| Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z | 
| Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z | 
| Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z | 
Rosette - Französische Märchen
Rosette
          Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten zwei schöne 
		  Prinzen. Bei ihrer Geburt hatte die Königin jedes Mal die Feen dazu 
		  eingeladen und sie gebeten, ihr die Schicksale ihrer Kinder 
		  vorherzusagen. Zum dritten Mal gebar sie eine Tochter, die so reizend 
		  war, dass man sie nicht ansehen konnte, ohne sie zu lieben. Nachdem 
		  die Königin die Feen, welche sie besuchten, aufs Beste bewirtet hatte, 
		  sagte sie beim Abschiede zu ihnen: „Seid doch so gütig und sagt mir 
		  nun auch, was Rosetten (so nannte man die kleine Prinzessin) begegnen 
		  wird.
          Die Feen entschuldigten sich, sie hätten ihr Zauberbuch zu Hause 
		  gelassen. Sie wollten ein andermal wiederkommen und es mitbringen.
          „Ach!“, sagte die Königin, „das bedeutet nichts Gutes. Ihr wollt mich 
		  durch eine schlimme Weissagung nicht betrüben, aber ich bitte euch, 
		  verhehlt mir nichts, lasst mich alles wissen."
          Die Feen wollten zwar durchaus nicht mit der Sprache heraus, dadurch 
		  aber wurde die Königin nur umso begieriger, zu erfahren, was es sei. 
		  Endlich sagte die vornehmste unter ihnen: „Wir fürchten, Rosette wird 
		  ihren Brüdern großes Unglück bereiten, sie werden um ihretwillen bei 
		  irgendeiner Gelegenheit den Tod finden. Das ist alles, was wir von 
		  dieser kleinen reizenden Prinzessin vorher wissen. Es tut uns sehr 
		  leid, euch eben nichts Besseres verkündigen zu können."
          Damit gingen sie fort; die Königin aber wurde so traurig, so 
		  schwermütig, dass der König die Betrübnis in ihrem Gesicht las und sie 
		  fragte, was sie denn hätte.
          Sie antwortete, sie sei dem Feuer zu nahe gekommen und habe sich den 
		  ganzen Flachs verbrannt, der auf der Spindel gewesen.
              „Nichts weiter?“, sagte der König, ging in den Speicher und 
		  brachte ihr mehr Flachs, als sie in hundert Jahren verspinnen konnte.
          Aber die Königin blieb traurig wie zuvor. Da fragte er wieder, was sie 
		  denn hätte. Sie antwortete ihm, als sie am Ufer des Flusses spazieren 
		  gegangen sei, habe sie ihren Pantoffel von grünem Atlas hinein fallen 
		  lassen.
          „Nichts weiter?“, fragte der König, ließ alle Schuster im ganzen 
		  Königreich zusammenholen und brachte ihr bald zehntausend Pantoffeln 
		  von grünem Atlas, aber sie hörte nicht auf traurig zu sein.
          Er fragte wieder, was sie denn hätte. Und sie antwortete, ihr Trauring 
		  sei ihr ins Essen gefallen und sie habe ihn hinuntergeschluckt.
          Da sah der König, dass sie die Unwahrheit sprach, denn er selbst hatte 
		  den Ring in seinem Gewahrsam und entgegnete ihr: „Meine teure 
		  Gemahlin, du redest nicht die Wahrheit, denn ich habe ja selbst deinen 
		  Trauring bei mir wohl verwahrt."
          Die Königin war sehr betroffen, auf einer Lüge ertappt zu werden, denn 
		  das ist die unangenehmste Sache von der Welt, und da sie sah, dass der 
		  König verdrießlich war, so gestand sie ihm, was ihr die Feen in 
		  Betreff der kleinen Rosette verkündigt hatten und bat ihn, wenn er ein 
		  Mittel dagegen wisse, es ihr zu sagen.
          Der König bekümmerte sich außerordentlich darüber; endlich sagte er zu 
		  der Königin: „Ich weiß wirklich kein anderes Mittel, unsere beiden 
		  Söhne zu retten, als dass wir die Kleine noch in der Wiege umbringen 
		  lassen. Aber die Königin schrie laut auf, weit eher würde sie selbst 
		  den Tod leiden, als eine solche Grausamkeit zugeben und er möge nur ja 
		  auf etwas Anderes denken.
          Als der König und die Königin noch damit beschäftigt waren, 
		  hinterbrachte man ihr, dass in einem großen benachbarten Walde ein 
		  alter Einsiedler lebe, der in einem Baumstamme wohne und den man weit 
		  und breit um Rat fragen komme.
          „Zu dem muss ich auch“, sagte die Königin, „die Feen haben mir nur das 
		  Nebel verkündigt, aber das Mittel dagegen zu sagen vergessen."
          Sie bestieg also eines Morgens früh ein hübsches, weißes Maultier, 
		  welches ganz mit Gold beschlagen war, und machte sich mit zwei ihrer 
		  Hofdamen, deren jede ein niedliches Pferdchen ritt, auf den Weg. Als 
		  die Königin und ihre Frauen an den Wald kamen, stiegen sie aus 
		  Ehrfurcht vor dem Einsiedler herab und gingen zu Fuß auf den Baum zu, 
		  in welchem er wohnte.
          Er liebte eben nicht, Frauen bei sich zu sehen, aber da er sah, dass 
		  es die Königin war, sagte er zu ihr: „Seid bestens willkommen, was 
		  verlangt ihr von mir?"
          Sie erzählten ihm, was die Feen von Rosette gesagt hätten und fragten 
		  ihn um seinen Rat. Da entgegnete er, man müsse die Prinzessin in einen 
		  Turm einsperren und diesen dürfe sie zeitlebens nicht verlassen. Die 
		  Königin bedankte sich sehr, reichte ihm ein ansehnliches Geschenk und 
		  eilte, ihren Gemahl davon in Kenntnis zu setzen.
