. Dessen ungeachtet wollte sie dieselbe
dennoch nicht der Wut der Fee der Quelle überlassen und sie war es,
welche die Schritte Violens in diesen Wald lenkte, damit diese treue
Vertraute sie in ihrem Missgeschick trösten könne.
Die schöne Hindin weidete entlang eines Baches, als Viole, die fast
nicht mehr gehen konnte, sich niedersetzte, um auszuruhen. Sie sann
betrübt, nach welcher Seite sie wohl gehen solle, um ihre geliebte
Prinzessin zu finden. Als die Hindin sie bemerkte, sprang sie
plötzlich über den tiefen und breiten Graben auf Violen zu und erwies
ihr tausend Liebkosungen. Diese war ganz überrascht, sie wusste nicht,
was sie denken solle, ob die Tiere dieser Gegend vielleicht eine
besondere Freundschaft zu Menschen hätten, oder ob sie sie kenne; doch
immer blieb das Benehmen des Tieres sehr merkwürdig.
Als sie jedoch die Hindin aufmerksam betrachtete und zu ihrem
unbeschreiblichen Erstaunen große Tränen aus ihren Augen rollen sah,
zweifelte sie nicht mehr, dass es ihre teure Prinzessin sei. Sie nahm
die Fuße und küsste sie so ehrfurchtsvoll und zärtlich, als ob sie
ihre Hände geküsst hätte. Sie sprach zu ihr, und erkannte, dass die
Hindin sie verstehe, aber antworten konnte sie ihr nicht, und beider
Tränen und Seufzer verdoppelten sich. Viole versprach ihrer Herrin sie
nicht zu verlassen; die Hindin machte ihr tausend kleine Zeichen mit
Kopf und Augen, die ihr sagten, welches Vergnügen sie darüber
empfinde, und wie sehr ihr Kummer dadurch gelindert werde.
Sie blieben fast den ganzen Tag bei einander. Die Prinzessin, besorgt,
dass ihre treue Viole Hunger leide, führte sie an eine Stelle, wo sie
wilde Früchte in Menge bemerkt hatte. Viole nahm einige davon, aber
nachdem sie gegessen hatte, denn sie starb fast vor Hunger, verfiel
sie in eine große Unruhe, da sie nicht wusste, wohin sie sich
zurückziehen sollten, um zu schlafen; denn mitten im Walde zu bleiben,
allen den Gefahren ausgesetzt, die sie treffen konnten, dazu konnte
sie sich unmöglich entschließen. „Fürchtet ihr euch die Nacht hier
zuzubringen, meine reizende Hindin?“, sagte sie.
Die Hindin hob die Augen zum Himmel auf und seufzte. „Aber“, fuhr
Viole fort, „ihr seid ja schon einen Teil dieses wüsten Waldes
durchlaufen, gibt es nirgends hier ein Haus, einen Holzschläger, einen
Köhler, eine Einsiedelei?"
Die Hindin antwortete durch eine Kopfbewegung, sie habe nichts davon
gesehn.
„O Himmel!“, schrie Viole, „so werde ich morgen nicht mehr am Leben
sein; denn wenn ich auch so glücklich sein sollte, den Tigern und den
Bären zu entgehen, so bin ich doch gewiss, dass die Furcht allein mich
tötet. Glaubt übrigens nicht, meine teure Prinzessin, dass ich um
meinetwillen meinen Tod beklage, nein, ich beklage ihn um euretwillen.
Ach, euch an diesem jedes Trostes beraubten Aufenthalt zu lassen, kann
es etwas Traurigeres geben?"
Die kleine Hindin brach in Tränen aus und schluchzte fast wie ein
Mensch.
Ihre Tränen rührten die Fee Tulipane, welche sie zärtlich liebte;
trotz ihres Ungehorsams hatte sie beständig über ihr Schicksal
gewacht, und indem sie plötzlich zum Vorschein kam, sagte sie zu ihr:
„Ich will euch nicht schelten, denn der Zustand, in welchem ich euch
sehe, macht mir zu viel Kummer."
Die Hindin und Viole unterbrachen sie, indem sie sich zu ihren Füßen
warfen: die erstere küsste ihr die Hände und liebkoste sie auf das
anmutigste von der Welt; die andere beschwor sie Mitleid mit der
Prinzessin zu haben und ihr ihre natürliche Gestalt wieder zu geben.
„Das hängt nicht von mir ab“, versetzte Tulipane, „die, welche ihr ein
so großes Unglück zugefügt hat, ist mächtiger als ich; aber ich will
die Zeit ihrer Buße verkürzen, und um sie zu erleichtern, soll sie
immer beim Anbruch der Nacht die Gestalt einer Hindin verlassen, doch
früh mit Tagesanbruch muss sie sie wieder annehmen, und gleich den
andern Tieren, die Ebenen und Wälder durchstreifen."
