Märchen Autoren: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z
Märchen Titel: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z
Märchen Themen: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z

Finette - Aschenbrödel

Finette

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten schlechte Wirtschaft getrieben und man jagte sie deshalb aus ihrem Königreich. Weil sie nichts zu leben hatten, verkauften sie ihre Kronen, sodann ihre Kleider, ihre Leibwäsche, ihre feine Wäsche und alle ihre Möbeln Stück für Stück. Die Trödler wurden zuletzt überdrüssig zu kaufen, denn alle Tage kamen sie mit Anderem. Als nun der König und die Königin ganz verarmt waren, sagte der König zu seiner Frau: „Da haben wir nun kein Königreich mehr und haben auch sonst weiter nichts! wir müssen uns und unsern armen Kindern einen Lebensunterhalt verschaffen! Denken sie doch ein wenig nach, was wir tun sollen, denn bis dahin Hab' ich mich nur auf das Regieren verstanden, und das ist keine schwere Sache."

Die Königin besaß viel Verstand; sie bat sich acht Tage Zeit aus, um gehörig darüber nachzudenken. Nach Verlauf der acht Tage sagte sie zu ihm: „Mein Gemahl, wir müssen uns nicht vom Kummer niederdrücken lassen; ihr ganzes Geschäft soll darin bestehen, dass sie Netze machen und auf die Jagd und den Fischfang gehen, um Vögel und Fische darin zu fangen. Während sich die Schnuren abnutzen, will ich fleißig spinnen, um wieder neue zu machen. Was unsere drei Töchter betrifft, so sind das hochmütige Faulenzerinnen, die sich noch immer einbilden, vornehme Damen zu sein und die Prinzessinnen spielen wollen. Man muss sie so weit, so weit von hier fortbringen, dass sie nie wiederkommen; denn es würde unmöglich sein, dass wir ihnen nur genug Kleider nach ihrem Geschmack schaffen könnten."

Der König brach in Tränen aus, als er hörte, dass er sich von seinen Kindern trennen sollte. Er war ein zärtlicher Vater, stand aber unter dem Pantoffel der Königin. Er willigte daher in alles, was sie beschloss und entgegnete ihr: „Stehen sie morgen bei guter Zeit auf, nehmen sie ihre drei Töchter und führen sie dieselben so weit sie immer denken. Während sie dies so beratschlagten, horchte gerade die Prinzessin Finette, die kleinste von den Schwestern, am Schlüsselloch; und als sie nun von dem Entschluss ihres Vaters und ihrer Mutter hörte, lief sie gleich, so schnell sie nur konnte, nach einer ziemlich fern gelegenen Grotte, in welcher die Fee Merlusche, ihre Frau Pathe, wohnte.

Finette hatte zwei Pfund frische Butter mitgenommen, Eier, Milch und Mehl, um ihrer Pathe einen vortrefflichen Kuchen zu backen und freundlich aufgenommen zu werden. Sie machte sich ganz vergnügt auf den Weg, aber je mehr sie ging, desto müder wurde sie. Bis auf die letzte Sohle nutzten sich ihre Schuhe ab und ihre kleinen weichen Füßchen liefen sich so wund, dass es ein wahrer Jammer war; sie konnte nicht mehr und setzte sich weinend aufs Gras.

Da zeigte sich auf einmal ein schönes Ross, ganz gezäumt und gesattelt; es hatte so viel Diamanten an seiner Decke, dass man mehr als drei Städte davon hätte kaufen können. Als es die Prinzessin erblickte, kam es ganz sanft an sie heran und beugte das Knie, als ob es ihr eine Verbeugung machen wolle. Sie nahm es darauf beim Zügel und sprach: „Mein gütiges Pferdchen, möchtest du mich wohl zu meiner Frau Pathe, der Fee, tragen? du würdest mir einen großen Gefallen damit tun, denn ich sterbe vor Müdigkeit; wenn du es aber tust, will ich dir auch vom besten Heu und Hafer geben und zur Streu sollst du frisches Stroh bekommen."

