Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Rosette - Französische Märchen
Rosette
Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten zwei schöne
Prinzen. Bei ihrer Geburt hatte die Königin jedes Mal die Feen dazu
eingeladen und sie gebeten, ihr die Schicksale ihrer Kinder
vorherzusagen. Zum dritten Mal gebar sie eine Tochter, die so reizend
war, dass man sie nicht ansehen konnte, ohne sie zu lieben. Nachdem
die Königin die Feen, welche sie besuchten, aufs Beste bewirtet hatte,
sagte sie beim Abschiede zu ihnen: „Seid doch so gütig und sagt mir
nun auch, was Rosetten (so nannte man die kleine Prinzessin) begegnen
wird.
Die Feen entschuldigten sich, sie hätten ihr Zauberbuch zu Hause
gelassen. Sie wollten ein andermal wiederkommen und es mitbringen.
„Ach!“, sagte die Königin, „das bedeutet nichts Gutes. Ihr wollt mich
durch eine schlimme Weissagung nicht betrüben, aber ich bitte euch,
verhehlt mir nichts, lasst mich alles wissen."
Die Feen wollten zwar durchaus nicht mit der Sprache heraus, dadurch
aber wurde die Königin nur umso begieriger, zu erfahren, was es sei.
Endlich sagte die vornehmste unter ihnen: „Wir fürchten, Rosette wird
ihren Brüdern großes Unglück bereiten, sie werden um ihretwillen bei
irgendeiner Gelegenheit den Tod finden. Das ist alles, was wir von
dieser kleinen reizenden Prinzessin vorher wissen. Es tut uns sehr
leid, euch eben nichts Besseres verkündigen zu können."
Damit gingen sie fort; die Königin aber wurde so traurig, so
schwermütig, dass der König die Betrübnis in ihrem Gesicht las und sie
fragte, was sie denn hätte.
Sie antwortete, sie sei dem Feuer zu nahe gekommen und habe sich den
ganzen Flachs verbrannt, der auf der Spindel gewesen.
„Nichts weiter?“, sagte der König, ging in den Speicher und
brachte ihr mehr Flachs, als sie in hundert Jahren verspinnen konnte.
Aber die Königin blieb traurig wie zuvor. Da fragte er wieder, was sie
denn hätte. Sie antwortete ihm, als sie am Ufer des Flusses spazieren
gegangen sei, habe sie ihren Pantoffel von grünem Atlas hinein fallen
lassen.
„Nichts weiter?“, fragte der König, ließ alle Schuster im ganzen
Königreich zusammenholen und brachte ihr bald zehntausend Pantoffeln
von grünem Atlas, aber sie hörte nicht auf traurig zu sein.
Er fragte wieder, was sie denn hätte. Und sie antwortete, ihr Trauring
sei ihr ins Essen gefallen und sie habe ihn hinuntergeschluckt.
Da sah der König, dass sie die Unwahrheit sprach, denn er selbst hatte
den Ring in seinem Gewahrsam und entgegnete ihr: „Meine teure
Gemahlin, du redest nicht die Wahrheit, denn ich habe ja selbst deinen
Trauring bei mir wohl verwahrt."
Die Königin war sehr betroffen, auf einer Lüge ertappt zu werden, denn
das ist die unangenehmste Sache von der Welt, und da sie sah, dass der
König verdrießlich war, so gestand sie ihm, was ihr die Feen in
Betreff der kleinen Rosette verkündigt hatten und bat ihn, wenn er ein
Mittel dagegen wisse, es ihr zu sagen.
Der König bekümmerte sich außerordentlich darüber; endlich sagte er zu
der Königin: „Ich weiß wirklich kein anderes Mittel, unsere beiden
Söhne zu retten, als dass wir die Kleine noch in der Wiege umbringen
lassen. Aber die Königin schrie laut auf, weit eher würde sie selbst
den Tod leiden, als eine solche Grausamkeit zugeben und er möge nur ja
auf etwas Anderes denken.
Als der König und die Königin noch damit beschäftigt waren,
hinterbrachte man ihr, dass in einem großen benachbarten Walde ein
alter Einsiedler lebe, der in einem Baumstamme wohne und den man weit
und breit um Rat fragen komme.
„Zu dem muss ich auch“, sagte die Königin, „die Feen haben mir nur das
Nebel verkündigt, aber das Mittel dagegen zu sagen vergessen."
Sie bestieg also eines Morgens früh ein hübsches, weißes Maultier,
welches ganz mit Gold beschlagen war, und machte sich mit zwei ihrer
Hofdamen, deren jede ein niedliches Pferdchen ritt, auf den Weg. Als
die Königin und ihre Frauen an den Wald kamen, stiegen sie aus
Ehrfurcht vor dem Einsiedler herab und gingen zu Fuß auf den Baum zu,
in welchem er wohnte.
Er liebte eben nicht, Frauen bei sich zu sehen, aber da er sah, dass
es die Königin war, sagte er zu ihr: „Seid bestens willkommen, was
verlangt ihr von mir?"
Sie erzählten ihm, was die Feen von Rosette gesagt hätten und fragten
ihn um seinen Rat. Da entgegnete er, man müsse die Prinzessin in einen
Turm einsperren und diesen dürfe sie zeitlebens nicht verlassen. Die
Königin bedankte sich sehr, reichte ihm ein ansehnliches Geschenk und
eilte, ihren Gemahl davon in Kenntnis zu setzen.