Die Tiergestalt während der Nacht ablegen zu dürfen,' war schon viel
und die Prinzessin bewies ihre lebhafte Freude durch Hüpfen und
Springen, was Tulipanen gleichfalls viel Freude machte. „Geht jetzt“,
sagte sie zu ihnen, „auf diesem schmalen Fußsteig fort, so werdet ihr
zu einem Häuschen kommen, welches für diese Gegend artig genug ist."
Mit diesen Worten verschwand sie.
Viole gehorchte; sie ging mit der Prinzessin Hindin den bezeichneten
Weg und auf der Türschwelle fanden sie eine alte Frau sitzen, die
einen Korb von feinen Weidenruten flocht. Viole grüßte sie und fragte:
„Gute Mutter, möchtet ihr mich wohl nebst meiner Hindin bei euch
aufnehmen? Wir bedürfen nichts weiter als ein Kämmerchen."
„Ja, mein schönes Kind“, antwortete sie, „ich will euch gern hier eine
Zuflucht gewähren, kommt nur herein mit eurer Hindin."
Sie führte sie sogleich in ein sehr niedliches Kämmerchen, getäfelt
mit Vogelkirschbaumholz; zwei Betten standen darin mit weißem Linnen
und seinen Decken, und alles war so einfach und sauber, dass die
Prinzessin seit lange nichts so nach ihrem Geschmack fand.
Kaum war die Nacht völlig hereingebrochen, so nahm Sehnsuchtblüte ihre
menschliche Gestalt wieder an; sie umarmte hundertmal ihre teure
Viole, dankte ihr für die Treue, die sie ihr in ihrem Missgeschick
bewiesen habe, und versprach, wenn die Zeit der Verwandlung vorüber
sei, sie so glücklich als möglich zu machen.
Die Alte kam und klopfte sacht an ihre Tür, und ohne einzutreten,
reichte sie Violen einige schmackhafte Früchte, welche die Prinzessin
mit großem Appetit verzehrte, worauf sie sich schlafen legten. Kaum
brach der Tag an, so verwandelte sich Sehnsuchtblüte wieder in eine
Hindin und kratzte an der Tür, damit Viole ihr öffne. Sie empfanden
den lebhaftesten Schmerz, sich von einander zu trennen, obgleich es
nur für kurze Zeit war. Die Prinzessin Hindin stürzte sich in das
tiefste Dickicht des Waldes und fing dort an, nach ihrer Weise
umherzulaufen.
Es ist schon gesagt, dass Prinz Tapfer in dem Walde geblieben war und
dass Florindo nach einigen Früchten umherlief. Es war ziemlich spät,
als er zu dem Häuschen der guten Alten gelangte, von der bereits
erzählt ist. Er sprach sie höflich an und bat sie um das, was er für
seinen Herrn bedurfte. Sie beeilte sich, einen Korb damit anzufüllen,
gab ihm denselben und sagte: „ich fürchte, wenn ihr die Nacht draußen
im Freien zubringt, dass euch irgend ein Unfall begegne; ich biete
euch deshalb bei mir einen Zufluchtsort an, der zwar ärmlich genug
ist, aber wenigstens vor den wilden Tieren Schutz gewährt."
Er dankte ihr verbindlich und antwortete, es sei noch einer seiner
Freunde mit ihm, dem wolle er gleichfalls vorschlagen, hierher zu
kommen. In der Tat wusste er den Prinzen dahin zu überreden, dass er
sich zu dieser guten Frau führen ließ. Sie stand noch vor ihrer Tür
und ohne alles Geräusch führte sie Beide in eine Kammer, die
derjenigen, welche die Prinzessin einnahm, ganz gleich und nur durch
eine Bretterwand von ihr getrennt war. Der Prinz brachte die Nacht in
seiner gewöhnlichen Unruhe zu; kaum vergoldeten die ersten Strahlen
der Sonne sein Fenster, so stand er auf, und um seinen Trübsinn zu
zerstreuen, ging er in den Wald, ohne jedoch Florindo mitzunehmen.
Er strich lange Zeit umher, ohne irgend einen bestimmten Weg zu
nehmen; endlich gelangte er auf einen ziemlich geräumigen Platz, der
mit Bäumen und Moos bedeckt war; in dem nämlichen Augenblick stürzte
eine Hindin daraus hervor. Er konnte sich nicht enthalten, ihr zu
folgen, denn er liebte die Jagd leidenschaftlich, obgleich nicht» mehr
in dem Grade, seit die Neigung für die Prinzessin Sehnsuchtblüte sein
Herz einnahm. Dessen ungeachtet verfolgte er die arme Hindin und von
Zeit zu Zeit schickte er ihr einen Pfeil nach. Sie starb fast vor
Furcht, obgleich sie nicht getroffen wurde, denn ihre Freundin
Tulipane schützte sie, und freilich bedurfte es auch eines nicht
geringeren Beistandes, als der hilfreichen Hand einer Fee, um sie vor
der Geschicklichkeit des Prinzen zu retten. Man konnte nicht müder
sein, als es die arme Prinzessin war; die Anstrengung, welche sie
machte, war ihr etwas ganz Ungewohntes. Endlich gewann sie einen
Fußsteig so glücklich, dass der gefährliche Jäger sie aus dem Gesicht
verlor, welcher, obgleich selbst bis, aufs Äußerste erschöpft, ihre
Verfolgung dennoch nicht aufgab.