          Als der König den Rat des Einsiedlers erfuhr, ließ er schleunigst 
		  einen großen Turm bauen und bestimmte ihn zu dem Aufenthalt seiner 
		  Tochter. Damit ihr die Zeit nicht lang werde, so besuchten sie der 
		  König, die Königin und ihre beiden Brüder alle Tage. Die Brüder 
		  liebten ihre Schwester, denn sie war das schönste und anmutigste 
		  Geschöpf, welches man je gesehen hat. Als sie fünfzehn Jahr alt war, 
		  erinnerten die Prinzen ihre Eltern, dass es wohl Zeit sei, ihre 
		  Schwester zu verheiraten; ihre Majestäten aber lachten darüber und 
		  gaben ihnen keine bestimmte Antwort.
          Da verfielen der König und die Königin in eine schwere Krankheit und 
		  starben Beide fast an ein und demselben Tage. Alle Welt war in Trauer 
		  darüber. Man zog schwarze Kleider an und das Glockengeläute hörte gar 
		  nicht auf. Rosette aber war über den Tod ihrer guten Mama untröstlich.
          Als der König und die Königin begraben war, bestieg der älteste Prinz 
		  den Thron, der ganze Hof schrie dreimal: „Es lebe der König!“, und man 
		  dachte wiederum nur an Feste und Ergötzlichkeiten. Der König und sein 
		  Bruder sagten zu einander: „Da wir gegenwärtig zu befehlen haben, so 
		  müssen wir unsere Schwester aus dem Turm befreien, in welchem sie sich 
		  so lange Zeit schon gelangweilt hat."
          Sie durften nur durch den Garten gehen, so waren sie bei dem Turm, der 
		  ganz am Ende desselben erbaut war, so hoch, als nur immer möglich; 
		  denn das verstorbene Königspaar wollte, dass ihre Tochter zeitlebens 
		  darin zubringe. Rosette saß hinter einem Rahmen und stickte eben ein 
		  schönes Kleid. Als sie aber ihre Brüder kommen sah, stand sie auf, 
		  ergriff die Hand des Königs und sagte zu ihm: „Du bist nun der König 
		  und Gebieter und ich bin deine untertänige Dienerin. Ich bitte dich, 
		  befreie mich aus diesem Turm, wo ich vor Bangigkeit und langer Weile 
		  umkomme!" Dabei brach sie in Tränen aus.
          Der König umarmte sie und sagte zu ihr, sie möge nur nicht weinen, 
		  denn er komme eben, um sie aus diesem Turm zu erlösen und in ein 
		  schönes Schloss zu bringen.
          „Munter, liebe Schwester“, rief der jüngere Bruder, „fort aus diesem 
		  abscheulichen Turm, der König wird dir bald einen Gemahl geben; jetzt 
		  sei nur fröhlich."
          Als Rosette den schönen Garten voll Blumen, Früchte und Springbrunnen 
		  sah, war sie so außer sich vor Erstaunen, dass sie kein Wort 
		  hervorbringen konnte. Alles war ihr neu, alles zog ihre Blicke auf 
		  sich. Bald blieb sie stehen, bald ging sie weiter, bald pflückte sie 
		  Früchte von den Bäumen, bald brach sie Blumen von der Erde. Ihr 
		  kleines Hündchen Fretillon, das so grün war wie ein Papagei, nur ein 
		  Ohr hatte und zum Entzücken tanzte, lief vor ihr her, bellte in einem 
		  zu und machte tausend Luftsprünge. Während er so luftig hin- und 
		  hertanzte, verlor er sich mit einmal in ein kleines Gebüsch. Die 
		  Prinzessin folgte ihm und sah mit lebhafter Verwunderung einen großen 
		  Pfau, der ein Rad schlug und ihr so wunderschön vorkam, dass sie kein 
		  Auge von ihm verwenden konnte.
          Der König und sein Bruder, welche nachkamen, wollten wissen, was sie 
		  so sehr beschäftige. Sie zeigte ihnen den Pfau und fragte sie, was das 
		  sei.
          Es sei ein Pfau, sagten sie, ein Vogel, welchen man auch zu essen 
		  pflege.
          „Wie“, rief die Prinzessin, „einen so schönen Vogel tötet und isst 
		  man? Ich erkläre euch hiermit, dass ich mich nie verheiraten werde, 
		  außer an den König der Pfauen, und wenn ich seine Gemahlin sein werde, 
		  so soll sich Niemand mehr unterstehen, einen Pfau zu essen."
          Das Erstaunen des Königs war unbeschreiblich. „Aber, liebe Schwester“, 
		  sagte er zu ihr, „wo sollen wir denn den König der Pfauen finden?"
          „Wo es euch beliebt, aber ich heirate keinen Andern als ihn."
                    
          Mit diesem Entschluss führten sie die beiden Brüder auf das Schloss. 
		  Sie verlangte nach dem Pfau; man musste ihn herbeiholen und auf ihr 
		  Zimmer bringen, so lieb hatte sie ihn. Die Damen alle, welche Rosette 
		  noch nicht gesehen hatten, eilten herbei, der Prinzessin ihr 
		  Kompliment zu machen; die Einen brachten ihr Zuckerwerk, die andern 
		  goldbestickte Kleider, schöne Bänder und sonst artige Tändeleien, 
		  reichgestickte Schuhe, Perlen und Diamanten. Von allen Seiten 
		  beschenkte man sie und sie benahm sich mit solchem Anstand, so artig 
		  und zuvorkommend, dankte für alles, was man ihr schenkte, so zierlich 
		  und höflich, dass alle Herren und Damen sehr zufrieden von ihr gingen.
