Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Ricdin-Ricdon - Französische Märchen
Ricdin-Ricdon
In einem der schönsten Königreiche Europas, dessen Namen jedoch die
Geschichtsschreiber nicht angeben, regierte einst ein Fürst, welcher
durch seine Gerechtigkeit und Liebe für seine Untertanen sich den
ruhmreichen Beinamen König Wackermann erworben hatte. Dieser König
besaß eine gleichfalls sehr tugendreiche Gemahlin, und da diese
Fürstin, von Natur lebendig und tätig, sich unaufhörlich mit
irgendeiner nützlichen Arbeit beschäftigte, so war ihr von dem Volke
der Beiname Königin Arbeitsam gegeben worden.
Dieses Königspaar hatte nur einen einzigen Sohn, der sich im Grunde
eben so sehr zur Tugend hinneigte als seine Eltern; da aber dieser
junge Prinz, welcher die Lebendigkeit seiner Mutter besaß, noch keine
bestimmte Beschäftigung hatte, so suchte er dieselbe in Zerstreuungen
und bezeigte so viel Lust an Bällen, Schauspielen, Ringelrennen und
Jagden, war mit einem Worte so vergnügungssüchtig, dass man ihm den
Beinamen Freudlieb zu geben pflegte.
Der König und die Königin, welche sahen, dass die Vergnügungen des
Prinzen unschuldiger Art waren, widersetzten sich denselben nicht,
indem sie glaubten, dass der große Hang, welchen er zu denselben
zeigte, im Verlaufe der Zeit wohl nachlassen werde. Übrigens war
dieser Prinz sehr wohlgebildet und bewies in allen seinen Handlungen
eben so viel Scharfsinn als feurigen Geist. Was aber alle Welt
überraschte, war, dass ein so junger Prinz sich ganz und gar nicht
geneigt zeigte, eine Gemahlin zu wählen, sondern Festlichkeiten und
Jagden ihm durch ihre steten Wechsel und Veränderungen allein
Vergnügen zu gewähren schienen.
Zuweilen wenn er einen Hirsch verfolgte, verirrte er sich von
seiner Begleitung und wurde, eh' er irgendeinige von seinen Leuten
wieder finden konnte, so sehr vom Hunger geplagt, dass er bei dem
ersten besten Landedelmann oder Bauer, den er auf seinem Wege antraf,
einkehrte.
Da er sich gewöhnlich nicht zu erkennen gab, so stießen ihm oft
seltsame Abenteuer zu, an denen er sich ungemein erfreute und die er
dann dem Könige seinem Vater und dem Hofe mit vielem Ergötzen wieder
erzählte.
Als er sich eines Tages von seinen Leuten wieder auf ähnliche Weise
verloren hatte und ein öde scheinendes Dörfchen durchritt, sah er aus
einem einfachen Gärtchen ein junges Mädchen von blendender Schönheit
treten. Sie wurde von einer alten sehr hässlichen Frau gewaltsamer
Weise nach einem Bauernhause geschleppt, welches auf der andern Seite
der Heerstraße, dem Garten gegenüber lag.
Dieses junge Mädchen hatte zur Seite einen Rocken voll Flachs hangen
und trug in dem Schoß ihres Kleides einen Haufen Blumen, welche sie so
eben in dem Garten gepflückt hatte. Die alte Frau riss sie ihr fort,
warf sie mitten auf den Weg, versetzte dem schönen Mädchen einige
derbe Stöße, und indem sie sie wieder an dem Arm packte, sagte sie zu
ihr mit wütender Stimme und Gebärde: „Hurtig, hurtig, du Unglückskind.
Komm' nur rasch wieder in das Haus zurück, dann sollst du es fühlen,
was es heißt, mir ungehorsam sein."
Der Prinz, welcher sogleich sein Ross angehalten hatte, um diesen
Auftritt mit anzusehen, näherte sich der alten Frau, als sie eben im
Begriff war, in ihr Haus zu treten und sagte zu ihr mit sanfter
Stimme: „Warum, gute Frau, misshandelst du dieses junge Mädchen so
sehr; wodurch hat sie denn deinen Zorn in so hohem Grade erregt?"
Die Bäuerin, welche von Natur sehr hitzig war und es nicht gerne sah,
wenn man sich in ihre Angelegenheiten mischte, wollte dem Prinzen
schon eine unverschämte Antwort geben; da sie aber die Augen auf seine
schönen Kleider warf und wegen ihres außerordentlichen Reichtums dafür
hielt, dass der, welcher sie trug, irgendein vornehmer Herr sein
müsse, bezähmte sie ihre Hitze und antwortete ihm bloß mit scharfem
Tone: „Gnädiger Herr, ich schelte meine Tochter ans, weil sie immer
gerade das Gegenteil von dem tut, was ich ihr heiße. Ich sage ihr zum
Beispiel in einem fort, dass sie nicht spinnen soll und doch spinnt
sie immerzu, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht und noch
obendrein mit einer Emsigkeit, die ihres gleichen sucht und all' die
Vorwürfe, die ihr mit angehört, mache ich ihr nur, weil sie zu viel
spinnt."
„Wie“, sagte der Prinz, „ist das ein Grund, dieses arme Mädchen so
auszuschelten? Meiner Treu', liebe Frau, wenn ihr die Mädchen hasset,
die gerne spinnen, so braucht ihr diese hier nur der Königin, meiner
Mutter, zu geben, die selbst an dieser Unterhaltung großen Gefallen
findet und allen Spinnerinnen sehr zugetan ist, dann ist das Glück
eurer Tochter bei ihr gemacht."
„Ach, gnädiger Herr“, erwiderte die alte Frau, „wenn diese Zierpuppe
mit ihrer hübschen Fratze euch gut genug für unsere gnädige Königin
scheint, so könnt ihr, wenn es euch gefällt, sie sogleich mit euch
nehmen, denn schon lange ist sie mir zur Last und schon lange war es
mein Wunsch, sie los zu werden."
Kaum hatte sie dies gesagt, so nahte sich ein Teil des prinzlichen
Gefolges und der Prinz befahl einem seiner Diener, das schöne Mädchen
hinter sich aufs Pferd zu nehmen. Diese hatte noch das Gesicht ganz
mit den Tränen benetzt, die sie wegen der Drohungen der alten Frau
vergossen, sie schien aber nur um desto reizender.
Der Prinz suchte sie zu trösten, indem er ihr versicherte, dass bei
dem Fleiß, den sie besäße, sie sich unfehlbar die Gunst der Königin in
hohem Grade erwerben würde. Das arme Mädchen war jedoch so verwirrt,
als sie sich von so vielen Männern umgeben sah, dass sie kaum die
Hälfte von dem hörte, was man zu ihr sagte. Ihre Mutter sah sie
fortziehen, ohne die geringste Teilnahme für ihr Geschick an den Tag
zu legen; die Bewohner des Dörfchens aber hatten nicht Augen genug, um
das Mädchen, umgeben von all' diesen mit Gold bedeckten Herren,
fortziehen zu sehen. Sie hörten von einigen Bedienten des Prinzen,
dass sie zur Königin gebracht würde, was bei den jungen Bäuerinnen des
Dorfes freilich einen gewaltigen Neid erweckte.
Unterwegs erfuhr der Prinz, dass der Name des schönen Mädchens Rosanie
war und sobald er im königlichen Palaste anlangte, stellte er sie der
Königs, seiner Mutter, als die geschickteste und fleißigste Spinnerin
des ganzen Landes vor.
Die Königin empfing sie freundlich, betrachtete sie aufmerksam und
lobte sogar die bescheidenen und rührenden Reize, welche das Mädchen
besaß, was vielen Hofdamen, welche sich auf ihre vollkommene Schönheit
viel einbildeten, zu nicht geringer Kränkung gereichte. Die Königin
wies Rosanien ein Zimmer an, welches an eine Reihe anderer Gemächer
stieß, die mit den berühmtesten Spinnstoffen der ganzen Welt angefüllt
waren.
Dort befand sich syrischer Hanf, Flachs von der Insel Ithaka,
bretagnischer Hanf, Flachs aus der Picardie, aus Flandern und selbst
jener berühmte unverbrennbare Flachs, aus welchem man ein so
wunderbares Gespinst bereitet, dass das glühendste Feuer es nicht
beschädigen kann. Man sagte zu Rosanie, in der Meinung, ihr etwas sehr
Willkommenes mitzuteilen, dass sie unter allen diesen Arten nur
diejenige zu wählen brauche, mit welcher sie anfangen wolle. Dies
könne ihr freilich sehr gleichgültig sein, denn da sie noch so jung
und geschickter als alle übrigen sei, so sei die Königin, die sie
recht lange bei sich behalten und ihr viel Gutes erweisen wolle,
gesonnen, Alles von ihr spinnen zu lassen.
Als das arme Mädchen sich allein befand, gab sie sich der größten
Verzweiflung hin, denn sie hegte eine unüberwindliche Abneigung gegen
das Spinnen und hielt selbst nur wenige Stunden dieser Arbeit für die
schrecklichste Qual. Zwar wenn sie ein Herz gefasst hatte, sich mit
dieser Arbeit einige Zeit zu beschäftigen, verrichtete sie dieselbe
mit unsäglicher Geschicklichkeit und ihr Faden war von
unvergleichlicher Feinheit und Gleichheit. Jedoch spann sie mit einer
so übermäßigen Langsamkeit, dass, wenn sie es auch über sich hätte
gewinnen können, von Morgen bis Abend ununterbrochen dabei zu bleiben,
sie doch nur täglich kaum einen halben Rocken voll hätte spinnen
können.
Unter solchen Umständen wird man sich leicht die Angst vorstellen
können, die sie über die Meinung empfand, welche man der Königin
hinsichtlich ihrer beigebracht hatte. Sie sah keine Möglichkeit, sich
aus der Verlegenheit zu ziehen, in welche die Bosheit ihrer Mutter sie
gestürzt; gleichwohl empfand sie die höchste Freude darüber, sich aus
den Händen derselben errettet zu sehen, da sie immer nur die härteste
Behandlung von ihr erduldet hatte.
Das Wohlwollen und die Freundlichkeit, welche die Königin ihr
bewiesen, erfüllten sie mit dem höchsten Entzücken. Der Hof, obwohl
sie eben erst an demselben angelangt war und ihn nur ganz flüchtig
kennen gelernt hatte, schien ihr bereits ein sehr angenehmer
Aufenthalt zu sein. Alles, was sich dort ihren Augen darbot, hatte sie
mit freudigem Erstaunen erfüllt. Sie sah Indes wohl ein, dass sie sich
an demselben nur unter dem Ruf einer geschickten Spinnerin erhalten
könne; und dass ihr dies nimmer gelingen würde, wusste sie leider nur
allzu gut.
Unter solchen quälenden Gedanken brachte sie die ganze Nacht zu, ohne
auch nur einen Augenblick zu schlafen. Der Prinz indessen schlief eben
so wenig. Die rührenden Reize und die natürliche Anmut Rosaniens
hatten seine Augen so geblendet und einen so lebhaften Eindruck auf
ihn gemacht, dass er, voll Hohn dem Gedanken an dieses anmutige
Mädchen, die ganze Nacht hindurch kein Auge zumachte.
Sobald es Tag geworden, ließ die Königin Rosanien sagen, dass sie mit
ihr sprechen wolle. Es war an diesem Morgen bei der Königin große
Cour; als daher Rosanie vor ihr erschien, wurde sie von einer Menge
Damen sehr sorgfältig von Kopf bis auf die Zehen gemustert. Auch der
König, der sie bisher noch nicht gesehen, betrachtete die junge Schöne
sehr genau und erteilte ihr mannigfaches Lob. Der Prinz jedoch, der
sich gleichfalls dort befand und eine noch viel höhere Meinung von ihr
hatte, als der König, sein Vater, äußerte seine Meinung nicht so laut.
Rosanie, ungeachtet ihres violetten Mieders und des bäuerischen
Kopfputzes, entzückte gleichwohl die Blicke aller derer, welche sie
ansahen. Sie besaß einen feinen, wohlgebildeten Wuchs und eine so
anmutige Ungezwungenheit des Benehmens, dass trotz der geringen
Erziehung, die sie gehabt hatte, sie nichts von den linkischen
Manieren der Dorfbewohner an sich trug. Ihre Haare, von dem schönsten
Dunkelblond, zierten eine alabasterne Stirn, unter welcher große blaue
Augen von eben so viel Sanftmut als Lebhaftigkeit glänzten. Ihre Nase
war von untadelhaftem Ebenmaß, der Mund klein, anmutig gebildet und
mit einem Worte vollkommen schön, die Zähne bewundernswürdig, die
Farbe des Gesichts' von einer blendenden Weiße und gehoben durch ein
leichtes Roth; außer der Regelmäßigkeit aller ihrer Züge und den
lebhaften Farben ihres Gesichts sah man noch, sowohl in diesem wie in
ihrer ganzen übrigen Gestalt, jene liebreizende Anmut und jenes
unnennbare Etwas, welches die Seele der Schönheit ausmacht.
Obgleich sie die ganze Nacht hindurch in Sorgen zugebracht hatte,
schien sie gleichwohl nicht niedergeschlagen. Die Verwirrung, welche
sie darüber empfand, sich den Blicken eines zahlreichen Hofes
ausgesetzt zu sehen, verlieh ihr eine Röte, welche jeden ihrer Reize
nur noch lebhafter hervorhob. Alle Damen, welche auf Schönheit
Anspruch machten, wurden von tiefem Verdruss ergriffen und bemühten
sich, an ihrem Gesicht und ihrem Wuchse Mängel jeder Art zu entdecken;
die jungen Gecken entwarfen hinsichtlich ihrer, tausender lächerliche
Pläne; mit einem Wort, sie erweckte in den mannigfachsten Beziehungen
die Aufmerksamkeit des ganzen Hofes.