So ging der Tag hin; die Hindin sah mit Freude die Stunde ihrer
Heimkehr nahen und richtete ihre Schritte nach dem Häuschen, wo Mole
sie mit Ungeduld erwartete. Kaum befand sie sich in ihrer Kammer, so
warf sie sich Atemlos auf das Bett, wie in Wasser gebadet. Viole
erwies ihr tausend Liebkosungen, und hatte die größte Sehnsucht zu
erfahren, was ihr begegnet sei. Die Stunde der Verwandlung war
gekommen, die schöne Prinzessin nahm ihre natürliche Gestalt wieder
an, schlang den Arm um den Hals ihrer treuen Dienerin und sagte: „Ach!
ich glaubte, nur die Fee der Quelle und die grausamen Tiere des Waldes
fürchten zu dürfen, aber heute bin ich durch einen jungen Jäger
verfolgt worden, den ich kaum einmal ansehen konnte, so sehr war ich
mit der Flucht gedrängt. Tausend Pfeile, die er nach mir absandte,
bedrohten mich mit einem unvermeidlichen Tode und durch welches
besondere Glück ich gerettet worden bin, ist mir noch unbegreiflich."
„Ihr müsst nicht mehr ausgehen, meine teure Prinzessin“, versetzte
Viole; „bringt die verhängnisvolle Zeit eurer Verwandlung in dieser
Kammer zu, ich will in die nächste Stadt gehen, um Bücher zu eurer
Unterhaltung einzukaufen."
„Ach! meine teure Viole“, entgegnete die Prinzessin, „der Gedanke an
den Prinzen Tapfer würde allein hinreichen, mich angenehm zu
beschäftigen; aber dieselbe Macht, die mich zwingt während des Tages
die traurige Gestalt einer Hindin anzunehmen, nötigt mich auch wider
meinen Willen alles zu tun, was der Natur dieser Tiere gemäß ist: ich
laufe, ich springe und esse Kraut wie sie; zu der Zeit würde mir der
Aufenthalt in einer Kammer unerträglich sein." Sie war von der Jagd so
erschöpft, dass sie nur schleunig zu essen verlangte und darauf
schlössen sich ihre schönen Augen bis zum Aufgang der Sonne. Kaum
brach der Tag an, so ging die gewöhnliche Verwandlung vor sich und sie
kehrte in den Wald zurück.
Der Prinz seinerseits war auf den Abend wieder zu Florindo
zurückgekehrt. ,/Ich habe die Zeit damit zugebracht“, erzählte er ihm,
„der schönsten Hindin nachzulaufen, die ich jemals gesehen habe. Sie
hat mich hundertmal mit einer bewunderungswürdigen Gewandtheit
getäuscht; ich habe alle Geschicklichkeit aufgeboten, sie zu treffen
und ich begreife nicht, wie sie meinen Pfeilen entgangen ist. Ich will
sie gleich mit Tagesanbruch noch einmal aufsuchen und diesmal gewiss
nicht verfehlen." In der Tat begab sich dieser junge Prinz, der aus
seinem Herzen eine Vorstellung verbannen wollte, die er für ein
Luftgespinst hielt und der sich deshalb seiner Neigung zur Jagd gern
hingab, an den nämlichen Platz, wo er die Hindin gefunden hatte, aber
sie hütete sich wohl, dahin zu kommen, denn sie fürchtete ein
ähnliches Abenteuer wie gestern. Er warf die Augen nach allen Seiten,
strich lange Zeit umher und bemerkte, als er müde und erhitzt war, mit
Vergnügen einige Äpfel, deren schönes Aus sehn ihn reizte; er
pflückte, aß davon und fiel bald darauf in einen tiefen Schlaf,
hingestreckt auf frisches Gras, unter Bäumen, die durch den anmutigen
Gesang von tausend Vögeln belebt wurden.
Während er schlief, kam unsre furchtsame Hindin, welche die einsamsten
Stellen aufsuchte, auch dahin, wo er sich befand. Hätte sie ihn früher
bemerkt, so würde sie die Flucht ergriffen haben, aber sie stand so
nahe bei ihm, dass sie sich nicht enthalten konnte, ihn anzublicken
und sein Schlummer gab ihr so viel Mut, dass sie sich Zeit nahm, alle
seine Züge aufmerksam zu betrachten. O Himmel! wie ward ihr, als sie
ihn wieder erkannte! ihrer Seele schwebte das reizende Bild des
Prinzen zu lebendig vor, um es in so kurzer Zeit vergessen zu haben.
