Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Der blaue Vogel - Französische Märchen
Der blaue Vogel
Es war einmal ein König, der sehr viele Länder und Schätze besaß;
seine Gemahlin aber starb ihm und er war untröstlich deshalb. Er
verschloss sich acht ganze Tage in ein kleines Kabinett, wo er den
Kopf gegen die Wände rannte, so voller Verzweiflung war er. Man
besorgte, er werde sich noch den Kopf einstoßen, und legte Matratzen
zwischen die Wand und die Tapete, so dass er immerhin stoßen konnte
und gleichwohl keinen Schaden nahm. Alle seine Untertanen beschlossen,
zu ihm zu gehen und ihm alles zu sagen, was nur geeignet schien,
seinen Kummer zu lindern. Die Einen studierten auf eine
nachdrucksvolle, ernsthafte Anrede, andere auf etwas Erheiterndes, ja
sogar auf etwas Lustiges: aber nichts von Allem machte Eindruck auf
ihn, erhörte kaum, was man zu ihm sprach.
Endlich erschien auch eine Frau, die mit schwarzen Floren, Schleiern,
Tüchern und langen Trauergewändern dergestalt vermummt war und so über
alle Maßen weinte und schluchzte, dass der König ganz erstaunte.
Die Frau sagte zu ihm, sie komme nicht in der Absicht wie die Übrigen
seinen Schmerz zu vermindern, sondern sie wolle ihn noch vermehren,
denn nichts sei billiger, als eine gute Frau zu beweinen. Sie, die den
besten aller Männer gehabt hätte, sei fest entschlossen, so lange um
ihn zu weinen, als sie noch ein Auge im Kopf habe. Darauf verdoppelte
sie ihr Geschrei und der König heulte nach ihrem Beispiele mit.
Er nahm diese Frau besser auf als alle übrigen; er unterhielt sich
mit ihr von den guten Eigenschaften seiner verstorbenen Gemahlin, und
sie erhob noch vielmehr die ihres verstorbenen Gemahls: und Beide
schwatzten so viel und so lange von ihrem Schmerz, bis sie zuletzt
über ihren Schmerz nichts mehr zu sagen wussten.
Als die schlaue Witwe diesen Gegenstand beinah erschöpft sah,
lüftete sie ein wenig ihre Schleier und der betrübte König weidete
sein Auge an dem Anblick dieser armen Betrübten, die mit vorzüglicher
Geschicklichkeit zwei große blaue Augen, die mit langen, schwarzen
Augenbrauen besetzt waren, umher zu werfen verstand.
Der König betrachtete sie mit vieler Aufmerksamkeit; allmählich sprach
er immer weniger von seiner Frau, zuletzt sprach er gar nicht mehr von
ihr. Die Witwe sagte, sie wolle ihren Mann ohne Aufhören beweinen, und
der König bat, sie möge ihren Schmerz nicht verewigen. Endlich, zu
aller Welt Erstaunen, vermählte sich der König mit ihr und das Schwarz
verwandelte sich in Grün und Rosenfarben. So bedarf es oft nur, die
Schwäche der Menschen zu kennen, um sich ihrer Neigung zu bemächtigen
und alles mit ihnen zu machen, was man will.
Der König hatte aus seiner ersten Ehe nur eine Tochter, die für das
erste Wunder der Welt galt. Sie hieß Florine, weil sie wie die Göttin
Flora so blühend und schön war. Prächtige Kleider liebte sie nicht,
aber einen leichten Anzug mit einer Spange von Edelsteinen und
Blumengirlanden, die in ihr schönes Haar verflochten, den reizendsten
Anblick gewährten. Sie war erst fünfzehn Jahr alt, als sich der König
verheiratete.
Die neue Königin ließ jetzt ihre eigene Tochter herbeiholen, die bei
ihrer Patin, der Fee Sussio, erzogen worden war; allein sie war
deshalb um nichts anmutiger noch schöner geworden. Die Fee hatte sich
alle mögliche Mühe mit ihr gegeben, doch ohne Erfolg; gleichwohl hörte
sie nicht aus sie zärtlich zulieben. Man nannte sie Forelline, weil
ihr Gesicht so rote Flecken hatte, wie eine Forelle. Ihr schwarzes
Haar war so fett und schmutzig, dass man es nicht anrühren mochte, und
ihre gelbe Haut schwitzte Öl aus.
Die Liebe der Königin zu dieser Tochter ging bis zur Narrheit: sie
sprach von nichts als von ihrer reizenden Forelline, und geriet in
Verzweiflung, dass Florine sie in jeder Art so weit übertraf; sie
versuchte alles Mögliche, ihre Stieftochter bei dem Könige
anzuschwärzen; und kein Tag verging, dass nicht die Königin und
Forelline Florinen einen Streich spielten. Aber die sanfte und
geistvolle Prinzessin setzte sich über dieses boshafte Betragen so
viel als möglich hinweg.
Eines Tages sagte der König zu seiner Gemahlin, Florine und Forelline
seien nun groß genug, um sich zu vermählen, und man müsse zusehen,
dass man eine von ihnen an den ersten Prinzen, der sich bei Hofe sehen
ließe, verheirate.
Ich verlange, versetzte die Königin, dass meine Tochter zuerst
vermählt wird, sie ist älter, als die eurige, und da sie tausendmal
liebenswürdiger ist, so kann gar keine Wahl stattfinden.
Der König, welcher nicht gern zankte, sagte, er sei es zufrieden, und
sie solle darüber zu bestimmen haben.
Nach einiger Zeit hörte man, dass der König Liebreiz sie nächstens
besuchen würde. Nie gab es einen zuvorkommenden und prachtliebenden
Prinzen; sein Geist und sein Äußeres entsprachen seinem Namen. Als die
Königin diese Neuigkeit vernahm, setzte sie alle Stickermädchen, alle
Schneider und alle übrigen Arbeiter für Forellinen in Bewegung;
zugleich bat sie den König, dass Florine nichts Neues haben solle, ja
sie bestach sogar ihre Kammerfrauen und ließ ihr an dem nämlichen
Tage, da Prinz Reizlieb eintraf, alle ihre Kleider, ihren Kopfputz und
ihr Geschmeide stehlen, so dass Florine, als sie sich ankleiden
wollte, nicht ein Band vorfand. Sie merkte wohl, wer ihr diesen
schönen Dienst erwiesen habe, und schickte zu den Kaufleuten nach
andern Stoffen; aber die Kaufleute entgegneten, die Königin habe
streng verboten, ihr Etwas zu verkaufen, und so blieb ihr nichts, als
ein altes , beschmutztes Kleidchen. Ganz beschämt setzte sie sich in
einen Winkel des Saales, als der König Reizlieb anlangte.
Die Königin empfing ihn mit außerordentlichen Höflichkeitsbezeugungen;
sie stellte ihm ihre Tochter vor, die heller als die Sonne flimmerte,
durch ihren Putz aber nur noch hässlicher als sonst erschien. Der
König wendete die Augen von ihr ab; aber die Königin wollte sich
überreden, sie gefalle ihm so sehr, dass er in Besorgnis sei, sich von
ihr fesseln zu lassen. Deshalb brachte sie ihm ihre Tochter immer
wieder vor die Augen. Er fragte darauf, ob es nicht noch eine andere
Prinzessin gäbe, Namens Florine?
„Ja“, antwortete Forelline, indem sie mit dem Finger auf sie zeigte,
„die da ist es in der Ecke, die versteckt sich, weil sie wie ein
Aschenbrödel aussieht.
Florine errötete, und wurde so schön, so schön, dass der König
Reizlieb wie geblendet dastand. Er stand rasch auf, machte der
Prinzessin eine tiefe Verbeugung und sagte zu ihr: „Eure
unvergleichliche Schönheit, meine Prinzessin, schmückt euch so sehr,
dass ihr einer fremden Hülfe nicht erst bedürft."
„Mein Prinz“, erwiderte sie, „ich gestehe, dass ich nicht gewohnt bin,
ein so schlechtes Kleid zu tragen, wie dies hier, und ihr würdet mir
ein Vergnügen gemacht haben, wenn ihr mich gar nicht bemerkt hättet.
Das wäre unmöglich, rief Reizlieb; eine so wundervolle Prinzessin
sollte sich irgendwo befinden und man könnte noch für eine andere
Augen haben, als für sie?"
„Ha“, fiel die aufgebrachte Königin ein, ich bringe meine Zeit
wirklich schön zu, indem ich euch zuhöre. Glaubt mir, mein Herr,
Florine ist gefallsüchtig genug man braucht ihr nicht erst so viele
Schmeicheleien vorzusagen."
Der König Reizlieb durchschaute sogleich die Gründe, welche die
Königin so reden ließen, Indes, da er keine Rücksicht zu nehmen
brauchte, so gab er alle seine Bewunderung Florinen zu erkennen, und
unterhielt sich mit ihr drei Stunden hintereinander.
Die Königin war in Verzweiflung und Forelline untröstlich, dass sie
nicht den Vorzug vor der Prinzessin erhielt. Sie gingen nun den König
mit heftigen Klagen an, und nötigten ihn, einzuwilligen, dass man, so
lange König Reizlieb anwesend sei, Florinen in einen Turm sperre, wo
sie sich nicht sehen könnten. Und wirklich war sie kaum wieder auf ihr
Zimmer zurückgekehrt, so ergriffen sie vier Männer und trugen sie hoch
hinauf in den Turm. Hier ließ man sie allein in der äußersten
Trostlosigkeit, denn sie sah wohl, dies alles geschehe nur, um zu
verhindern, dass der König Reizlieb ihr seine Neigung schenke, und
Reizlieb gefiel ihr doch schon so wohl und sie würde ihn gern zu ihrem
Gemahl gewählt haben,'
Da dieser von dem gewaltsamen Verfahren gegen die Prinzessin nichts
wusste, so erwartete er die Stunde, wo er sie wieder zu sehen hoffte,
mit größter Ungeduld. Er fragte nach ihr bei einigen Hofleuten, welche
der König zu seiner Aufwartung geschickt hatte, aber auf Befehl der
Königin sagten sie nur alles erdenkliche Böse von ihr: sie sei
gefallsüchtig, launig, boshaft; sie quäle ihre Freunde und ihre
Dienerschaft; man könnte nicht unsauberer sein, sie triebe den Geiz so
weit, dass sie lieber wie eine Gänsehüterin gekleidet ginge, als sich
von dem Nadelgelde, welches der König, ihr Vater, ihr gebe, einen
anständigen Anzug zu kaufen.
Bei allen diesen Schilderungen stand Reizlieb wahrhaft aus und konnte
die Bewegungen seines Unwillens kaum zurückhalten. Nein, sagte er bei
sich selbst, es ist unmöglich, dass der Himmel einem solchen
Meisterwerk der Natur eine so hässliche Seele gegeben hat. Ich muss
gestehen, sie war nicht eben sauber gekleidet, aber ihre Beschämung
deshalb beweist hinlänglich, dass sie nicht gewohnt ist, sich so
gekleidet zu sehen. Wie, so böse sollte sie sein, mit diesem
bezaubernden Anschein von Bescheidenheit und Sanftmut? Das ist mir
unbegreiflich; weit leichter kann ich mir denken, dass sie so auf
Geheiß der Königin verleumdet wird; sie ist nicht umsonst ihre
Stiefmutter, und die Prinzessin Forelline ist ein so garstiges
Geschöpf, dass es ganz natürlich ist, wenn sie eine so vollkommene
Schönheit beneidet.