Als der König den Rat des Einsiedlers erfuhr, ließ er schleunigst
einen großen Turm bauen und bestimmte ihn zu dem Aufenthalt seiner
Tochter. Damit ihr die Zeit nicht lang werde, so besuchten sie der
König, die Königin und ihre beiden Brüder alle Tage. Die Brüder
liebten ihre Schwester, denn sie war das schönste und anmutigste
Geschöpf, welches man je gesehen hat. Als sie fünfzehn Jahr alt war,
erinnerten die Prinzen ihre Eltern, dass es wohl Zeit sei, ihre
Schwester zu verheiraten; ihre Majestäten aber lachten darüber und
gaben ihnen keine bestimmte Antwort.
Da verfielen der König und die Königin in eine schwere Krankheit und
starben Beide fast an ein und demselben Tage. Alle Welt war in Trauer
darüber. Man zog schwarze Kleider an und das Glockengeläute hörte gar
nicht auf. Rosette aber war über den Tod ihrer guten Mama untröstlich.
Als der König und die Königin begraben war, bestieg der älteste Prinz
den Thron, der ganze Hof schrie dreimal: „Es lebe der König!“, und man
dachte wiederum nur an Feste und Ergötzlichkeiten. Der König und sein
Bruder sagten zu einander: „Da wir gegenwärtig zu befehlen haben, so
müssen wir unsere Schwester aus dem Turm befreien, in welchem sie sich
so lange Zeit schon gelangweilt hat."
Sie durften nur durch den Garten gehen, so waren sie bei dem Turm, der
ganz am Ende desselben erbaut war, so hoch, als nur immer möglich;
denn das verstorbene Königspaar wollte, dass ihre Tochter zeitlebens
darin zubringe. Rosette saß hinter einem Rahmen und stickte eben ein
schönes Kleid. Als sie aber ihre Brüder kommen sah, stand sie auf,
ergriff die Hand des Königs und sagte zu ihm: „Du bist nun der König
und Gebieter und ich bin deine untertänige Dienerin. Ich bitte dich,
befreie mich aus diesem Turm, wo ich vor Bangigkeit und langer Weile
umkomme!" Dabei brach sie in Tränen aus.
Der König umarmte sie und sagte zu ihr, sie möge nur nicht weinen,
denn er komme eben, um sie aus diesem Turm zu erlösen und in ein
schönes Schloss zu bringen.
„Munter, liebe Schwester“, rief der jüngere Bruder, „fort aus diesem
abscheulichen Turm, der König wird dir bald einen Gemahl geben; jetzt
sei nur fröhlich."
Als Rosette den schönen Garten voll Blumen, Früchte und Springbrunnen
sah, war sie so außer sich vor Erstaunen, dass sie kein Wort
hervorbringen konnte. Alles war ihr neu, alles zog ihre Blicke auf
sich. Bald blieb sie stehen, bald ging sie weiter, bald pflückte sie
Früchte von den Bäumen, bald brach sie Blumen von der Erde. Ihr
kleines Hündchen Fretillon, das so grün war wie ein Papagei, nur ein
Ohr hatte und zum Entzücken tanzte, lief vor ihr her, bellte in einem
zu und machte tausend Luftsprünge. Während er so luftig hin- und
hertanzte, verlor er sich mit einmal in ein kleines Gebüsch. Die
Prinzessin folgte ihm und sah mit lebhafter Verwunderung einen großen
Pfau, der ein Rad schlug und ihr so wunderschön vorkam, dass sie kein
Auge von ihm verwenden konnte.
Der König und sein Bruder, welche nachkamen, wollten wissen, was sie
so sehr beschäftige. Sie zeigte ihnen den Pfau und fragte sie, was das
sei.
Es sei ein Pfau, sagten sie, ein Vogel, welchen man auch zu essen
pflege.
„Wie“, rief die Prinzessin, „einen so schönen Vogel tötet und isst
man? Ich erkläre euch hiermit, dass ich mich nie verheiraten werde,
außer an den König der Pfauen, und wenn ich seine Gemahlin sein werde,
so soll sich Niemand mehr unterstehen, einen Pfau zu essen."
Das Erstaunen des Königs war unbeschreiblich. „Aber, liebe Schwester“,
sagte er zu ihr, „wo sollen wir denn den König der Pfauen finden?"
„Wo es euch beliebt, aber ich heirate keinen Andern als ihn."
Mit diesem Entschluss führten sie die beiden Brüder auf das Schloss.
Sie verlangte nach dem Pfau; man musste ihn herbeiholen und auf ihr
Zimmer bringen, so lieb hatte sie ihn. Die Damen alle, welche Rosette
noch nicht gesehen hatten, eilten herbei, der Prinzessin ihr
Kompliment zu machen; die Einen brachten ihr Zuckerwerk, die andern
goldbestickte Kleider, schöne Bänder und sonst artige Tändeleien,
reichgestickte Schuhe, Perlen und Diamanten. Von allen Seiten
beschenkte man sie und sie benahm sich mit solchem Anstand, so artig
und zuvorkommend, dankte für alles, was man ihr schenkte, so zierlich
und höflich, dass alle Herren und Damen sehr zufrieden von ihr gingen.