Das Pferd bückte sich fast bis auf die Erde vor ihr und die junge Finette stieg auf. Nun fing es zu laufen an so leicht, als ob es ein Vogel wär'. Am Eingang der Grotte hielt es still, als ob es den Weg schon gewusst hätte, und es wusste ihn auch sehr wohl, denn das schöne Ross war ja von der Fee Merlusche abgeschickt, welche vorhersah, dass ihr Pathchen sie wollte besuchen kommen.
Beim Eintreten machte Finette drei tiefe Verbeugungen vor ihrer Frau Pathe, nahm den Zipfel ihres Rockes, küsste ihn und sagte darauf: „Guten Tag, liebe Frau Pathe, wie befinden sie sich? Hier bring' ich ihnen Butter, Milch, Eier und Mehl, um einen schönen Kuchen zu backen."

„Sei mir willkommen“, entgegnete die Fee, „lass dich umarmen." Sie umarmte sie zweimal und das freute Finette nicht wenig, denn Madame Merlusche war eben keine Fee, wie sie zu Dutzenden sind. „Hier, mein liebes Pathchen“, sprach sie darauf, „du sollst jetzt meine kleine Kammerfrau werden, mir den Kopfputz abnehmen und das Haar kämmen. Die Prinzessin nahm ihr den Kopfputz ab und kämmte ihr das Haar auf die geschickteste Weise von der Welt. „Ich weiß wohl“, sagte Merlusche, „weshalb du zu mir kommst, du hast gehört, dass der König und die Königin euch verstoßen wollen, und du möchtest dieses Unglück von euch abwenden. Da, nimm diesen Knäuel, dessen Faden unzerreißbar ist, knüpfe das Ende an die Tür eures Hauses und behalte den Knäuel in der Hand. Wenn die Königin euch verlassen hat, so brauchst du nur dem Faden zu folgen, um dich leicht wieder nach Hause zu finden."
Die Prinzessin bedankte sich bei ihrer Frau Pathe, die ihr noch einen Sack voll schöner Kleider gab, ganz mit Gold und Silber besetzt. Sie umarmte sie, hob sie auf das hübsche Pferd hinauf und in zwei, drei Augenblicken befand sich die Prinzessin an der Tür der Hütte ihrer Majestäten. Finette stieg ab und sagte zu ihrem Pferde: „Mein kleiner hübscher kluger Freund, der rascher als ein Vogel fliegt, ich danke dir für deine Mühe, kehr' zurück, woher du gekommen bist." Sie schlich sodann ganz sachte in das Haus, verbarg den Sack mit den Kleidern unter ihr Kopfkissen und legte sich schlafen, als ob nichts vorgefallen war'.

Kaum brach der Tag an, so weckte der König seine Frau und sagte: „Stehen sie auf, stehen sie auf, es ist Zeit, sich auf den Weg zu begeben." Augenblicklich stand sie auf, zog ihre dicken Schuhe an, einen kurzen Rock, ein weißes Kamisol und nahm einen tüchtigen Reisestock. Sodann rief sie die älteste ihrer Töchter, welche Liebesblümchen hieß, die zweite, Nachtschönchen, und die jüngste, Feinöhrchen, denn so nannte man gewöhnlich Finette.

„Ich habe diese Nacht geträumt“, sprach die Königin, „wir sollten einmal meine Schwester besuchen, sie werde uns aufs Allerbeste empfangen und würden einen sehr vergnügten Tag haben."

Liebesblümchen, die es überdrüssig war, beständig in einer Wüste zu leben, versetzte rasch: „Lassen sie uns gehen, wohin sie wollen, es ist mir gleich, nur dass ich ein wenig von hier fortkomme. Die beiden Andern sprachen eben so. Sie nahmen Abschied vom Könige und alle Vier begaben sich auf den Weg. Sie gingen so weit, so weit, dass Feinöhrchen Furcht hatte, der Faden werde nicht reichen. Sie ging immer hinter ihren Schwestern, den Faden geschickt durch die Sträucher ziehend.