          Während sie sich nun in angenehmer Gesellschaft die Zeit nicht lang 
		  werden ließ, sannen der König und sein Bruder auf nichts weiter, als 
		  wie sie den König der Pfauen auffinden könnten, wenn es anders einen 
		  solchen in der Welt gäbe. Da ihnen einfiel, dass es wohl nötig sei, 
		  ein Bildnis von der Prinzessin zu haben, so ließen sie ein so schönes 
		  malen, dass dem Bilde nichts fehlte als die Sprache. Darauf sagten sie 
		  zu ihr: „Weil du denn einmal Niemand anders heiraten willst, als den 
		  König der Pfauen, so wollen wir Beide uns aufmachen und ihn dir auf 
		  der ganzen Erde suchen gehen. Wir werden wahrhaftig froh sein, wenn 
		  wir ihn finden. Sorge du inzwischen für unser Königreich, bis wir 
		  zurückkehren."
          Rosette dankte sehr für die Mühe, die sie sich nehmen wollten, und 
		  versprach ihnen, sie wolle schon auf das Beste für alles Sorge tragen 
		  und ihr ganzer Zeitvertreib während der Abwesenheit ihrer Brüder solle 
		  darin bestehen, dass sie den schönen Pfau ansähe und Fretillon tanzen 
		  ließe. Unter vielen Tränen nahmen sie von einander Abschied.
          Unterwegs fragten nun die beiden Brüder, wohin sie kamen und wen sie 
		  trafen: „Kennt ihr vielleicht den König der Pfauen?" Aber Jedermann 
		  antwortete: „Nein, nein." Da gingen sie immer weiter und weiter und so 
		  weit endlich, so weit, als noch kein Mensch je vor ihnen gekommen war.
          Sie kamen in das Königreich der Maikäfer, so viele hatten sie noch nie 
		  bei einander gesehen! Es war ein solches Geschwirr, dass der König in 
		  Furcht war, davon taub zu werden. Er fragte einen von ihnen, der ihm 
		  der vernünftigste schien, ob er nicht wisse, wo der Pfauenkönig zu 
		  finden sei. „Gnädiger Herr“, antwortete ihm der Maikäser, „sein 
		  Königreich ist dreißig tausend Meilen weit von hier, ihr habt einen 
		  gewaltigen Umweg gemacht."
          „Und woher weißt du das?“, fragte der König.
          „O, wir kennen euch ganz gut“, versetzte der Maikäfer, „wir kommen ja 
		  alle Jahre zwei bis drei Monat in eure Gärten und lassen es uns gut 
		  schmecken."
          Der König und sein Bruder umarmten hierauf den Maikäfer herzlich, 
		  schlössen Freundschaft mit ihm und speisten mit ihm zu Mittag. Sie 
		  besahen sich mit Erstaunen alle die Merkwürdigkeiten dieses Landes, wo 
		  das kleinste Baumblättchen einen Louisdor gilt, dann setzten sie ihre 
		  Wanderung fort und gingen so lange, bis sie endlich in das Land der 
		  Pfauen kamen. Da saßen die Pfauen auf allen Bäumen, alles wimmelte von 
		  ihnen und auf zwei Meilen weit hörte man sie schreien und schwatzen.
          Der König sagte zu seinem Bruder: „Wenn der Pfauenkönig selber ein 
		  Pfau ist, wie kann ihn unsere Schwester dann heiraten wollen? Nur ein 
		  Wahnsinniger könnte seine Zustimmung dazu geben, das war' eine schöne 
		  Geschichte!"
          Der Prinz war nicht weniger in Sorge. „Was für ein unglücklicher 
		  Einfall“, rief er, „ist unserer Schwester in den Sinn gekommen! Wie 
		  hat es ihr nur ahnen können, dass es einen König der Pfauen auf der 
		  Welt gebe!"
          Als sie jedoch in die Hauptstadt kamen, so fanden sie, dass dieselbe 
		  von Menschen bewohnt war, nur dass sie alle Kleider von Pfauenfedern 
		  trugen und diese überhaupt sehr in Ehren zu halten schienen. Sie 
		  begegneten dem König, der auf einem niedlichen Wagen von Gold und 
		  Diamanten, den zwölf Pfauen mit großer Schnelligkeit zogen, spazieren 
		  fuhr.
          Der König der Pfauen war so schön, so überaus schön, dass die beiden 
		  Brüder ganz entzückt davon waren. Er hatte langes, blondes, schön 
		  gelocktes Haar und ein blühendes Antlitz; seine Krone bestand aus 
		  einem Pfauenschweif.
          Als er die Brüder erblickte, schloss er sogleich ans ihrer Tracht, 
		  dass sie Fremde sein müssten und um das Nähere zu erfahren, hielt er 
		  still und ließ sie herbeirufen. Sie nahten sich, begrüßten ihn und 
		  sagten: „Mein König, wir kommen weit her, um euch ein schönes Bildnis 
		  zu zeigen."
          Damit zogen sie das Bildnis ihrer Schwester hervor, welches der König 
		  der Pfauen mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. „Ich kann nicht 
		  glauben“, sagte er, „dass es ein Mädchen von solcher Schönheit auf der 
		  Welt gibt."
          „Sie ist noch hundertmal schöner“, versetzte der König, ihr Bruder.
          „Ihr habt mich zum Besten“, sprach der König der Pfauen.
          „Mein König“, sagte der Prinz, „dies hier ist mein Bruder, ein König 
		  so gut wie ihr, und das Bildnis stellt unsere Schwester, die 
		  Prinzessin Rosette, vor. Wir sind hierher gekommen, euch zu fragen, ob 
		  ihr sie zur Gemahlin annehmen wollt; sie ist schön und verständig und 
		  wir geben ihr einen Scheffel voll Goldstücke als Mitgift."