Während sie sich nun in angenehmer Gesellschaft die Zeit nicht lang
werden ließ, sannen der König und sein Bruder auf nichts weiter, als
wie sie den König der Pfauen auffinden könnten, wenn es anders einen
solchen in der Welt gäbe. Da ihnen einfiel, dass es wohl nötig sei,
ein Bildnis von der Prinzessin zu haben, so ließen sie ein so schönes
malen, dass dem Bilde nichts fehlte als die Sprache. Darauf sagten sie
zu ihr: „Weil du denn einmal Niemand anders heiraten willst, als den
König der Pfauen, so wollen wir Beide uns aufmachen und ihn dir auf
der ganzen Erde suchen gehen. Wir werden wahrhaftig froh sein, wenn
wir ihn finden. Sorge du inzwischen für unser Königreich, bis wir
zurückkehren."
Rosette dankte sehr für die Mühe, die sie sich nehmen wollten, und
versprach ihnen, sie wolle schon auf das Beste für alles Sorge tragen
und ihr ganzer Zeitvertreib während der Abwesenheit ihrer Brüder solle
darin bestehen, dass sie den schönen Pfau ansähe und Fretillon tanzen
ließe. Unter vielen Tränen nahmen sie von einander Abschied.
Unterwegs fragten nun die beiden Brüder, wohin sie kamen und wen sie
trafen: „Kennt ihr vielleicht den König der Pfauen?" Aber Jedermann
antwortete: „Nein, nein." Da gingen sie immer weiter und weiter und so
weit endlich, so weit, als noch kein Mensch je vor ihnen gekommen war.
Sie kamen in das Königreich der Maikäfer, so viele hatten sie noch nie
bei einander gesehen! Es war ein solches Geschwirr, dass der König in
Furcht war, davon taub zu werden. Er fragte einen von ihnen, der ihm
der vernünftigste schien, ob er nicht wisse, wo der Pfauenkönig zu
finden sei. „Gnädiger Herr“, antwortete ihm der Maikäser, „sein
Königreich ist dreißig tausend Meilen weit von hier, ihr habt einen
gewaltigen Umweg gemacht."
„Und woher weißt du das?“, fragte der König.
„O, wir kennen euch ganz gut“, versetzte der Maikäfer, „wir kommen ja
alle Jahre zwei bis drei Monat in eure Gärten und lassen es uns gut
schmecken."
Der König und sein Bruder umarmten hierauf den Maikäfer herzlich,
schlössen Freundschaft mit ihm und speisten mit ihm zu Mittag. Sie
besahen sich mit Erstaunen alle die Merkwürdigkeiten dieses Landes, wo
das kleinste Baumblättchen einen Louisdor gilt, dann setzten sie ihre
Wanderung fort und gingen so lange, bis sie endlich in das Land der
Pfauen kamen. Da saßen die Pfauen auf allen Bäumen, alles wimmelte von
ihnen und auf zwei Meilen weit hörte man sie schreien und schwatzen.
Der König sagte zu seinem Bruder: „Wenn der Pfauenkönig selber ein
Pfau ist, wie kann ihn unsere Schwester dann heiraten wollen? Nur ein
Wahnsinniger könnte seine Zustimmung dazu geben, das war' eine schöne
Geschichte!"
Der Prinz war nicht weniger in Sorge. „Was für ein unglücklicher
Einfall“, rief er, „ist unserer Schwester in den Sinn gekommen! Wie
hat es ihr nur ahnen können, dass es einen König der Pfauen auf der
Welt gebe!"
Als sie jedoch in die Hauptstadt kamen, so fanden sie, dass dieselbe
von Menschen bewohnt war, nur dass sie alle Kleider von Pfauenfedern
trugen und diese überhaupt sehr in Ehren zu halten schienen. Sie
begegneten dem König, der auf einem niedlichen Wagen von Gold und
Diamanten, den zwölf Pfauen mit großer Schnelligkeit zogen, spazieren
fuhr.
Der König der Pfauen war so schön, so überaus schön, dass die beiden
Brüder ganz entzückt davon waren. Er hatte langes, blondes, schön
gelocktes Haar und ein blühendes Antlitz; seine Krone bestand aus
einem Pfauenschweif.
Als er die Brüder erblickte, schloss er sogleich ans ihrer Tracht,
dass sie Fremde sein müssten und um das Nähere zu erfahren, hielt er
still und ließ sie herbeirufen. Sie nahten sich, begrüßten ihn und
sagten: „Mein König, wir kommen weit her, um euch ein schönes Bildnis
zu zeigen."
Damit zogen sie das Bildnis ihrer Schwester hervor, welches der König
der Pfauen mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. „Ich kann nicht
glauben“, sagte er, „dass es ein Mädchen von solcher Schönheit auf der
Welt gibt."
„Sie ist noch hundertmal schöner“, versetzte der König, ihr Bruder.
„Ihr habt mich zum Besten“, sprach der König der Pfauen.
„Mein König“, sagte der Prinz, „dies hier ist mein Bruder, ein König
so gut wie ihr, und das Bildnis stellt unsere Schwester, die
Prinzessin Rosette, vor. Wir sind hierher gekommen, euch zu fragen, ob
ihr sie zur Gemahlin annehmen wollt; sie ist schön und verständig und
wir geben ihr einen Scheffel voll Goldstücke als Mitgift."