Als die Königin glaubte, ihre Töchter würden nun den Rückweg nicht wieder finden können, hielt sie in einem großen Walde an und sagte zu ihnen: „Meine kleinen Schäfchen, legt euch schlafen, ich will der Hirte sein, der bei euch wacht, dass der Wolf keins fortträgt."
Sie legten sich aufs Gras nieder und schliefen ein. Die Königin verließ sie und meinte gewiss, sie nie wieder zu sehen. Finette schloss die Augen, schlief aber nicht. „Wenn ich boshaft genug wär'„, sagte sie, „so würde ich mich augenblicklich auf den Weg machen und meine Schwestern hier umkommen lassen; denn sie schlagen und kratzen mich bis aufs Blut. Dem ungeachtet will ich sie nicht verlassen."
Sie weckte sie mm und erzählte ihnen alles. Da fingen sie an zu weinen und baten ihre Schwester inständigst, sie mit sich zu nehmen, sie wollten ihr schöne Puppen, ihr kleine Sparbüchsen und eine Menge Spielsachen und Näschereien geben. „Ich weiß wohl, dass ihr nichts davon tun werdet“, entgegnete Finette, „doch ich will deshalb nicht weniger eine gute Schwester sein." Damit stand sie auf und folgte dem Faden und die Prinzessinnen desgleichen, so dass sie fast zugleich mit der Königin eintrafen.

Als sie an der Tür standen, hörten sie den König sagen: „Mein Herz ist ganz bekümmert, sie so allein zurückkommen zu sehn."
„Ach“, sprach die Königin, „unsere Töchter machten uns gar zu viel Sorge und Last."

„Wenn sie noch“, sagte der König, „meine Finette wieder mitgebracht hätten, der anderen wegen würde ich mich trösten, denn das sind selbstsüchtige Geschöpfe, die für nichts Liebe haben."
Sie klopften, poch, poch.
„Wer ist da?“, fragte der König.

„Ihre drei Töchter“, entgegneten sie, „Liebesblümchen, Nachtschönchen und Feinöhrchen."
Die Königin zitterte vor Furcht; „öffnen sie nicht“, sagte sie zum Könige, „das müssen Geister sein, denn dass die Kinder zurückgekommen sind, ist ganz unmöglich." Der König war eben ein solcher Hase als seine Frau und sprach: „Ihr hintergeht mich, ihr seid meine Töchter nicht."

Doch das kluge Feinöhrchen erwiderte ihm: „Ich will mich bücken, lieber Papa, betrachten sie mich durch das Schlüsselloch und wenn ich nicht Finette bin, mögen sie mir die Rute geben."
Da sah sie der König durchs Schlüsselloch an, erkannte sie und öffnete. Die Königin stellte sich ganz erfreut sie wieder zu sehen und sagte zu ihnen, sie habe nur zu Hause etwas vergessen gehabt und sei zurückgegangen, um es zu holen, in der bestimmten Überzeugung, sie da noch anzutreffen.

Sie taten als glaubten sie daran und stiegen in einen kleinen hübschen Verschlag, wo sie schliefen.