Während dieses Selbstgespräches errieten die Hofleute leicht aus
seinen Mienen, dass sie ihm mit ihren Lästerungen der Prinzessin
Florine kein Vergnügen gemacht hatten. Einer von ihnen, schlauer als
die Andern, änderte sogleich Ton und Sprache, um die Gesinnung des
Prinzen zu erforschen und fing an, die Prinzessin wie ein Wunderwerk
herauszustreichen. Bei diesen Worten erwachte der Prinz wie aus einem
liefen Schlafe, unterhielt sich lebhaft, und sein Antlitz glänzte vor
Freude.
Die Königin, ungeduldig, zu erfahren wie es mit der Neigung des Königs
Reizlieb stünde, brachte die halbe Nacht damit zu, die Hofleute
auszufragen, aber alles, was sie ihr hinterbrachten, bestärkte sie nur
noch in dem Glauben, dass der König Florinen liebe.
Was soll man aber von der Schwermut!) dieser armen Prinzessin sagen!
Sie lag in jenem furchtbaren Turm, wohin man sie geschleppt hatte aus
dem Boden, Ich wäre weniger zu beklagen, sagte sie zu sich, hätte man
mich hier eingesperrt, bevor ich noch jenen liebenswürdigen König
erblickte. Der Gedanke an ihn kann meinen Kummer nur vermehren. Ganz
ohne Zweifel behandelt mich die Königin so grausam, um zu verhindern,
dass ich ihn nicht mehr sehe. Ach, wie viel kostet mich das bisschen
Schönheit, welches mir der Himmel verliehen hat. — Dabei weinte sie so
bitterlich, so bitterlich, dass selbst ihre Feindin gewiss Mitleid mit
ihr empfunden hätte, wenn sie Zeugin ihres Schmerzes gewesen wäre.
So verging die Nacht. Die Königin, welche den König Reizlieb durch
alle möglichen Beweise von Aufmerksamkeit fesseln wollte, machte ihm
ein Geschenk von den reichsten und geschmackvollsten Kleidern, nebst
einem Orden, den der König an ihrem Vermählungstage gestiftet hatte.
Es war ein goldenes Herz mit einem feuerfarbenen Schmelz, umgeben von
Pfeilen, deren einer es durchbohrte, mit den Worten: Nur Einer hat
mich verwundet. Die Königin hatte für Liebreiz ein Herz von einem
Rubin, in der Größe eines Straußeneies, anfertigen lassen, jeder Pfeil
bestand aus einem einzigen Diamant, von der Länge eines Fingers und
die Kette, an welcher das Herz hing, war von Perlen, deren kleinste
ein Pfund wog, so dass es, seit die Welt besteht, nichts Ähnliches
gegeben hat.
Der König war bei dem Anblick dieses Geschenks so überrascht, dass er
eine Zeitlang sprachlos dastand; zu gleicher Zeit überreichte man ihm
ein Buch, dessen pergamentne Blätter mit bewunderungswürdigen
Miniaturgemälden geschmückt waren; der goldene Deckel strahlte von
Edelsteinen, der Inhalt enthielt die Gesetze des Ordens. Man sagte dem
Könige, die Prinzessin, welche er gesehen habe, übersende ihm dieses
Geschenk, mit der Bitte, ihr Ritter zu sein.
Bei diesen Worten wagte er sich mit dem Gedanken zu schmeicheln, es
könne die sein, welche er liebe. „Wie, die schöne Prinzessin Florine,
rief er aus, denkt an mich auf eine so freigebige, bezaubernde Weise?"
„Ihre Majestät“, entgegnete man, „irren sich im Namen, wir kommen von
der liebenswürdigen Forelline."
„Also Forelline will mich zu ihrem Ritter?“, sagte der König sehr kalt
und ernsthaft, „ich bedaure, diese Ehre nicht annehmen zu können; aber
ein König ist nicht so sehr sein eigener Herr, dass er jede
Verbindlichkeit, wie er wünschte, annehmen könnte. Ich kenne die
Pflichten eines Ritters und möchte sie gern alle erfüllen; ich zieh'
es daher vor, die Gunst, welche sie mir anbietet, nicht anzunehmen,
als mich ihrer unwürdig zu machen."
Er legte sogleich das Herz, die Kette und das Buch wieder in den Korb
und schickte darauf alles der Königin zurück, die gleich ihrer Tochter
vor Wut zu ersticken meinte über die verächtliche Weise, mit welcher
der fremde König eine so besondere Gunstbezeugung empfangen hatte.
Sobald Reizlieb sich schicklicher Weise zu dem Könige und der Königin
begeben konnte, eilte er dahin, in der Hoffnung, Florinen zu finden.
Überall sah er sich nach ihr um; so oft er Jemanden in das Zimmer
treten hörte, wendete er den Kopf rasch nach der Tür zu; Unruhe und
Misslaune zeigte sich in seinem ganzen Wesen. Die boshafte Königin
erriete leicht genug, was in seiner Seele vorging, aber sie ließ sich
nichts merken. Sie sprach von nichts als von Lustbarkeiten mit ihm; er
antwortete ihr ganz zerstreut; endlich fragte er, wo die Prinzessin
Liebreiz wär'. „Der König, ihr Vater“, entgegnete die Königin stolz,
„hat ihr verboten, sich eher sehen zu lassen, als bis meine Tochter
vermählt sein wird."
„Und aus welchem Grunde“, fragte der König, „kann man diese
liebenswürdige Prinzessin so gefangen halten?"
„Ich weiß nicht“, versetzte die Königin, „und wenn ich es auch wüsste,
könnte ich meine Gründe haben, es euch nicht zu sagen."
König Reizlieb empfand einen heftigen Ingrimm; er sah Forelline mit
zornigen Blicken an, denn dieses kleine Ungeheuer war ja die Ursache,
dass man ihn des Vergnügens, die Prinzessin zu sehen, beraubte. Er
entfernte sich sehr bald, die Gegenwart der Königin war ihm
unerträglich.
Als er sich wieder auf seinem Zimmer befand, sagte er zu einem jungen
Prinzen, welcher ihn begleitete, und den er sehr liebte, er möge alles
aufbieten und kein Geld scheuen, eine von Florinens Kammerfrauen zu
gewinnen, dass er nur einen Augenblick mit der Prinzessin sprechen
könne. Es gelang dem Prinzen leicht, unter den Damen im Palast eine
Vertraute zu gewinnen. Diese versicherte ihn, noch denselben Abend
werde Florine an einem kleinen Fenster erscheinen, welches zu ebener
Erde in den Garten ging, dort könne er mit ihr sprechen; doch müsste
es mit der größten Behutsamkeit geschehen, damit man nichts gewahr
werde; denn, fügte sie hinzu, der König und die Königin sind so
streng, dass sie mich mit dem Tode bestrafen würden, wenn sie
entdeckten, ich hätte die Neigung des Königs Reizlieb begünstigt.
Der Prinz, entzückt, die Sache so weit gebracht zu haben, versprach
ihr alles , was sie wollte, und eilte, den König von Allem in Kenntnis
zu setzen. Aber die nichtswürdige Vertraute sagte der Königin alles
wieder, die sogleich den Gedanken fasste, ihre Tochter an das kleine
Fenster zu schicken; sie unterrichtete diese vollständig, und
Forelline, so einfältig sie sonst war, vergaß nichts.
Die Nacht war so finster, dass der König den Betrug, den man ihm
spielte, unmöglich hätte merken können, selbst wenn er weniger
eingenommen gewesen wär', als er war. Er sagte also, da er sich mit
unaussprechlicher Freude dem Fenster nahte, zu Forellinen alles, was
er Florinen sagen wollte, um sie von seiner Liebe zu überzeugen.
Forelline, seinen Irrtum benutzend, klagte ihm, wie unglücklich sie
sei, eine so grausame Stiefmutter zu haben, und was sie alles noch zu
erdulden haben würde, bis ihre Stiefschwester vermählt sei.
Der König versicherte ihr dagegen, wenn sie ihn zum Gemahl annehmen
wolle, so würde er entzückt sein, seine Krone und sein Herz mit ihr zu
teilen. Darauf zog er einen Ring vom Finger und steckte ihn Forellinen
an, zum Zeichen seiner ewigen Treue, und bat sie, die Zeit zu
bestimmen, wenn sie heimlich von hier abreisen könnten.
Forelline antwortete ihm so gut sie immer konnte; er merkte wohl, dass
sie ihm nicht viel Kluges sagte, und das würde ihn besorgt gemacht
haben, wenn er nicht vollkommen überzeugt gewesen wär', dass ihr die
Furcht, von der Königin überrascht zu werden, die Freiheit des Geistes
benehme. Er verließ sie unter der Bedingung, dass sie morgen um die
nämliche Stunde wieder hier erscheine, was sie ihm auch von ganzem
Herzen versprach.
Als die Königin den glücklichen Erfolg dieser Unterredung erfuhr,
versprach sie sich alles davon. In der Tat wurde auch der Tag
festgesetzt und der König erschien in einem leichten Wagen von
geflügelten Fröschen gezogen, die ihm ein befreundeter Zauberer zum
Geschenk gemacht hatte. Die Nacht war sehr dunkel. Forelline schlich
geheimnisvoll durch eine kleine Tür' hinaus, und der König, der sie
erwartete, schloss sie in seine Arme und schwor ihr hundertmal ewige
Treue. Hierauf fragte er, wo sie wünsche, dass die Vermählung
vollzogen werde.
Sie antwortete ihm, eine sehr berühmte Fee, Namens Sussio, sei ihre
Patin, und sie schlage vor, sich nach dem Schloss derselben zu
begeben. Der König wusste zwar den Weg nicht; Indes er durfte nur
seinen dicken Fröschen befehlen, ihn dahin zu bringen, sie hatten die
Karte des ganzen Erdkreises im Kopf und in kurzer Zeit brachten sie
den König und Forellinen zur Fee.
Das Schloss war so hell erleuchtet, dass der König bei seiner Ankunft
daselbst seinen Irrtum sogleich erkannt haben würde, wenn die
Prinzessin sich nicht sorgfältig in ihren Schleier gehüllt hätte. Sie
fragte gleich nach ihrer Patin, und erzählte ihr unter vier Augen, wie
sie den König Reizlieb ins Netz gelockt habe, und bat zugleich die
Fee, ihn zu besänftigen.
„Ach, mein Töchterchen“, entgegnete die Fee, „das wird gar nicht so
leicht sein, er liebt Florinen allzu sehr; ich weiß gewiss, er wird
uns viel zu schaffen machen."
Inzwischen wartete der König in einem Saale, dessen Wände aus
Diamanten bestanden und so klar und durchsichtig waren, dass er durch
die Wand Sussio und Forellinen zusammen reden sehen konnte. Wie, sagte
er, bin ich denn betrogen? Haben feindliche Geister diese Feindin
unsrer Ruhe hierher getragen? Kommt sie, meine Vermählung zu stören?
Meine teuer Florine erscheint nicht, sollte ihr Vater sie verfolgt
haben?
So drängten sich ihm tausend traurige Gedanken durch den Kopf, aber
noch viel schlimmer ward es, als sie in den Saal traten und die Fee
mit gebieterischem Tone zu ihm sagte: „König Reizlieb, hier ist die
Prinzessin Forelline, der ihr Treue geschworen habt, sie ist mein
Pflegekind, und ich wünsche, dass ihr sie auf der Stelle heiratet."