„Mit Vergnügen“, erwiderte der Pfauenkönig, „mit größtem Vergnügen bin
ich dazu bereit, ich werde sie zärtlich lieben, alles, was sie nur
begehrt, soll sie bei mir haben, nur muss sie eben so schön sein als
ihr Bildnis, und wenn nur ein Zug fehlt, so kostet es euer Leben."
„Gut, wir sind es zufrieden“, sagten die beiden Brüder.
„Wenn ihr damit zufrieden seid“, fuhr der Pfauenkönig fort, „so bleibt
ihr inzwischen bei mir in Gefangenschaft, so lange bis die Prinzessin
angekommen ist."
Der König und sein Bruder machten durchaus keine Einwendung dagegen,
denn sie waren zu sehr überzeugt, dass Rosette noch viel schöner sei
als ihr Bildnis.
Der Pfauenkönig ließ sie in ihrer Gefangenschaft mit größter
Auszeichnung, ihrem Stande gemäß, behandeln und besuchte sie häufig
selbst. Das Bildnis der Prinzessin hatte einen solchen Eindruck auf
ihn gemacht, dass er Tag und Nacht keine Ruhe hatte. Die beiden Brüder
schrieben sogleich aus ihrem Gefängnis an die Prinzessin, sie möge auf
das Schleunigste herkommen, weil der Pfauenkönig sie erwarte. Sie
verschwiegen ihr jedoch, dass man sie gefangen hielt, aus Furcht, ihre
Schwester zu sehr zu beunruhigen.
Als die Prinzessin diesen Brief empfing, dachte sie vor Freude zu
sterben. Aller Welt erzählte sie, dass der Pfauenkönig gefunden sei
und dass er ihr Gemahl würde; da gab es überall Freudenfeuer,
Feuerwerke und immer eine Schmauserei nach der andern. Die Prinzessin
übergab das Reich ihres Bruders den bejahrtesten und weisesten Männern
in der Stadt und empfahl ihnen, auf alles Acht zu haben, wenig
auszugeben und viel Geld zu sparen, bis der König zurückkomme. Sie bat
auch, ihren lieben Pfau wohl in Acht zu nehmen, sodann begab sie sich
auf die Reise, auf welche sie Niemand mitnahm, als ihre Amme, ihre
Milchschwester und Fretillon, das kleine grüne Hündchen.
Sie bestiegen nun ein Schiff, welches auf dem Meer ihrer wartete,
nachdem man vorher den Scheffel voll Goldtalern und Kleider auf zehn
Jahr, täglich zweimal zu wechseln, eingepackt hatte. Da war ein Lachen
und Singen, ohne Aufhören.
„Sind wir bald da?“, fragte die Amme den Schiffer; „sind wir bald in
dem Königreich der Pfauen?" „Noch nicht“, entgegnete er ihr.
Ein andermal fragte sie wieder: „Sind wir bald, sind wir bald da?"
„Bald“, sagte er, „bald."
„Sind wir bald da, sind wir bald da?“, fragte sie wieder ein andermal.
„Ja doch, ja“, versetzte der Schiffer.
Als die Amme dies hörte, setzte sie sich neben ihn an das Ende des
Schiffes und sagte: „Wenn du willst, so kannst du auf immer ein
reicher Mann werden."
Er antwortete: „Das will ich wohl“, und sie fuhr fort: „Wenn du
willst, so kannst du dir eine Menge Gold verdienen."
„Ich verlange Nichts weiter“, war seine Antwort.
„Nun denn“, sagte sie, „so musst du mir behilflich sein, diese Nacht,
wenn die Prinzessin schläft, sie ins Meer zu werfen. Wenn sie
ertrunken ist, so zieh' ich ihre schönen Kleider meiner Tochter an und
wir bringen sie zum Pfauenkönige, der sie mit vielem Vergnügen
heiraten wird. Dir aber will ich zum Lohn so viel Diamanten geben, als
um deinen Hals gehen."
Der Schiffer war sehr erstaunt über den Antrag der Amme und entgegnete
ihr, es sei doch Schade, eine so schöne Prinzessin zu ersäufen und er
habe allzu viel Mitleid mit ihr; aber die Amme setzte ihm eine Flasche
Wein vor und gab ihm so viel zu trinken, bis er zuletzt alle
Bedenklichkeiten vertrunken hatte.
Als die Nacht einbrach, legte sich die Prinzessin wie gewöhnlich zu
Bett; ihr kleiner Fretillon schlief, zu ihren Füßen geschmiegt, und
rührte keine Pfote. Rosette lag im tiefsten Schlummer, als die
nichtswürdige Amme, welche nicht schlief, den Schiffer holte. Sie
gingen in das Zimmer der Prinzessin, nahmen sie, ohne sie aufzuwecken,
samt ihren Federbetten, ihren Matratzen, ihren Tüchern, ihren Decken
und warfen sie mit dem Allen ins Meer, wobei die Milchschwester aus
allen Kräften half. So fest aber schlief die Prinzessin, dass sie
davon nicht aufwachte.
Zum Glück bestand ihr Bett aus Phönixfedern, die sehr selten sind und
die Eigenschaft haben, dass sie nicht untersinken, so dass sie also in
ihrem Bette wie in einem Kahne schwamm. Indessen drang doch das Wasser
nach und nach in das Bett und durch die Matratze und Rosette wachte
davon auf.