Als der König sich entfernte, sagte er zu der Königin, er rate ihr,
der schönen Spinnerin andere Kleider zu geben, weil die ihrigen zu
auffällig und zu verschieden von denen der übrigen Damen seines
Hofstaates erschienen. Die Königin erwiderte, sie habe selbst schon
daran gedacht, und in der Tat brachte man ihr einige Stunden nachher
sehr schöne Kleider und gleichen Kopfputz, welche vollkommen nach dem
Geschmack der damals an dem Hofe des Königs Wackermann herrschenden
Mode waren.
Die Frauen der Königin kleideten sie mit großer Sorgfalt an und
zeigten ihr auf das Genaueste, wie sie von nun an all' diesen Putz
sich selbst auf die passende Art anlegen könne. Es stand ihr alles
wunderschön und in dieser neuen Tracht begab sie sich in einen Tempel,
woselbst sie wiederum mit dem Prinzen zusammentraf.
Er fand sie schöner als je und erteilte ihr Lobsprüche ohne Grenzen.
Auch alle diejenigen vom Hofe, welche sie bisher noch nicht bei der
Königin gesehen, betrachteten sie mit der größten Neugier und da sehr
viele Leute ihren Namen nicht behalten und der König sie die schöne
Spinnerin genannt hatte, so verblieb ihr diese schmeichelhafte
Benennung. Sie wurde in einem so hohen Grade der Gegenstand der
Aufmerksamkeit, dass in weniger als vierundzwanzig Stunden bei Hofe
und in der Stadt keine Unterhaltung Statt fand, in welcher der schönen
Spinnerin nicht auf irgendeine Weise erwähnt worden wäre.
Während aber hunderte von jungen Schönen, verdrießlich darüber,
unaufhörlich von ihr reden zu hören, sie um ihr Glück und ihren Ruf
beneideten, verbrachte das Mädchen, welche so viel Eifersucht
erweckte, gar traurige Augenblicke. Jm Lauf des ersten Tages, den sie
im Palast verlebte, sagte sie freilich, um sich von der ihr so
unerträglichen Beschäftigung des Spinnens zu befreien, sie habe Krampf
in den Fingern, und während dieses Tages verscheuchte das Vergnügen,
sich so reich geschmückt zu sehen und das tausendfache Lob ihrer
Schönheit zu hören, die Unruhe über die ihr bestimmte lästige Arbeit.
Auch hatten die Frauen der Königin, welche größtenteils nicht mehr
jung waren und keinen Anspruch auf Schönheit mehr machten, sogleich
für Rosanie viel Zuneigung gefasst, welche diese durch eine ganz
besondere Nachgiebigkeit und Gefälligkeit erwiderte.
Sie wurde daher von ihnen in dem ganzen Palaste und sogar in vielen
Teilen der Stadt umhergeführt, worüber Rosanie, deren Augen nicht an
so prächtige Gegenstände gewöhnt waren, das höchste Vergnügen empfand.
Als sie aber des Abends wieder in die unseligen mit Spinnstoffen so
reich ausgestatteten Zimmer zurückgekehrt war, versenkte dieser
verhasste Anblick sie von Neuem in Verzweiflung. Gleichwohl fasste sie
sich einigermaßen wieder und schlief viel besser als in der
vorhergehenden Nacht.
Sobald sie am folgenden Tage aufgestanden war, wollte sie sich mit den
schönsten Gewändern schmücken, welche die Königin ihr gegeben hatte;
weil sie jedoch auf die Worte und Belehrungen der Kammerfrauen wenig
geachtet hatte, war sie nicht im Stande, sich auf eine nur irgend
erträgliche Weise anzukleiden, obgleich sie sich mehr als zwanzigmal
aus- und wieder anzog. Endlich nach so viel unnützer Mühe saß ihr doch
alles ganz verkehrt, Kopfputz wie Kleider.
Verdrießlich über diesen schlechten Erfolg, griff sie nach dem
Spinnrade, wickelte ihren Rocken und fing an zu spinnen; da aber ihre
Hand noch immer so langsam wie früher war, gelang es ihr trotz aller
Anstrengungen nicht, von zehn Uhr des Morgens, zu welcher Zeit sie
ihren Putz beendet hatte, bis nach halb ein Uhr des Mittags, wo man
ihr meldete, dass die Königin ihre Arbeit zu sehen wünsche, mehr als
ein Viertel der Spindel voll zu spinnen.
Als Rosanie diesen Befehl vernahm, hörte sie kaum auf zu weinen,
endlich aber bemühte sie sich doch, von Neuem irgendeine annehmbare
Entschuldigung zu finden, die sie noch einmal aus der Verlegenheit
ziehen könnte. Sie stellte sich der Königin mit niedergeschlagener
Miene vor und sagte zu ihr, dass sie ganz in Verzweiflung darüber sei,
dass eine heftige Erkältung, welche ihr den Arm ganz steif mache, sie
verhindere, ihren Eifer durch ihre Arbeit an den Tag zu legen. Sie
habe sich, fügte sie hinzu, auf jede mögliche Weise angestrengt, um
ihrem Übel Trotz zu bieten; wiewohl sie aber den Rocken und die
Spindel mehr als zwanzigmal vergeblich wieder in die Hände genommen,
habe sie doch nur dieses wenige Gespinst, welches sie der Königin
zeigte, zu Stande bringen können.
Die arbeitsame Königin fand die Arbeit bewundernswürdig schön und
wurde dadurch in der günstigen Meinung, welche sie von der
Geschicklichkeit Rosaniens hegte, um so mehr bestärkt, und da die
Fürstin von sehr gütigem Charakter war, so äußerte sie ihr Bedauern,
sagte ihr, sie wolle nicht, dass Rosanie sich Gewalt antue und
versprach, ihren Leibarzt kommen zu lassen. Rosanie, welche sich
fürchtete, ihre List könne entdeckt werden, erwiderte der Königin,
dass ihr Übel keines Heilmittels bedürfe und sicherlich in Kurzem
gehoben sein würde, da sie immer, wenn es sie befiele, nur der Ruhe
bedürfe, um es los zu werden.
Die Königin begnügte sich mit dieser Antwort, aber sobald Rosanie sie
verlassen hatte, sagten die Arbeiterinnen der Königin, welche voll
Neid über die große Auszeichnung waren, welche man plötzlich diesem
hergelaufenen Mädchen erwies, ganz laut, dass die Krämpfe und
Erkältungen sicherlich nur vorgegeben seien und dass es im Gegenteil
den Anschein habe, als sei diese Schöne, die für so geschickt und
fleißig gelte, nur ein ungeschicktes und arbeitscheues Ding.
Die arme Rosanie, welche alle diese Reden vernahm, war darüber im
höchsten Grade betrübt. Dazu, um das Maß ihres Unglücks voll zu
machen, brachen die Kammerfrauen und andere Damen des Hofes, da sie
sahen, wie ungeschickt und geschmacklos Rosanie die Kleider und den
Kopfputz angelegt hatte, in ein lautes Gelächter aus und belustigten
sich mit tausendfachen Spottreden über ihr violettes Mieder und den
Bauernrock, welchen man, wie sie behaupteten, Rosanie mit großem
Unrecht hätte ablegen lassen, da jene Bauerntracht ihr weit besser
zusage, als der Putz einer vornehmen Dame.
Rosanie konnte so viele Kränkungen nicht ertragen, verließ den Palast,
begab sich in den Garten und indem sie immer weiter und weiter ging,
befand sie sich nach einiger Zeit in einem sehr dichten Gehölz an dem
Ende des Parks. Sie fühlte sich so ermüdet, dass sie sich an dem Ufer
eines muntern Baches niederließ, welcher jenes Gehölz
durchschlängelte. Dort fing sie an, voll Kummer über ihr unglückliches
Geschick, nachzudenken, was ihr unter den gegenwärtigen Umständen zu
tun übrig bleibe. Manchmal war sie entschlossen, zu ihrer Mutter
zurückzukehren, so hart und grausam diese auch war; wenn sie aber an
die schreckliche Behandlung dachte, welche sie seit dem Tode ihres
Vaters von ihr erduldet hatte, so zürnte sie gegen sich selbst, dass
sie nur einen Gedanken an eine solche Rückkehr fassen könnte. Außerdem
empfand sie, jung und ohne Erfahrung wie sie war, vor dem Aufenthalt
und der Lebensweise auf dem Lande eine Abneigung, welche die Hofluft
keineswegs vermindert hatte; obgleich sie dieselbe erst seit so kurzer
Zeit einatmete.
Andererseits sah sie freilich ein, dass sie sich den Unwillen der
Königin zuziehen, mit Schande und Spott aus dem Palaste weggejagt und
vielleicht bestraft werden würde, wenn die Königin in Erfahrung
brächte, dass sie von Rosanien hintergangen sei. Es war ihr nur zu
klar, dass die Wahrheit bald an den Tag kommen müsse, und dennoch
wusste sie keine Ausflucht mehr zu erdenken, da, wie sie überzeugt
war, Krämpfe und Erkältungen nicht mehr Stich halten konnten. So sah
sie den Augenblick kommen, wo sie das Gespött und Gelächter aller
derjenigen sein würde, von denen sie bisher so beneidet worden war.
Unter diesen quälenden Betrachtungen gab sie sich ihrer Verzweiflung
gänzlich hin, und sagte endlich zu sich selbst, dass für sie kein
anderes Rettungsmittel weiter vorhanden sei, als sich das Leben zu
nehmen. Voll von diesem Gedanken, vergaß sie ihre Müdigkeit und stand
auf, um sich nach einem sehr hohen Gartenhause zu begeben, welches
sich an dem andern Ende des Gehölzes befand und ihr von den Frauen der
Königin am Tage vorher auf einem Spaziergange gezeigt worden war. Sie
wollte bis aus die oberste Spitze desselben steigen und sich dann
hinunterstürzen. Allein die natürliche Liebe zum Leben, der Gedanke an
ihre zarte Jugend und besonders das geheime Wohlgefallen, welches sie
an ihrer eigenen Schönheit empfand, pressten ihr zahlreiche Tränen
aus, so oft sie an ihren Tod dachte, und machten, dass sie sich nur
sehr langsamen Schrittes nach dem unseligen Orte begab, an welchem sie
sich des Lebens berauben wollte.
Als sie nun den Weg, welcher nach dem Gartenhaus führte, entlang ging,
sah sie plötzlich einen großen braunen, wohlgekleideten Mann vor sich.
Er hatte ein ziemlich finsteres Aussehen, nahm aber eine freundliche,
lächelnde Miene an, als er zu ihr sagte: „Wo gehst du hin, mein
schönes Kind? Ich glaube, du weinst. Sag' mir doch, was ist die
Ursache deines Kummers? Sie müsste sehr seltsamer Art sein, wenn ich
dir nicht Hülfe leisten könnte."
„Ach!“, erwiderte Rosanie, „für den Kummer, der mich niederdrückt,
gibt es kein Mittel. Es ist also unnütz, dass ich euch die Ursache
desselben mitteile."
„Vielleicht“, erwiderte der Unbekannte, „ist dennoch die Hülfe nicht
so unmöglich, wie du glaubst, und jedenfalls erleichtert man das Herz,
wenn man seine Leiden mitteilt. Teile mir also auch die deinigen mit.
Denn du kannst sie Niemanden anvertrauen, der einen herzlicheren
Anteil daran nähme, als ich."
„Da ihr mich so dringend darum ersucht“, erwiderte Rosanie, „so will
ich euch denn von der traurigen Lage in Kenntnis setzen, in welcher
ich mich befinde."
„Ich habe das Unglück, von sehr niedrigem Herkommen zu sein. Mein
Vater war ein ehrlicher Bauer voll Redlichkeit und von natürlichem
Verstande, der sich unter den Bewohnern seines Dörfchens und unter
denen der umliegenden Ortschaften ein so großes Zutrauen erworben
hatte, dass sie ihn bei allen ihren Streitigkeiten zum Schiedsrichter
wählten, und da er sehr verschwiegen war und nie mehr redete, als Not
tat, so hatten sie ihm den Beinamen der Schweigsame gegeben."
„Mein Vater, der mich auf das Zärtlichste liebte, hatte früher
Kriegsdienste getan und das ganze Vertrauen seiner Vorgesetzten
besessen; daher kam es auch, dass er in seiner Sprache und seinem
Benehmen nicht jene abstoßende Rohheit zeigte, die man bei denen, die
ihr Dorf niemals verlassen, anzutreffen pflegt. Seit meiner frühesten
Kindheit bemühte er sich unaufhörlich, mir gute Lehren beizubringen,
und wenn ich die Tugend liebe und nicht ganz dumm bin, so verdanke ich
ihm dies allein. Denn was meine Mutter betrifft, so ist sie eine sehr
rohe Frau, die sich außerdem niemals die Mühe genommen hat, mich über
irgendetwas zu belehren, was es auch immer sei. Sie hat im Gegenteil
für mich nur Härte und Abneigung an den Tag gelegt, da sie ihre ganze
Zärtlichkeit meinem Bruder zuwandte."