„Nun, liebe Schwestern“, sagte Finette, „ihr habt mir eine Puppe versprochen, gebt sie mir jetzt."
„Wahrhaftig, da sollst du lange darauf warten, nichtswürdiges Geschöpf“, entgegneten sie; „du bist Schuld, dass sich der König nichts aus uns macht." Darauf nahmen sie ihre Spindeln und schlugen ohne Barmherzigkeit auf sie los. Als sie sie genug geschlagen hatten, erlaubten sie ihr endlich, sich schlafen zu legen. Weil sie aber so zerkratzt und zerstoßen war, konnte sie nicht schlafen und so hörte sie, dass die Königin zum König sagte: „Ich will sie nach einer andern Seite hinführen, noch viel weiter, so dass sie ganz gewiss nicht zurückfinden sollen."
Als Finette diesen Anschlag hörte, stand sie ganz leise auf, um noch in der Nacht zu ihrer Frau Pathe zu gehen. Vorher aber ging sie in den Hühnerstall, nahm zwei Hennen und einen Meister Hahn, dem sie den Hals umdrehte, sodann zwei kleine Kaninchen, welche die Königin mit Kohl auffütterte, um sich gelegentlich eine gute Mahlzeit damit zu machen, tat alles in einen Korb und begab sich auf den Weg. Doch keine halbe Stunde noch war sie im Finstern umhergetappt, halb tot vor Furcht, so kam das schöne Pferd der Frau Merlusche im Galopp herbei gerannt, schnaubend und wiehernd. Finette glaubte nichts anders, als nun sei es um sie geschehen, aber das Pferd blieb ganz artig vor ihr stehen und ließ sie aufsteigen; und so gelangte sie, ganz vergnügt den Weg so nach aller Bequemlichkeit zurücklegen zu können, sehr bald zu ihrer Pathe.

Nach den gewöhnlichen Komplimenten überreichte sie der Fee die Hühner, den Hahn und die Kaninchen und bat sie um ihren guten Rat, weil die Königin geschworen habe, sie bis ans Ende der Welt zu führen.
Merlusche tröstete sie, gab ihr einen Sack mit Asche und sagte: „Nimm diesen Sack, trag' ihn vor dir her und schüttle ihn; du darfst nur immer auf die Asche treten und wenn du zurückkehren willst, so geh' deinen Fußstapfen nach. Deine Schwestern aber nimm nicht mit zurück, denn das sind gar zu boshafte Geschöpfe, oder ich will nie mehr wieder etwas von dir wissen."

Finette bedankte sich und nahm Abschied, wobei ihr die Fee noch ein kleines Schachtelchen mit Diamanten in die Hand drückte. Das Pferd stand schon bereit und brachte sie, wie gewöhnlich, nach Hause.
Kaum brach der Morgen an, so rief die Königin ihre Töchter und sagte zu ihnen: „Der König befindet sich nicht wohl, und ich habe diese Nacht geträumt, wir müssten in ein gewisses Land reisen und ihm von den herrlichen Blumen und Kräutern pflücken, welche dort wachsen, sie würden ihn wieder herstellen; wir wollen uns also gleich auf den Weg machen."

Liebesblümchen und Nachtschönchen, die nicht glaubten, dass ihre Mutter sie noch einmal im Stich lassen wolle, bekümmerten sich nicht weiter über diese Neuigkeit. Man begab sich also auf den Weg und sie gingen so weit, dass vielleicht noch Niemand eine so weite Reise gemacht hat. Finette sagte kein Wort, ging immer zuletzt und streute ganz geschickt ihre Asche aus, ohne dass der Wind oder der Regen etwas davon hinweg nahm. Als die Königin überzeugt war, sie so weit geführt zu haben, dass sie den Rückweg nicht mehr finden könnten, und alle Drei eines Abends in tiefem Schlaf lagen, nahm sie die Gelegenheit wahr, sie zu verlassen und kehrte nach Hause zurück.
Als der Tag anbrach und Finette ihre Mutter nicht mehr gewahr wurde, weckte sie ihre Schwestern auf und sagte: „Wir sind allein, unsre Mutter ist auf und davon."