Da sie sich unruhig von einer Seite zur andern wendete, so wurde auch
Fretillon munter. Er hatte eine so feine Nase, dass er gleich die Nähe
der Plattfische und der Stockfische witterte und so nach ihnen zu
klaffen und zu klaffen anfing, dass alle andern Fische davon unruhig
wurden. Sie schwammen hin und her und die großen Fische stießen mit
dem Kopf gegen das Bett der Prinzessin, welches, da es keinen Halt
hatte, sich wie ein Kreisel herumdreht.
Die Prinzessin war sehr erstaunt darüber. „Tanzt denn“, rief sie,
„unser Schiff auf dem Wasser? ich habe in meinem ganzen Leben noch
keine so unruhige Nacht zugebracht."
Fretillon klaffte immerzu und machte einen heillosen Lärm. Die
nichtswürdige Amme und der Fischer hörten ihn noch von weitem und
sagten: „Ei sieh', das ist das kleine närrische Hündchen, es trinkt
mit seiner Gebieterin auf unsere Gesundheit. Aber wir wollen uns nur
beeilen, dass wir ankommen."
Sie befanden sich schon ganz dicht an der Hauptstadt des Königs der
Pfauen. Dieser hatte seiner Braut an das Meeresufer hundert Karossen
entgegen geschickt, welche mit allen möglichen Tieren bespannt waren.
Da gab es Löwen, Bären, Hirsche, Wölfe, Pferde, Stiere, Adler, Pfauen.
Der Wagen, in welchen sich die Prinzessin Rosette setzen sollte, wurde
von sechs blauen Affen gezogen; die sprangen und tanzten und machten
tausend luftige Kunststücke. Sie hatten ein schönes Geschirr von rotem
Samt mit Goldplatten. Zur Unterhaltung der Prinzessin hatte der König
gleichfalls sechzig junge Mädchen geschickt, gekleidet in alle Farben
und blitzend von Gold und Silber.
Die Amme hatte sich die größte Mühe von der Welt gegeben, ihre Tochter
herauszuputzen. Sie zog ihr das schönste Kleid der Prinzessin an, und
steckte ihr deren Diamanten ins Haar, ans Kleid und wo es sonst nur
immer gehen wollte; aber sie blieb mit allem ihrem Putz dennoch
hässlicher als eine Meerkatze. Sie hatte schmutzige schwarze Haare,
schielende Augen, krumme Beine und einen großen Buckel mitten auf dem
Rücken, und dabei war sie boshaft, tölpisch und brummig.
Als sie aus dem Schiffe stieg, gerieten alle Leute des Pfauenkönigs in
ein solches Erstaunen, dass sie kein Wort hervorbringen konnten.
„Nun, was ist das?“, rief sie. „Seid ihr etwa im Schlafe? Frisch,
hurtig, bringt mir zu essen her. Ihr seid mir schönes Volk! Aufhängen
will ich euch lassen."
Als die Leute dies hörten, sprachen sie ganz verwundert: „Was für ein
nichtswürdiges Geschöpf! Sie ist eben so boshaft als garstig, das ist
eine schöne Heirat für unfern König! Das war wohl der Mühe wert, sie
vom Ende der Welt her holen zu lassen!"
Inzwischen spielte sie immerfort die Gebieterin und um weniger als
nichts teilte sie aller Welt Ohrfeigen und Faustschläge aus. Da ihr
Gefolge sehr groß war, so ging es langsam vorwärts. Sie brüstete sich
wie eine Königin in ihrer Karosse. Aber die Pfauen alle, die sich auf
die Bäume gesetzt hatten, um sie im Vorbeifahren zu begrüßen, und die
sich vorgenommen hatten zu rufen: „Es lebe die schöne Königin
Rosette!“, schrieen jetzt, da sie ein solches Ungetüm erblickten:
„Pfui, pfui, wie hässlich ist sie!"
Sie geriet darüber außer sich vor Mut und rief ihrer Leibwache zu:
„Schießt mir gleich da diese nichtswürdigen Pfauen tot, die mich so
unverschämt verhöhnen."
Aber die Pfauen flogen rasch davon und machten sich nur über sie
lustig.
Der Spitzbube von Schiffer, der dies alles mit ansah, sagte ganz leise
zu der Amme: „Gevatterin, wir kommen übel an, eure Tochter sollte
hübscher sein."
„Schweig', du Dummkopf“, entgegnete sie ihm, „du wirst uns ins Unglück
bringen."
Man benachrichtigte den König, die Prinzessin sei im Anzuge. „Nun“,
fragte er, „haben ihre Brüder die Wahrheit gesagt? Ist sie noch
schöner als ihr Bildnis?"
„Gnädiger Herr“, erwiderte man, „es wäre schon genug, wenn sie auch
nur eben so schön wäre."
„Ja wohl“, sagte der König, „ich würde ganz zufrieden damit sein."
Ein großer Lärm auf dem Schlosshofe benachrichtigte ihn von ihrer
Ankunft. In dem verworrenen Geräusch so vieler Stimmen konnte er
nichts weiter unterscheiden, als: „Pfui, pfui, was für ein hässliches
Geschöpf!"