„Ungeachtet des Lebens auf dem Lande und der geringen Ausbildung
meines Geistes besaß ich doch Gefühle und Neigungen weit über mein
niedriges Herkommen, welches mich oft in große Traurigkeit versetzte.
Ich war kaum vierzehn Jahr alt, so wurden meinem Vater mehrere sehr
vorteilhafte Heiratsanträge für mich gemacht, wie sie ein Mädchen
meines Standes nur irgend wünschen konnte; aber ich weinte so
bitterlich, als ich davon hörte und stellte meinem Vater so beweglich
vor, dass ich den Tod einer solchen Verbindung vorziehen würde: dass
seine Liebe für mich ihn von jedem Zwange zurückhielt."
„Meine Mutter wurde freilich sehr böse darüber und sagte unaufhörlich,
er verderbe mich nur durch seine blinde Nachgiebigkeit; aber alle ihre
Reden konnten ihn doch zu keiner Härte gegen mich bewegen, sondern er
warf ihr im Gegenteil vor, sie liebe mich nicht und nur ihr Sohn
besitze ihre ganze Zärtlichkeit."
„Ach! es dauerte nicht lange, so musste ich die traurige Wahrheit
dieser Worte erfahren! Mein Vater unternahm eine Reise, von derer bald
wieder zurückkehren wollte; aber gewiss ist er unterwegs umgekommen,
denn der Tag, auf welchem er seine Rückkehr versprach, ist schon lange
vorüber."
„Sobald meine Mutter sah, dass sie mich jetzt vollkommen in ihrer
Gewalt habe, so erwies sie mir jede nur mögliche harte und grausame
Behandlung. Als sie mich endlich vor zwei Tagen heftig ausschalt, dass
ich nicht genug gesponnen hätte, und sie mich eben unter bösen
Drohungen nach unserm Hause schleppte: ritt gerade der Sohn des Königs
vorüber und fragte, aus welchem Grunde sie mich so übel behandle."
„Sie antwortete ihm spottend, es geschähe, weil ich gar zu viel
spänne; was aber der Prinz für Ernst nahm, und da unsere Königin an
allen weiblichen Arbeiten großen Gefallen findet, und namentlich an
schönem Gespinst, so verlangte mich der Prinz sogleich für seine
Mutter, und die meinige, welche froh war, mich los zu werden, übergab
mich ohne Verzug den Händen seiner Leute."
„Man stellte mich der Königin als die beste und fleißigste Spinnerin
im ganzen Lande vor, obwohl gewiss Niemand diese Eigenschaften in
einem geringeren Grade besitzt, als ich. Die Königin Indes, getäuscht
durch die Meinung, welche man ihr von mir beibrachte, hat mir eine so
furchtbare Menge von Arbeit aufgegeben, dass schon der Anblick
derselben mich mit Grauen erfüllt. Ich glaube, sie hat allen Flachs
und Hanf, den es nur irgend in der Welt gibt, zusammen gesammelt, um
mich unter der Last desselben zu erdrücken."
„Bei dem schrecklichen Hass, welchen ich gegen das Spinnen hege, und
bei der Langsamkeit, mit welcher ich spinne, weiß ich nicht, wie ich
eine so langweilige und erdrückende Arbeit anfangen oder beendigen
soll. Ich kenne jedoch kein anderes Mittel, um mich am Hofe, wo ich
doch so gern leben möchte, zu erhalten, als für die Königin zu
spinnen. Ach! als ich in dem Palast eintraf und so viel
Lobeserhebungen meiner Schönheit hörte, rief ich mir die
schmeichlerischen Vorstellungen zurück, mit denen ich mich seit meiner
Kindheit getragen hatte; dass nämlich irgend ein vornehmer Herr vom
Hofe mich einst um meiner Schönheit willen zu seiner Gattin erwählen
könnte. Aber ach! was bleibt mir von diesen eitlen Gedanken! Muss ich
nicht verzweifeln, wenn ich wahrnehme, wie sehr ich durch meine
Ungeschicklichkeit mich anzukleiden meine natürlichen Reize entstelle,
wie nahe ich daran bin, von der Königin, wenn sie gewahr wird, wie
langsam ich spinne, mit Schimpf und Schande fortgejagt zu werden und
den neidischen Hofdamen, die mich mit Ärger und Verdruss ansehen, zum
Spott und Gelächter zu dienen?"
„Ihr seht nun wohl ein, mein gütiger, obwohl mir unbekannter Herr“,
fuhr Rosanie fort, „dass es für meine unglückliche Lage keine Hülfe
mehr gibt."
„Nur ein unseliges Mittel weiß ich“, fugte sie seufzend hinzu, „dem
mir drohenden Geschick zu entgehen, und das will ich benutzen."
„Aber wenn nun“, erwiderte der Unbekannte, „man dir statt jenes
unseligen Mittels ein eben so leichtes als angenehmes darböte, welches
aller deiner Roth ein Ende machte: würdest du nicht deinem Wohltäter
erkenntlich sein und eine kleine Verpflichtung gegen ihn eingehen?"
„Von Herzen gern“, rief Rosanie, „alles, was in meinen Kräften steht,
Pflicht und Ehre ausgenommen, würde ich meiner Dankbarkeit mit Freuden
opfern."
„Schon um dieser Gesinnung willen verdienst du meine Hülfe“, versetzte
der Unbekannte. „Vorher aber lass uns unsere gegenseitigen
Verpflichtungen genau feststellen."
„Nimm einmal“, fuhr er fort, „dieses Stäbchen, welches ich hier in
meiner Hand halte, und betrachte es."
Rosanie nahm es und betrachtete es aufmerksam. Es war ein kleines
niedliches Stäbchen von hellem, bräunlichem Holz, mit einem Stein
geziert, der alle Farben spielte.
Nachdem sie es von allen Seiten gedreht und in Augenschein genommen
hatte, gab sie es dem Unbekannten wieder zurück, welcher fortfuhr:
„Dieses kleine Stäbchen, welches du hier siehst, besitzt wunderbare
Eigenschaften. Allen Hanf und Flachs, den du damit berührst, wird es
täglich, so viel du nur immer willst und wie fein du es wünschest,
fertig spinnen. Außerdem verwandelt es, sobald man Wolle, Seide und
Kannewas damit berührt, dieselben in die schönsten Stickereien von der
Welt und in so feine, dass sie den trefflichsten Miniaturgemälden
gleich kommen."
„Dieses wunderbare Stäbchen nun will ich dir auf drei Monate leihen
unter folgender Bedingung. Wenn du nämlich heut' über drei Monate,
sobald ich mein Stäbchen von dir zurück verlange, zu mir sagst, indem
du es zurückgibst: „Hier, Ricdin-Ricdon, hier habt ihr euer
Stäbchen!“, so werd' ich es wieder nehmen, ohne dass du weiter eine
Verpflichtung gegen mich hast. Kannst du jedoch an jenem Tage dich
meines Namens nicht wieder erinnern und sagst etwa nur: „Hier, da ist
euer Stäbchen!“, so bin ich Herr deines Geschickes, kann dich überall
hinführen, wohin es mir beliebt, und du bist gezwungen, mir zu
folgen."
Rosanie dachte einige Zeit darüber nach, was sie antworten sollte. Da
es ihr aber schien, dass der Name Ricdin-Ricdon so leicht zu behalten
wäre, so glaubte sie die Hülfe wohl annehmen zu dürfen, ohne Gefahr
dabei zu laufen, und empfand schon ein Vorgefühl der Freude, den
Hochmut ihrer Mitarbeiterinnen durch das schöne Gespinst, welches das
Stäbchen spinnen würde, zu Schanden zu machen.
Aber noch ein verdrießlicher Gedanke beunruhigte sie, ihre
Ungeschicklichkeit sich anzukleiden. Sie sagte daher nach einiger
Überlegung: „Mein gnädiger Herr Ricdin-Ricdon, euer Anerbieten werde
ich mit Vergnügen annehmen, wenn ihr noch etwas hinzufügen wollt. Ich
wünschte nämlich, dass euer Stäbchen außer der Gabe, schöne Gespinste
und schöne Stickereien anzufertigen, noch die Eigenschaft besäße, den
Kopfputz und die sonstige Kleidung gefällig und geschmackvoll zu
ordnen und anzulegen. Wenn ihr das könnt, so ist unser Pakt
geschlossen."
„Nichts leichter“, rief Ricdin-Ricdon, „dergleichen Bedingungen
bewilligen ich und meine Gefährten jederzeit sehr gern, sobald wir nur
über den Hauptpunkt einig sind. Daher kommt es auch, dass man kleine
Mädchen von kaum zwölf Jahren, die sonst nichts weiter lernen können
und wollen, sich doch mit so bewunderungswürdiger Kunst kleiden und um
den Kopf machen sieht. Ich verspreche dir, sobald du nur mit meinem
Stäbchen dein Kopfzeug und deine übrige Kleidung berührst, soll alles
nach der schönsten und neuesten Mode sitzen."
„Nun denn, so nehme ich euren Vorschlag an“, sagte hierauf Rosanie.
„Aber du musst ihn auch beschwören“, erwiderte der Unbekannte.
„Wohlan“, versetzte sie, „ich beschwöre ihn mit den unverletzlichsten
Eiden."
„Sehr wohl“, sagte Ricdin-Ricdon, „ich habe hier nun nichts weiter zu
tun; lebe wohl, mein schönes Mädchen, bis auf Wiedersehn. Bei diesen
Worten übergab er ihr das Stäbchen und entfernte sich.
Sobald Rosanie sich im Besitz dieses geheimnisvollen Werkzeuges sah,
so war das Erste, dass sie Kopfputz und Kleider damit berührte. Sie
spiegelte sich hierauf in dem nächsten Bache, der sich ihr zeigte, und
fand sich so schön und reizend, dass sie über den mit Herrn
Ricdin-Ricdon geschlossenen Vertrag die höchste Freude empfand und
dies dienstfertige Stäbchen ohne Unterlass mit den freundlichsten
Blicken betrachtete, ganz entzückt, ein so nützliches Geschenk für
einen so geringen Preis erhalten zu haben.
Mit verschiedenartigen Gedanken beschäftigt, begab sie sich nach dem
Palast zurück. Sie hatte denselben aber noch nicht betreten, als sie
dem Prinzen begegnete. Dieser hatte sie zwar noch nicht an diesem Tage
gesehen, aber einige übel wollende Personen, deren es an jedem Hofe
unzählige gibt, hatten nicht verfehlt, ihm mitzuteilen, wie
ungeschickt sich die schöne Spinnerin ihre neue Hofkleidung anlege.
Der Prinz schwieg zu diesen Reden, denn obgleich er überzeugt war,
dass Rosanie ihm in jeder Kleidung reizend erscheinen würde, wagte er
es doch nickt, etwas zu erwidern, aus Furcht, die Zuneigung, welche er
für das schöne Mädchen gefasst hatte, zu verraten.
Sobald er sie erblickte, war er wie gewöhnlich von ihrer Schönheit
bezaubert und indem er Rosanie mit so vieler Höflichkeit begrüßte, als
wenn sie zu den vornehmsten Personen des Hofes gehörte, fragte er sie
zuvorkommend, ob sie schon die Springbrunnen hätte spielen sehen, und
da sie es verneinte, so versprach er ihr, dass sie den nächsten Tag um
ihretwillen springen sollten.
Rosanie machte hierauf eine tiefe Verbeugung und begab sich in ihr
Gemach, so vergnügt über den Besitz des wunderbaren Stäbchens, dass
sie vor Freude den Namen seines Herrn gänzlich vergaß. Die Freude ließ
sie auch in dieser Nacht eben so wenig schlafen, als die Sorge und der
Verdruss in der vorhergehenden.
Als es heller Tag war, stand sie auf und ihr Stäbchen verrichtete in
einem Augenblick die Dienste der geschicktesten Kammerfrau. Hierauf
versuchte sie schnell die Kraft desselben an einem Päckchen Flachs,
welches vermittelst des Zauberstabes sich sogleich in das schönste
Gespinst verwandelte. Jm höchsten Grade erfreut, verschloss Rosanie
einen Teil dieses Gespinstes und behielt, um es der Königin des Abends
zu zeigen, nur etwas mehr zurück, als die emsigste und geschickteste
Arbeiterin von der Welt in einem Tage hätte spinnen können.
Nachdem sie die Springbrunnen hatte spielen sehen, wartete sie, als
der Tag zu Ende ging, bis die Königin, die einen Spaziergang machen
wollte, vorüber kam. Rosanie überreichte ihr das Gespinst und sagte,
da der Krampf wieder nachgelassen, so habe sie den Tag über fleißig
gearbeitet.
Die Königin nahm die Arbeit, betrachtete sie aufmerksam, da es aber
schon dämmerte und die Zimmer noch nicht erleuchtet waren, so ließ sie
rasch die Lichter anstecken. Die Königin zeigte sich jetzt im höchsten
Grade über die Schönheit der Spinnerei erfreut und betrachtete sie so
lange und so aufmerksam, und sprach so viel über Leinwand und
dergleichen, dass sie die Stunde des Spazierganges vorübergehen ließ
und denselben endlich ganz aufgab.
Dies erweckte unter einem Teil der Hofdamen neuen Verdruss gegen die
schöne Spinnerin, die jedoch von der Königin vielfache Lobsprüche und
den Befehl erhielt, am Morgen des nächsten Tages vor ihr zu
erscheinen.