„O Liebe, Liebe, was beginnst du? soll ich dem Schicksal ausgesetzt
sein, mein Leben durch die Hand des Geliebten zu verlieren? Ja, dieses
Schicksal erwartet mich, es gibt kein Mittel mehr für meine
Sicherheit."
Sie legte sich einige Schritte von ihm nieder und ihre Augen, von
seinem Anblick entzückt, konnten sich nicht wieder von ihm abwenden;
sie seufzte tief auf und, kühner geworden, kam sie ihm näher und
berührte ihn endlich, so dass er davon aufwachte. Sein Erstaunen war
unbeschreiblich, er erkannte die nämliche Hindin, die ihn so außer
Atem gesetzt und die er so lange Zeit vergebens verfolgt hatte; es war
ihm daher höchst überraschend, sie jetzt so zutraulich zu finden. Sie
wartete nicht erst ab, dass er einen Versuch mache, sie zu fangen,
sondern floh mit aller ihrer Kraft und er folgte ihr mit aller der
seinigen. Von Zeit zu Zeit hielten sie an, um Atem zu schöpfen, denn
die schöne Hindin war noch von dem gestrigen Wettlauf müde, und der
Prinz war es nicht minder: aber was die Flucht der Hindin am meisten
verzögerte, war ihr Kummer, sich von Dem zu entfernen, der doch ihr
ganzes Herz besaß. Er bemerkte, wie sie öfters den Kopf nach ihm
umwendete, als wolle sie ihn fragen, ob er wünsche, dass sie unter
seinen Pfeilen sterbe; und sobald er auf dem Punkt war, sie zu
erreichen, machte sie neue Anstrengungen, um sich zu retten.
„Ach! wenn du mich verstehen könntest, reizendes Geschöpf“, rief er
ihr nach, „so würdest du nicht vor mir fliehen; ich habe dich lieb,
ich will dich ernähren, ich will Sorge für dich tragen!“, aber seine
Worte verhallten in der Luft, ohne dass sie bis zu ihr gelangten.
Endlich, nachdem sie den ganzen Wald durchlaufen waren und unsere
Hindin nicht mehr fort konnte, wurden ihre Schritte langsamer und der
Prinz, welcher die seinigen verdoppelte, erreichte sie mit einer
Freude, deren er sich nicht mehr für fähig gehalten hatte. Sie hatte
alle ihre Kräfte verloren, lag da halb tot und erwartete nichts
Anderes als ihr Leben unter den Händen ihres Siegers zu endigen; aber
anstatt ihr irgend ein Leid zuzufügen, fing der Prinz an sie zu
liebkosen.
„Schöne Hindin“, sagte er zu ihr, „sei ohne Furcht, ich will dich mit
mir führen und du sollst mir überall hin folgen." — Er schnitt einige
Zweige ab, flocht sie geschickt ineinander, bedeckte sie mit Moos und
warf Rosen darauf, die an den Gebüschen umher wuchsen, darauf nahm er
die Hindin in seine Arme, stützte ihren Kopf an seinen Hals und legte
sie sanft auf die Zweige. Dann setzte er sich neben sie und suchte von
Zeit zu Zeit einige feine Kräuter, die er ihr darreichte und die sie
aus seiner Hand aß. Der Prinz fuhr fort mit ihr zu reden, obgleich er
überzeugt war, dass sie ihn nicht verstehe; aber welches Vergnügen sie
auch empfand, ihn in ihrer Nähe zu sehen, so wurde sie doch unruhig,
weil sich die Nacht näherte. „Wie“, sagte sie bei sich selbst, „wenn
er mich plötzlich in meiner natürlichen Gestalt erblickte!"
Sie dachte nur darauf, auf welche Art sie immer könnte, sich zu
retten, als er ihr selbst das Mittel dazu darbot; denn da er
fürchtete, sie könne Durst haben, so ging er irgend eine Quelle
aufzusuchen, um sie dahin zu führen. Während er nun danach suchte,
sprang sie rasch auf und eilte nach Hause, wo Viole sie erwartete. Sie
warf sich auf ihr Bett, die Nacht kam, die Verwandlung hörte auf und
sie erzählte ihr Abenteuer.
„Würdest du glauben, meine teure Viole“, sagte sie zu derselben, „dass
Prinz Tapfer sich in diesem Walde befindet? Er ist es selbst, der mich
seit zwei Tagen gejagt, der mich gefangen und mir tausend Liebkosungen
erwiesen hat. Ach! das Bildnis, welches man mir von ihm gebracht hat,
erreicht ihn nicht, er ist hundertmal schöner; die Wildheit, welche
man so oft an Jägern bemerkt, entstellt sein Antlitz nicht, welches
voller Güte ist und von einem Liebreiz, den ich dir nicht beschreiben
kann. Wie unglücklich bin ich nicht, dass mich das Schicksal zwingt,
diesen Prinzen zu fliehen, ihn, der mir durch meine Eltern zum Gemahl
bestimmt ist, ihn, der mich liebt und den ich wieder liebe! — Ja, eine
boshafte Fee muss an dem Tage der Geburt einen Hass gegen mich gefasst
haben, dass alle Hoffnungen meines Lebens zerstört werden!"