Der König glaubte, man spreche vielleicht von einem Zwerge oder von
irgend einer Bestie, die man mitgebracht habe, denn es konnte ihm gar
nicht in den Sinn kommen, dass dies in der Tat ihr selber gelte.
Das Bildnis der Prinzessin wurde ganz offen auf einer langen Stange
getragen und der König ging mit würdevollem Ernst hinterher, nebst
allen seinen Großen, seinen Pfauen und den Gesandten der benachbarten
Königreiche.
Der König der Pfauen empfand große Ungeduld, seine schöne Braut
endlich zu Gesicht zu bekommen. Aber als er sie nun sah, fehlte wenig,
dass er auf der Stelle den Tod gehabt hätte. Er geriet in die äußerste
Wut, zerriss seine Kleider, und sie durfte ihm nicht zu nahe kommen;
so entsetzte er sich vor ihr.
„Wie“, rief er, „diese beiden Schurken, die ich gefangen halte, haben
also die Kühnheit gehabt, mich so zu verspotten, mir eine Meerkatze
wie dieses Geschöpf zur Gemahlin anzubieten? sie sollen mir mit dem
Leben dafür büßen. Heda, man werfe sogleich dieses Ungeheuer samt
ihrer Amme und dem, welcher sie herbrachte, in die Tiefe des großen
Turmes."
Inzwischen warteten der König und sein Bruder, da sie wussten, dass
ihre Schwester ankommen sollte, sehnsüchtig auf den Augenblick, sie
willkommen zu heißen. Anstatt aber, dass man kam, ihr Gefängnis zu
öffnen und sie in Freiheit zu setzen, wie sie mit Bestimmtheit
hofften, erschien der Kerkermeister mit einer Schar Soldaten und ließ
sie in eine ganz dunkle Höhle hinabsteigen, wo es von ekelhaftem
Gewürme wimmelte und wo ihnen das Wasser bis an den Hals ging.
Sie waren vor Erstaunen und Betrübnis ganz außer Fassung. „Ach!“,
sprachen sie zu einander, „das ist eine traurige Hochzeit für uns! Was
in aller Welt kann ein so großes Unglück über uns bringen?" Sie
konnten nichts auffinden, nur das schien ihnen gewiss, dass man ihren
Tod beschlossen habe, worüber sie außerordentlich bekümmert waren.
Drei Tage vergingen, ohne dass sie jemand sahen noch hörten. Nach
Verlauf von drei Tagen kam der Pfauenkönig selbst und überhäufte sie
mit Schmähungen. „Ihr habt euch“, rief er ihnen durch die kleine
Öffnung ihres Gefängnisses zu, „den Titel eines Königs und eines
Prinzen angemaßt, um mich zu fangen und zu verlocken, eure Schwester
zu heiraten; aber ihr seid nichts als elende Bettler, die nicht des
Wassers wert sind, welches sie trinken. Aber man wird sehr kurzen
Prozess mit euch machen. Der Strick ist schon fertig, an welchem man
euch aufknüpfen wird."
„König der Pfauen“, antwortete der König, Rosettens Bruder, voll Zorn:
„Geht nicht so rasch damit zu Werke, denn es möchte euch reuen. Ich
bin ein König, so gut wie ihr. Ich besitze ein ansehnliches
Königreich, Geld und Soldaten, ich habe nur zu befehlen. Hoho, was ist
das für ein spaßhafter Einfall von euch, uns aufhängen lassen zu
wollen. Haben wir euch denn etwas gestohlen?"
Als der König diese entschlossene Sprache hörte, wusste er nicht,
woran er war, und hatte fast Lust, sie nebst ihrer Schwester
davongehen zu lassen, ohne ihnen ein Leid zuzufügen. Aber einer seiner
Höflinge, der ein Erzspeichellecker war, brachte ihn wieder auf andere
Gedanken, indem er ihm vorstellte, alle Welt werde sich über ihn
lustig machen, wenn er nicht Rache nehme und man würde ihn einen
kleinen Zaunkönig heißen.
Er schwur daher, ihnen nicht zu verzeihen und befahl, ihnen den
Prozess zu machen. Er dauerte nicht lange, denn man hatte kaum das
Bildnis der wirklichen Prinzessin Rosette mit dem Scheusal verglichen,
welches statt ihrer angekommen war und sich für sie ausgab, so
verurteilte man beide Brüder zum Strange, weil sie Betrüger seien und
dem König statt einer schönen Prinzessin, welche sie ihm versprochen,
eine garstige Bäuerin gebracht hätten.
Dieses Urteil wurde ihnen im Gefängnisse mit großen Feierlichkeiten
bekannt gemacht. Aber die Brüder riefen, sie hätten nicht gelogen,
ihre Schwester sei eine Prinzessin und schöner als der Tag. Es sei
hier etwas Unbegreifliches im Spiele, und sie verlangten sieben Tage
Frist, ehe man sie zu m Tode führe, vielleicht komme in dieser Zeit
ihre Unschuld ans Licht.
Der König der Pfauen wollte sich, so erzürnt wie er war, kaum dazu
verstehen, ihnen diese Gnade zu bewilligen, endlich aber gab er es zu.
Während dies alles bei Hose vorgeht, wollen wir uns ein wenig nach der
armen Prinzessin Rosette umsehen. Sie war bei Anbruch des Tages sehr
erstaunt, sich mitten auf dem Meere, ohne Nachen, ohne Beistand zu
finden, und Fretillon desgleichen. Sie brach in Tränen aus und weinte
so bitterlich, so bitterlich, dass es die Fische zum Mitleid bewegte.