Rosanie schlief die folgende Nacht vortrefflich und verfehlte nicht,
sich zu rechter Zeit der Königin vorzustellen, indem sie den andern
Teil des Gespinstes, den sie aufbewahrt hatte, mit sich brachte. „Da
ich gesehen habe“, sagte sie zur Königin, indem sie ihr dasselbe
überreichte, „dass meine geringe Arbeit, gnädige Frau Königin, euch
nicht missfiel und sie vielleicht zu eurer Unterhaltung beitragen
kann, so brachte ich die ganze Nacht mit Spinnen zu."
„Das arme Kind!“, rief die Königin, indem sie sich zu ihrer Ehrendame
wandte, „sie ist eben so aufmerksam als geschickt und fleißig. Aber“,
sagte sie zu Rosanien, „ich will nicht, mein Kind, dass du deine
Nächte mit Arbeiten zubringst, es könnte deiner Gesundheit schaden."
„Keineswegs, Frau Königin“, erwiderte Rosanie, im Gegenteil, ich werde
recht viel für euch arbeiten können, ohne irgendeinen Nachteil für
mich. Bei meiner Gesundheit, meinen Kräften und meinem Alter von
siebzehn Jahren kann ich dies wohl. Ich bitte nur um einige Stunden
täglich zu meiner Erholung, so kann ich recht gut die Nacht durch
arbeiten, ohne dass es mich anstrengt."
Die Königin gestand ihr sehr gern diese Erholung zu, auch wenn sie
keinen Augenblick der Nacht durchwache.
Hierauf entdeckte Rosanie, dass sie die gleiche Geschicklichkeit wie
im Spinnen auch in allen Stickereien besitze, und bat endlich noch,
die Königin möge befehlen, dass sie ganz ungestört arbeiten könne und
ihr Niemand bei der Arbeit zusehe. Die Königin befahl sogleich, ihr
völlige Freiheit und ungestörte Ruhe zu gewähren. Rosanie entfernte
sich nun und brachte den Tag mit Vergnügungen und die Nacht mit
Schlafen zu.
Wiewohl sie den Namen des Herrn Ricdin-Ricdon vergessen hatte, so
machte ihr dies wenig Sorge, denn sie zweifelte gar nicht, wenn sie
sich rechte Mühe gebe, sich dessen bald wieder zu erinnern. Außerdem
schienen ihr die drei Monate, welche sie vor sich hatte, und in denen
sie ruhig die Früchte des Zauberstabes genießen konnte, ein halbes
Jahrhundert.
Dem Prinzen, welcher ohne Aufhören an Rosanien dachte, waren die
Ergötzungen, welche ihm früher das größte Vergnügen gewährt hatten,
mit einmal gleichgültig. Jagden, Schauspiele, genug, nichts machte ihm
Freude mehr; er empfand überall Langeweile, nur nicht in der Nähe
Rosaniens. Und doch durfte er sich nicht, wie oft er wünschte, in
ihrer Nähe aushalten, aus Furcht, dem Hofe seine Neigung zu verraten.
Die Königin inzwischen befahl einer ihrer Kammerfrauen, Namens
Vigilantia, Rosanien überall hinzuführen, wohin sie wünsche und die
Stelle einer Mutter bei ihr zu vertreten. Vigilantia, die für Rosanien
sein herzliches Wohlwollen empfand, übernahm diesen Auftrag mit
Vergnügen, und da diese Frau viel Geist und Weltkenntnis besaß, so
bildete sie Rosaniens Benehmen in kurzer Zeit so, dass es nichts zu
wünschen ließ.
Obgleich nun Rosanie fast den ganzen Tag in Vergnügungen zubrachte,
blieb ihr doch immer noch Zeit genug, von dem dienstfertigen Stäbchen
die kunstreichsten Arbeiten anfertigen zu lassen. Sie überreichte
daher der Königin fortwährend das feinste Gespinst von der Welt und
nach einiger Zeit auch die schönsten Stickereien aller Art.
Die Königin, welche dergleichen Arbeiten leidenschaftlich liebte, war
ganz entzückt bei ihrem Anblick und überhäufte Rosanie mit Wohltaten
und Gunstbezeugungen. Ihre niedrige Geburt schien ganz in
Vergessenheit geraten zu sein, denn bei allen Hoffesten erhielt sie
ihren Platz unter den Ehrendamen der Königin, und wurde unter diesen
selbst mit besonderer Auszeichnung behandelt.
Diese Damen waren nicht wenig verdrießlich darüber, nur eine nicht,
Namens Sirene, die eben so viel äußere Anmut wie Herzensgüte besaß.
Sie ließ der Schönheit und Geschicklichkeit Rosaniens alle
Gerechtigkeit widerfahren, und weit entfernt, sie ihrer niedrigen
Herkunft wegen zu verachten, lobte sie ihre Tugenden, ihr
sanftmütiges, bescheidenes Wesen um so mehr.
Dieses verständige Mädchen besaß eine sehr schöne Stimme und sang mit
solcher Anmut, dass sie eben deshalb den Beinamen Sirene erhalten
hatte. Noch mehr aber hatte sie sich die Zuneigung Aller durch ihren
Charakter erworben, der so sanft war wie ihre Stimme. Rosanie fasste
eine aufrichtige Freundschaft für Sirene, welche dieselbe auf alle Art
erwiderte und aus Neigung und gern das tat, wozu sich die übrigen
Hofdamen nur aus Klugheit und mit Widerwillen verstanden. Denn die
Schmeicheleien und Ehrenbezeugungen, die sie Rosanien erwiesen, kamen
so wenig von Herzen, dass sie fast in Verzweiflung gerieten, sich um
der Königin willen solchen Zwang auferlegen zu müssen.
Der Prinz war über die Aufmerksamkeit, mit welcher man Rosanien
behandelte, sehr erfreut; nur die Schwierigkeit, ihr seine Zuneigung
zu erklären, machte ihm Kummer. Er sah sie freilich öfter als sonst,
konnte sich aber keinen Augenblick unbemerkt mit ihr unterhalten. Ihr
Zimmer durfte Niemand betreten,
und sobald sie es verließ, entfernte sich Vigilantia nicht von ihrer
Seite. Er bemühte sich auf alle Weise, ihr seine Zuneigung an den Tag
zu legen und es schien ihm wohl, dass er auf ihre Gegenliebe hoffen
dürfe.
In der Tat war Rosanie für die liebevolle Aufmerksamkeit nichts
weniger als gleichgültig; ihre Vernunft aber widersetzte sich ihrer
Neigung. Sie wiederholte sich unaufhörlich, dass die Höhe seines
Ranges ein unüberwindliches Hindernis bleiben müsse.
Während solcher Betrachtungen fuhr Rosanie immer fort, ihr
Zauberstäbchen spinnen und sticken zu lassen, und erwarb sich mit
jedem Tage mehr Bewunderung.
Der Prinz, welcher vor Ungeduld brannte, mit Rosanien zu sprechen,
ward immer schwermütiger. Ein vertrauter Begleiter des Prinzen, Namens
Gutrat, welchem er sich entdeckte, versprach ihm seine Hülfe und
wusste auch bei nächster Gelegenheit Vigilantia in ein so lebhaftes
Gespräch zu ziehen, dass der Prinz ganz ungehindert der schönen
Spinnerin seine Liebe gestehen konnte.
Rosanie erinnerte ihn zwar an seinen Stand, der eine Vermählung mit
ihr durchaus nicht zulasse; aber der Prinz entgegnete hitzig, es sei
nichts Ungewöhnliches, dass Könige eine solche Wahl träfen, und
Rosaniens Vorzüge rechtfertigten sie hinlänglich; seine Liebe zu ihr
sei so groß, dass er eher auf den Thron, als auf Rosaniens Besitz
Verzicht leisten wolle, und er schwöre ihr feierlich, nimmermehr eine
andere Gemahlin zu nehmen.
Seit diesem Tage fanden der Prinz und Rosanie durch die Gewandtheit
Gutrats öfters Gelegenheit, sich zu sprechen. Bei aller Vorsicht aber
konnten sie ihre Zuneigung nicht so verheimlichen, dass man bei Hofe
nicht Argwohn geschöpft hätte. Man benachrichtigte sogleich den König
und die Königin davon, es schien ihnen aber so unwahrscheinlich, dass
sie wenig darauf gaben. Umso mehr erzürnten sich Rosaniens
Nebenbuhlerinnen, deren eifersüchtiger Hass sich jetzt verdoppelte.
Unter ihnen befand sich eine Dame der Königin, die seit längerer Zeit
für den Prinzen eine lebhafte Zuneigung empfand. Sie hieß Misslieb,
war ziemlich hübsch, sehr ehrgeizig, eifersüchtig und eben so listig
als rachsüchtig. So lange sie den Prinzen für alle übrigen Damen
gleichgültig sah, tröstete sie sich, und hoffte, da sie von ihrer
Schönheit überzeugt war und aus ihrer Liebe kein Geheimnis machte,
noch immer seine Gegenliebe zu erwerben. Als sie jedoch die
Überzeugung gewonnen hatte, dass Rosanie, welche sie ohnedies ärger
als den Tod hasste, die Neigung des Prinzen besitze, verwandelte sich
ihre frühere Liebe gegen diesen in tödlichen Hass, und voller Wutz
entwarf sie die grausamsten Rachepläne.
Zu diesem Zweck suchte Misslieb eine boshafte Zauberin auf, mit
welcher sie schon lange in Verbindung stand. „Eure Künste“, sagte sie
zu dieser, „haben mir bisher die Liebe des Prinzen nicht verschaffen
können: so helft mir wenigstens meine Rachluft befriedigen. Verderbt
den Undankbaren, der mich verachtet hat, und sie mit ihm, auf die
schrecklichste Weise, die schändliche Nebenbuhlerin, die er mir
vorgezogen hat."
Die Zauberin versicherte, sie sei nicht weniger ergrimmt und versprach
ihr allen möglichen Beistand.
Der Prinz, welcher seine frühere Heiterkeit wieder gewonnen hatte,
ging nun wie sonst seinen Vergnügungen nach. Eines Tages hatte er sich
auf der Jagd, bei der hitzigen Verfolgung eines Wildes, von seinen
Begleitern getrennt und tief im Walde verirrt. Da befand er sich
plötzlich vor der Pforte eines Palastes von wundersamer, prachtvoller
Bauart.
Der Anblick dieses herrlichen Gebäudes an einem so einsamen Orte
überraschte den Prinzen in hohem Grade, noch mehr aber wuchs sein
Erstaunen, als er eine wunderschöne, vornehm gekleidete Dame
heraustreten sah, in Begleitung einiger Frauen, die ihr mit großer
Ehrerbietung folgten.
Die schöne Dame bewillkommnte den Prinzen sehr anmutig und sagte:
„Prinz Freudlieb, wenn euer Herz nach Ruhm dürstet und für die Leiden
Unglücklicher Mitgefühl hat, so folgt mir in diesen Palast und hört
mich an."
Der Prinz verneigte sich schweigend und folgte ihr in den Palast. Sie
traten in ein Gemach, welches von Gold und Edelsteinen blitzte, die
Dame lud ihn ein, sich niederzulassen und fuhr fort:
„Ihr seht in mir eine unglückliche Prinzessin, die nächste Anverwandte
und Erbin eines Königs, welcher der Beherrscher eines überaus
herrlichen Reiches war, dessen sich seit fünfzehn Jahren aber ein
grausamer Tyrann bemächtigt hat.
Ihr ahnt vielleicht schon, dass ich von dem Königreich Traumland rede,
welches der grausame Tückebold an sich gerissen hat, nachdem er den
liebenswürdigen König Schönsinn in dem letzten Kampf besiegt und
getötet hatte. Die Gemahlin des Königs, die Königin Heiterblick, wurde
gefangen genommen, der Tyrann ließ das Kind, welches sie gebar, töten,
und hielt sie selber lange Zeit gefangen. Ich lag noch in der Wiege,
als König Schönsinn den Thron und sein Leben verlor; durch seinen Tod
und den seines Kindes ward ich die Erbin des Königreichs Traumland.
Meiner Mutter, der ersten Prinzessin von Geblüt, gelang es, mich der
Gewalt des Wüterichs zu entreißen, und ein weiser Zauberer, Namens
Laburelambo, der Herr dieses Palastes, gewährte uns in einem einsamen
Schloss eine Zufluchtsstätte. Dort erzog mich meine Mutter mit aller
möglichen Sorgfalt; vor einem Jahr aber hatte ich das Unglück sie zu
verlieren und der weise Zauberer ist meine einzige Stütze geblieben."
„Er hat mich in diesen prächtigen Palast gebracht, welchen ihr hier
seht, und in dem ich mit einer meinem Range gebührenden Aufmerksamkeit
bedient werde. Durch seine geheimnisvolle Kunst hat er entdeckt, dass
die Zeit herangekommen sei, wieder in den Besitz meines Königreichs zu
gelangen und den Thronräuber zu bestrafen, im Fall sich ein Prinz
finde, der geneigt sei, unter gewissen Bedingungen des weisen
Zauberers die Kraft seines Armes für mich zu gebrauchen."
„Ich sah euer Bildnis“, fügte die unbekannte Prinzessin hinzu, indem
sie die Augen zu Boden schlug, „und im Vertrauen auf die edlen
Eigenschaften, die sich darin ausdrücken, bat ich meinen Beschützer,
euch seine Bedingungen mitzuteilen. Ich entferne mich auf kurze Zeit,
er selbst wird augenblicklich hier erscheinen. Wie glücklich wäre ich,
wenn mein Anblick auch ohne die Worte des edlen Greises euch einige
Teilnahme für mich eingeflößt hätte."