„Ich“, schrie er, „ich sollte dies kleine Ungeheuer heiraten! Ihr
haltet mich für sehr folgsam, dass ihr mir einen solchen Antrag tut.
Wisst, dass ich ihr nichts versprochen habe; sagt sie anders, so hat
sie... .
„Sprecht nicht aus“, unterbrach ihn die Fee, „seid nicht so verwegen,
die Ehrfurcht gegen mich zu vergessen."
„Ich gesteh' euch alle Ehrfurcht zu, die man einer Fee schuldig ist“,
entgegnete der König, „sobald ihr mir meine Prinzessin zurückgebt."
„Und bin ich das nicht, Meineidiger“, sagte Forelline, indem sie ihm
seinen Ring zeigte. „Wem hast du diesen Ring gegeben zum Pfand deiner
Treue? Mit wem hast du an dem kleinen Fenster gesprochen, wenn nicht
mit mir?
„Also betrogen bin ich, getäuscht!“, rief er; „nein, nein, ich bin
kein solcher Gimpel, Fort, meine Frösche, fort, ich will gleich
abreisen."
„Oho, das steht nicht so in euerm Belieben, wenn ich nicht darein
willige“, sagte die Fee; sie berührte ihn und seine Füße blieben wie
angenagelt am Boden stehen.
„Und wenn ihr mich steinigt“, entgegnete der König, „und wenn ihr mir
die Haut über die Ohren zieht, ich werde keiner Andern, als Florinen,
meine Hand reichen. Das ist mein fester Entschluss und ihr könnt nun
machen, was ihr wollt.
Sussio versuchte es mit Sanftmut, Drohungen, Versprechungen, Bitten.
Forelline weinte, schrie, seufzte, erboste sich und besänftigte sich —
der König sprach kein Wort; er betrachtete alle Beide mit den
verächtlichsten Blicken von der Welt, das war seine ganze Antwort auf
ihr Geschwätz.
So vergingen zwanzig Tage und zwanzig Nächte, in denen sie
unaufhörlich redeten, ohne zu essen, ohne zu schlafen, ja ohne sich
nur zu setzen.
Endlich wusste Sussio nicht mehr, was sie vorbringen sollte und sagte
ganz ermüdet zum Könige: „Nun gut, ihr seid so halsstarrig, keine
Vernunft annehmen zu wollen, wählt also, sieben Jahre in Buße
zuzubringen, dafür, dass ihr euer Wort gegeben habt, ohne es zu
halten, oder mein Pflegekind zu heiraten."
Der König, welcher bis dahin ein tiefes Stillschweigen beobachtet
hatte, schrie unverzüglich: „Macht mit mir, was ihr wollt, nur dass
ich von diesem albernen Dinge befreit werde.
„Alberner selbst“, schrie Forelline zornig; „ihr seid mir ein schöner
Zaunkönig mit eurer Froschequipage, in mein Land zu kommen, mir
Beleidigungen zu sagen, euer Wort zu brechen — wenn ihr nur für vier
Pfennige Ehre hättet, würdet ihr euch nicht so benehmen."
„Das sind rührende Vorwürfe“, versetzte der König spöttisch. „Ist es
nicht entsetzlich, eine so schöne Dame nicht zur Frau nehmen zu
wollen?"
„Nein, nein, das sollt ihr auch nicht“, schrie die Fee im äußersten
Zorn; „du brauchst nur durch dieses Fenster zu fliegen, wenn du
willst, denn du wirst sieben Jahre lang ein blauer Vogel sein."
In diesem Augenblick verwandelte sich die Gestalt des Königs, seine
Arme überzogen sich mit Federn und wurden Flügel, seine Füße wurden
schwarz und dünn; es wuchsen ihm krumme Krallen, sein Leib schrumpfte
zusammen und lange feine, himmelblaue, glänzende Federn bedeckten ihn
ganz und gar; seine Augen rundeten sich und funkelten wie die Sonne;
seine Nase verwandelte sich in einen elfenbeinernen Schnabel; auf dem
Kopf erhob sich ein weißer Federbusch in Form einer Krone; er sang zum
Entzücken und sprach sogar. Der König stieß einen schmerzlichen Schrei
aus über seine Verwandlung und flog eiligst davon, um nur den
widerwärtigen Palast der Fee nicht mehr zu sehen.
Von Schwermut gebeugt, flatterte er von Zweig zu Zweig, aber er wählte
nur solche Bäume, welche der Liebe oder der Trauer heilig sind; so saß
er bald auf Myrten, bald auf Zypressen, und beklagte in schwermütigen
Gesängen sein und Florinens unglückliches Geschick. An welchen Ort
haben ihre Feinde sie verborgen? sagte er bei sich. Was ist aus ihr
geworden? Hat die Grausamkeit der Königin sie noch am Leben gelassen?
Wo soll ich sie suchen? Bin ich verdammt, sieben Jahre ohne sie
zuzubringen? Vielleicht vermählt man sie inzwischen an einen Andern,
und die einzige Hoffnung, die mich am Leben erhält, ist dahin. So
mannigfaltige Gedanken bekümmerten den blauen Vogel, und brachten ihn
endlich so weit, dass er sein Leben zu enden beschloss.
Unterdessen schickte die Fee Sussio Forellinen zur Königin zurück, die
sehr ungeduldig war, zu erfahren, wie die Hochzeit vorübergegangen
wär'. Aber da ihre Tochter zurückkehrte und ihr alles erzählte, was
vorgefallen war, geriet sie in einen furchtbaren Zorn, dessen ganze
Folgen die arme Florine trafen. „Sie soll es bereuen, rief sie, mehr
als einmal, dass sie gewusst hat, sich so iu die Neigung des Königs
einzuschleichen."
Sie ging in den Turm mit Forellinen, die sich ihre prächtigsten
Kleider angezogen hatte; auf dem Kopf trug sie eine Krone von
Diamanten, und drei der vornehmsten jungen Damen trugen die Schleppe
ihres königlichen Talars; am Finger hatte sie den Ring des Königs
Reizlieb, den Florine bei ihrer ersten Unterredung mit dem Könige
bemerkt hatte.
Sie war sehr erstaunt, Forellinen in einem so prunkhaften Aufzuge zu
erblicken. „Meine Tochter“, sagte die Königin, „will dir ihre
Hochzeitgeschenke zeigen; sie hat sich mit dem König Reizlieb
vermählt. Er liebt sie bis zum Wahnsinn und es hat nie ein
glücklicheres Paar gegeben."
Sogleich breitete man vor der Prinzessin gold- und silberdurchwirkte
Stoffe aus, Edelsteine, kostbare Spitzen und Bänder, die in großen
Körben von Golddraht lagen. Und, indem man ihr alle diese Dinge
vorzeigte, verfehlte Forelline nicht, den Ring des Königs spielen zu
lassen.
So konnte die Prinzessin Florine nicht länger an ihrem Unglück
zweifeln, und rief voll Verzweiflung, man solle alle diese traurigen
Geschenke ihr aus den Augen nehmen, sie wolle nichts mehr tragen, als
Schwarz, oder vielmehr, sie wolle gleich Kerben.
Bei diesen Worten siel sie in Ohnmacht, und die grausame Königin,
voller Freude, dass ihr Anschlag so wohl gelungen war, erlaubte nicht,
dass man ihr Hülse leiste; sie ließ sie allein in dem
beklagenswertesten Zustande von der Welt; ihrem Gemahl aber erzählte
sie boshafterweise. Florine sei von Zärtlichkeit so hingerissen, dass
sie die unsinnigsten Dinge angebe, und man müsse sich ja hüten, sie
aus dem Turm herauszulassen. Der König erwiderte, sie könne in dieser
Angelegenheit tun, was sie wolle und er werde immer damit zufrieden
sein.
Als die Prinzessin aus ihrer Ohnmacht erwachte, und über das Betragen
nachdachte, welches man sich gegen sie erlaubte, über die
nichtswürdige Behandlung von Seiten ihrer boshaften Stiefmutter und
über die so getäuschte Hoffnung, je die Gemahlin des Königs Reizlieb
zu werden, so wurde ihr Schmerz so lebhaft, dass sie die ganze Nacht
durch weinte. In diesem Zustande trat sie aus Fenster und überließ
sich den zärtlichsten und rührendsten Klagen. Als der Tag anbrach,
machte sie das Fenster zu und weinte von Neuem.
In der folgenden Nacht öffnete sie wieder das Fenster, seufzte und
schluchzte von Grund ihres Herzens und vergoss unzählige Tränen; der
Tag kam und sie verbarg sich in ihrem Zimmer.
Inzwischen wurde König Reizlieb, oder vielmehr der schöne blaue Vogel,
nicht müde, den Palast zu umflattern; er glaubte, dass seine teuere
Prinzessin darin eingeschlossen sein müsse; und wenn sie trauervolle
Klagen ausstieß so waren es die seinigen nicht minder; er näherte sich
den Fenstern so viel er konnte, um in die Zimmer zu sehen; die Furcht,
Forelline könne ihn bemerken und wieder erkennen, nötigten ihn, sich
entfernt zu halten, auch sang er fast nur bei Nacht.
Florinens Fenster gegenüber stand eine Zypresse von außerordentlicher
Höhe; auf die setzte sich der blaue Vogel. Er hatte sich kaum auf ihr
niedergelassen, so hörte er die Stimme einer Klagenden. „Wie lange
soll ich noch dulden?“, sagte dieselbe. „Wird mir der Tod nicht zu
Hülfe kommen? Denen, die ihn fürchten, naht er allzu rasch; ich sehne
mich nach ihm, und der Grausame flieht mich! Ach, barbarische Königin,
was hab' ich dir getan, um mich in einer so schrecklichen
Gefangenschaft zu halten I Hast du sonst keinen Aufenthalt zur Qual
für mich, Du darfst mich ja nur eine Zeugin des Glückes werden lassen,
welches deine unwürdige Tochter mit dem König Reizlieb genießt."
Der blaue Vogel hatte kein Wort von diesen Klagen verloren und war
nicht wenig erstaunt darüber. Er erwartete den Tag mit der äußersten
Ungeduld, um die Klagende zu sehen; aber noch vor Tagesanbruch schloss
sie das Fenster und verschwand.
Der blaue Vogel versäumte nicht, in der folgenden Nacht wieder zu
kommen; der Mond schien hell und er erblickte an dem Fenster des
Turmes ein junges Mädchen, die wiederum zu klagen begann. „O
Schicksal“, sagte sie, „du versprachst mir einen Königsthron, du gabst
mir die Liebe meines Vaters — was hab' ich dir getan, dass du mir
plötzlich die bittersten Schmerzen bereitest? In einem so zarten
Alter, wie dem meinigen, muss ich deine Unbeständigkeit erfahren? Komm
zurück, Liebloser, komm' zurück, wenn es möglich ist; ich bitte dich
um Nichts, als mein trauriges Leben zu enden."
Je mehr der blaue Vogel hörte, desto mehr überzeugte er sich, dass die
Klagende seine geliebte Prinzessin sei. „Angebetete Florine“, sagte er
zu ihr, „warum wollt ihr euer Leben so rasch beschließen? Eure Leiden
sind nicht unheilbar!"
„Wie, wer spricht zu mir“, rief sie, „wer will mich trösten?"
„Ein unglücklicher König“, versetzte der Vogel, „der euch liebt und
zeitlebens lieben wird."