Was sollte sie tun? was sollte aus ihr werden?
„Gewiss“, sagte sie, „hat mich der König der Pfauen ins Meer werfen
lassen, die Heirat wird ihn gereut haben, und um auf gute Art meiner
los zu werden, ließ er mich ins Meer werfen. Was für ein seltsamer
Mensch“, fuhr sie fort, „ich würde ihn doch so zärtlich geliebt haben!
Wir hätten ein so glückliches Leben zusammen geführt." Darauf weinte
sie noch viel heftiger, denn sie konnte auch jetzt noch nicht
aufhören, ihn zu lieben.
So schwamm sie zwei Tage lang auf dem Meere hin und her, bis auf die
Haut durchnässt und fast erstarrt vor Kälte. Wenn nicht der kleine
Fretillon gewesen wär', der ihr ein wenig das Herz erwärmte, so wurde
sie hundertmal des Todes gewesen sein. Dabei hungerte sie ganz
entsetzlich. Zum Glück erblickte sie einige Austern, mit denen sie
ihren Hunger stillte, und auch Fretillon, obgleich er diese Speise
nicht sonderlich liebte, musste sich dazu bequemen.
Die größte Angst aber empfand Rosette jedes Mal beim Einbruch der
Nacht; dann rief sie ihrem Hündchen zu: „Belle, belle, mein Fretillon,
dass uns die Raubfische nicht auffressen."
So bellte er denn jede Nacht ohne Aufhören und inzwischen war das Bett
der Prinzessin dem Ufer immer näher gekommen. An diesem Ufer da wohnte
ein guter alter Mann ganz allein in seiner Hütte in einer einsamen
Gegend. Er war sehr arm und kümmerte sich gleichwohl sehr wenig um die
Güter dieser Welt. Als er Fretillons Gebell hörte, war er ganz
erstaunt, denn es ließ sich nicht leicht ein Hund in dieser Gegend
blicken. Er glaubte also, Reisende hätten sich hierher verirrt und
ging mitleidig wie er war, hinaus, um ihnen den Weg zu zeigen. Da sah
er mit einmal die Prinzessin und Fretillon auf dem Meer treiben. Die
Prinzessin aber hatte ihn kaum erblickt, so streckte sie die Arme nach
ihm aus und rief ihm zu: „Guter Greis, rette mich, sonst komme ich um,
denn ich verschmachte hier schon seit zwei Tagen."
Als er sie so kläglich reden hörte, ging es ihm sehr nahe und er
kehrte nach Hause zurück, um einen langen Haken zu holen. Mit diesem
ging er bis an den Hals ins Wasser, und obgleich er mehr als einmal in
Gefahr war, zu ertrinken, gelang es ihm doch, das Bett bis ans Ufer zu
ziehen.
Rosette und Fretillon waren sehr vergnügt, wieder auf festem Boden zu
sein; sie dankten von ganzem Herzen dem guten Manne, hüllten sich dann
in ihre Decken und eilten barfuss in die Hütte. Dort zündete der Alte
gleich ein kleines Feuer von dürrem Reisig an, nahm das schönste Kleid
seiner seligen Frau aus dem Koffer nebst Strümpfen und Schuhen und die
Prinzessin zog sich alles an. Der geringen bäuerischen Tracht
ungeachtet blieb sie doch so schön wie der Tag, Fretillon tanzte um
sie herum und suchte sie mit seinen Sprüngen zu erheitern.
Der alte Mann sah wohl, dass Rosette eine vornehme Dame war, denn ihre
Bettdecken waren ganz mit Gold und Silber gestickt und ihre Matratzen
von Atlas. Er bat sie, ihm ihre Geschichte zu erzählen, und versprach,
wenn sie es wünsche, Niemanden nur ein Wort davon zu entdecken. Sie
erzählte ihm alles, von Anfang bis zu Ende, unter häufigen Tränen,
denn sie glaubte noch immer, der Pfauenkönig sei es, der sie ins Meer
habe werfen lassen.
„Was fangen wir nun an, meine Tochter?“, sagte der Alte. „Ihr seid
eine vornehme Prinzessin, an gute Bissen gewöhnt, und ich habe nur
Schwarzbrot und weiße Rüben, ihr werdet also sehr schlechte Mahlzeiten
halten. Wenn ich euch einen Rat geben dürfte, so ginge ich hin und
meldete dem Pfauenkönige, dass ihr hier seid. Gewiss, wenn er euch nur
gesehen hätte, ihr wäret seine Gemahlin geworden."
„Ach nein“, versetzte Rosette, „es ist ein böser Mensch, er würde mich
umbringen lassen; aber wenn ihr ein kleines Körbchen habt, so bindet
es meinem Hündchen um den Hals, und es müsste schlimm zugehen, wenn es
mich nicht mit Essen versorgte."
Der alte Mann gab der Prinzessin ein Körbchen; sie band es Fretillon
an den Hals und sagte zu ihm: „Geh' damit in die beste Küche in der
Stadt, und hole mir was du darin findest."