Nach diesen Worten entfernte sich die Prinzessin, und nicht lange, so
trat ein Greis herein, der von der Last der Jahre ganz niedergedrückt
schien. Er begrüßte den Prinzen ehrfurchtsvoll und sagte:
„Die hohen Eigenschaften, Prinz, mit denen ihr begabt seid, haben mir
eine solche Zuneigung eingeflößt, dass ich mit Vergnügen meine ganze
Kunst zu eurem Glück und Ruhm verwenden will. Überlasst euch meiner
Leitung. Die schöne Prinzessin, welche ihr so eben gesehen habt,
empfindet die zärtlichste Liebe für euch, und da sie die Erbin eines
großen Reichs ist, so hängt es nur von euch ab, jener Krone, welche
der Himmel euch bestimmt hat, noch eine zweite hinzuzufügen."
„Dieser Ring“, fuhr er fort, indem er einen Ring vom Finger zog,
„besitzt die Kraft, Dem, der ihn trägt, den Sieg zu verleihen.
Zahllose Feinde müssen ihm erliegen und keine Tapferkeit kann vor ihm
Stand halten. Schwört also der Prinzessin ewige Liebe und ich will
euch zum Herrn dieses Ringes machen. Ihr dürft euch dann nur an die
Spitze einer mächtigen Partei stellen, die sich im Traumland gegen den
Tyrannen Tückebold gebildet hat; seine Niederlage ist unfehlbar und
diesem Triumph werdet ihr hunderte von neuen hinzufügen, alle
Königreiche der Welt euch unterwürfig machen und ein Eroberer werden,
wie noch nie einer gelebt hat."
Der Prinz war über diese Rede sehr erstaunt, entgegnete jedoch, als
der Zauberer geendigt hatte, ohne sich zu besinnen, er könne sein Herz
keiner Andern mehr schenken, als Der, die es bereits besäße, einer
reizenden Jungfrau, die bis zu seinem letzten Atemzuge Herrin davon
bleiben solle. Wie gern er aber auch bereit sei, der Prinzessin zu
dienen und wie sehr er den Ruhm liebe, so verschmähe er doch jede
übernatürliche Hülfe und wolle den Sieg ganz allein seinem Mut und
seiner Tapferkeit verdanken.
„Ihr hegt sehr zarte Rücksichten, gnädiger Herr“, erwiderte der
Zauberer. „Ich kenne viele Fürsten und Krieger, die sich um das, was
ihr zurückweist, eifrig bemühen würden. Wenn ihr aber die Hülfe meiner
Kunst verschmäht, so verachtet wenigstens die Ratschläge meiner
Erfahrung nicht und weist die Hand einer Prinzessin nicht zurück, die
mit eurer Hülfe in den Besitz eines der ansehnlichsten Königreiche
gelangen wird, und deren Herz die zärtlichste Liebe für euch
empfindet."
Der Prinz wiederholte seine Weigerung; da trat die Prinzessin herein,
in Tränen schwimmend, stürzte zu seinen Füßen und rief: „Wenn mein
Anblick euch nicht rührt, grausamer Prinz, so lasst euch mein Unglück
und meine Liebe bewegen; wenn ihr diese verschmäht, so wird der Gram
mich töten."
Der Prinz war im höchsten Grade bestürzt und verlegen; er hob sie
schweigend auf, und indem er ihr schönes von Schmerz bewegtes Gesicht
betrachtete, klagte er sich insgeheim selbst der Grausamkeit an, eine
so lebhafte Neigung nicht zu erwidern. Aber die Liebe zu Rosanien, die
er mit so feierlichen Schwüren befestigt hatte, erfüllte sein Herz und
machte es standhaft.
„Edle Prinzessin“, entgegnete er, „ eure Schönheit, eure Neigung
verdienen mehr, als ich erwidern kann. Aber lasst uns eilen, ich bin
bereit, mein Blut für euch zu vergießen, den frechen Thronräuber zu
bestrafen, ihm euer Eigentum zu entreißen."
„Nimmermehr, Undankbarer“, rief die Prinzessin voller Unwillen, „ich
verschmähe deine Dienste ohne dein Herz und deine Hand. Ach, meine
Liebe, mein Zorn ... ."
Bei diesen Worten erschien plötzlich in dem Zimmer ein Knabe von
blendender Schönheit. Er trug in seiner Hand einen goldenen Zepter und
berührte die Prinzessin und den Zauberer damit, die sogleich mit
schrecklichem Geheul die Flucht ergriffen. Er berührte die Wände des
Gemachs und in dem nämlichen Augenblick verschwand der ganze Palast,
der Prinz befand sich wieder, von Bäumen umgeben, mitten im Walde und
sah nur den reizenden Knaben neben sich.
„Prinz“, sagte dieser, „ich habe die Täuschung zerstört, um dich für
deine Treue zu belohnen. Wisse, dass jenes Weib, welches dir unter der
Gestalt einer schönen Prinzessin erschien, ein boshafter Dämon ist,
der auf die Beschwörungen einer nichtswürdigen Zauberin, die deinen
Untergang beabsichtigt, einen menschlichen Körper angenommen und sich
für die Erbin des Königreichs Traumland ausgegeben hatte. König
Schönsinn besaß keine weiblichen Verwandten, die nicht jetzt schon
hoch bejahrt wären: wohl aber hat er ein Kind hinterlassen, welches du
dereinst kennen lernen wirst."
„Der Zauberer, der dir in Gestalt eines Greises erschien, war
gleichfalls ein böser Geist, und hättest du dich durch die Schönheit
des einen und durch die lockenden Versprechungen des andern verführen
lassen, deinen Eid zu brechen, so hätten diese grausamen Geister
Gewalt über dich gewonnen und du wärest bis an das Ende deines Lebens
in ihren Händen geblieben."
„Nimm jetzt“, fuhr der schöne Knabe fort, „zur Belohnung deiner
Standhaftigkeit und Treue diesen Ring, den Ring der Wahrheit, wie
jener, welchen der verführerische Greis dir aufdringen wollte, der
Ring der Lüge war. Mit seiner Hülfe werden alle Täuschungen der Hölle
keine Gewalt über dich gewinnen und du wirst alle bösen Anschläge der
Zauberer und Dämonen entdecken, ohne dass sie es selbst wahrnehmen."
Mit diesen Worten steckte der liebliche Genius den Ring an den Finger
des Prinzen und verschwand.
Dieser war so überrascht gewesen, dass er keine Worte hatte finden und
dem Kinde, welches ihm wie ein Gott erschienen war, seine Gefühle der
Ehrfurcht und Dankbarkeit nur durch Gebärden hatte an den Tag legen
können. Als er nach dem Verschwinden desselben sich endlich wieder von
seinem Erstaunen erholte, dankte er dem Himmel auf das Innigste dafür,
dass er ihn aus den Gefahren, womit ihn jener Tag bedroht, errettet
hatte. Sodann begab er sich wieder auf den Weg, rief durch das
Waldhorn sein Gefolge herbei und kehrte in den Palast zurück, woselbst
die Gegenwart Rosaniens und die herzliche Zuneigung, die sie ihm durch
ihre Blicke zu erkennen gab, ihn bald seine gefährlichen Jagdabenteuer
vergessen ließen.
Misslieb und die mit ihr verbündete Zauberin gerieten in die äußerste
Wut über das Fehlschlagen ihres Racheplans. Sie hatten auf den Palast
im Walde, der eine Schöpfung ihrer Bosheit gewesen war, große
Hoffnungen gebaut und sahen nun mit tiefem Ingrimm den Prinzen aus
ihren Schlingen entkommen.
Die Ohnmacht der Zauberkünste einsehend, beschloss jetzt Misslieb,
ihre Rache durch die verderblichsten Mittel der Hinterlist und
Treulosigkeit zu vollbringen. Da sie in der Nähe Rosaniens und aller
Derer, welche Teilnahme für dieselbe hegten, Späher unterhielt, so
erfuhr sie, dass ein Gesandter, der sich schon früher um die Gunst
Rosaniens beworben, von immer heftigerer Leidenschaft getrieben, ihr
endlich seine Hand angetragen hatte. Allein Rosanie erwiderte, wie
sehr sie auch die zugedachte Ehre anerkenne, so könne sie sich doch
nicht entschließen, sich von der Königin, ihrer Gebieterin, für deren
gütige Behandlung sie zeitlebens zu Dank und Dienst verpflichtet sei,
jemals zu trennen. Der Gesandte, ein Mann von hitzigem Charakter,
empfand über diese Antwort außerordentlichen Verdruss; verbarg ihn
aber und begnügte sich mit dem Vorsatz, an Rosanien auf jede mögliche
Weise Rache zu nehmen.
Als nun, wie gesagt, Misslieb durch ihre Späher erfuhr, dass Rosanie
einen Heiratsantrag, der für ein Mädchen ihres Standes so vorteilhaft
scheinen musste, dennoch zurückgewiesen habe, wurde sie von einer kaum
zu beschreibenden Wut ergriffen. „Wie“, rief sie aus, „glaubt diese
Bäuerin, dass ein so junger, wohlgebildeter und vornehmer Herr wie der
Gesandte nicht gut genug für sie sei? Ich sehe wohl, sie will einen
Prinzen heiraten, aber ich will ihren Hochhuth schon zu demütigen
wissen!"
Von solchen Gedanken und Absichten erfüllt, setzte sie den Vertrauten
des Gesandten, den sie ganz in ihrer Gewalt hatte, in volle Tätigkeit.
Dieser musste nämlich seinen Herrn auf den Gedanken bringen, Rosanien
zu entführen, und der Gesandte, blind vor Zorn und Liebe, gab diesem
verwegenen Plan sogleich seine Beistimmung. Die Zeit seiner
Gesandtschaft war ohnedies verflossen und so gedachte er, bei seiner
Rückkehr in die Heimat, Rosanien mit Gewalt mit sich zu führen. Er
ließ es sich nun angelegen sein, alle nötigen Maßregeln zu treffen und
wählte zur Ausführung seines Vorhabens die Zeit, wo der König und der
Prinz sich nach einem Landhause begeben hatten, die Königin aber,
wegen einer leichten Unpässlichkeit, zurückgeblieben war, so dass sich
in dem Palaste kein so zahlreiches Gefolge wie gewöhnlich befand.
Als nun Rosanie eines Abends von einem öffentlichen Spaziergange
zurückkehrte, wurde sie plötzlich von vier verkappten Männern
ergriffen, nach einer öden Straße geschleppt und ihres Geschreis und
Widerstandes ungeachtet mit Gewalt in einen Wagen gesetzt, der so
rasch als möglich davonfuhr. Nachdem er eine Zeitlang, begleitet von
einer Anzahl Reiter, gefahren war, hielt man an, um die Pferde zu
wechseln. Hier sah Rosanie, die sich in voller Verzweiflung befand,
den frechen Gesandten, auf dessen Geheiß man sie entführt hatte, in
den Wagen steigen. Bei seinem Anblick verdoppelte sie ihr Geschrei und
ihre Tränen.
„Beruhige dich“, sagte der Gesandte, „meine Absichten sind die besten
von der Welt, ich führe dich in meine Heimat, du sollst meine Gemahlin
werden und einen deiner Schönheit würdigen Rang einnehmen."
„Ach, gnädiger Herr“, rief Rosanie, deren Worte durch heftiges
Schluchzen unterbrochen wurden, „was auch immer eure Absichten sein
mögen, so sind sie unrechtmäßig, denn ihr habt euch dabei der Gewalt
bedient. Bei Allem, was euch teuer ist, beschwör' ich euch, mich zu
der Königin, meiner Gebieterin, zurückzubringen. Die Verpflichtung,
die ihr mir dadurch auferlegt, wird mich mehr als alles Andere für
eure Bewerbung empfänglich machen. Was soll die Königin von mir
denken, wenn ich nicht zurückkehre! Ach, gnädiger Herr, lasst uns
sogleich, um des Himmels willen, wieder umkehren."
„Nein, nein, Undankbare“, entgegnete der Gesandte, „du entschlüpfst
meinen Händen nicht; ich kenne deine List; du würdest mich aufs Neue
verschmähen. Ich werde mich wohl hüten, dich frei zu lassen, nachdem
es mir so viel Mühe gekostet hat, dich in meine Gewalt zu bekommen."
„Treuloser“, rief Rosanie, „ich will mich nicht weiter zu Bitten
erniedrigen; der Himmel wird meine Verteidigung übernehmen und mich
deinen unwürdigen Händen entreißen!"
Inzwischen rollte der Wagen mit außerordentlicher Schnelligkeit immer
vorwärts; allein der Führer, nur darauf bedacht, rasch fortzukommen,
verfehlte den Weg, und indem er sich bemühte, sein Versehen wieder gut
zu machen und die rechte Straße zu gewinnen, brach der Wagen, und
Rosanie wurde in der Nähe eines Waldes mitten auf den Weg geworfen.
Da sie sich nicht verwundet fühlte, so war sie weit entfernt, diesen
Zufall zu beklagen, sondern nahm ihn vielmehr für eine günstige
Vorbedeutung. Umso verdrießlicher war der Gesandte. Er überhäufte den
Stallmeister, den Kutscher und die übrigen Leute, die sämtlich bemüht
waren, den Wagen in Stand zu setzen, mit den heftigsten Schmähungen.