Sie brach in Tränen aus und Viole tröstete sie mit der Aussicht, dass
sich in kurzer Zeit ihr Kummer in Freude verwandeln könne.
Kaum hatte der Prinz eine Quelle entdeckt, so kehrte er zu seiner
geliebten Hindin zurück, aber er fand sie nicht mehr an der Stelle, wo
er sie gelassen hatte. Vergebens suchte er überall nach ihr und war so
gegen sie erzürnt, als hätte er Verstand bei ihr voraussetzen dürfen.
„Wie!“, rief er aus, „ich soll also immer nur Ursache finden, mich
über dieses trügerische und ungetreue Geschlecht zu beklagen?" —
Schwermütig kehrte er zu der guten Alten zurück: er erzählte seinem
Vertrauten das Abenteuer mit der Hindin und beschuldigte dieselbe der
Undankbarkeit. Florindo konnte sich nicht enthalten, über den Zorn des
Prinzen zu lächeln und riet ihm, die Hindin, wenn er ihr wieder
begegne, zu bestrafen.
„Deswegen bleib' ich auch nur noch hier“, antwortete der Prinz; „wir
reisen dann sogleich weiter."
Der Tag brach an und mit ihm nahm die Prinzessin wieder die Gestalt
einer weißen Hindin an. Sie wusste nicht, zu was sie sich entschließen
sollte; sollte sie die nämlichen Stellen besuchen, auf welchen sich
der Prinz gewöhnlich einfand, oder sollte sie einen entgegengesetzten
Weg einschlagen, um ihm zu entgehen? Sie wählte das Letztere und
entfernte sich ziemlich weit; aber der junge Prinz, welcher eben so
schlau war^vie sie, tat das Nämliche, da er diese kleine List von ihr
vermutete, und so kam es, dass er sie in dem tiefsten Dickicht des
Waldes entdeckte.
Sie war dort ganz sorglos, als sie ihn plötzlich gewahr wurde;
sogleich sprang sie auf und über die Büsche hinweg und als ob sie ihn
wegen des Streiches, den sie ihm gestern Abend gespielt hatte, noch
mehr gefürchtet hätte, floh sie leichter als der Wind. Aber in dem
Augenblick, als sie über einen Fußsteig setzte, nahm er sie so wohl
aufs Korn, dass er sie mit einem Pfeil am Schenkel verwundete. Sie
empfand einen heftigen Schmerz und da sie keine Kraft mehr zu fliehen
hatte, stürzte sie nieder.
Dieses traurige Ereignis war unvermeidlich, denn die Fee der Quelle
hatte daran die Lösung ihres Geschickes geknüpft.
Der Prinz näherte sich und war schmerzlich betrübt, als er das Blut
der Hindin fließen sah; er nahm Kräuter, legte sie auf die Wunde, um
das Blut zu stillen und bereitete ihr wiederum ein Lager von Zweigen.
Er hielt den Kopf der Hindin auf seinen Knien und sagte zu ihr:
„Kleiner Schelm, bist du nicht selber Schuld an dem, was dir begegnet
ist? was hatte ich dir gestern getan, um mich zu verlassen? Ich werde
heul' nichts Anderes tun, als dich mit mir führen.
Die Hindin erwiderte nichts und was hätte sie auch sagen können? Der
Prinz erwies ihr tausend Liebkosungen. „O wie leid tut es mir“, sagte
er, „dich verwundet zu haben! du hassest mich und ich wünsche, du
liebtest mich."
Endlich war es Zeit zu seiner alten Wirtin zurück zu kehren und er
belud sich deshalb mit seiner Beute, die ihm jedoch nicht wenig zu
schaffen machte, denn bald musste er sie tragen, bald führen, ja,
zuweilen auch mit Gewalt fortziehen. Sie hatte durchaus keine Lust,
mit ihm zu gehen; „was soll aus mir werden?“, sagte sie bei sich.
„Nein, lieber will ich sterben, als mich später ganz allein mit dem
Prinzen befinden."