Fretillon lief nach der Stadt und da es keine bessere Küche als die
des Königs gab, so lief er dort hinein, deckte die Töpfe auf, nahm
geschickt alles heraus, was darin war, und kehrte nach Hause zurück.
Rosette sagte zu ihm: „Lauf wieder zurück, geh' in die Speisekammer
und hole mir das Beste, was du dort findest." Fretillon begab sich in
die Speisekammer, nahm weißes Brot, Muskateller Wein, alle Arten von
Früchten und Zuckerwerk und schleppte so viel fort, als er nur tragen
konnte.
Als der Pfauenkönig zu Mittag speisen wollte, waren Küche und Keller
leer. Man sah sich verwundert an und der König geriet in einen
schrecklichen Zorn: „Ich soll also wohl“, sagte er, „heute Mittag
nichts essen; nun, so will ich mich wenigstens auf den Abend an einem
guten Braten erholen."
Der Abend kam und die Prinzessin sagte zu Fretillon: „Geh' nach der
Stadt in die beste Küche und hole mir einen guten Braten."
Fretillon tat, wie seine Gebieterin ihm befahl, begab sich wieder ganz
sacht in die Küche des Königs, da er keine bessere wusste, nahm den
ganzen Braten, während die Köche den Rücken drehten, vom Spieße und
lief damit fort. Der Braten hatte ein so appetitliches Aussehen, dass
man die größte Luft zu essen bekam, wenn man ihn nur ansah. Fretillon
brachte sein Körbchen ganz voll der Prinzessin, kehrte dann sogleich
wieder um nach der Speisekammer und nahm das ganze Zuckerwerk und
allerlei Eingemachtes mit sich fort.
Weil der König nicht zu Mittag gespeist hatte, empfand er starken
Hunger und wollte zeitig zu Abend essen; allein es war nichts da. Er
geriet in einen ganz erschrecklichen Zorn und musste, ohne Abendbrot
gegessen zu haben, zu Bette gehen. Am folgenden Tage zu Mittag und zu
Abend ging es eben wieder so, so dass der König drei ganze Tage ohne
Essen und Trinken blieb, denn wenn er sich zu Tisch setzen wollte, war
alles fort.
Sein Hofmarschall befand sich in großer Sorge deshalb, denn er
befürchtete, der König werde zuletzt Hungers sterben. Er verbarg sich
also in der Küche in einem Winkel und sah unverwandt nach dem Topf,
der am Feuer stand. Ganz erstaunt sah er ein kleines grünes einöhriges
Hündchen hereinschleichen, welches den Topf aufdeckte und das Fleisch
in sein Körbchen legte. Er folgte ihm, um zu erfahren, wo es hinginge.
Das Hündchen lief zum Thor hinaus und er folgte ihm immer zu, bis in
die Hütte des guten Alten.
Hierauf kehrte er zurück und hinterbrachte dem Könige, dass seine
Braten mittags und abends zu einem armen Bauern wanderten.
Der König war nicht wenig erstaunt darüber und befahl, den Bauern
herbeizuholen. Der Hofmarschall ging selbst in Begleitung einiger
Häscher, und sie fanden den Alten, wie er eben mit der Prinzessin von
dem Braten der königlichen Tafel seine Mittagsmahlzeit hielt. Er ließ
Beide gefangen nehmen und mit starken Stricken binden, desgleichen
auch Fretillon.
Als man den König benachrichtigte, dass sie da seien, sagte er:
„Morgen ist ohnedies der siebente und letzte Tag, den ich jenen beiden
Schurken bewilligt habe; die Bratendiebe mögen mit ihnen zugleich
sterben. Daraus begab er sich in das Gerichtszimmer.
Der Alte warf sich ihm zu Füßen und sagte, er wolle ihm die ganze
Geschichte erzählen. Indem er erzählte, sah der König die schöne
Prinzessin an und empfand Mitleid mit ihren Tränen. Als er nun aber
von dem guten Alten hörte, dass dies die wirkliche Prinzessin Rosette
sei und dass man sie ins Meer geworfen habe, sprang er hoch in die
Höhe, wie schwach er auch von seinem dreitägigen Fasten war, lief die
Prinzessin zu umarmen, löste die Stricke, mit denen sie gebunden war,
und sagte ihr, dass er sie von ganzem Herzen liebe.
Sogleich beeilte man sich, auch die Prinzen herbeizuholen, die nicht
anders glaubten, als man führe sie zum Tode, und deshalb sehr traurig
und mit gesenktem Haupt einherkamen; sodann brachte man auch die Amme
und ihre Tochter. Alle erkannten sich auf den ersten Blick. Rosette
fiel ihren Brüdern um den Hals, die Amme und ihre Tochter nebst dem
Schiffer warfen sich auf die Knie und baten um Gnade. Die Freude war
so groß, dass der König und die Prinzessin ihnen verziehen, der gute
Alte aber wurde reichlich belohnt und blieb für immer in dem Palast.
Rosettens Brüdern gab der Pfauenkönig jede mögliche Genugtuung und
bezeigte seinen Schmerz, sie so unwürdig behandelt zu haben. Die Amme
gab der Prinzessin ihre schönen Kleider und ihren Scheffel voll
Goldstücke zurück. Vierzehn Tage währten die Hochzeitsfestlichkeiten,
und alles war vergnügt, Fretillon nicht zu vergessen, der lauter
Rebhühnerflügel zu essen bekam.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.