Rosanie, deren Mut durch diese Verwirrung erhöht wurde, schrie aus
allen Kräften, um irgendjemanden zu ihrer Hülfe herbeizurufen; denn
die Flucht zu ergreifen, war ihr unmöglich, da sie von einem der Leute
des Gesandten am Arme festgehalten wurde. So blickte sie zwischen
Furcht und Hoffnung, ob ihr Geschrei einen Retter herbeiführen werde,
bei dem hellen Mondlicht, welches diese Nacht schien, angstvoll umher.
Nicht lange, so sah sie drei Männer aus dem Walde herankommen, denen
sie mit lauter Stimme zurief: „Zu Hülfe! Steht einer Unglücklichen
bei, die man entführen will!"
Sogleich zogen die drei Unbekannten ihre Degen und stürzten sich mit
solcher Heftigkeit auf den Gesandten und dessen Leute, dass diese
nicht Zeit gewannen, wieder zu Pferde zu steigen. Jeder Streich, den
diese drei Unbekannten führten, gab eine Todeswunde. Besonders aber
zeichnete sich Einer von ihnen durch seine Tapferkeit und Gewandtheit
aus. Cr tötete den Vertrauten und noch zwei andere Leute des
Gesandten, worüber dieser so in Wut geriet, dass er wie ein Rasender
auf den Fremden losstürzte. Der tapfere Unbekannte empfing ihn mit
unermüdeter Kraft und obgleich er an der linken Schulter verwundet
war, brachte er doch dem Gesandten einen so furchtbaren Stoß bei, dass
er ihn leblos niederstreckte.
Als die Begleiter ihren Herrn getötet sahen, ergriffen sie sämtlich
die Flucht, worauf der Unbekannte sich der in Todesgefahr zitternden
Rosanie näherte und zu ihr sagte: „Ihr seid frei, schöne Dame, eure
Räuber haben die Flucht ergriffen."
Bei dem Ton dieser Stimme wurde Rosanie von dem lebhaftesten Entzücken
ergriffen, denn sie erkannte in ihrem Befreier Niemand anders als den
Prinzen. Man kann leicht denken, wie zärtliche Dinge sich Beide
sagten. Der Prinz fühlte sich überaus glücklich, Rosanien gerettet zu
haben, und Rosanie konnte nicht Worte genug finden, ihrem Befreier zu
danken. Von den Begleitern des Prinzen war der eine sein getreuer
Gutrat und der andere gleichfalls ein vertrauter Diener, so dass
Rosanie und der Prinz ihren Empfindungen keinen Zwang anlegen durften.
Man verband die Wunde des Prinzen, welche zum Glück nur leicht war,
und der Prinz führte hierauf Rosanien in das Lustschloss des Königs,
seines Vaters, welches sich am Ausgang des Waldes befand, Rosanie
teilte ihm unterwegs alle Umstände ihrer Entführung mit, und er
erzählte ihr, dass er, voll Schmerz über ihre Abwesenheit, keine Ruhe
haben finden können und entschlossen gewesen sei, die Nacht mit seinen
Begleitern im Walde zuzubringen.
Kaum hatte der Prinz Rosanien den Händen zweier Damen übergeben, so
langte ein Diener der Königin in größter Eile an und benachrichtigte
den Prinzen, man habe Rosanien aus dem Palast geraubt, fast vor den
Augen der Königin, die, über einen solchen Frevel höchst erzürnt, den
König und ihn auf das Schleunigste davon in Kenntnis setze, damit alle
Maßregeln getroffen würden, sich des frechen Räubers zu bemächtigen
und ihn zu strafen.
Der Prinz sandte den Diener sogleich mit der Nachricht von Rosaniens
Rettung und der Bestrafung ihres Entführers zurück. Am folgenden Tage
kehrte der König in die Hauptstadt zurück und überbrachte ihr die
Gerettete, die von der Königin so überaus gütig und wohlwollend
empfangen wurde, dass die neidische Misslieb vor Wut fast gestorben
wäre'. Was ihre Verzweiflung vollendete, war der Umstand, dass Rosanie
gerade durch die tapfere Hülfe des Prinzen befreit worden war. Obwohl
sie nun hierin einen Fingerzeig des Himmels hätte erkennen sollen, von
weiteren Verfolgungen abzusehen, entwarf sie dennoch neue Pläne zur
Befriedigung ihrer Rache.
Bei aller Freude, sich durch den Prinzen gerettet zu sehen, empfand
Rosanie eine geheime Unruhe, die sie nur mit Mühe verbarg. Sirene, die
sich fortwährend als die zärtlichste Freundin bewies, nahm ihre
Traurigkeit wahr und fragte sie nach der Ursache. Allein Rosanie
wollte sie nicht entdecken und freilich hatte sie guten Grund dazu,
denn ihre Sorge betraf einzig und allein den Herrn Ricdin-Ricdon.
Der Tag kam immer näher, an welchem der Herr des Stäbchens dasselbe
wieder abfordern wollte, und Rosanie hatte so ganz den seltsamen Namen
aus dem Gedächtnis verloren, dass sie sich seiner mit aller Mühe nicht
wieder erinnern konnte. Sie stellte alle möglichen Versuche an, sich
den Namen zurückzurufen, aber vergebens. Und wenn sie den Namen nicht
nennen konnte, so war sie durch einen unverletzlichen Eid
verpflichtet, dem Herrn des Stäbchens überall hin zu folgen, wohin er
sie führe. Dieser Gedanke wurde ihr schrecklicher als sonst, wenn sie
an die Trennung von dem Prinzen dachte.
Sie kritzelte hunderte von Namen aufs Papier, in der Hoffnung, den
rechten zu finden. Bald schien es ihr, als ob er Ricdon heiße, dann
Ricordon, Ringodon — aber wenn sie einen Augenblick voller Freude
meinte, das Rechte getroffen zu haben, verzweifelte sie schon im
nächsten, überzeugt, durch die Ähnlichkeit der Namen irre geführt zu
sein und den gewünschten doch nicht zu haben. Ermüdet von so
erfolglosen Anstrengungen, gab sie dieselben auf und wurde immer
niedergeschlagener, immer schwermütiger.
Misslieb sann inzwischen, ihr noch größeren Schmerz zu bereiten. Diese
grausame Person, außer sich vor Wut, dass der Prinz ihrer Rache nicht
allein entgangen war, sondern Rosanien veranlasst hatte, ihre
Gesellschaft zu meiden, wollte ihren Grimm jetzt durch den Tod des
Prinzen befriedigen. Da sie schön und vermögend war, so fehlte es
nicht an Männern, die sich um ihre Hand bewarben; unter diesen nun
wählte sie drei, und sagte zu jedem insbesondere, sie wolle ihn zu
ihrem Gemahl wählen, wenn er den Prinzen, der sie aufs Tödlichste
beleidigt habe und dessen Tod sie allein versöhnen könne, ums Leben
bringe. Dies könne leicht geschehen, da der Prinz häufig auf die Jagd
gehe und sich in der Hitze des Verfolgens von seinen Leuten trenne.
Zwei ihrer Freunde seien bereit, ihr Vorhaben zu unterstützen; sie
wolle allen Dreien bezauberte Degen geben, mit denen sie immer
verwundeten, ohne wieder verwundet zu werden, und durch die Kunst der
Zauberin, welche diese Degen gefeit habe, sollten sie nie für die
Mörder des Prinzen erkannt werden.
Die drei nichtswürdigen Bewerber, denen Misslieb, jedem für sich, den
Vorschlag machte, nahmen ihn sogleich an und Misslieb gab ihnen die
Degen, welche die Zauberin für diese entsetzliche Tat zubereitet
hatte. Misslieb hatte, seit dem verunglückten Zauberpalast, fast alles
Zutrauen zu jenen Künsten verloren, und es war nur ein Übermaß von
Vorsicht, dass sie die Hülfe der Zauberin dazu nahm, denn auch ohne
diese, meinte sie, sei es für drei bewaffnete Männer wohl ein
Leichtes, einem Einzigen das Leben zu nehmen.
Inzwischen begab sich der König wieder nach seinem Landhause, aber
ohne die Königin und den Prinzen. Dieser war von seiner Wunde völlig
geheilt und nur bekümmert um die Schwermut!) Rosaniens. Um seine Sorge
deshalb zu zerstreuen, ging er auf die Jagd und verirrte sich, mit dem
Gedanken an Rosanien beschäftigt, so weit von seinem Gefolge, dass ihn
die Nacht überraschte, ehe er es wieder auffinden konnte. Er gelangte
dabei an einen ganz verödeten, einsamen Platz in der Nähe eines alten
Palastes, der schon halb verfallen war und kaum noch zu einer Wohnung
geeignet schien. Da der Prinz gleichwohl eine Menge von Lichtern in
demselben bemerkte, so näherte er sich den zerbrochenen und offenen
Fenstern des Saales und blickte durch die Bäume, welche sie rings
umgaben, hinein.
Bei einem bläulichen Lichtschein sah er mehrere Gestalten von
schrecklichem Aussehen und wunderlicher Tracht; in ihrer Mitte befand
sich ein hagerer brauner Mann, dessen grimmige Gebärden und furchtbare
Blicke man ohne Entsetzen nicht ansehen konnte. Er schien äußerst
vergnügt zu sein und hüpfte und sprang wie närrisch auf einem Bein
umher. Der Prinz empfand einen geheimen Schauder bei dem Anblick
dieser gräulichen Gestalten, die er für Ausgeburten der Hölle hielt;
aber er fürchtete sich nicht, denn er trug ja den Ring der Wahrheit am
Finger.
Unter jener entsetzlichen Schar befand sich auch ein Weib, welches den
hagern braunen Mann um etwas anflehte, worauf dieser entgegnete:
„Nein, meine Gewalt erstreckt sich nicht über ihn, denn ein
himmlischer Geist, mein geschworener Feind, verteidigt ihn und hat
mich vor Kurzem erst fühlen lassen, dass ich in meinen Unternehmungen
nicht glücklich bin, sobald ich den Namen Laburelambo führe. Mein
anderer Name dagegen bringt mir mehr ein, denn ich hab' mir unter ihm
schon eine große Anzahl junger Mädchen erworben und morgen um diese
Stunde, so hoff ich, bringt er noch eine in meine Gewalt, die mehr
werte ist, als alle übrigen.
Nach diesen Worten begann die scheußliche Gestalt von Neuem ihre
wunderlichen Sprünge und sang dabei:
Wenn dem Mägdlein jung und weiß
Voller Spiel und Tändelei
Fiel der rechte Name bei:
Dass ich Ricdin-Ricdon heiß',
Wäre ihr das zu großem Heil,
Aber sie wird mein, dieweil
Meinen Namen sie nicht weiß. Nachdem dieser Dämon, denn in der Tat war
es einer, seinen schönen Gesang hergeheult hatte, wandte er sich zu
jener Frau und fuhr fort: „Am leichtesten bringen wir junge Mädchen in
unsere Gewalt, weil sie meist leichtgläubig und eitel sind. Durch die
Eitelkeit hab' ich ihrer schon mehr in meine Hände bekommen, als
zwanzig meiner Genossen durch andere Mittel. Deine gute Freundin wird
uns auch nicht entgehen, das glaub' mir nur. Wer hätte aber denken
sollen, dass "dieser junge Prinz alle unsere Pläne so zu Schanden
machen würde? Dass er so standhaft seinen Schwur halten, dass er alle
Anerbietungen, alle Lockungen unserer Kunst ausschlagen werde, und
seinen Ruhm durchaus nur der Tapferkeit verdanken wolle! Diese Treue
und Tugend hat ihm einen Beschützer erworben, der jeden Angriff der
Hölle gegen ihn zu Schanden macht. Es ist also vergebens, dass du mich
um meine Hülfe bittest, denn weder du noch ich können ihm irgendwie
schaden und alles, was ihn betrifft, muss seinen natürlichen Gang
gehen."
Aus allen diesen Reden ersah der Prinz, dass der böse Geist, welcher
zu jenem Weibe sprach, der nämliche sei, der ihm unter der Gestalt
eines Greises erschienen war, und das Weib eben jene Zauberin, von
deren verderblichen Plänen der himmlische Knabe ihn unterrichtet
hatte. Einen Augenblick war er unschlüssig, ob er das nichtswürdige
Gesindel nicht auf der Stelle bestrafen solle, allein er hielt die
Elenden seiner Rache für unwert, und verließ diesen schauerlichen Ort,
um seine Leute wieder aufzufinden, oder wenigstens doch auf den
verlorenen Weg zu gelangen.
Er war noch nicht weit gegangen, als er plötzlich von drei Männern
angefallen wurde, die unversehens aus dem Dickicht hervorstürzten. Der
Prinz verteidigte sich mit seiner gewöhnlichen Tapferkeit und
Unerschrockenheit, lehnte sich an einen Baum, um nicht im Rücken
angegriffen zu werden, und focht mit so viel Mut, Geschicklichkeit und
Glück, dass er den einen der Angreifenden tötete, den andern zu Boden
warf und den dritten in die Flucht jagte. Er dachte nicht daran ihn zu
verfolgen, denn außerdem dass er sehr ermüdet war, hatte er eine Wunde
erhalten, und der Blutverlust schwächte seine Kräfte noch mehr.
Als der Prinz eine kleine Strecke Weges zurückgelegt hatte, stieß er
auf einige seiner Leute, die nicht wenig bestürzt waren, ihn in einem
solchen Zustande wieder zu finden. Man verband ihn so gut es gehen
wollte, er stieg zu Pferde und eilte in den Palast zurück, wo er die
Königin seine Mutter seinetwegen schon in großer Unruhe fand. Obgleich
die Ärzte, welche man schleunigst herbeiholte, versicherten, dass die
Wunde ohne Gefahr sei, war die erschrockene Königin doch voller Sorge
deshalb, und nicht weniger Rosanie.