          „Mit Vergnügen“, erwiderte der Pfauenkönig, „mit größtem Vergnügen bin 
		  ich dazu bereit, ich werde sie zärtlich lieben, alles, was sie nur 
		  begehrt, soll sie bei mir haben, nur muss sie eben so schön sein als 
		  ihr Bildnis, und wenn nur ein Zug fehlt, so kostet es euer Leben."
          „Gut, wir sind es zufrieden“, sagten die beiden Brüder.
          „Wenn ihr damit zufrieden seid“, fuhr der Pfauenkönig fort, „so bleibt 
		  ihr inzwischen bei mir in Gefangenschaft, so lange bis die Prinzessin 
		  angekommen ist."
          Der König und sein Bruder machten durchaus keine Einwendung dagegen, 
		  denn sie waren zu sehr überzeugt, dass Rosette noch viel schöner sei 
		  als ihr Bildnis.
          Der Pfauenkönig ließ sie in ihrer Gefangenschaft mit größter 
		  Auszeichnung, ihrem Stande gemäß, behandeln und besuchte sie häufig 
		  selbst. Das Bildnis der Prinzessin hatte einen solchen Eindruck auf 
		  ihn gemacht, dass er Tag und Nacht keine Ruhe hatte. Die beiden Brüder 
		  schrieben sogleich aus ihrem Gefängnis an die Prinzessin, sie möge auf 
		  das Schleunigste herkommen, weil der Pfauenkönig sie erwarte. Sie 
		  verschwiegen ihr jedoch, dass man sie gefangen hielt, aus Furcht, ihre 
		  Schwester zu sehr zu beunruhigen.
          Als die Prinzessin diesen Brief empfing, dachte sie vor Freude zu 
		  sterben. Aller Welt erzählte sie, dass der Pfauenkönig gefunden sei 
		  und dass er ihr Gemahl würde; da gab es überall Freudenfeuer, 
		  Feuerwerke und immer eine Schmauserei nach der andern. Die Prinzessin 
		  übergab das Reich ihres Bruders den bejahrtesten und weisesten Männern 
		  in der Stadt und empfahl ihnen, auf alles Acht zu haben, wenig 
		  auszugeben und viel Geld zu sparen, bis der König zurückkomme. Sie bat 
		  auch, ihren lieben Pfau wohl in Acht zu nehmen, sodann begab sie sich 
		  auf die Reise, auf welche sie Niemand mitnahm, als ihre Amme, ihre 
		  Milchschwester und Fretillon, das kleine grüne Hündchen.
          Sie bestiegen nun ein Schiff, welches auf dem Meer ihrer wartete, 
		  nachdem man vorher den Scheffel voll Goldtalern und Kleider auf zehn 
		  Jahr, täglich zweimal zu wechseln, eingepackt hatte. Da war ein Lachen 
		  und Singen, ohne Aufhören.
          „Sind wir bald da?“, fragte die Amme den Schiffer; „sind wir bald in 
		  dem Königreich der Pfauen?" „Noch nicht“, entgegnete er ihr.
          Ein andermal fragte sie wieder: „Sind wir bald, sind wir bald da?" 
          „Bald“, sagte er, „bald." 
          „Sind wir bald da, sind wir bald da?“, fragte sie wieder ein andermal.
          
          „Ja doch, ja“, versetzte der Schiffer. 
          
          Als die Amme dies hörte, setzte sie sich neben ihn an das Ende des 
		  Schiffes und sagte: „Wenn du willst, so kannst du auf immer ein 
		  reicher Mann werden."
          Er antwortete: „Das will ich wohl“, und sie fuhr fort: „Wenn du 
		  willst, so kannst du dir eine Menge Gold verdienen."
          „Ich verlange Nichts weiter“, war seine Antwort.
          „Nun denn“, sagte sie, „so musst du mir behilflich sein, diese Nacht, 
		  wenn die Prinzessin schläft, sie ins Meer zu werfen. Wenn sie 
		  ertrunken ist, so zieh' ich ihre schönen Kleider meiner Tochter an und 
		  wir bringen sie zum Pfauenkönige, der sie mit vielem Vergnügen 
		  heiraten wird. Dir aber will ich zum Lohn so viel Diamanten geben, als 
		  um deinen Hals gehen."
          Der Schiffer war sehr erstaunt über den Antrag der Amme und entgegnete 
		  ihr, es sei doch Schade, eine so schöne Prinzessin zu ersäufen und er 
		  habe allzu viel Mitleid mit ihr; aber die Amme setzte ihm eine Flasche 
		  Wein vor und gab ihm so viel zu trinken, bis er zuletzt alle 
		  Bedenklichkeiten vertrunken hatte.
          Als die Nacht einbrach, legte sich die Prinzessin wie gewöhnlich zu 
		  Bett; ihr kleiner Fretillon schlief, zu ihren Füßen geschmiegt, und 
		  rührte keine Pfote. Rosette lag im tiefsten Schlummer, als die 
		  nichtswürdige Amme, welche nicht schlief, den Schiffer holte. Sie 
		  gingen in das Zimmer der Prinzessin, nahmen sie, ohne sie aufzuwecken, 
		  samt ihren Federbetten, ihren Matratzen, ihren Tüchern, ihren Decken 
		  und warfen sie mit dem Allen ins Meer, wobei die Milchschwester aus 
		  allen Kräften half. So fest aber schlief die Prinzessin, dass sie 
		  davon nicht aufwachte.
          Zum Glück bestand ihr Bett aus Phönixfedern, die sehr selten sind und 
		  die Eigenschaft haben, dass sie nicht untersinken, so dass sie also in 
		  ihrem Bette wie in einem Kahne schwamm. Indessen drang doch das Wasser 
		  nach und nach in das Bett und durch die Matratze und Rosette wachte 
		  davon auf.