„Ein König, der mich liebt?“, wiederholte sie. „Ist das vielleicht
eine Schlinge, welche meine Feindin mir legt? Aber was könnte sie
damit erreichen? Wenn sie meine Gesinnungen erforschen will, ich will
ihr Nichts verhehlen."
„Nein, meine Prinzessin“, entgegnete der Vogel, „der Liebende, welcher
spricht, ist nicht fähig, euch zu verraten. Mit diesen Worten flog er
zu ihr ans Fenster."
Florine empfand anfänglich große Furcht vor einem so außerordentlichen
Vogel, der so verständig wie ein Mensch zu ihr sprach, obgleich er nur
eine Stimme hatte, so fein wie eine Nachtigall: aber die Schönheit
seines Gefieders und das, was er ihr sagte, beruhigte sie wieder.
„Jst es mir vergönnt“, rief er aus, „euch wieder zu sehen, meine
Prinzessin! Kann ich ein so außerordentliches Glück genießen, ohne vor
Freude zu sterben! Ach, aber diese Freude ist durch eure
Gefangenschaft getrübt, und durch den Zustand, in welchen mich die
boshafte Sussio auf sieben Jahre verdammt hat!"
„Und wer bist du denn, liebreizender Vogel?“, fragte die Prinzessin,
indem sie ihn streichelte.
„Ihr habt meinen Namen genannt“, erwiderte der König, „und ihr solltet
mich nicht erkennen?"
„Wie“, rief die Prinzessin, „ein so mächtiger König, der König
Reizlieb wäre der kleine Vogel hier auf meiner Hand?"
„Ja, schöne Florine“, antwortete der blaue Vogel, „es ist nur allzu
wahr, und wenn mich Etwas darüber trösten kann, so ist es, dass ich es
vorzog, diese traurige Verwandlung zu ertragen, als auf die Liebe zu
euch zu verzichten."
„Zu mir?“, wiederholte Florine erstaunt. „Ach, täuscht mich nicht! Ich
weiß ja, dass ihr mit Forellinen vermählt seid; ich hab' euern Ring an
ihrem Finger gesehen; ich habe sie gesehen, funkelnd von Diamanten,
die sie von euch erhalten hat; sie kam, mich in meiner traurigen
Gefangenschaft zu verhöhnen, mit einer goldenen Krone auf dem Haupt,
in einem königlichen Talar, die sie beide von eurer Hand empfing,
während ich in Banden schmachtete."
„Ihr habt Forellinen in einem solchen Aufzuge gesehen?“, unterbrach
sie der König; „sie und ihre Mutter haben es gewagt, euch zu sagen,
diese Geschenke kamen von mir? O Himmel, ist es möglich, dass ich so
abscheuliche Lügen vernehmen muss, und mich nicht auf der Stelle dafür
rächen kann! Wißt, sie haben mich hintergehen wollen; sie haben euern
Namen missbraucht und mich dahin gebracht, die hässliche Forelline zu
entführen: sobald ich aber nur meinen Irrtum erkannte, wollt' ich sie
auf der Stelle verlassen und zog es vor, lieber sieben Jahre lang in
einen blauen Vogel verwandelt zu bleiben, als die Treue zu verletzen,
die ich euch gelobt habe."
Florine empfand ein so inniges Vergnügen, den edlen König sprechen zu
hören, dass sie der Leiden ihrer Gefangenschaft gar nicht mehr
gedachte. Was sagte sie ihm nicht alles, um ihn über sein Missgeschick
zu trösten und um ihn zu versichern, dass sie nicht weniger für ihn
tun würde, als er für sie getan hätte. Der Tag brach an, ein Teil der
Schlossbewohner war schon munter, und der blaue Vogel und die
Prinzessin plauderten noch. Sie trennten sich mit großer Überwindung,
nachdem sie versprochen hatten, alle Nächte zusammenzukommen.
Die Freude, sich gesunden zu haben, war so außerordentlich, dass es
nicht zu beschreiben ist. Doch war Florine für den blauen Vogel in
großer Sorge. Wer wird ihn vor den Jägern schützen? sagte sie, oder
vor der scharfen Kralle eines Adlers, oder vor einem hungrigen Geier!
O Himmel, wie würde mir werden, wenn seine weichen, feinen Federn mir
vom Winde entgegen getrieben würden und mir in meine traurige
Gefangenschaft die Schreckensbotschaft seines Todes brächten! —
Der schöne Vogel verbarg sich inzwischen in einem hohlen Baume; der
Gedanke an seine geliebte Florine beschäftigte ihn den ganzen Tag. Wie
glücklich bin ich, sie wieder gefunden zu haben, sagte er; wie
bezaubernd ist sie! wie gut! Er rechnete die ganze Zeit seiner Buße
nach, und wünschte sehnsuchtsvoll das Ende derselben herbei. Da er
sich gegen Florine so aufmerksam als möglich zu beweisen wünschte, so
flog er nach der Hauptstadt seines Königreichs und schlüpfte durch ein
zerbrochenes Fenster in ein Kabinett seines Palastes. Dort nahm er ein
Paar Ohrgehänge von Diamanten, die an Kostbarkeit und Schönheit nicht
ihres Gleichen mehr hatten, brachte sie am Abend Florinen und bat sie,
sich damit zu schmücken.
„Recht gern wollt' ich es tun“, antwortete sie, „wenn ihr mich am Tage
damit sähet; aber da ich euch nur bei Nacht spreche, so werd' ich sie
nicht anlegen."
Der blaue Vogel versprach ihr, zu jeder Stunde, wenn sie nur wollte,
ans Fenster zu kommen; sogleich hing sie die Ohrgehänge ein, und die
Nacht verstrich ihnen, gleich wie die erste, in angenehmer
Unterhaltung.
Am folgenden Morgen kehrte der blaue Vogel in sein Königreich und in
seinen Palast zurück , er schlüpfte durch die zerbrochenen
Fensterscheiben in sein Kabinett und nahm daselbst die prächtigsten
Armbänder, die man je gesehen hat. Sie bestanden aus einem einzigen
Smaragd, rautenförmig geschliffen und in der Mitte ausgehöhlt, damit
Hand und Arm hindurch könnten.
„Glaubt ihr wohl“, sagte die Prinzessin, „dass meine Liebe für euch
durch Geschenke genährt werden müsse! O wie falsch würdet ihr dieselbe
dann beurteilen."
„Nein, gewiss nicht“, entgegnete Reizlieb; „ich glaube nicht, dass die
Kleinigkeiten, die ich euch bringe, Notwendig sind, um mir eure Liebe
zu bewahren; aber der meinigen würd' es empfindlich sein, wenn ich
irgend eine Gelegenheit versäumte, euch meine Aufmerksamkeit zu
beweisen. Und dann, wenn ihr mich nicht seht, werden diese kleinen
Tändeleien mich euch ins Gedächtnis zurückrufen."
Sobald der Tag anbrach, flog der blaue Vogel wieder in seinen hohlen
Baum, wo Früchte seine Nahrung waren. Zuweilen sang er auch, und so
schön, dass die Vorübergehenden ganz entzückt waren. Da sie nicht
sahen, von wem der Gesang käme, so mussten es natürlich Geister sein.
Dieser Glaube ward so allgemein, dass sich Niemand mehr in das Gehölz
wagte: man erzählte sich tausend fabelhafte Abenteuer, die sich
daselbst ereignet hätten und die allgemeine Furcht gereichte dem
blauen Vogel zur besonderen Sicherheit.
Es verging kein Tag, an welchem er nicht Florinen ein Geschenk machte,
bald ein Halsband von Perlen, bald Ringe von Brillanten, aufs Schönste
gefasst, Schleifen von Diamanten, Haarnadeln, Sträußchen von
Edelsteinen, von den Farben der lieblichsten Blumen, Bücher und noch
vieles Andere. Genug, sie hatte bald einen ganzen Vorrat der
ausgesuchtesten Kostbarkeiten; sie schmückte sich damit nur bei Nacht,
um dem Könige zu gefallen, und bei Tage verbarg sie alles sorgfältig
in ihrer Strohdecke.
So gingen zwei Jahre hin, ohne dass Florine ein einziges Mal noch ihre
Gefangenschaft beklagte. Und worüber hätte sie auch klagen sollen? Sie
genoss ja das Glück, die ganze Nacht sich mit dem, welchen sie liebte,
unterhalten zu können. Sah gleich Florine keinen Menschen und brachte
gleich der Vogel den Tag über in seinem hohlen Baume zu: so hatten sie
sich doch immer etwas Neues zu erzählen. Ihr Stoff war unerschöpflich,
denn ihr Herz und Geist boten hinlänglich Unterhaltung dar.
Inzwischen hatte die boshafte Königin, welche Florinen gefangen hielt,
lauter vergebliche Bemühungen gemacht, Forellinen zu verheiraten. An
alle Prinzen, deren Namen sie nur kannte, schickte sie Abgesandte und
ließ ihnen Forellinens Hand antragen; man wies sie aber ohne alle
Umstände zurück. Ja, sagte man, wenn es Prinzessin Florine wär', so
hätte man euch mit Freuden aufgenommen — Forelline aber, die mag nur
immer eine Vestaliu bleiben, es wird Niemand was dagegen haben.
Mutter und Tochter ärgerten sich über solche Antworten nicht wenig:
aber ihr ganzer Grimm fiel auf die unschuldige Florine. „Wie, trotz
ihrer Gefangenschaft“, sagten sie, „soll uns dies freche Geschöpf in
den Weg kommen? Sie muss geheime Verbindungen im Auslande unterhalten;
sie ist zum Allerwenigsten eine Staatsverbrecherin; als solche wollen
wir sie auch behandeln und alles Mögliche aufbieten, sie zu
überführen."
Sie hielten so lange mit einander Rat, bis es beinah Mitternacht war;
da entschlossen sie sich, noch in den Turm zu gehen und Florinen zu
befragen. Diese stand eben bei dem blauen Vogel am Fenster, mit ibren
Juwelen geschmückt, ihr schönes Haar wohl geordnet, mit einer
Sorgfalt, wie man sie von einer Be trübten und Gefangenen nicht
erwarten konnte. Blumen waren in ihrem Gemach und auf ihr Bett
gestreut, und köstliches Räucherwerk verbreitete den angenehmsten
Wohlgeruch. Die Königin lauschte an der Tür und vernahm den lieblichen
Gesang zweier Stimmen.
„Ha, Forelline“, rief die Königin, „wir sind verraten!" Damit öffnete
sie rasch die Tür' und stürzte in das Zimmer.
Wie wurde Florinen bei diesem Anblick! Sie warf hastig das kleine
Fenster zu, damit der blaue Vogel Zeit gewinne zu entfliehen. Sie war
weit mehr um seine Rettung, als um ihre eigene besorgt, sie war aber
nicht stark genug, sich zu entfernen. Sein Falkenblick hatte ihm die
Gefahr schon entdeckt, von welcher die Prinzessin bedroht wurde. Er
hatte die Königin und Forellinen erblickt; o welcher Schmerz, dass er
so unvermögend war, der Geliebten beizustehen. Wie Furien stürzten sie
auf sie los, als ob sie sie verschlingen wollten.
„Man kennt schon eure Ranke gegen den Staat“, schrie die Königin,
„denkt nicht, dass eure Geburt euch vor der wohlverdienten Strafe
schützen wird."
„Ränke?“, versetzte Florine, „und mit wem sollt' ich sie angesponnen
haben? Seid ihr nicht selbst seit zwei Jahren meine Gefangenwärterin?