Wer der Anstifter dieses abscheulichen Mordanfalls auf einen so
freundlichen, gütigen Prinzen gewesen sein könnte, ahnte Niemand, auch
der Prinz nicht; denn obwohl er glaubte, dass Misslieb auf ihn erzürnt
fei, weil er ihre Neigung so wenig erwidert hatte, hielt er sie doch
eines solchen Verbrechens nicht für fähig.
Während der Prinz Zeuge jenes Hexensabbats war, brachte der König sein
Vater seine Zeit weit angenehmer zu, denn er erfuhr Begebenheiten und
Ereignisse, die ihm große Freude verursachten. An jenem Tage meldete
man dem Könige eine vornehme Dame. Der König ließ sie hereinführen und
war ganz überrascht von ihrer Schönheit und Anmut. Zwei Greise
begleiteten sie; einer von ihnen schien ein Mann von Stande, der
andere hatte zwar ein bäurisches Ansehen, zugleich aber einen Ausdruck
von Klugheit und Redlichkeit, der zu seinen Gunsten einnahm.
„Gnädiger Herr“, begann die Dame’, „ihr seht eine Fürstin vor euch,
die euch für die großen Verpflichtungen Dank sagen will, die sie gegen
euch und eure Gemahlin hat."
„Ich wüsste in der Tat nicht, gnädige Frau“, versetzte der König,
„dass ich oder meine Gemahlin je das Glück gehabt hätten, euch einen
Dienst zu erweisen."
„Allerdings“, erwiderte die Dame, „sind die Dienste, für welche ich zu
danken komme, nicht mir selbst erwiesen worden, wohl aber Jemandem,
der mir teurer ist, als ich selbst, der Prinzessin Rosanie, meiner
Tochter."
„Wie!“, schrie der König ganz erstaunt, „die schöne Rosanie wäre eure
Tochter? bei eurer jugendlichen Schönheit ist das kaum zu glauben,
obgleich jenes reizende Mädchen fast noch ein Kind ist."
„Wenn ihr meine Geschichte hören wollt“, antwortete die Dame, „so
werdet ihr euch gleich davon überzeugen."
Der König bezeugte ihr das größte Verlangen danach und die Dame
begann.
„Ihr seht in mir, erhabener Monarch, die Königin Heiterblick, die
Witwe des Königs Schönsinn, deren trauriges Geschick aller Welt
bekannt ist. Als der grausame Tückebold meinen Gemahl besiegt und
getötet und sich des Thrones bemächtigt hatte, hielt er mich in einem
Kerker gefangen. Da er nur darauf dachte, sich in seinem
unrechtmäßigen Besitztum zu befestigen, so beschloss er, das Kind,
dessen Geburt ich erwartete, wenn es ein Sohn sei, umzubringen, wenn
es ein Mädchen sei, dasselbe sorgfältig erziehen zu lassen und es
darauf mit seinem Sohne zu vermählen."
„Ich erfuhr diese abscheulichen Anschläge des Tyrannen und bebte vor
dem Schicksal meines Kindes. Ich weinte die bittersten Tränen bei dem
Gedanken, einen Sohn fast in dem Augenblick seiner Geburt wieder durch
Mörderhand zu verlieren, und doch empfand ich kaum geringeren Schmerz,
eine Tochter dereinst dem Sohne des Tyrannen vermählt zu sehen, dem
Mörder meines Gemahls und ihres Vaters. Ich beschloss also, um jeden
Preis mein Kind aus der Gewalt des Grausamen zu retten."
„Dieser treue Ritter, welchen ihr seht“, fuhr die Königin fort, indem
sie aufeinen der beiden Greise wies, welcher sich durch vornehmen
Anstand auszeichnete, „hat mir stets mit so viel Einsicht als Eifer
gedient, und seiner großen Weisheit halber, die er in allen Dingen an
den Tag gelegt, von dem Volk den Beinamen Scharfblick erhalten, der
ihm auch geblieben ist. Diesem Ritter nun, der unter einer
Verkleidung, der Grausamkeit des Tyrannen entkommen war, gelang es,
durch Bestechung einiger meiner Wächter, in meinen Kerker zu dringen,
und ich verabredete alle Maßregeln, ihm das Kind sogleich nach der
Geburt übergeben zu können. Man behandelte mich auf Befehl des
Tyrannen mit aller nur möglichen Rücksicht; endlich gebar ich eine
Tochter, die auf dem Arme, dicht unter dem Ellbogen, ein Mal in
Gestalt einer Rose hatte, weshalb ich ihr sogleich auch den Namen
Rosanie beilegte. Dem Tyrannen aber überbrachte man einen tot gebornen
Knaben, den eine meiner Kammerfrauen mir verschafft hatte. Da nun noch
eine große Partei vorhanden war, welche den Thronräuber hasste, so
verbreitete sich das Gerücht, er habe den Sohn, welchen ich geboren,
ermorden lassen."
„Man legte das tote Kind in einen Sarg, aus dem es eine meiner
Kammerfrauen mit großer Gewandtheit herausnahm, meine lebendige
Tochter statt dessen hineinlegte, den Leichnam aber so unvermerkt bei
Seite schaffte, dass Niemand den geringsten Verdacht schöpfte. Man
trug den Sarg fort, während ich vor Angst zitterte, das Geschrei der
Kleinen könne alles verraten und verderben. Zum größten Glück jedoch
schwieg das Kind und Scharfblick, der sich durch sein gewandtes
Benehmen das Vertrauen des Schlosshauptmanns erworben hatte, wurde mit
der Beerdigung beauftragt, die zur Nacht in aller Stille vor sich
ging. Scharfblick befreite hierauf die kleine Rosanie baldmöglichst
aus ihrem engen Gefängnisse und fand sie durch die sichtbare Fügung
des Himmels noch ganz wohl erhalten. Er erwies ihr alle mögliche
Sorgfalt und ruhte nicht eher, als bis er sie aus dem Lande, über
welches der grausame Tückebold herrschte, entfernt hatte. Wie er dies
bewerkstelligte, mag er euch selbst erzahlen."
Nachdem die Königin ihre Erzählung beendigt hatte, nahm Scharfblick
das Wort: „Ich entkam, erhabener Monarch, glücklich in Begleitung des
Kindes und der Amme, die ich als seine Mutter gelten ließ, aus dem
Königreich Traumland. Mit welcher Sorgfalt ich mich auch der Treue
dieser Frau versichert hatte, so verbarg ich ihr doch die Herkunft und
das Geschick des Kindes, welches sie nährte. Ich langte in euren
Staaten an, und durchzog einen Teil derselben, ohne dass ich jemanden
fand, dessen Sorgfalt ich den kostbaren Schatz, den ich mit mir
führte, hätte übergeben mögen. Und gleichwohl wünschte ich die
Prinzessin so bald als möglich sicheren Händen anzuvertrauen, um aufs
Schleunigste zur Königin in das Traumland zurückkehren zu können."
„Als eines Tages die Amme mit der Prinzessin in der Nähe der
Heerstraße ein wenig ausruhte, ging ich die Straße entlang auf und
nieder und sah zwei Bauern vor mir gehen, von denen der eine zum
andern sagte: „Ei, du eigensinniger Schweigsam, willst du denn immer
den Beweis geben, dass man dir mit vollem Recht diesen Namen gegeben
hat? Willst du mir gar nicht sagen, was diesen Lärm veranlasst hat?"
„Was soll ich dir sagen?“, versetzte der andere, „ich beklage das
Unglück meines Nachbars, ohne ihn darüber zu tadeln oder mich
neugieriger Weise um die Ursache zu bekümmern. Ich weiß also ganz und
gar nichts von Allem, wonach du mich fragst."
„Nun, es werden ja wohl nicht alle Einwohner deines Dorfes so
verschwiegen sein wie du“, sprach der Erste, und ich werd' es auch
ohne dich erfahren. Ich muss nur eilen, weil du mir doch nichts sagen
willst; leb' wohl, denn mit dem Kind auf dem Arm wirst du doch nicht
gleichen Schritt mit mir halten können."
„Damit trennten sich die beiden Bauern, der eine schritt rasch zu,
während der andere, mit einem kleinen Kind auf dem Arme, langsamer
ging. Ich redete ihn an und erfuhr, das Kind, welches erst einen Monat
alt war, sei sein eigenes Töchterchen; er hab' es wegen einer
Krankheit seiner Frau einer andern Pflege übergeben müssen und hole es
jetzt, da seine Frau vollkommen hergestellt sei, wieder zurück."
„Die Physiognomie des Mannes gefiel mir sehr wohl, und eure Majestät
wird mir beistimmen, wenn ich euch sage, dass dieser wackere Landmann
mit meinem Begleiter hier eine Person ist. Da mich alles für diesen
Mann einnahm, dem man seiner Verschwiegenheit halber den Beinamen
Schweigsam gegeben hatte, so beschloss ich, seiner Sorgfalt die
Prinzessin Rosanie anzuvertrauen, ohne ihm gleichwohl das ganze
Geheimnis ihrer Herkunft mitzuteilen. Ich machte ihm bedeutende
Versprechungen und übergab ihm eine Menge Gold und Edelsteine und
unter anderem auch ein sehr kostbares Armband, welches mir die Königin
eingehändigt hatte, damit es eines Tages zur Wiedererkennung ihrer
Tochter behilflich sei. Nachdem ich nun Schweigsam für mich gewonnen
und ihm versichert hatte, dass dieses Kind, für welches er Sorge
tragen solle, eines Tages sein und seiner ganzen Familie Glück machen
würde, forderte ich das Versprechen von ihm, Niemanden, selbst seiner
Frau nicht, das Vorgefallene mitzuteilen."
„Er gelobte mir aufs Heiligste, nur nach meinen Befehlen zu handeln
und damit alles ein Geheimnis zwischen uns Zweien bleibe, beschlossen
wir, er solle statt seiner Tochter, die gerade so alt war als Rosanie,
diese seiner Frau als ihr Kind zurückbringen, was sehr wohl geschehen
konnte, da die Mutter ihr Kind nur wenige Augenblicke gesehen hatte.
Schweigsams Tochter dagegen wollte ich der Amme übergeben, die sich,
reichlich von mir unterstützt, in einem andern Dorfe, sechs Meilen von
dem seinigen, niederlassen wollte, und zugleich versicherte ich
Schweigsam, so für sein Kind zu sorgen, als wenn es ein eigenes wäre."
„In Folge dieser Versprechungen gab mir Schweigsam das Kind, welches
ich der Amme Rosaniens brachte, Rosanie aber übergab ich ihrem neuen
Pflegevater. Ich führte sodann die Amme in das bezeichnete Dorf,
setzte sie in Stand, ein bequemes Leben zu führen, und nachdem ich
noch weitere Erkundigungen über Schweigsam eingezogen hatte, die auf
das Günstigste lauteten, kehrte ich nach den, Königreich Traumland
zurück."
„Ich fand die Königin Heiterblick noch immer in Gefangenschaft und den
grausamen Tyrannen so mächtig wie früher. Es hatte sich zwar eine
Partei gebildet, welche den Thronräuber tödlich hasste, allein sie war
noch nicht ansehnlich genug, um etwas wagen zu können; auch der
grausame Tückebold zählte eine Menge Anhänger und dazu kam, dass ich
das Geheimnis von Rosaniens Geburt Niemanden anzuvertrauen wagte, aus
Furcht, der Tyrann könne Nachricht davon erhalten und Mittel finden,
das Leben der Prinzessin zu gefährden. Ich erhielt jedoch fortwährend
Nachrichten über sie, die ich der Königin, ihrer Mutter mit vieler
Mühe zukommen ließ und dies war der einzige Trost in ihrem traurigen
Gefängnisleben."
„Einige Zeit nach meiner Rückkehr benachrichtigte mich die ehemalige
Amme der Prinzessin Rosanie, dass ihr Pflegling gestorben sei, und der
Vater bestätigte dies. Als ich nun eben im Begriff war, die Amme nach
ihrer Heimat zurückkehren zu lassen, starb auch sie, und so war denn
das Geheimnis in Betreff Rosaniens noch undurchdringlicher geworden."
„Eine Reihe von Jahren war verflossen und die Familie Tückebold hatte
inzwischen dermaßen gehaust und gewütet, dass der Hass gegen den
Thronräuber immer allgemeiner wurde, und die Gegenpartei so
heranwuchs, dass sie im Stande war, endlich ihre Pläne auszuführen."
„So rückte denn plötzlich eine ansehnliche Armee, die sich aus den
Anhängern des alten Könighauses gebildet hatte, gegen die wichtigsten
Festungen des Tyrannen, um sie anzugreifen und zu zerstören. Der
General Gutplan, ein treuer Diener des Königs Schönsinn, der sich
durch frühere Siege berühmt gemacht, führte sie an. Er erfocht bald
bedeutende Fortschritte und schlug zweimal die Heere des Tyrannen, der
jetzt aus allen Ländern Hilfstruppen herbeizog. Nun wurde Gutplan
geschlagen und verwundet, und wir wären verloren gewesen, wenn uns
nicht General Feingeschmack zu Hülfe gekommen wäre und die fremden
Truppen auf allen Seiten zurückgedrängt hätte.