          Da sie sich unruhig von einer Seite zur andern wendete, so wurde auch 
		  Fretillon munter. Er hatte eine so feine Nase, dass er gleich die Nähe 
		  der Plattfische und der Stockfische witterte und so nach ihnen zu 
		  klaffen und zu klaffen anfing, dass alle andern Fische davon unruhig 
		  wurden. Sie schwammen hin und her und die großen Fische stießen mit 
		  dem Kopf gegen das Bett der Prinzessin, welches, da es keinen Halt 
		  hatte, sich wie ein Kreisel herumdreht.
          Die Prinzessin war sehr erstaunt darüber. „Tanzt denn“, rief sie, 
		  „unser Schiff auf dem Wasser? ich habe in meinem ganzen Leben noch 
		  keine so unruhige Nacht zugebracht."
          Fretillon klaffte immerzu und machte einen heillosen Lärm. Die 
		  nichtswürdige Amme und der Fischer hörten ihn noch von weitem und 
		  sagten: „Ei sieh', das ist das kleine närrische Hündchen, es trinkt 
		  mit seiner Gebieterin auf unsere Gesundheit. Aber wir wollen uns nur 
		  beeilen, dass wir ankommen."
          Sie befanden sich schon ganz dicht an der Hauptstadt des Königs der 
		  Pfauen. Dieser hatte seiner Braut an das Meeresufer hundert Karossen 
		  entgegen geschickt, welche mit allen möglichen Tieren bespannt waren. 
		  Da gab es Löwen, Bären, Hirsche, Wölfe, Pferde, Stiere, Adler, Pfauen. 
		  Der Wagen, in welchen sich die Prinzessin Rosette setzen sollte, wurde 
		  von sechs blauen Affen gezogen; die sprangen und tanzten und machten 
		  tausend luftige Kunststücke. Sie hatten ein schönes Geschirr von rotem 
		  Samt mit Goldplatten. Zur Unterhaltung der Prinzessin hatte der König 
		  gleichfalls sechzig junge Mädchen geschickt, gekleidet in alle Farben 
		  und blitzend von Gold und Silber.
          Die Amme hatte sich die größte Mühe von der Welt gegeben, ihre Tochter 
		  herauszuputzen. Sie zog ihr das schönste Kleid der Prinzessin an, und 
		  steckte ihr deren Diamanten ins Haar, ans Kleid und wo es sonst nur 
		  immer gehen wollte; aber sie blieb mit allem ihrem Putz dennoch 
		  hässlicher als eine Meerkatze. Sie hatte schmutzige schwarze Haare, 
		  schielende Augen, krumme Beine und einen großen Buckel mitten auf dem 
		  Rücken, und dabei war sie boshaft, tölpisch und brummig.
          Als sie aus dem Schiffe stieg, gerieten alle Leute des Pfauenkönigs in 
		  ein solches Erstaunen, dass sie kein Wort hervorbringen konnten.
          „Nun, was ist das?“, rief sie. „Seid ihr etwa im Schlafe? Frisch, 
		  hurtig, bringt mir zu essen her. Ihr seid mir schönes Volk! Aufhängen 
		  will ich euch lassen."
          Als die Leute dies hörten, sprachen sie ganz verwundert: „Was für ein 
		  nichtswürdiges Geschöpf! Sie ist eben so boshaft als garstig, das ist 
		  eine schöne Heirat für unfern König! Das war wohl der Mühe wert, sie 
		  vom Ende der Welt her holen zu lassen!"
          Inzwischen spielte sie immerfort die Gebieterin und um weniger als 
		  nichts teilte sie aller Welt Ohrfeigen und Faustschläge aus. Da ihr 
		  Gefolge sehr groß war, so ging es langsam vorwärts. Sie brüstete sich 
		  wie eine Königin in ihrer Karosse. Aber die Pfauen alle, die sich auf 
		  die Bäume gesetzt hatten, um sie im Vorbeifahren zu begrüßen, und die 
		  sich vorgenommen hatten zu rufen: „Es lebe die schöne Königin 
		  Rosette!“, schrieen jetzt, da sie ein solches Ungetüm erblickten: 
		  „Pfui, pfui, wie hässlich ist sie!"
          Sie geriet darüber außer sich vor Mut und rief ihrer Leibwache zu: 
		  „Schießt mir gleich da diese nichtswürdigen Pfauen tot, die mich so 
		  unverschämt verhöhnen."
          Aber die Pfauen flogen rasch davon und machten sich nur über sie 
		  lustig.
          Der Spitzbube von Schiffer, der dies alles mit ansah, sagte ganz leise 
		  zu der Amme: „Gevatterin, wir kommen übel an, eure Tochter sollte 
		  hübscher sein."
          „Schweig', du Dummkopf“, entgegnete sie ihm, „du wirst uns ins Unglück 
		  bringen."
          Man benachrichtigte den König, die Prinzessin sei im Anzuge. „Nun“, 
		  fragte er, „haben ihre Brüder die Wahrheit gesagt? Ist sie noch 
		  schöner als ihr Bildnis?"
          „Gnädiger Herr“, erwiderte man, „es wäre schon genug, wenn sie auch 
		  nur eben so schön wäre."
          „Ja wohl“, sagte der König, „ich würde ganz zufrieden damit sein."
          Ein großer Lärm auf dem Schlosshofe benachrichtigte ihn von ihrer 
		  Ankunft. In dem verworrenen Geräusch so vieler Stimmen konnte er 
		  nichts weiter unterscheiden, als: „Pfui, pfui, was für ein hässliches 
		  Geschöpf!"