Sie machte sich daher so schwer, als sie nur immer konnte; er war von
dieser Anstrengung wie gebadet und obgleich er nicht mehr weit bis zu
dem Häuschen der Alten hatte, so sah er doch, dass er ohne fremden
Beistand nicht dahin gelangen könne. Er beschloss also, seinen treuen
Florindo zu holen; doch bevor er seine Beute verließ, band er sie aus
Furcht, sie könne ihm zum zweiten Mal entfliehen, mit einigen Bändern
an einem Baumstamm fest. Ach, wer hätte denken können, dass die
schönste Prinzessin der Welt eines Tages durch einen Prinzen, der sie
anbetete, so behandelt werden würde? Sie bemühte sich vergebens, die
Bänder zu zerreißen, aber ihre Anstrengungen knüpften sie nur noch
fester und sie war nahe daran, sich mit einer Schlinge, welche er
unglücklicherweise gemacht hatte, zu erwürgen, als Viole, die es
überdrüssig war, den ganzen Tag in ihrer Kammer eingeschlossen zu
sein, hinaus ging, um ein wenig Luft zu schöpfen und an den Ort kam,
wo die weiße Hindin sich vergebens anstrengte. Wie ward ihr, als sie
ihre teure Gebieterin erblickte! sie eilte, was sie nur konnte, sie
aus dieser Lage zu erlösen, aber die Bänder waren mehrfach verknüpft
und eben als sie die Hindin fortführen wollte, kam der Prinz mit
Florindo herbei.
„Welche Ehrfurcht ich immer vor euch habe“, redete der Prinz sie an,
„so muss ich mich doch dem Diebstahl widersetzen) den ihr an mir
begehen wollt; ich habe diese Hindin verwundet, sie ist mein, ich
liebe sie und bitte euch, sie mir zu überlassen."
„Mein Herr“, entgegnete Viole artig, „diese Hindin hier hat mir eher
gehört, als euch, ich würde auf der Stelle lieber mein Leben lassen,
als sie und wenn ihr sehen wollt, wie sie mich kennt, so bitte ich
euch, ihr nur ein wenig Freiheit zu lassen. Frisch, mein kleines
Weißchen“, sagte sie, „umarme mich"; die Hindin warf sich an ihren
Hals. „Küss mir die rechte Wange"; sie gehorchte. „Berühr mein Herz";
sie legte den Fuß darauf; „seufze"; sie seufzte.
Der Prinz konnte nicht mehr an dem zweifeln, was Viole ihm gesagt
hatte; „ich gebe sie euch zurück“, sagte er gütig, „aber ich gestehe,
dass es nicht ohne Kummer geschieht." Viole entfernte sich sogleich
mit ihrer Hindin. Sie wussten nicht, dass der Prinz in einem Hause mit
ihnen wohne; er folgte ihnen von weitem und war überrascht, sie bei
der alten Frau eintreten zu sehen. Er traf nur um weniges später ein
und in einer Anwandlung von Neugier, welche die weiße Hindin erregt
hatte, fragte er die Alte, wer diese junge Person sei, welcher die
Hindin angehöre.
Sie erwiderte ihm, sie kenne sie nicht; sie habe sie mit ihrer Hindin
bei sich aufgenommen, die Fremde bezahle gut und lebe in großer
Einsamkeit. Florindo erkundigte sich, wo ihr Zimmer sei und sie
antwortete ihm, es liege ganz nahe an dem seinigen und sei nur durch
eine Bretterwand davon getrennt.
Als sich der Prinz auf seinem Zimmer befand, sagte Florindo zu ihm, er
müsse sich gänzlich täuschen oder dieses Mädchen habe der Prinzessin
Sehnsuchtblüte gehört und er habe sie während seiner Gesandtschaft
dort im Palast gesehen.
„Welche traurige Erinnerungen ruft ihr mir da zurück“, rief der Prinz,
„und durch welchen Zufall sollte sie sich hier befinden?"
„Das weiß ich allerdings nicht, mein Prinz“, erwiderte Florindo, „aber
ich bin begierig, sie noch einmal zu sehen, und da uns nur eine
einfache Bretterwand trennt, so will ich ein Loch darein machen."
„Das ist gewiss eine vergebliche Neugier“, sagte traurig der Prinz,
denn die Worte Florindo's hatten seinen ganzen Schmerz erneuert. Er
öffnete das Fenster, sah in den Wald hinaus und überließ sich seinen
Gedanken; inzwischen ging Florindo ans Werk und hatte bald ein Loch zu
Stande gebracht, welches groß genug war, um die reizende Prinzessin zu
erblicken.
Sie war in ein Gewand von Silberstoff gekleidet, in welches purpurrote
Blumen, mit Gold und Diamanten besetzt, eingewebt waren; ihr Haar fiel
in langen Locken über den schönsten Nacken von der Welt, ein sanftes
Roth durchschien ihre Wangen und das Feuer ihrer Augen war bezaubernd.
Viole lag auf Knien vor ihr und verband ihr den Arm, aus welchem das
Blut heftig floss. Sie schienen alle Beide sehr in Verlegenheit wegen
dieser Wunde. „Lass mich sterben“, sagte die Prinzessin, „der Tod wird
mir angenehmer sein, als das beklagenswerte Leben, welches ich führe.