Da fingen Liebesblümchen und Nachtschönchen bitterlich an zu weinen, zerrauften ihr Haar und zerschlugen sich mit der geballten Faust das Gesicht. „Ach! was sollen wir anfangen!", schrieen sie kläglich.
Finette war das gutherzigste Mädchen von der Welt, sie konnte sich des Mitleids mit ihren Schwestern nicht erwehren. „Seht, was ich wage“, sagte sie zu ihnen: „denn wenn auch meine Pathe mir ein Mittel gegeben hat, den Weg zu finden, so hat sie mir doch verboten, ihn euch zu zeigen und mir gedroht, wenn ich ihr ungehorsam sei, solle ich nicht mehr vor ihre Augen kommen."

Da warf sich Nachtschönchen Finetten um den Hals und ebenso Liebesblümchen und liebkosten sie so zärtlich, dass sie sich endlich entschließen musste, alle Beide wieder mit nach Hause zu nehmen.
Der König und die Königin waren sehr verwundert, ihre Töchter wieder kommen zu sehen; sie sprachen die ganze Nacht davon, und die jüngste, welche nicht umsonst Feinöhrchen hieß, hörte, dass sie einen neuen Anschlag machten und dass die Königin sie am andern Morgen wieder fortführen wolle.

Sie lief zu ihren Schwestern und weckte sie auf: „Ach!“, rief sie, „wir sind verloren. Die Königin will uns durchaus in irgend eine Wüste bringen und dort zurücklassen. Ihr seid Schuld, dass ich meine Pathe erzürnt habe und nicht mehr wagen darf, zu ihr zu gehen, wie sonst."
Sie waren lange Zeit in großer Sorge und eins fragte immer das andere: „Was sollen wir nun tun, liebe Schwester? was fangen wir jetzt an?" Endlich hub Nachtschönchen an: „Man muss nur den Mut nicht verlieren; so viel Verstand auch die alte Merlusche haben mag, so ist doch andern Leuten auch noch ein wenig geblieben. Wir wollen die Taschen voll Erbsen stecken und sie auf den Weg hinstreuen, so werden wir uns leicht zurückfinden."

Liebesblümchen fand diesen Gedanken ganz unvergleichlich und sie steckten sich alle Taschen voll Erbsen; Feinöhrchen aber nahm statt der Erbsen ihren Sack mit den schönen Kleidern und ihre Schachtel mit Diamanten, und als die Königin sie rief, waren sie alle schon ganz fertig.

Sie sagte zu ihnen: „Es hat mir diese Nacht geträumt, wir sollten in ein Land reisen, wo drei schöne Prinzen euch erwarten, um sich mit euch zu vermählen; ich will euch dahin führen, um zu sehen, ob mein Traum die Wahrheit gesprochen hat."
Die Königin ging voran und ihre Töchter nach; ganz unbekümmert streuten sie ihre Erbsen aus, denn sie wussten ja nun, wie sie wieder nach Hause kommen sollten. Diesmal führte sie die Königin noch viel weiter als früher; in einer dunkeln Nacht aber verließ sie die Prinzessinnen und kehrte allein zum Könige zurück, wo sie sehr müde, aber auch sehr zufrieden anlangte, nicht mehr eine so große Wirtschaft auf dem Halse zu haben.

Als die drei Prinzessinnen vor großer Müdigkeit bis elf Uhr Morgens geschlafen hatten, wachten sie auf. Finette war die erste, welche die Abwesenheit der Königin bemerkte. Obgleich sie darauf vorbereitet war, konnte sie sich doch nicht enthalten zu weinen; denn sie vertraute für ihre Rückkehr der Geschicklichkeit ihrer Schwestern weniger als der Fee, ihrer Pathe. Ganz erschrocken rief sie: „Die Königin ist fort, wir müssen ihr so rasch als möglich nach."
„Schweig, du kleiner Maulaffe“, entgegnete Liebesblümchen, „wir werden den Weg schon finden, sobald wir wollen; behalte deinen Rat für dich bis wir dich frage."