          Der König glaubte, man spreche vielleicht von einem Zwerge oder von 
		  irgend einer Bestie, die man mitgebracht habe, denn es konnte ihm gar 
		  nicht in den Sinn kommen, dass dies in der Tat ihr selber gelte.
          Das Bildnis der Prinzessin wurde ganz offen auf einer langen Stange 
		  getragen und der König ging mit würdevollem Ernst hinterher, nebst 
		  allen seinen Großen, seinen Pfauen und den Gesandten der benachbarten 
		  Königreiche.
          Der König der Pfauen empfand große Ungeduld, seine schöne Braut 
		  endlich zu Gesicht zu bekommen. Aber als er sie nun sah, fehlte wenig, 
		  dass er auf der Stelle den Tod gehabt hätte. Er geriet in die äußerste 
		  Wut, zerriss seine Kleider, und sie durfte ihm nicht zu nahe kommen; 
		  so entsetzte er sich vor ihr.
          „Wie“, rief er, „diese beiden Schurken, die ich gefangen halte, haben 
		  also die Kühnheit gehabt, mich so zu verspotten, mir eine Meerkatze 
		  wie dieses Geschöpf zur Gemahlin anzubieten? sie sollen mir mit dem 
		  Leben dafür büßen. Heda, man werfe sogleich dieses Ungeheuer samt 
		  ihrer Amme und dem, welcher sie herbrachte, in die Tiefe des großen 
		  Turmes."
          Inzwischen warteten der König und sein Bruder, da sie wussten, dass 
		  ihre Schwester ankommen sollte, sehnsüchtig auf den Augenblick, sie 
		  willkommen zu heißen. Anstatt aber, dass man kam, ihr Gefängnis zu 
		  öffnen und sie in Freiheit zu setzen, wie sie mit Bestimmtheit 
		  hofften, erschien der Kerkermeister mit einer Schar Soldaten und ließ 
		  sie in eine ganz dunkle Höhle hinabsteigen, wo es von ekelhaftem 
		  Gewürme wimmelte und wo ihnen das Wasser bis an den Hals ging.
          Sie waren vor Erstaunen und Betrübnis ganz außer Fassung. „Ach!“, 
		  sprachen sie zu einander, „das ist eine traurige Hochzeit für uns! Was 
		  in aller Welt kann ein so großes Unglück über uns bringen?" Sie 
		  konnten nichts auffinden, nur das schien ihnen gewiss, dass man ihren 
		  Tod beschlossen habe, worüber sie außerordentlich bekümmert waren.
          Drei Tage vergingen, ohne dass sie jemand sahen noch hörten. Nach 
		  Verlauf von drei Tagen kam der Pfauenkönig selbst und überhäufte sie 
		  mit Schmähungen. „Ihr habt euch“, rief er ihnen durch die kleine 
		  Öffnung ihres Gefängnisses zu, „den Titel eines Königs und eines 
		  Prinzen angemaßt, um mich zu fangen und zu verlocken, eure Schwester 
		  zu heiraten; aber ihr seid nichts als elende Bettler, die nicht des 
		  Wassers wert sind, welches sie trinken. Aber man wird sehr kurzen 
		  Prozess mit euch machen. Der Strick ist schon fertig, an welchem man 
		  euch aufknüpfen wird."
          „König der Pfauen“, antwortete der König, Rosettens Bruder, voll Zorn: 
		  „Geht nicht so rasch damit zu Werke, denn es möchte euch reuen. Ich 
		  bin ein König, so gut wie ihr. Ich besitze ein ansehnliches 
		  Königreich, Geld und Soldaten, ich habe nur zu befehlen. Hoho, was ist 
		  das für ein spaßhafter Einfall von euch, uns aufhängen lassen zu 
		  wollen. Haben wir euch denn etwas gestohlen?"
          Als der König diese entschlossene Sprache hörte, wusste er nicht, 
		  woran er war, und hatte fast Lust, sie nebst ihrer Schwester 
		  davongehen zu lassen, ohne ihnen ein Leid zuzufügen. Aber einer seiner 
		  Höflinge, der ein Erzspeichellecker war, brachte ihn wieder auf andere 
		  Gedanken, indem er ihm vorstellte, alle Welt werde sich über ihn 
		  lustig machen, wenn er nicht Rache nehme und man würde ihn einen 
		  kleinen Zaunkönig heißen.
          Er schwur daher, ihnen nicht zu verzeihen und befahl, ihnen den 
		  Prozess zu machen. Er dauerte nicht lange, denn man hatte kaum das 
		  Bildnis der wirklichen Prinzessin Rosette mit dem Scheusal verglichen, 
		  welches statt ihrer angekommen war und sich für sie ausgab, so 
		  verurteilte man beide Brüder zum Strange, weil sie Betrüger seien und 
		  dem König statt einer schönen Prinzessin, welche sie ihm versprochen, 
		  eine garstige Bäuerin gebracht hätten.
          Dieses Urteil wurde ihnen im Gefängnisse mit großen Feierlichkeiten 
		  bekannt gemacht. Aber die Brüder riefen, sie hätten nicht gelogen, 
		  ihre Schwester sei eine Prinzessin und schöner als der Tag. Es sei 
		  hier etwas Unbegreifliches im Spiele, und sie verlangten sieben Tage 
		  Frist, ehe man sie zu m Tode führe, vielleicht komme in dieser Zeit 
		  ihre Unschuld ans Licht.
          Der König der Pfauen wollte sich, so erzürnt wie er war, kaum dazu 
		  verstehen, ihnen diese Gnade zu bewilligen, endlich aber gab er es zu.
          Während dies alles bei Hose vorgeht, wollen wir uns ein wenig nach der 
		  armen Prinzessin Rosette umsehen. Sie war bei Anbruch des Tages sehr 
		  erstaunt, sich mitten auf dem Meere, ohne Nachen, ohne Beistand zu 
		  finden, und Fretillon desgleichen. Sie brach in Tränen aus und weinte 
		  so bitterlich, so bitterlich, dass es die Fische zum Mitleid bewegte. 