Wie, den Tag über eine Hindin zu sein, Den zu sehen, dem ich bestimmt
bin, ohne ihn sprechen, ohne ihm mein verhängnisvolles Abenteuer
mitteilen zu können? Ach, wenn du wüsstest, was er mir alles Rührendes
in meiner Verwandlung gesagt hat, wie liebevoll der Klang seiner
Stimme ist, wie edel und anmutig sein Benehmen, du würdest mich noch
weit mehr beklagen, als jetzt, dass ich nicht im Stande bin, ihm mein
Geschick zu entdecken."
Man kann sich leicht das Erstaunen Florindo's denken, als er alles
dies sah und hörte; er lief zum Prinzen, er riss ihn in der Aufwallung
seiner Freude vom Fenster weg und sagte zu ihm: „Ach, gnädiger Herr,
kommt sogleich an diese Bretterwand und ihr werdet das leibhaftige
Original des Bildnisses sehen, welches euch entzückt hat."
Der Prinz sah und erkannte sogleich seine Prinzessin. Seine Freude
hätte kein Maß gekannt, wenn er nicht zugleich gefürchtet hätte, durch
irgend eine Bezauberung getäuscht zu werden, denn wie ließ sich ein so
überraschendes Zusammentreffen mit Langdorn und ihrer Mutter
vereinigen, die zu Hause in dem Schlosse eingesperrt waren und von
denen die eine für die Prinzessin Sehnsuchtblüte und die andere für
ihre Ehrendame galt?
Indes man hat einen natürlichen Trieb, sich das zu überreden, was man
wünscht. Wenn er nicht vor Ungeduld sterben wollte, so musste er sich
auf der Stelle von der Wahrheit überzeugen; er ging also sogleich und
klopfte sacht an die Tür des Zimmers, in welchem sich die Prinzessin
befand. Da Viole nicht anders glaubte, als dass es die gute Alte sei
und ihrer Hülfe eben so sehr bedurfte, um den Arm der Prinzessin zu
verbinden, so beeilte sie sich, die Tür zu öffnen und war nicht wenig
erstaunt, den Prinzen zu erblicken, der auf Sehnsuchtblüte zueilte und
sich ihr zu Füßen warf.
Die Aufregung, in welcher er sich befand, erlaubte ihm keine
zusammenhängenden Reden, und die Prinzessin war nicht weniger
verwirrt; aber die Liebe, die auch Stummen eine Sprache gibt, gesellte
sich als Drittes hinzu und überredete Beide, dass nie etwas
Geistreicheres gesagt worden sei, und in der Tat wenigstens nichts
Rührenderes und Zärtlicheres.
So verstrich die Nacht und der Tag brach an, ohne dass Sehnsuchtblüte
daran gedacht hätte; aber diesmal blieb sie in ihrer natürlichen
Gestalt. Ihre Freude darüber war grenzenlos. Sie liebte den Prinzen zu
sehr, um ihm die Ursache derselben nicht mitzuteilen und begann
sogleich mit großer Anmut und natürlicher Beredsamkeit ihr Abenteuer
zu erzählen.
„Wie“, rief er, „meine reizende Prinzessin, euch also habe ich unter
der Gestalt einer weißen Hindin verwundet? was soll ich tun, um ein so
großes Verbrechen zu sühnen? Ist es genug, das ich aus Schmerz darüber
vor euren Augen sterbe?"
Die lebhafteste Betrübnis malte sich auf seinem Antlitz und
Sehnsuchtblüte litt davon mehr, als von ihrer Wunde. Sie versicherte
ihm, die Wunde habe so gut wie gar nichts auf sich und sie könne sich
nicht enthalten, ein Leiden lieb zu haben, welches ihr ein so großes
Glück verschaffe.
Die verbindliche Art, mit der sie dies sagte, überzeugte ihn noch mehr
von ihrer Herzensgüte. Um sie nun seinerseits auch über alles
aufzuklären, erzählte er ihr den Betrug, welchen Langdorn und ihre
Mutter gespielt hatten und fügte hinzu, er müsse sich beeilen, den
König seinen Vater in Kenntnis zu setzen, dass er das Glück gehabt
habe, sie aufzufinden, weil derselbe im Begriff sei, einen
schrecklichen Krieg anzufangen, um wegen des Schimpfes, den er
erlitten zu haben glaubte, Rechenschaft zu fordern.
Sehnsuchtblüte bat ihn, durch Florindo zu schreiben und er wollte dies
eben tun, als ein durchdringender Lärm von Trompeten, Klarinetten,
Pauken und Trommeln in den Wald herschallte; ja, es schien ihnen
sogar, als ob sie eine Menge Leute ganz nahe bei ihrem kleinen Hause
vorbei marschieren hörten. Der Prinz sah durchs Fenster, erkannte
mehrere seiner Offiziere, seine Fahnen und Standarten; er befahl ihnen
zu halten und auf ihn zu warten.