Finette wagte nichts zu entgegnen; aber da sie sich wieder nach Hause begeben wollten, fanden sie weder Weg noch Steg, denn die Tauben, welche in jenem Lande sehr zahlreich waren, hatten die Erbsen alle aufgefressen. Als sie das sahen, singen sie laut zu weinen au. Zwei Tage gingen hin, ohne dass sie einen Bissen zu essen hatten. Da sagte Liebesblümchen zu Nachtschönchen: „Liebe Schwester, hast du nichts zu essen?" „Ach nein“, antwortete jene. Dann fragte sie dasselbe auch Finette, die ihr entgegnete: „Ich habe auch nichts weiter als eine Eichel, die ich gefunden habe." „Gib mir die Eichel“, rief die eine; „nein, gib sie mir!“, rief die andere — jede wollte sie haben.
„Wir können uns alle Drei doch nicht an einer Eichel satt essen“, sagte Finette, „wir wollen sie lieber pflanzen, so wird ein Baum daraus, von dem wir uns ernähren können." Sie waren damit einverstanden, obgleich es wenig Anschein hatte, dass ein Baum in einem Lande wachsen sollte, wo man nirgends sonst einen Baum erblickte, wo man nichts sah als Kohl und Salat. Davon aßen nun die Prinzessinnen und schliefen unter freiem Himmel. Alle Morgen und alle Abend gingen sie abwechselnd, die Eichel zu begießen und sprachen zu ihr: "Wachse, wachse, schöne Eichel!“, und zusehends fing sie an zu wachsen.

Als sie schon ziemlich groß geworden war, wollte Liebesblümchen hinaufsteigen, aber sie war zu schwer, die Eiche bog sich unter ihr, und da stieg sie gleich wieder herunter. Ebenso ging es mit Nachtschönchen. Finette aber, die leichter war, hielt sich lange Zeit oben. „Siehst du nichts?“, fragten ihre Schwestern. „Nein, ich sehe nichts“, antwortete sie. „Ach, die Eiche ist noch nicht hoch genug“, sagte Liebesblümchen, worauf sie fortfuhren die Eiche zu begießen und zu ihr zu sprechen: „Wachse, wachse, schöne Eichel!"
Finette stieg alle Tage zweimal hinauf; eines Morgens, als sie oben saß, sagte Nachtschönchen zu Liebesblümchen: „Ich hab' einen Sack gefunden, den unsere Schwester vor uns versteckt hat; was kann sie nur darin haben?"
Liebesblümchen antwortete: „Sie hat mir gesagt, es wären alte Spitzen, die sie ausbessern wolle." „Und ich glaube“, sagte Nachtschönchen, „es sind Bonbons." Und weil sie nun sehr genäschig war, so wollte sie gleich davon haben. Sie machten den Sack auf und fanden wirklich alte Spitzen des Königs und der Königin darin, allein sie dienten nur dazu, Finettens schöne Kleider und die Diamantenschachtel zu verstecken.
„Sieh', sieh'!“, riefen sie aus, gibt es eine abscheulichere Spitzbübin! das alles müssen wir für uns behalten und Steine dafür hineintun — was sie auch auf der Stelle ausführten. Finette kam herunter, doch sie merkte nichts von der Bosheit ihrer Schwestern, denn es fiel ihr nicht ein, sich in dieser Einöde zu putzen; sie dachte nur an ihre Eiche, welche die schönste Eiche von der Welt wurde.
Eines Tages, als sie wieder hinaufgestiegen war und ihre Schwestern sie, wie gewöhnlich, fragten: „Siehst du nichts?“, so schrie sie: „Ich sehe ein großes Haus, ach so schön, wie ich es nicht beschreiben kann! Die Mauern sind von Smaragden und Rubinen, das Dach von Diamanten, es ist über und über mit goldenen Glöckchen behangen und die Wetterhähne drehen sich hin und her."
„Du lügst“, riefen die Schwestern, „es ist nicht so schön, wie du sagst."
„Gewiss, ich lüge euch nichts vor“, antwortete Finette, „steigt lieber selbst herauf und seht, denn mir sind die Augen schon ganz geblendet."
Liebesblümchen stieg auf den Baum und als sie das Schloss sah, stieß sie einen lauten Schrei aus. Das neugierige Nachtschönchen stieg auch hinauf und war ebenso wie ihre Schwestern außer sich vor Entzücken. „Aus alle Fälle“, sagten sie, „müssen wir in jenen Palast gehen; vielleicht finden wir dort einige schöne Prinzen, die sich glücklich schätzen werden, uns zu heiraten."
Den ganzen Abend sprachen sie ohne Aufhören davon; als sie sich aber auf den Rasen niederlegten und Finette ganz fest eingeschlafen schien, sagte Liebesblümchen zu Nachtschönchen: „Weißt du, Schwester, was wir tun müssen? Wir wollen aufstehen und uns die schönen Kleider anziehen, die Finette mitgenommen hat."
„Du hast Recht“, sagte Nachtschönchen, „das wollen wir tun." Dann standen sie auf, machten sich zurecht und zogen die schönen Kleider an, welche mit Silber, Gold und Diamanten über und über bedeckt waren, so dass man etwas Prächtigeres gar nicht sehen konnte.
Finette hatte keine Ahnung von dem Diebstahl, den ihre boshaften Schwestern an ihr begingen; sie nahm ihren Sack in der Absicht sich anzukleiden, und war nicht wenig betrübt, nichts als Steine darin zu finden. Zu gleicher Zeit bemerkte sie auch ihre Schwestern, die wie die Sonne strahlten. Sie weinte und beklagte sich über ihre Verräterei, jene aber lachten nur darüber und machten sich luftig über sie.