Hab' ich in dieser Zeit Jemand anders gesehen, als die ihr zu mir
geschickt habt?"
Während sie so sprachen, betrachteten die Königin und ihre Tochter sie
mit einem Erstaunen sonder gleichen; ihre bewunderungswürdige
Schönheit und ihr kostbarer Schmuck blendeten sie. „Und woher habt ihr
denn“, fragte die Königin, „diesen Schmuck, der heller als die Sonne
funkelt? Wollt ihr uns etwa glauben machen, dass es in diesem Turm
eine Diamantgrube gibt?"
„Ich hab' ihn hier gefunden“,, entgegnete Florine, „das ist alles, was
ich darüber zu sagen weiß."
Die Königin sah sie scharf an, als wollte sie bis auf den Grund ihres
Herzens dringen. „Wir lassen uns nicht so hintergehen“, sagte die
Königin, „wir sind nicht so leichtgläubig, wie ihr denkt; ja,
Prinzessin, wir wissen, was ihr von früh bis in die Nacht beginnt. Man
hat euch alle diese Juwelen gegeben, nur in der Absicht, damit ihr das
Königreich euers Vaters verraten sollt."
„Ich wär' auch sehr wohl im Stande, es zu verraten“, erwiderte sie mit
einem verächtlichen Lächeln, „ich, eine unglückliche Prinzessin, die
schon so lange Zeit in Banden schmachtet, kann recht viel zu einem
solchen Anschlag beitragen."
„Und für wen denn“, fuhr die Königin fort, „habt ihr euch die schönen
Locken gemacht, euch wie zu einem Hoffest geputzt, euch mit
Wohlgerüchen umgeben?"
„Ich habe ja Zeit genug“, antwortete Florine; „ist es denn etwas so
Außerordentliches, dass ich einige Augenblicke für meinen Anzug
verwende? ich bringe so viele andre damit zu, mein Unglück zu
beweinen, dass mir jene wohl nicht vorzuwerfen sind."
„Nun, nun, lass doch sehen“, sagte die Königin, „ob diese unschuldige
Person nicht mit den Feinden des Landes unterhandelt hat." — Sie
suchte sogleich überall nach, und als sie den Strohsack durchwühlte,
fand sie den ganzen Vorrat von Diamanten, Perlen, Rubinen, Smaragden
und Topasen. Sie hatte sich vorgenommen, irgendwo ein Papier
unterzuschieben, welches die Beschuldigung gegen die Prinzessin
bestätigte, und sie schob auch ein solches ganz heimlich ins Kamin;
zum Glück aber hatte sich der blaue Vogel darauf gesetzt, und da er
schärfer sah, als ein Luchs und alles wahrnahm, rief er: „Nimm dich in
Acht, Florine, deine Feindin will dir einen Streich spielen."
Diese so unerwartete Stimme erschreckte die Königin so sehr, dass sie
ihr Vorhaben nicht auszuführen wagte. „Ihr seht" sagte Florine, „die
Geister in der Luft wollen mir wohl."
„Ja, ja“, erwiderte die Königin, „die bösen Geister wollen euch wohl;
aber ihnen zum Trotz wird euer Vater schon sein Recht ausüben."
„O wollte der Himmel“, rief Florine, „dass ich sonst nichts zu
fürchten hätte, als den Zorn meines Vaters! Der eurige ist
furchtbarer."
Die Königin entfernte sich, ganz verwirrt von dem Allen, was sie
gesehen und gehört hatte. Sie beratschlagten nun, was gegen die
Prinzessin vorzunehmen sei. Man sagte ihr, wenn irgend eine Fee oder
ein Zauberer sie unter ihren Schutz genommen hätten, so würde man die
Sache noch schlimmer machen, wenn man sie länger quäle; man solle
lieber ihre Ränke aufzudecken suchen.
Die Königin billigte diese Idee; sie schickte der Prinzessin zu ihrer
Aufwartung ein junges Mädchen, die sich ganz unbefangen stellen
sollte, um Florinen desto besser auszuforschen. Aber der Fallstrick
war zu grob. Die Prinzessin erkannte ihn sogleich. Sie empfand den
lebhaftesten Schmerz. „Wie" rief sie aus, „so soll ich nicht mehr mit
meinem lieben blauen Vogel sprechen können? Er half mir mein Unglück
ertragen, ich tröstete ihn über das seinige, unsere Liebe ließ alles
ertragen. Was wird er jetzt anfangen? Und was soll aus mir werden?"
Bei diesen Gedanken strömten unaufhaltsam ihre Tränen.
Sie wagte nicht mehr, sich an das kleine Fenster zu stellen, obgleich
sie ihn draußen flattern hörte; sie starb fast vor Sehnsucht, es ihm
zu öffnen, aber sie fürchtete, sein teures Leben einer Gefahr
auszufetzen. So verstrich ein ganzer Monat, ohne dass sie sich sehen
ließ; der blaue Vogel war in Verzweiflung. Welche Klagen stieß er aus!
Nie hatte er das Schmerzliche der Trennung und seiner Verwandlung so
lebhaft empfunden. Umsonst sann er auf Hülfe; er fand keine Hülfe,
keinen Trost.
Die Kundschafterin, die nun schon einen ganzen Monat gewacht hatte,
ward endlich doch von Müdigkeit überwältigt und sank in einen tiefen
Schlaf. Kaum bemerkte dies Florine, so öffnete sie das kleine Fenster
und rief: „Blau wie der Himmel über dir, Blauer Vogel flieg rasch zu
mir!"
Der blaue Vogel verstand diesen Ruf so wohl, dass er gleich auf das
Fenster geflogen kam. Welche Freude des Wiedersehens! Wie viel hatten
sie sich zu sagen! Sie wiederholten tausend und tausend Mal die
Versicherungen ihrer Freundschaft und Treue. Endlich kam die Stunde
der Trennung, und sie nahmen auf das Rührendste Abschied.
Am folgenden Tage schlief die Aufpasserin noch immer; Florine eilte
wieder ans Fenster und rief wie das Erste Mal:
„Blau wie der Himmel über dir,
Blauer Vogel, flieg rasch zu mir!" Sogleich kam der blaue Vogel herbei
und die Nacht verging, wie die erste, ganz unbemerkt. Die Liebenden
waren entzückt und schmeichelten sich, die Wächterin werde so viel
Vergnügen am Schlafen finden, dass sie keine Nacht mehr wach bleiben
würde. Wirklich ging auch noch die dritte Nacht ganz glücklich
vorüber; aber in der folgenden hörte die Aufseherin ein Geräusch und
lauschte, ohne sich etwas merken zu lassen. Sie erblickte im
Mondschein den schönsten Vogel von der Welt, wie er mit der Prinzessin
sprach, sie mit den Füßchen streichelte und den Schnabel sanft an sie
schmiegte. Über ihre Unterhaltung war sie auch nicht wenig erstaunt,
denn der Vogel sprach wie ein Liebender, und die schöne Florine
antwortete ihm aufs Zärtlichste.
Der Tag brach an und sie nahmen Abschied von einander; als hatten sie
ein Vorgefühl ihres nahen Unglücks gehabt, trennten sie sich mit
schwerem Herzen. Die Prinzessin warf sich auf ihr Lager und benetzte
es mit ihren Tränen und der König kehrte in seinen hohlen Baum zurück.
Alsbald lief ihre Aufpasserin zur Königin und hinterbrachte ihr alles,
was sie gesehen und gehört hatte. Die Königin ließ Forelline und ihre
Vertrauten herbeiholen; und nachdem sie lange hin- und hergesprochen
hatten, waren sie endlich alle der Meinung, der blaue Vogel sei
Niemand anders als König Reizlieb.
„Welch ein Schimpf!“, schrie die Königin, „welch ein Schimpf, meine
Forelline! Diese unverschämte Prinzessin, die ich von Kummer ganz
gebeugt glaubte, führt in aller Ruhe mit unserm Undankbaren ganz
angenehme Unterhaltungen. Aber ich will mich rächen, so rächen, dass
sie daran denken sollen."
Forelline bat sie, keinen Augenblick zu verlieren, und da sie sich
noch mehr beleidigt glaubte, als die Königin, so war sie außer sich
vor Freude bei dem Gedanken, wie übel es den Liebenden ergehen werde.
Die Königin schickte die Aufpasserin wieder in den Turm zurück, und
befahl ihr, weder Argwohn noch Neugier zu zeigen und zu tun, als
schliefe sie noch fester als sonst. Sie schlief also zur gehörigen
Zeit wieder ein und schnarchte auf ihr Bestes; dadurch getäuscht,
öffnete die arme Prinzessin das kleine Fenster und rief: „Blau wie der
Himmel über dir, Blauer Vogel, flieg rasch zu mir!"
Aber sie rief vergebens die ganze Nacht durch; der blaue Vogel kam
nicht, denn die boshafte Königin hatte Degen, scharfe Messer und
Dolche an der Zypresse befestigen lassen; und als nun der blaue Vogel
mit ausgebreiteten Schwingen sich darauf niederlassen wollte,
durchschnitten ihm die mörderischen Waffen die Füße; er fiel auf
andere, die ihm die Flügel zerschnitten, und so überall verwundet,
rettete er sich mit großer Not in seinen Baum, eine lange Blutspur
zurücklassend.
Warum warst du nicht da, schöne Prinzessin, um den Unglücklichen zu
trösten! Aber nein, sie wäre gestorben bei einem so beklagenswerten
Anblick. Er wollte keine Sorge weiter für sein Leben tragen, denn er
bildete sich ein, Florine selbst habe ihn an ihre Stiefmutter
verraten.
„Grausame“, rief er schmerzhaft aus, „belohnst du so die reinste und
zärtlichste Liebe? Wenn du meinen Tod wolltest, warum verlangtest du
ihn nicht selbst? Er wär' mir von deiner Hand willkommen gewesen.
Welches Vertrauen hatte ich zu dir! Was erduldete ich um dich, und
hab' es ohne Klagen erduldet! Wie, und du konntest mich der
grausamsten aller Frauen opfern! Sie war unsre gemeinschaftliche
Feindin; du hast sie mit meinem Leben versöhnen wollen!" — Voll von
diesen niederschlagenden Gedanken, beschloss er zu sterben.
Inzwischen war sein Freund, der Zauberer, als er die fliegenden
Frösche mit den Wagen zurückkommen sah ohne den König, so besorgt um
ihn gewesen, dass er achtmal die ganze Erde durchlief, um ihn
aufzusuchen. Da er ihn nicht finden konnte, trat er zum neunten Mal
seine Wanderung an und gelangte dabei in das Gehölz, in welchem sich
der König aufhielt; wie gewöhnlich stieß er fünfmal ins Horn, und
schrie fünfmal aus Leibeskräften: „König Reizlieb, König Reizlieb, wo
seid ihr?"
Der König erkannte die Stimme seines besten Freundes und antwortete:
„Kommt hier zu diesem Baume und erblickt den unglücklichen König, den
ihr liebt, in seinem Blute schwimmend."
Der Zauberer sah sich ganz erstaunt nach allen Seiten um, aber er sah
nichts.
„Ich bin der blaue Vogel“, sagte der König mit matter, erlöschender
Stimme. Nun fand ihn der Zauberer ohne Mühe in seinem kleinen Neste.
Ein so geschickter Zauberer, wie er, brauchte nur ein paar Worte, um
das Blut zu stillen, welches noch immer floss, und mit einigen
Kräutern, die er im Walde fand, und über welche er einige
Zaubersprüche murmelte, stellte er den König so vollkommen her, als
war' er gar nicht verwundet gewesen.