Für die Soldaten des Prinzen konnte es gar keine angenehmere
Überraschung geben; ein Jeder war der Meinung, der Prinz werde sie
anführen und an dem Vater der Sehnsuchtblüte Rache nehmen. Der Vater
des Prinzen führte sie selbst, seines hohen Alters ungeachtet; er kam
in einer Sänfte von Sammet mit Gold gestickt, hinter ihr folgte ein
bedeckter Wagen, in welchem sich Langdorn mit ihrer Mutter befand. Als
Prinz Tapfer die Sänfte erblickte, lief er hinzu, der König breitete
die Arme nach ihm aus und umarmte ihn auf das Zärtlichste.
„Wo kommst du her, mein teurer Sohn?“, rief er, „wie war es möglich,
dass du mich dem lebhaften Schmerz, den deine Abwesenheit mir
verursachen musste, preis gabst?"
„Mein Vater“, versetzte der Prinz, „vergönnt mir, euch alles zu
erzählen." Der König stieg augenblicklich aus seiner Sänfte und indem
er sich mit ihm bei Seite begab, teilte ihm sein Sohn das glückliche
Zusammentreffen mit der Prinzessin, so wie Langdorns Betrügerei mit.
Der König war über dies Ereignis entzückt und hob Hände und Augen zum
Himmel empor, um ihm dafür zu danken. In dem nämlichen Augenblick sah
er die Prinzessin Sehnsuchtblüte, schöner und glänzender als ein
Stern. Sie saß auf einem prächtigen Rosse, welches mit größter
Leichtigkeit daher tanzte, hundert Federn von verschiedenen Farben
schmück ten ihr Haupt und ihr Kleid strahlte von großen Diamanten; sie
war in Jagdkleidern. Viole, die hinter ihr kam, war nicht weniger
geschmückt.
Dies alles nun verdankte man dem Schutz der Fee Tulipane, durch ihre
Sorge war alles zu einem glücklichen Erfolg gediehen. Um der
Prinzessin willen hatte sie das reizende Häuschen im Walde erbaut und
in der Gestalt einer alten Frau sie mehrere Tage bewirtet. Sobald der
Prinz seine Soldaten erkannt hatte und zu dem Könige, seinem Vater,
geeilt war, trat die Fee in das Zimmer der Prinzessin, heilte durch
einen Hauch auf ihren Arm die Wunde und gab ihr sodann die reichen
Kleider, in denen sie vor dem Könige erschien, der so entzückt von ihr
war, dass er sie fast für etwas Überirdisches gehalten hätte.
Er sagte ihr das Verbindlichste, was man bei solchen Gelegenheiten nur
sagen kann und beschwor sie, seinen Untertanen das Glück nicht
aufzuschieben, sie als Königin zu begrüßen, denn ich bin entschlossen,
fuhr er fort, mein Königreich dem Prinzen Tapfer abzutreten, um ihn
eurer desto würdiger zu machen.
Sehnsuchtblüte antwortete ihm mit aller der Höflichkeit, die man von
einer so wohlerzogenen Person erwarten durfte. Als ihre Blicke sodann
auf die beiden Gefangenen fielen, die sich im Wagen befanden und ihr
Gesicht mit den Händen bedeckten, hatte sie den Edelmut, für sie um
Gnade zu bitten, fo wie, dass der nämliche Wagen, in welchem sie sich
jetzt befanden, sie hinführen möge, wohin sie verlangten. Der König
bewilligte ihr diese Bitte, nicht ohne ihr gutes Herz zu bewundern und
ihr die größten Lobsprüche zu erteilen.
Man befahl der Armee, den Rückweg wieder anzutreten und der Prinz
stieg zu Pferde, um seine schöne Prinzessin zu begleiten. In der
Hauptstadt wurden sie mit tausendfachem Freudengeschrei empfangen, und
man traf alle Anstalten zur Hochzeit, die durch die Gegenwart der
sechs wohltätigen Feen, welche der Prinzessin wohlwollten, besonders
feierlich wurde. Sie machten ihr die reichsten Geschenke, die man sich
nur denken kann, unter andern den prächtigen Palast, in welchem die
Königin sie gesehen hatte.
Der treue Florindo bat seinen Herrn, bei Violen für ihn zu werben und
ihn an dem nämlichen Tage, wenn er die Prinzessin heirate, mit ihr zu
vereinigen. Der Prinz tat dies gern und auch das liebenswürdige
Mädchen war erfreut, bei ihrem Eintritt in ein fremdes Königreich eine
so vorteilhafte Partie zu treffen. Die Fee Tulipane, die noch
freigebiger, als ihre Schwestern war, schenkte ihr vier Goldminen in
Indien, damit ihr Gemahl sich nicht rühmen könne, reicher zu sein, als
sie. Die Hochzeit des Prinzen dauerte mehrere Monate, jeden Tag gab es
ein neues Fest und die Abenteuer der weißen Hindin wurden weit und
breit besungen.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.