		  Was sollte sie tun? was sollte aus ihr werden?
          „Gewiss“, sagte sie, „hat mich der König der Pfauen ins Meer werfen 
		  lassen, die Heirat wird ihn gereut haben, und um auf gute Art meiner 
		  los zu werden, ließ er mich ins Meer werfen. Was für ein seltsamer 
		  Mensch“, fuhr sie fort, „ich würde ihn doch so zärtlich geliebt haben! 
		  Wir hätten ein so glückliches Leben zusammen geführt." Darauf weinte 
		  sie noch viel heftiger, denn sie konnte auch jetzt noch nicht 
		  aufhören, ihn zu lieben.
          So schwamm sie zwei Tage lang auf dem Meere hin und her, bis auf die 
		  Haut durchnässt und fast erstarrt vor Kälte. Wenn nicht der kleine 
		  Fretillon gewesen wär', der ihr ein wenig das Herz erwärmte, so wurde 
		  sie hundertmal des Todes gewesen sein. Dabei hungerte sie ganz 
		  entsetzlich. Zum Glück erblickte sie einige Austern, mit denen sie 
		  ihren Hunger stillte, und auch Fretillon, obgleich er diese Speise 
		  nicht sonderlich liebte, musste sich dazu bequemen.
          Die größte Angst aber empfand Rosette jedes Mal beim Einbruch der 
		  Nacht; dann rief sie ihrem Hündchen zu: „Belle, belle, mein Fretillon, 
		  dass uns die Raubfische nicht auffressen."
          So bellte er denn jede Nacht ohne Aufhören und inzwischen war das Bett 
		  der Prinzessin dem Ufer immer näher gekommen. An diesem Ufer da wohnte 
		  ein guter alter Mann ganz allein in seiner Hütte in einer einsamen 
		  Gegend. Er war sehr arm und kümmerte sich gleichwohl sehr wenig um die 
		  Güter dieser Welt. Als er Fretillons Gebell hörte, war er ganz 
		  erstaunt, denn es ließ sich nicht leicht ein Hund in dieser Gegend 
		  blicken. Er glaubte also, Reisende hätten sich hierher verirrt und 
		  ging mitleidig wie er war, hinaus, um ihnen den Weg zu zeigen. Da sah 
		  er mit einmal die Prinzessin und Fretillon auf dem Meer treiben. Die 
		  Prinzessin aber hatte ihn kaum erblickt, so streckte sie die Arme nach 
		  ihm aus und rief ihm zu: „Guter Greis, rette mich, sonst komme ich um, 
		  denn ich verschmachte hier schon seit zwei Tagen."
          Als er sie so kläglich reden hörte, ging es ihm sehr nahe und er 
		  kehrte nach Hause zurück, um einen langen Haken zu holen. Mit diesem 
		  ging er bis an den Hals ins Wasser, und obgleich er mehr als einmal in 
		  Gefahr war, zu ertrinken, gelang es ihm doch, das Bett bis ans Ufer zu 
		  ziehen.
          Rosette und Fretillon waren sehr vergnügt, wieder auf festem Boden zu 
		  sein; sie dankten von ganzem Herzen dem guten Manne, hüllten sich dann 
		  in ihre Decken und eilten barfuss in die Hütte. Dort zündete der Alte 
		  gleich ein kleines Feuer von dürrem Reisig an, nahm das schönste Kleid 
		  seiner seligen Frau aus dem Koffer nebst Strümpfen und Schuhen und die 
		  Prinzessin zog sich alles an. Der geringen bäuerischen Tracht 
		  ungeachtet blieb sie doch so schön wie der Tag, Fretillon tanzte um 
		  sie herum und suchte sie mit seinen Sprüngen zu erheitern.
          Der alte Mann sah wohl, dass Rosette eine vornehme Dame war, denn ihre 
		  Bettdecken waren ganz mit Gold und Silber gestickt und ihre Matratzen 
		  von Atlas. Er bat sie, ihm ihre Geschichte zu erzählen, und versprach, 
		  wenn sie es wünsche, Niemanden nur ein Wort davon zu entdecken. Sie 
		  erzählte ihm alles, von Anfang bis zu Ende, unter häufigen Tränen, 
		  denn sie glaubte noch immer, der Pfauenkönig sei es, der sie ins Meer 
		  habe werfen lassen.
          „Was fangen wir nun an, meine Tochter?“, sagte der Alte. „Ihr seid 
		  eine vornehme Prinzessin, an gute Bissen gewöhnt, und ich habe nur 
		  Schwarzbrot und weiße Rüben, ihr werdet also sehr schlechte Mahlzeiten 
		  halten. Wenn ich euch einen Rat geben dürfte, so ginge ich hin und 
		  meldete dem Pfauenkönige, dass ihr hier seid. Gewiss, wenn er euch nur 
		  gesehen hätte, ihr wäret seine Gemahlin geworden."
          „Ach nein“, versetzte Rosette, „es ist ein böser Mensch, er würde mich 
		  umbringen lassen; aber wenn ihr ein kleines Körbchen habt, so bindet 
		  es meinem Hündchen um den Hals, und es müsste schlimm zugehen, wenn es 
		  mich nicht mit Essen versorgte."
          Der alte Mann gab der Prinzessin ein Körbchen; sie band es Fretillon 
		  an den Hals und sagte zu ihm: „Geh' damit in die beste Küche in der 
		  Stadt, und hole mir was du darin findest."
          Fretillon lief nach der Stadt und da es keine bessere Küche als die 
		  des Königs gab, so lief er dort hinein, deckte die Töpfe auf, nahm 
		  geschickt alles heraus, was darin war, und kehrte nach Hause zurück.