Hierauf bat er ihn um Erklärung, durch welches Missgeschick er in
einen Vogel verwandelt worden sei und wer ihn so grausam verwundet
habe. Der König erzählte ihm alles, und sagte, Florine selbst müsse
das Geheimnis ihrer nächtlichen Zusammenkünfte verraten haben, um sich
mit der Königin auszuföhnen, ja sie müsse darein gewilligt haben, dass
man die Zypresse mit Dolchen und Messern behänge, die ihn fast ganz
zerschnitten hätten. Er brach in die bittersten Klagen über die
Untreue der Prinzessin aus, und sagte, er würde sich glücklich
schätzen, wenn er gestorben wär', bevor er ihr falsches Herz hätte
kennen lernen.
Der Zauberer fing nun an, gegen Florinen und überhaupt gegen alle
Frauenloszuziehen und riet dem Könige, die Ungetreue zu vergessen.
„Welches Unglück stünde euch bevor“, sagte er, „wenn ihr im Stande
wäret, diese Undankbare noch länger zu lieben! Nachdem, was sie euch
angetan hat, muss man alles von ihr befürchten."
Gleichwohl konnte der König sich nicht dazu entschließen, denn er
liebte Florinen noch allzu sehr. Der Zauberer vertröstete ihn auf die
Zeit, welche jeden Schmerz lindre, und der blaue Vogel bat seinen
Freund nur, ihn nach Hause zu versetzen, in einen Käsig, wo er vor den
Krallen der Katzen und anderen mörderischen Nachstellungen geschützt
sei.
„Wollt ihr denn aber“, sagte der Zauberer, „noch fünf Jahre in einem
so beklagenswerten Zustande bleiben, der euerm Beruf und eurer Würde
so wenig angemessen ist? Dazu kommt, ihr habt Feinde, die das Gerücht
von euerm Tode aussprengen; sie wollen sich euers Thrones bemächtigen,
und ich fürchte sehr, ihr verliert ihn, noch ehe ihr eure natürliche
Gestalt wieder empfangen habt."
„Könnte ich denn nicht“, versetzte der König, „in meinen Palast
zurückkehren und ganz wie sonst regieren?"
„Ja, das ist eine missliche Sache! entgegnete der Zauberer. Man will
wohl einem Menschen gehorchen, aber nicht einem Papagei. Man fürchtet
euch als König, von Glanz und Größe umgeben; sieht man aber, dass ihr
ein kleiner Vogel seid, so rupft man euch alle Federn aus."
„O menschliche Schwäche!“, rief der König; „dieser trügerische Glanz,
obschon er Verdienst und Tugend so wenig bezeichnet, hat doch so viel
Verführerisches, dass man ihm kaum widerstehen kann."
„Ich ergebe mich nicht sogleich“, sagte der Zauberer, „ich hoffe immer
noch Mittel zu finden."
Inzwischen verweilte Florine, die kummervolle Florine, in
Verzweiflung, den König nicht mehr zu sehen, Tag und Nacht an ihrem
Fenster, und wiederholte in einem fort:
„Blau wie der Himmel über dir,
Blauer Vogel flieg rasch zu mir!"
Selbst die Anwesenheit ihrer Aufseherin hinderte sie daran nicht; ihre
Verzweiflung war so heftig, dass sie keine Furcht mehr kannte. „Was
ist aus euch geworden, König Reizlieb?“, rief sie. „Haben euch unsere
gemeinschaftlichen Feinde die schrecklichen Folgen ihrer Wut empfinden
lassen? Seid ihr das Opfer ihrer Grausamkeit geworden? Ach, seid ihr
nicht mehr am Leben? Soll ich euch niemals wieder sehen? Oder habt ihr
vielleicht, meines Unglücks müde, mich selbst verlassen? Tränen und
Schluchzen unterbrachen ihre zärtlichen Klagen. Wie lang wurden ihr
die Stunden, da sie den blauen Vogel nicht mehr sah. Kaum konnte sich
noch die Prinzessin aufrecht erhalten, so hinfällig schwach und elend
wurde sie; sie war überzeugt, dass dem Könige das Allertraurigste
begegnet sei.
Die Königin und Forelline triumphierten; sie freuten sich noch mehr
über ihre Rache, als sie sich vorher über die Beleidigung geärgert
hatten. Unterdessen aber wurde Florinens Vater, der schon bei Jahren
war, krank und starb. Nun bekam die Lage der boshaften Königin und
ihrer Tochter eine ganz andere Gestalt. Man sah sie als Günstlinge an,
die ihre Macht missbraucht hätten. Das empörte Volk drängte sich zum
Palast und verlangte die Prinzessin Florine, die sie als ihre Herrin
anerkannten. Die aufgebrachte Königin wollte die Sache mit Strenge
behandeln; sie erschien auf dem Balkon und drohte den Empörern. Aber
nun wurde der Aufstand allgemein; man stieß die Türen ihrer Wohnung
ein, zertrümmerte alles und tötete sie selbst mit Schlägen und
Steinwürfen. Forelline entfloh zu ihrer Pathe, der Fee Sussio, denn
sie lief nicht weniger Gefahr, als ihre Mutter.
Die Großen des Reichs versammelten sich in größter Eile und begaben
sich nach dem Turm, wo sie die Prinzessin krank und betrübt fanden.
Sie wusste noch nichts von dem Tode ihres Vaters, und von dem
schrecklichen Ende ihrer Feindin. Als sie den Lärm hörte, glaubte sie,
man komme, sie zum Tode zu führen; sie erschrak aber darüber nicht,
denn das Leben war ihr seit dem Verlust des blauen Vogels verhasst.
Doch es waren ihre Untertanen die sich ihr zu Füßen warfen, und sie
von der Veränderung, welche ihr Schicksal erfahren hatte, in Kenntnis
setzten. Auch das machte wenig Eindruck auf sie. Nun trug man sie in
den Palast und krönte sie.
Die außerordentliche Sorge, die man für ihre Gesundheit trug, und ihre
Sehnsucht, den blauen Vogel aufzusuchen, trugen nicht wenig zu ihrer
Herstellung bei und gaben ihr bald so viel Kraft, einen Staatsrat zu
ernennen, der in ihrer Abwesenheit das Reich verwalte; darauf steckte
sie für einige Millionen Edelsteine zu sich und begab sich einmal des
Nachts auf den Weg, ohne dass irgend Jemand wusste, wohin.
Der Zauberer, welcher sich die Lage seines Freundes, des Königs
Reizlieb sehr zu Herzen nahm, hatte nicht Macht genug, das Werk der
Fee zu zerstören; er entschied sich also, zu ihr zu gehen und ihr
einen Vergleich vorzuschlagen, damit sie dem Könige seine natürliche
Gestalt wiedergebe. Die Frösche wurden vorgespannt und flogen zur Fee,
die eben mit Forellinen schwatzte.
Von einem Zauberer bis zu einer Fee ist nur ein handbreiter Abstand;
sie kannten sich seit fünf- oder sechshundert Jahren. „Was wünscht
mein Herr Gevatter?“, fragte sie ihn, denn so nennen sie sich
untereinander. „Kann ich ihm mit irgend Etwas dienen, was von mir
abhängt?"
„Ja, Frau Gevatterin“, versetzte der Zauberer, „es hängt ganz allein
von euch ab; es handelt sich um meinen besten Freund, den ihr
unglücklich gemacht habt."
„Ha, ich verstehe, Gevatter!“, rief Sussio, „es tut mir sehr leid,
aber es ist keine Gnade für ihn zu hoffen, wenn er nicht mein
Pflegetöchterchen hier heiraten will; sie ist schön und liebenswürdig,
wie ihr seht; er mag sich's überlegen.
Der Zauberer verstummte, so hässlich fand er sie; er konnte sich aber
doch nicht entschließen, fortzugehen, ohne für seinen Freund Etwas
getan zu haben, denn der König befand sich in tausendfacher Gefahr, so
lange er im Käfig war. Der Haken, an welchem der Käsig hing, war
zerbrochen, der Käsig heruntergefallen und die gefiederte Majestät
litt nicht wenig vom Falle! Die Katze, welche sich gerade im Zimmer
befand, da sich der Unfall ereignete, kratzte ihn dabei so ins Auge,
dass er einäugig zu werden meinte. Ein andermal hatte man vergessen,
ihm zu trinken zu geben, und er war nahe daran, zu verschmachten, als
man ihn noch durch einige Tropfen erfrischte. Ein kleiner schelmischer
Affe, der entsprungen war, erwischte ihn durch das Gitterwerk seines
Käfigs hindurch bei den Federn, die er dermaßen zerrupfte, als hätt'
er eine Elster oder eine Amsel in der Mache.
Doch das Schlimmste von Allem war, dass er auf dem Punkt stand, sein
Königreich zu verlieren; seine Erben dachten tagtäglich neue Ränke
aus, um zu beweisen, dass er tot sei.
Endlich einigte sich der Zauberer mit seiner Gevatterin Sussio dahin,
dass sie Forellinen in den Palast des Königs Reizlieb bringen, dass
diese einige Monate daselbst bleiben, und dass sich der König
inzwischen entscheiden solle, ob er sie heirate; für diese Zeit solle
ihm die Fee seine menschliche Figur wiedergeben, doch mit dem
Vorbehalt, ihn wieder in einen Vogel zu verwandeln, wenn er sich nicht
mit Forellinen vermähle.
Die Fee beschenkte ihre Pflegetochter mit den prächtigsten Kleidern,
welche von Gold und Silber nur so starrten, dann bestieg sie mit ihr
einen Drachen und sie begaben sich in das Königreich Reizliebs. Drei
Schläge mit ihrem Zauberstäbchen stellten den König wieder her, wie er
gewesen war, schön, liebenswürdig, geistreich. Aber wie teuer erkaufte
er die Zeit, die ihm von seiner Buße erlassen wurde. Schon der bloße
Gedanke, Forellinen zu heiraten, ließ ihn schaudern. Der Zauberer
stellte ihm zwar, so viel er konnte, die eindringlichsten Beweggründe
vor, aber sie machten keinen Eindruck auf ihn. Er dachte weniger an
sein Reich als auf Mittel, die Frist, welche die Fee ihm gegeben hatte
um Forellinen zu heiraten, noch zu verlängern.
Inzwischen hatte die Königin Florine, als Bäuerin verkleidet, mit
fliegendem Haar, welches einen Teil ihres Gesichts bedeckte, einen
Strohhut auf dem Kopf, einen Leinwandsack auf dem Rücken, ihre
Wanderung angetreten, bald zu Fuß, bald zu Pferde, über Meer und Land;
sie eilte, so sehr sie konnte, aber da sie nicht wusste, wo sie den
König antreffen sollte, fürchtete sie immer, ihn irgendwo zu suchen,
während er sich gerade wo anders befände.
Eines Tages, da sie am Rande einer Quelle verweilte, deren
Silberwellen über weiße Kiesel rollten, empfand sie Lust, sich die
Füße zu baden; sie setzte sich auf den Rasen, band ihr blondes Haar
mit einem Bande fest und tauchte mit den Füßen ins Wasser. Gerade ging
eine kleine alte Frau vorüber, ganz gebückt und an einem großen Stock
humpelnd; sie blieb stehen und fragte: „Was machst du da, mein schönes
Töchterchen? bist du so ganz allein?"