Als ich die günstigen Erfolge unserer Partei wahrnahm, teilte ich den
Häuptern derselben das Geheimnis von Rosaniens Geburt mit, worauf
beschlossen wurde, Schweigsam herbeiholen zu lassen, um die Wahrheit
meiner Aussage zu bekräftigen, denn das Zeugnis der Königin selbst
fehlte uns, da man den Befehlshaber der Festung, in welcher sie
gefangen saß, gewechselt hatte und es mir seitdem nicht gelungen war,
mit ihren Wächtern ein Verständnis anzuknüpfen."
„Schweigsam kam, fiel aber, kaum angelangt, den Truppen des Feindes in
die Hände. Inzwischen machten wir immer weitere Fortschritte, konnten
aber mit aller Klugheit und Tapferkeit nur sehr langsam den Widerstand
der Gegenpartei überwinden und erst vor zehn Tagen gelang es uns, sie
gänzlich zu vernichten."
„Wir fanden Schweigsam glücklich wieder und befreiten auch die
Königin, die ganz entzückt war, so viel Schönes von der Prinzessin
Rosanie zu erfahren. Da der König Tückebold nach seiner letzten
Niederlage aus dem Königreich Traumland entflohen war, so machten wir
den Bewohnern desselben öffentlich bekannt, dass sie in einer Tochter
des verstorbenen Königs ihre rechtmäßige Beherrscherin erhalten
würden."
„Diese Nachricht wurde von den treuen Untertanen des Königreichs, in
deren Herzen das Andenken des Königs Schönsinn noch immer lebt, mit
unbeschreiblicher Freude aufgenommen. Hierauf begab sich die Königin,
welche den Augenblick nicht erwarten konnte, ihre Tochter wieder zu
sehen, mit uns auf den Weg und nur in Begleitung eines kleinen
Gefolges langten wir in großen Tagereisen in euren Staaten an."
„In dem Dorf, wo Schweigsam die Prinzessin wieder zu finden glaubte,
erfuhren wir, dass die Königin, eure Gemahlin, sie an den Hof genommen
habe, und mit allen möglichen Beweisen ihrer Güte und Huld überhäufe.
So begaben wir uns denn schleunigst hierher, um eurer Majestät für
alle der Prinzessin Rosanie erwiesenen Wohltaten den innigsten Dank
abzustatten."
„Ja, mein König“, nahm die Königin Heiterblick das Wort, „ich vermag
euch und eurer Gemahlin nicht genug zu danken; ich habe gehofft, auch
sie nebst meiner Tochter hier zu finden."
„Nein, gnädige Frau“, entgegnete der König, „die Prinzessin Rosanie
befindet sich nicht hier, ihr sollt sie aber sehr bald in eure Arme
schließen; sie ist bei meiner Gemahlin in der Residenz
zurückgeblieben, wohin wir morgen früh sogleich aufbrechen wollen."
Der König entschuldigte sich hierauf wegen der Versehen, die sie aus
Unbekanntschaft mit dem hohen Rang Rosaniens begangen hätten, und gab
die nötigen Befehle zur Reise, die sie am andern Tage, nachdem die
Königin und ihr Gefolge aufs Prächtigste bewirtet worden, nach der
Hauptstadt antraten.
Rosanie befand sich inzwischen in der tätlichsten Unruhe; außer der
Sorge um die Wunde des Prinzen hatte sie noch weit größeren Anlass zur
Traurigkeit.
Sie sah den schrecklichen Augenblick immer näher kommen, wo der Herr
des Zauberstäbchens erscheinen und dasselbe von ihr zurückfordern
würde. Da es ihr noch immer nicht gelungen war, sich seines Namens zu
erinnern, so war sie durch ihren Eid gezwungen, ihm überall hin zu
folgen, wohin er sie führen wollte.
Sie vergoss die bittersten Tränen, wenn sie daran dachte, sich für
immer von der Königin trennen zu sollen, von der sie mit so viel Güte,
so viel Wohltaten überhäuft worden war und für welche sie die
aufrichtigste Zuneigung empfand. Auch den Umgang der liebenswürdigen
Sirene und der treuen Bigilantia zu entbehren, machte ihr großen
Kummer. Der Gedanke an den Prinz aber zerriss vollends ihr Herz. Es
ist nicht zu sagen, mit welchem Schmerz sie dieser Gedanke erfüllte,
sie schloss kein Auge und weinte die ganze Nacht hindurch.
Während sie noch am Morgen, versunken in so traurige Gedanken, da saß,
meldete man ihr, die Königin, welche sich in dem Zimmer des Prinzen
befand, wünschte sie zu sprechen.
„Ach. meine liebe Rosanie“, rief ihr die Königin entgegen, „was für
entsetzliche Nachrichten! Hätte ich je geahnt, ein solches Ungeheuer
unter meinen Ehrendamen zu haben!" — Hierauf erzählte sie Folgendes:
Derjenige von den Mördern des Prinzen, welcher die Flucht ergriffen,
hatte sich, schwer verwundet, nach einem Dorfe geschleppt, und dort,
auf die Erklärung eines Wundarztes, dass sein Leben verloren sei, die
heftigsten Verwünschungen gegen Misslieb ausgestoßen. Hierauf hatte er
umständlich den ganzen Mordplan und die nichtswürdige Anstifterin
desselben entdeckt und Misslieb verfluchend seinen Geist aufgegeben.
Misslieb, welche von dieser Aussage alsbald Kenntnis erhielt, lief
voller Wut aus dem Palast, eilte zu der Zauberin, überhäufte sie mit
Schmähungen und beachte zuerst jene und dann sich selbst ums Leben.
Nachdem die Königin diese Erzählung beendigt hatte, bei welcher
Rosainen ein kalter Schauer überlief, entfernte sie sich und befahl
Rosanie und Sirene, bei dem Prinzen zu bleiben, um ihm die Zeit zu
zerstreuen und ihn die Schmerzen seiner Wunde weniger empfinden zu
lassen.
Sirene begann auf das Anmutigste zu singen, da sie aber bemerkte, dass
weder der Prinz noch Rosanie ihr zuhörten und mit andern Dingen
beschäftigt schienen, stellte sie sich mit einer andern Dame ans
Fenster und sah zu, wie man die Schwäne fütterte, die auf dem Weiher
vor dem Schloss unterhalten wurden. Als der Prinz sich unbemerkt sah,
sagte er hastig mit leiser Stimme zu Rosanien: „Meine teure Rosanie,
was ist die Ursache dieser ungewöhnlichen Traurigkeit, die ich seit
einiger Zeit an euch bemerke?"
„Mein Prinz“, erwiderte Rosanie, „wie kann ich euch in einem solchen
Zustande sehen, wie kann ich an alle die Gefahren denken, die euch
bedrohten, ohne den lebhaftesten Schmerz zu empfinden!"
„Die Gefahren sind vorüber“, sagte der Prinz, „und ich fürchte auch
keine schlimmen Folgen davon. Da ich aber“, fuhr er fort, „nichts
Geheimes vor euch habe, so will ich auch euch mitteilen, durch welches
ganz besondere Glück ich so mannigfachen Gefahren entkommen bin."
Hierauf erzählte er Rosanien sein Abenteuer mit dem Zauberpalast im
Walde, und wie er ein andermal jenes Höllengesindel belauscht und ihre
teuflischen Reden mit angehört habe. Er vergaß auch nicht, den schönen
Gesang des höllischen Geistes Wort für Wort zu wiederholen:
Wenn dem Mägdlein jung und weiß,
Voller Spiel und Tändelei,
Jetzt mein Name fiele bei,
Dass ich Ricdin-Ricdon heiß',
Wäre ihr das zu großem Heil,
Aber sie wird mein, dieweil
Meinen Namen sie nicht weiß. Als Rosanie diese Worte vernahm, stieß
sie einen so lauten Schrei aus, dass der Prinz anfangs im höchsten
Grade erschrocken war, er beruhigte sich Indes, als er Rosanien mit
der lebhaftesten Freude ausrufen hörte: „Der Himmel sei gelobt für die
unendliche Güte, die er mir beweist!"
Der Prinz bat sie um Erklärung dieser Worte und nachdem die beiden
Damen, welche sich bei jenem Schrei besorgt genähert hatten, wieder
ans Fenster getreten, erzählte Rosanie dem Prinzen ihr ganzes
Abenteuer. Der Prinz musste sie freilich tadeln, mit einem Unbekannten
so leichtsinnig einen derartigen Vertrag eingegangen zu sein: da man
Indes Personen, die man liebt, zu entschuldigen gern bereit ist, so
schob er die ganze Schuld ihrer Unvorsichtigkeit auf ihre
Unerfahrenheit und Jugend. Zugleich aber empfand er das lebhafteste
Entzücken, Rosanien durch sein glückliches Gedächtnis) aus einer so
entsetzlichen Gefahr befreit zu sehen. Er schrieb ihr unverzüglich den
Namen Ricdin-Ricdon in seine Schreibtafel und überreichte ihr
dieselbe.
Rosanie konnte nicht Worte finden, dem Prinzen, der sie zum zweiten
Mal gerettet hatte, ihren Dank auszusprechen, und als sich die andern
beiden Damen der Gesellschaft wieder anschlössen, unterhielt man sich
auf das Heiterste und Angenehmste.
Gegen Mittag trat ein ehrwürdiger Greis herein, welcher einfach, aber
sorgfältig gekleidet war. Als Rosanie ihn erblickte, eilte sie mit
offenen Armen auf ihn zu und rief: „O mein teurer Vater, welche
Freude, euch wieder umarmen zu können, euch am Leben zu sehen, nachdem
ich euch tot glaubte. Seht hier, gnädiger Herr“, wandte sie sich zum
Prinzen, „in diesem redlichen und trefflichen Mann meinen gütigen,
liebevollen Vater..."
„Nein“, unterbrach sie der Greis, „ihr besitzet zu erhabene
Eigenschaften, um das Kind eines Mannes, wie ich, zu sein. Ihr seid
die Tochter eines schon lange dahin geschiedenen mächtigen Königs; die
Königin, eure Mutter, aber befindet sich in diesem Augenblick hier im
Palast bei der Königin; sie naht schon, euch zu umarmen und wird die
Wahrheit meiner Aussage bestätigen."
Rosanie war so bestürzt, dass sie nicht wusste, was sie dazu sagen
sollte. Endlich rief sie aus: „Es ist unmöglich, das kann nicht euer
Ernst sein, lieber Vater, ihr täuscht mich."
„Ich täusche euch nicht, erlauchte Prinzessin“, versetzte der Greis.
„Da kommt schon die Königin, eure Mutter, die euch von der Wahrheit
überzeugen wird."
In diesem Augenblick traten die Königin Heitersinn, König Wackermann
und seine Gemahlin nebst Scharfblick ins Zimmer. Die Königin schloss
ihre Tochter aufs Zärtlichste in die Arme und Rosanie hörte nicht auf,
ihr die Hände zu küssen und sie mit Freudentränen zu benetzen. Weniger
als Besitz eines Thrones entzückte sie der Gedanke, ihn einem Prinzen
anbieten zu können, der sie, noch als ein Bauermädchen, zu seiner
Gemahlin erwählt hatte.
Nachdem man jetzt der Königin, ihrer Mutter, das Mal gewiesen, welches
Rosanie am Ellbogen hatte und welches genau wie eine kleine Rose
aussah, überreichte auch Schweigsam das diamantene Armband und die
übrigen Edelsteine, welche ihm Scharfblick zugleich mit Rosanien
übergeben hatte. Die Königin gab sie der Prinzessin, welche den
wackern Greis, ihren Pflegevater, ihrer immerwährenden Dankbarkeit
versicherte und auch der Frau desselben und seinem Sohne alles
mögliche Gute zu erweisen versprach. Der treue Scharsblick, die gute
Vigilantia und die liebenswürdige Sirene wurden gleichfalls von
Rosaniens Dank nicht vergessen.
Nachdem die lebhaften Ausbrüche der Freude ein wenig nachgelassen
hatten und die Versammlung ruhiger geworden war, bat König Wackermann
Rosaniens Mutter um die Hand ihrer Tochter für den Prinzen, seinen
Sohn. Die Königin willigte mit Freuden ein und der Tag der Vermählung
wurde sogleich festgesetzt.
Nachdem man ein fröhliches Mittagsmahl eingenommen halte, zogen sich
die königlichen Majestäten in ihre Gemächer zurück, um der Ruhe zu
pflegen. Kaum hatte Rosanie ihr Zimmer betreten, so meldete man ihr,
dass ein sehr finster aussehender, ganz schwarz gekleideter Mann sie
zu sprechen verlange.
Rosanie befahl, ihn eintreten zu lassen; sie erkannte auf den ersten
Blick den Herrn des Zauberstäbchens, und obgleich sie zurzeit seinen
Namen sehr wohl wusste, zitterte sie doch bei seinem Anblick, indem
sie an seine wahre Natur dachte.
Stillschweigend stand sie auf, holte das Zauberstäbchen und sagte:
„Hier, Ricdin-Ricdon, hier ist euer Stäbchen."
Der höllische Geist, der dies nicht erwartet hatte, verschwand mit
einem schrecklichen Geheul und war diesmal der Betrogene.
Rosanie und ihr Gemahl lebten eine lange Reihe von Jahren in
vollkommenen. Glücke und wurde von ihren Untertanen geliebt und
verehrt. Sie verheirateten Gutrat und Sirene mit einander, die ihre
Günstlinge blieben, und überhäuften mit Wohltaten alle Diejenigen, die
ihnen früher Dienste erwiesen hatten. Schweigsam, Scharfblick und
Vigilantia hatten alle Ursache, mit den Beweisen ihrer Dankbarkeit
zufrieden zu sein.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.