          Rosette sagte zu ihm: „Lauf wieder zurück, geh' in die Speisekammer 
		  und hole mir das Beste, was du dort findest." Fretillon begab sich in 
		  die Speisekammer, nahm weißes Brot, Muskateller Wein, alle Arten von 
		  Früchten und Zuckerwerk und schleppte so viel fort, als er nur tragen 
		  konnte.
          Als der Pfauenkönig zu Mittag speisen wollte, waren Küche und Keller 
		  leer. Man sah sich verwundert an und der König geriet in einen 
		  schrecklichen Zorn: „Ich soll also wohl“, sagte er, „heute Mittag 
		  nichts essen; nun, so will ich mich wenigstens auf den Abend an einem 
		  guten Braten erholen."
          Der Abend kam und die Prinzessin sagte zu Fretillon: „Geh' nach der 
		  Stadt in die beste Küche und hole mir einen guten Braten."
          Fretillon tat, wie seine Gebieterin ihm befahl, begab sich wieder ganz 
		  sacht in die Küche des Königs, da er keine bessere wusste, nahm den 
		  ganzen Braten, während die Köche den Rücken drehten, vom Spieße und 
		  lief damit fort. Der Braten hatte ein so appetitliches Aussehen, dass 
		  man die größte Luft zu essen bekam, wenn man ihn nur ansah. Fretillon 
		  brachte sein Körbchen ganz voll der Prinzessin, kehrte dann sogleich 
		  wieder um nach der Speisekammer und nahm das ganze Zuckerwerk und 
		  allerlei Eingemachtes mit sich fort.
          Weil der König nicht zu Mittag gespeist hatte, empfand er starken 
		  Hunger und wollte zeitig zu Abend essen; allein es war nichts da. Er 
		  geriet in einen ganz erschrecklichen Zorn und musste, ohne Abendbrot 
		  gegessen zu haben, zu Bette gehen. Am folgenden Tage zu Mittag und zu 
		  Abend ging es eben wieder so, so dass der König drei ganze Tage ohne 
		  Essen und Trinken blieb, denn wenn er sich zu Tisch setzen wollte, war 
		  alles fort.
          Sein Hofmarschall befand sich in großer Sorge deshalb, denn er 
		  befürchtete, der König werde zuletzt Hungers sterben. Er verbarg sich 
		  also in der Küche in einem Winkel und sah unverwandt nach dem Topf, 
		  der am Feuer stand. Ganz erstaunt sah er ein kleines grünes einöhriges 
		  Hündchen hereinschleichen, welches den Topf aufdeckte und das Fleisch 
		  in sein Körbchen legte. Er folgte ihm, um zu erfahren, wo es hinginge. 
		  Das Hündchen lief zum Thor hinaus und er folgte ihm immer zu, bis in 
		  die Hütte des guten Alten.
          Hierauf kehrte er zurück und hinterbrachte dem Könige, dass seine 
		  Braten mittags und abends zu einem armen Bauern wanderten.
          Der König war nicht wenig erstaunt darüber und befahl, den Bauern 
		  herbeizuholen. Der Hofmarschall ging selbst in Begleitung einiger 
		  Häscher, und sie fanden den Alten, wie er eben mit der Prinzessin von 
		  dem Braten der königlichen Tafel seine Mittagsmahlzeit hielt. Er ließ 
		  Beide gefangen nehmen und mit starken Stricken binden, desgleichen 
		  auch Fretillon.
          Als man den König benachrichtigte, dass sie da seien, sagte er: 
		  „Morgen ist ohnedies der siebente und letzte Tag, den ich jenen beiden 
		  Schurken bewilligt habe; die Bratendiebe mögen mit ihnen zugleich 
		  sterben. Daraus begab er sich in das Gerichtszimmer.
          Der Alte warf sich ihm zu Füßen und sagte, er wolle ihm die ganze 
		  Geschichte erzählen. Indem er erzählte, sah der König die schöne 
		  Prinzessin an und empfand Mitleid mit ihren Tränen. Als er nun aber 
		  von dem guten Alten hörte, dass dies die wirkliche Prinzessin Rosette 
		  sei und dass man sie ins Meer geworfen habe, sprang er hoch in die 
		  Höhe, wie schwach er auch von seinem dreitägigen Fasten war, lief die 
		  Prinzessin zu umarmen, löste die Stricke, mit denen sie gebunden war, 
		  und sagte ihr, dass er sie von ganzem Herzen liebe.
          Sogleich beeilte man sich, auch die Prinzen herbeizuholen, die nicht 
		  anders glaubten, als man führe sie zum Tode, und deshalb sehr traurig 
		  und mit gesenktem Haupt einherkamen; sodann brachte man auch die Amme 
		  und ihre Tochter. Alle erkannten sich auf den ersten Blick. Rosette 
		  fiel ihren Brüdern um den Hals, die Amme und ihre Tochter nebst dem 
		  Schiffer warfen sich auf die Knie und baten um Gnade. Die Freude war 
		  so groß, dass der König und die Prinzessin ihnen verziehen, der gute 
		  Alte aber wurde reichlich belohnt und blieb für immer in dem Palast.
          Rosettens Brüdern gab der Pfauenkönig jede mögliche Genugtuung und 
		  bezeigte seinen Schmerz, sie so unwürdig behandelt zu haben. Die Amme 
		  gab der Prinzessin ihre schönen Kleider und ihren Scheffel voll 
		  Goldstücke zurück. Vierzehn Tage währten die Hochzeitsfestlichkeiten, 
		  und alles war vergnügt, Fretillon nicht zu vergessen, der lauter 
		  Rebhühnerflügel zu essen bekam.
Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.