„Mein gutes Mütterchen“, antwortete die Königin, „ich befinde mich in
zahlreicher Gesellschaft, denn Kummer, Unruhe und Sorgen begleiten
mich." Damit brach sie in Tränen aus.
„Wie?“, fuhr die gute Alte fort, „so jung und so betrübt? Gräme dich
nicht, meine Tochter, sag mir ganz aufrichtig, was dir fehlt, und ich
hoffe, dich trösten zu können."
Die Königin tat es gern und erzählte ihr alle ihre Leiden, von der
Feindschaft der Fee Sussio, und endlich, dass sie jetzt umherwandre,
den blauen Vogel aufzusuchen.
Die kleine Alte richtete sich empor und war in einem Augenblick ganz
verwandelt; sie erschien schön, jung und prachtvoll gekleidet. Sie
blickte die Königin mit einem holden Lächeln an, und sagte zu ihr:
„Liebenswürdige Florine, der König, den ihr sucht, ist kein Vogel
mehr, meine Schwester Sussio hat ihm seine frühere Gestalt wieder
gegeben und er befindet sich in seinem Königreich. Betrübt euch nicht
länger, ihr werdet ihn wieder sehen und an das Ziel eurer Wünsche
gelangen. Hier sind vier Eier, zerbrecht sie, sobald ihr in Roth seid
und ihr werdet darin finden, was euch dienlich ist." Mit diesen Worten
verschwand sie.
Florine fühlte sich von dem was sie gehört hatte getröstet; sie
steckte die Eier in ihren Sack und richtete ihre Schritte gerade nach
dem Königreiche Reizliebs.
Nachdem sie acht Tage und acht Nächte, ohne sich auszuruhen, gegangen
war, gelangte sie an den Fuß eines ungeheuer hohen Berges, der ganz
und gar von Elfenbein war und so steil, dass man keinen Fuß darauf
setzen konnte. Sie machte hundert vergebliche Versuche, sie glitt
immer wieder aus und wurde ganz müde davon. Voller Verzweiflung über
ein so unüberwindbares Hindernis, setzte sie sich endlich am Fuße des
Berges nieder, entschlossen, hier zu sterben — da erinnerte sie sich
der Eier, welche ihr die Fee gegeben hatte. Sie nahm eins davon und
sagte: „Lass doch sehen, ob sie mich nur zum Besten gehabt hat, als
sie mir versprach, ich würde alles darin finden, was mir Not tue."
Als sie nun das Ei zerbrach, fand sie kleine Stacheln von Stahl darin,
welche sie sich an Händen und Fußen befestigte, und damit ohne alle
Schwierigkeit den elfenbeinernen Berg hinaufklimmte; denn die Stacheln
fassten festen Fuß und verhinderten so das Ausgleiten.
Als sie ganz oben war, zeigte sich eine neue Schwierigkeit, nämlich
hinunterzukommen, denn das ganze Thal bestand aus einer einzigen
Spiegeltafel. Rings umher standen eine ungeheure Menge von Weibern,
die sich mit dem größten Wohlgefallen darin bespiegelten; denn dieser
Spiegel, welcher wohl zwei Meilen breit und sechse lang war, ließ eine
Jede sich so erblicken, wie sie zu sein wünschte. Hatte eine rotes
Haar, so zeigte sie der Spiegel blond; die Brünette hatte schwarzes
Haar, die alten glaubten jung zu sein; die jungen alterten nicht; mit
einem Wort, man sah sich so ganz nach Wunsch, jeder Fehler wurde hier
so umgewandelt, dass man aus allen Enden der Welt herbeikam. Man hätte
sich totlachen mögen über die Grimassen und das Mienenspiel dieser
Schönen.
Aus gleichem Grunde fanden sich auch nicht wenig Männer ein; denn ein
solcher Spiegel gefiel ihnen gleichfalls. Dem Einen lieh er schöne
Haare, dem Andern einen edleren und schlankeren Wuchs, ein
kriegerisches Ansehen und einen besseren Anstand. Die Frauen, über die
sie spotteten, spotteten nicht weniger über sie; daher gab man diesem
Berge sehr verschiedene Namen; bis auf den Gipfel aber war noch
Niemand gekommen, und als man Florinen oben erblickte, stießen alle
Frauen ein lautes Geschrei aus. Wohin will diese Unbesonnene? riefen
sie. Sie wird doch so klug sein, nicht auf unsern Spiegel
herabzusehen! auf den ersten Schritt zerbricht sie alles. Kurz, sie
erhoben einen Lärm zum ohnmächtig werden.
Die Königin wusste nicht, was sie tun sollte, denn es schien allzu
gefährlich, hier hinabzusteigen. Sie zerbrach also ein zweites Ei.
Sogleich kamen zwei Tauben heraus und ein Wagen, der auf der Stelle so
groß wurde, dass sie bequem darin sitzen konnte. Darauf flogen die
Tauben mit der Königin leicht hinab, ohne dass ihr nur das Mindeste
widerfuhr.
„Meine kleinen Freunde“, sagte sie jetzt zu ihnen, „wolltet ihr mich
wohl dahin führen, wo König Reizlieb seinen Hof hält? Ihr würdet mich
damit außerordentlich verpflichten."
Die freundlichen, folgsamen Täubchen flogen Tag und Nacht, bis sie an
den Thoren der Residenz angelangt waren. Florine stieg ab, und gab
jedem Täubchen einen Kuss zum Lohne.
O, wie schlug ihr das Herz, als sie hier eintrat! Sie schwärzte sich
das Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Jeden, dem sie begegnete,
fragte sie, wo sie den König zu sehen bekommen könne.
„Den König sehen?“, wiederholten die Leute lachend. „Geh', was willst
du von ihm, mein allerliebstes Schmuzbartel? Geh', geh' und wasche
dich erst; du siehst zu hässlich aus, um einen solchen Monarchen zu
sehen."
Die Königin erwiderte nichts, sie entfernte sich still und fragte
immer wieder andere, denen sie begegnete, wo sie den König sehen
könnte.
„Morgen“, sagte man ihr, „wird er öffentlich mit der Prinzessin
Forelline im Tempel erscheinen, denn er hat sich endlich entschlossen,
ihr seine Hand zu reichen."
O Himmel, welche Nachricht! Forelline, die nichtswürdige Forelline auf
dem Punkt, den König zu heiraten! Florine meinte, auf der Stelle vor
Schmerz zu sterben, sie war so kraftlos, dass sie weder reden noch
gehen konnte. Sie setzte sich unter ein Thor auf einen Steinhaufen;
ihr langes, fliegendes Haar und ihr Strohhut verbargen das Gesicht
hinlänglich. „O wie unglücklich bin ich!“, sagte sie zu sich; „ich
komme hierher, um den Triumph meiner Feindin noch zu vermehren, und
eine Zeugin ihres Glückes zu sein! War das der Grund, weshalb der
blaue Vogel nicht mehr zu mir kam? Für dieses kleine Ungeheuer also
beging er eine so grausame Untreue, während ich, von Gram verzehrt,
mich um sein Leben ängstigte!"
Wenn mau sehr betrübt ist, hat man selten großen Hunger; die Königin
suchte nur ein Lager und legte sich nieder, ohne gegessen zu haben.
Mit Anbruch des Tages stand sie auf und eilte zum Tempel. Sie drängte
sich hinein, nachdem sie hundertmal von den Wachen und Soldaten
zurückgestoßen und geschlagen worden war. Sie sah den Thron des Königs
und den Forellinens, die man schon als Königin betrachtete. Welch ein
Gefühl für die zärtliche, gefühlvolle Florine! Sie näherte sich dem
Thron ihrer Nebenbuhlerin und blieb, an einen Marmorpfeiler gelehnt,
unbeweglich stehen. Der König erschien zuerst, schöner und
liebenswürdiger als je. Darauf kam Forelline, prachtvoll gekleidet,
aber so hässlich, dass man ein Grauen empfand. Sie betrachtete die
Königin mit einem finstern Blick und sagte zu ihr: „Wer bist du, dass
du dich unterstehst, meiner Herrlichkeit und meinem Goldthron so nahe
zu kommen?"
„Ich heiße Schmuzeline“, antwortete Florine, „und komme von weit her,
um euch einige seltene Kostbarkeiten zum Kauf anzubieten." Zugleich
griff sie in ihren Leinwandsack und zog die Armbänder von Smaragd
heraus, welche König Reizlieb ihr geschenkt hatte.
„Oho!“, rief Forelline, „das sind ja allerliebste Glassächelchen!
Willst du ein paar Groschen dafür haben?"
„Weist sie Kennern“, versetzte die Königin, „und dann wollen wir
unsern Handel schließen."
Forelline, die den König zärtlicher liebte, als man von einem solchen
Geschöpf hätte erwarten sollen, war entzückt, eine Gelegenheit zu
finden, mit ihm zu sprechen. Sie näherte sich seinem Thron, zeigte ihm
die Armbänder und bat ihn, ihr seine Meinung darüber zu sagen.
Bei dem Anblick dieser Armbänder erinnerte er sich an die, welche er
Florinen gegeben hatte; er erblasste, seufzte und konnte lange Zeit
nicht antworten, endlich, aus Furcht, seinen Zustand zu verraten,
ermannte er sich und sagte: „Diese Armbänder gelten leicht so viel,
als mein ganzes Königreich."
Forelline begab sich auf ihren Thron zurück, auf dem sie sich
schlechter ausnahm, als eine Schnecke in ihrem Häuschen. Sie fragte
die Königin, wie viel sie, ohne Vorschlag, für diese Armbänder haben
wolle?
„Es wind' euch nicht leicht sein, sie mir zu bezahlen“, entgegnete
Florine; „ich will euch aber einen andern Handel vorschlagen: wenn ihr
mich eine Nacht in der Echogrotte, im Palast des Königs, schlafen
lasst, so geb' ich euch meine Armbänder dafür."
„Ja, ja, ich will es, meine schöne Schmuzeline“, sagte Forelline,
indem sie ein unsinniges Gelächter ausschlug, wobei sie ihre Zähne
wies, die länger als Schweinshauer waren.
Der König fragte nicht weiter, woher die Armbänder kämen, weniger aus
Gleichgültigkeit gegen die Person, welche sie anbot, obgleich sie eben
nicht geeignet schien, die Neugier zu reizen, als aus einer
unüberwindlichen Abneigung gegen Forellinen. Nun muss man wissen, dass
er als blauer Vogel der Prinzessin erzählt hatte, unter seinem Zimmer
befinde sich ein Kabinett, die Echogrotte genannt, welches so
kunstreich gebaut sei, dass er in seinem Zimmer das leiseste Wort, was
darin gesprochen werde, hören könne; und da Florine ihm seine
Treulosigkeit vorwerfen wollte, so hatte sie das beste Mittel dazu
gewählt.
Man führte sie also auf Forellinens Geheiß in jenes Kabinett. Sie
begann zu seufzen und zu klagen. „So ist mein Unglück“, rief sie aus,
„an welchem ich so gern zweifeln möchte, nur zu gewiss! Grausamer
blauer Vogel, du hast mich vergessen, du liebst meine unwürdige
Feindin. Die Armbänder, die ich von deiner Hand empfangen habe,
konnten mein Bild dir nicht zurückrufen, so sehr hast du mich
vergessen!" — Schluchzen unterbrach ihre Worte; dann setzte sie ihre
Klagen fort bis zum Anbruch des Tages.
Die Kammerdiener, welche sie die ganze Nacht durch ächzen und seufzen
gehört hatten, sagten es der Königin wieder, und diese fragte, warum
sie in der Nacht solchen Lärm gemacht hätte. Florine versetzte, sie
pflege lebhaft zu träumen und dann im Schlaf sehr laut zu sprechen.
Was den König betrifft, so hatte er durch ein besonderes Verhängnis
nichts gehört. Seitdem er nämlich Florine liebte, konnte er nicht mehr
schlafen, und man gab ihm daher, wenn er sich zu Bette legte, Opium
ein, damit er doch einige Ruhe genieße.
Florine brachte den ganzen Tag in großer Unruhe zu. „Wenn er mich
gehört hat“, sagte sie bei sich, „gibt es eine grausamere
Gleichgültigkeit? Und wenn er mich nicht gehört hat, was soll ich
anfangen, damit er mich hört?" Seltenheiten besaß sie nicht mehr, denn
obwohl Edelsteine immer schön sind, so musste es doch etwas sein, was
gerade Forellinen reizte; sie nahm daher ihre Zuflucht zu ihren Eiern.
Sie zerbrach eins und alsbald erschien eine kleine Karosse von
geschliffenem Stahl, mit Gold eingelegt. Sie war mit sechs grünen
Mäusen bespannt; ein rosenfarbenes Mäuschen machte den Kutscher und
ein kornblaues den Vorreiter. In der Karosse selbst saßen vier
Marionetten, die an Munterkeit und Laune alles übertrafen, was man je
davon gesehen, bewunderungswürdig tanzten und ganz erstaunliche
Kunststücke machten.
Florine freute sich sehr über dieses neue Meisterstück der
Zauberkunst. Abends, um die Stunde, wo Forelline auf die Promenade zu
gehen pflegte, setzte sie sich in eine Allee und ließ die Mäuse mit
der Karosse und den Marionetten nach Herzenslust galoppieren.
Über dieses neue Schauspiel geriet Forelline so in Entzücken, dass sie
einmal über das andere ausrief: „Schmuzeline, Schmuzeline, willst du
ein paar Groschen für deine Karosse und dein Mäusegespann?"
„Fragt die Gelehrten im ganzen Lande“, entgegnete Florine, „was ein
solches Wunderwerk wert sei, und ich will mich dem Ausspruch des
Gelehrtesten unterwerfen."
Forelline entgegnete ihr auf ihre gewöhnliche herrische Weise: „Ohne
mich noch länger mit deiner schmutzigen Gegenwart zu belästigen, sag'
mir gleich, was du dafür haben willst."
„Noch einmal in der Echogrotte schlafen“, versetzte Florine, „das ist
alles, was ich verlange."
„Geh', du einfältiges Geschöpf“, erwiderte Forelline, „es soll dir
gewahrt sein! Was für eine dumme Kreatur“, sagte sie zu ihren Frauen,
„von ihren Seltenheiten nicht mehr Vorteil zu ziehen."
Die Nacht kam; Florine sagte das Zärtlichste, was sie nur immer
ersinnen konnte, aber eben so vergebens als früher, denn der König
hatte auch in dieser Nacht sein Opium genommen.
Die Kammerdiener sagten zu einander: „Diese Bäuerin muss wahrhaftig
toll sein, was hat sie denn alle Nacht zu schwatzen?" „Bei alledem“,
sprachen andere, ist nicht zu leugnen, dass sich in Allein, was sie
sagt, viel Verstand zeigt."
Ungeduldig erwartete sie den Anbruch des Tages, um zu sehen, welche
Wirkung ihre Reden gehabt hätten. „Ach, der Hartherzige ist meiner
Stimme taub geworden!“, sagte sie. „Er hört seine geliebte Florine
nicht mehr! O, welche Schwäche, ihn doch noch zu lieben! Ja, ich
verdiene wohl die Zeichen seiner Geringschätzung." Doch es war
vergebens, was sie sich vorsagte, sie konnte nicht aufhören, ihn zn
lieben.
Sie hatte in ihrem Sack nur noch ein einziges Ei, auf dessen Beistand
sie hoffen durfte; sie zerbrach es und eine Pastete zeigte sich mit
sechs Vögeln, die gespickt, gebraten und sehr wohl zubereitet waren,
und bei alledem zum Entzücken sangen, wahrsagten, und Rezepte
vorschrieben, besser als der erste Doktor.
Die Königin war über dieses Wunderwerk außerordentlich erfreut und
eilte mit ihrer redenden Pastete nach Forellinens Zimmer.
Während sie darauf wartete, dass Forelline herauskommen sollte,
näherte sich ihr einer der Kammerdiener des Königs und sagte: „Wisst
ihr auch, mein gutes Schmuzelinchen, dass, wenn der König nicht Opium
eingenommen hätte, um schlafen zu können, ihr ihn sicherlich aufwecken
würdet? Es ist ja erstaunlich, was ihr alle Nächte zusammenschwatzt!"
Florine wusste nun, wie es kam, dass sie der König nicht gehört hatte;
sie griff in ihren Sack und sagte: „Ich fürchte so wenig die Ruhe des
Königs zu unterbrechen, dass, wenn ihr ihm diesen Abend kein Opium
geben wollt, im Fall ich wieder in der folgenden Nacht in der
Echogrotte schlafe, alle diese Perlen und Diamanten für euch sein
sollen." Der Kammerdiener willigte ein und gab ihr sein Wort darauf.
Nach einigen Augenblicken kam Forelline heraus und erblickte Florinen,
die im Begriff schien, ihre Pastete zu verzehren. „Was machst du da,
Schmuzeline?“, sagte sie zu ihr.
„Madame“, versetzte Florine, ich speise Wahrsager, Musikanten und
Ärzte. Zugleich begannen alle Vögel einen wunderlieblichen Gesang, und
dann riefen sie: Weist uns eure Hand, wir wollen euch wahrsagen." Eine
Ente, welche alle andern überschrie, rief: „Ich bin ein Doktor, und
heile alle Krankheiten und Narrheiten, nur die der Liebe nicht."
Dieses Wunderwerk fetzte Forellinen noch mehr in Erstaunen, als alle
übrigen; sie beteuerte mit einem Schwur, diese köstliche Pastete müsse
sie haben. „He, Schmuzelinchen, was soll ich dir dafür geben?"
„Den gewöhnlichen Preis“, versetzte diese, „noch einmal in der
Echogrotte schlafen, nichts weiter."
„Da“, sagte Forelline großmütig, denn sie war durch den Besitz einer
solchen Pastete sehr guter Laune geworden), „da hast du noch einen
Louisdor dazu"; Florine zahlte und begab sich zufriedener als je
hinweg, denn nun konnte sie doch hoffen, von dem Könige gehört zu
werden.
Kaum war es Nacht, so ließ sie sich in das Kabinett bringen und
wünschte nur sehnlichst, dass der Kammerdiener Wort halte und dem
Könige diesmal kein Opium, sondern vielmehr einen Trank gebe, der ihn
ermuntere. Sobald sie nur vermuten konnte, dass alles schliefe, begann
sie ihre gewöhnlichen Klagen. „Wie viel Gefahren setzte ich mich aus,
um dich zu sehen, während du mich fliehst und und Forellinen heiraten
willst! Was hab' ich dir getan, Grausamer, dass du deine Schwüre
vergisst? Erinnere dich, da du noch der blaue Vogel warst, wie
zärtlich ich dich liebte, wie du jede Nacht an mein Fenster flogst" —
und dabei erzählte sie ihm alles, was sie zusammen gesprochen hatten.
Der König schlief nicht; er erkannte deutlich Florinens Stimme und
hörte jedes ihrer Worte. Er wusste nicht, was er davon denken sollte;
aber sein Herz, von Liebe durchdrungen, rief ihm so lebhaft das Bild
seiner teueren Prinzessin zurück, dass er nicht weniger Schmerz
empfand, als da ihn die Dolche und Messer der Zypresse verwundeten. Er
erwiderte die Klagen der Königin. „Ach, Florine“, sagte er, „du warst
allzu grausam gegen einen König, der dich so innig liebte! Wie war es
möglich, dass du ihn unfern gemeinschaftlichen Feinden zum Opfer
bringen konntest?"
Florine, die alles hörte, antwortete ihm, er solle nur Schmuzelinen
fragen, so werde ihm das ganze Geheimnis klar werden.
Auf diese Worte rief der König voller Ungeduld nach einem seiner
Kammerdiener und fragte ihn, ob er nicht Schmuzelinen auffinden und
herbringen könne.
Das sei sehr leicht, versetzte der Kammerdiener, denn sie schlafe ja
in der Echogrotte.
Der König konnte sich dies Rätsel nicht erklären. Florine und
Schmuzeline in einer Person? Unmöglich! Und doch war es Florinens
Stimme, und Schmuzeline wusste Geheimnisse, die außer Florinen
Niemanden bekannt sein konnten! In dieser Ungewissheit stand er auf,
kleidete sich hastig an und eilte auf einer geheimen Treppe in die
Echogrotte hinab.
Er fand Florinen in einem leichten Gewande von weißem Taffet, das sie
unter ihrer armseligen Kleidung trug; ihr schönes, lockiges Haar
wallte auf ihre Schultern herab, sie lag auf einem Ruhebett, auf
welches der matte Schein eines Lämpchens fiel. Plötzlich trat der
König herein, seine Liebe siegte über allen Groll, er erkannte sie
kaum, so warf er sich zu ihren Füßen, benetzte ihre Hände mit Tränen
und war nahe daran, vor Freude und Schmerz zu sterben, während tausend
verschiedene Gedanken seine Seele zugleich bestürmten.
Die Königin war nicht weniger bewegt; ihr Herz war gepresst; kaum
konnte sie atmen. Sprachlos, mit unverwandten Blicken, sah sie den
König an, und als sie Kraft gewonnen hatte, zu sprechen, fehlte es ihr
doch an Kraft, ihm Vorwürfe zu machen. Die Freude, ihn wieder zu
sehen, ließ sie an keine Klagen denken. Endlich verständigten und
rechtfertigten sie sich. Ihre Zärtlichkeit erwachte, und was sie
allein noch beunruhigte, war die Fee Sussio.
Doch in diesem Augenblick erschien der Zauberer, der Freund Res
Königs, mit einer mächtigen Fee, und das war eben die, welche Florinen
die vier Eier gegeben hatte. Nach den ersten Begrüßungen erzählten
sie, dass die Fee Sussio ihrer vereinigten Macht nicht habe
widerstehen können, und dass also ihrer Verbindung kein Hindernis mehr
im Wege stehe.
Man kann sich die Freude der beiden Liebenden vorstellen! Kaum war es
Tag, so wurde sie im ganzen Palaste bekannt gemacht; und alles war
entzückt, Florinen zu sehen. Als Forelline diese unerwartete Neuigkeit
erfuhr, lief sie gleich zum Könige: welche Überraschung, ihre schöne
Nebenbuhlerin bei ihm zu finden! Sie öffnete schon den Mund, um sie
mit Schmähungen zu überhäufen, als der Zauberer und die Fee herzu
kamen und sie in ein Schwein verwandelten, eine Verwandlung, die ihrem
natürlichen Charakter so wohl entsprach. Grunzend und brummend lief
sie davon.
Der König Reizlieb und die Königin Florine, von ihrer widerwärtigen
Feindin befreit, dachten nun an nichts weiter, als ihre Hochzeit zu
feiern, auf welcher sich alle Pracht erschöpfte. Das Glück der beiden
Liebenden war, nach so langen Leiden, um so größer.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.