„Ist es möglich“, sagte Finette zu ihnen, „dass ihr mich mit auf das Schloss nehmen könnt, ohne mich anständig anzukleiden?"
„Wir haben kaum genug für uns“, versetzte Liebesblümchen, „und wenn du uns nicht in Ruhe lässt, so setzt es Schläge."
„Aber“, fuhr jene fort, „diese Kleider, welche ihr anhabt, gehören ja mir; meine Pathe hat sie mir geschenkt, sie gehen euch nichts an."
„Wenn du noch ein Wort sprichst“, riefen sie, „so schlagen wir dich tot und vergraben dich hier, ohne dass ein Hahn danach kräht."
Da musste die arme Finette wohl ruhig sein, um sie nicht zu reizen; sie folgte geduldig und ging ganz hinterdrein, so dass man sie für nichts anders als für ihre Magd halten konnte.
Je mehr sie sich dem Schlosse näherten, desto bewunderungswürdiger erschien es ihnen. „Ach!“, sagten Liebesblümchen und Nachtschönchen, „was für ein prächtiges Leben wollen wir hier führen! Was für gute Mahlzeiten wird es geben! Wir werden an der Tafel des Königs speisen, Finette aber wird in der Küche die Teller waschen, denn gegen uns sieht sie aus wie ein Küchenschmudel (Küchenhilfe). Wenn man uns nach ihr fragt, so wollen wir bei Leibe nicht sagen, dass sie unsere Schwester ist; wir wollen sagen, es sei die Gänsemagd aus dem Dorfe."
Unter solchen boshaften Reden, welche die hübsch, kluge Finette stillschweigend ertragen musste, kamen sie an das Schlosstor. Sie pochten an und alsbald erschien eine alte Frau von furchtbarem Aussehen und öffnete. Sie hatte nur ein Auge mitten auf der Stirn, aber es war größer als fünf oder sechs andere zusammen, eine platte Nase und ein entsetzlich breites Maul. Sie war wenigstens fünfzehn Fuß hoch und maß wohl an dreißig im Umfange.
„Ihr Unglücklichen“, sagte sie, „was führt euch hierher? Wisst ihr nicht, dass dieses Schloss einem Menschenfresser gehört und dass ihr kaum etwa ein Frühstück für ihn abgebt? Doch ich bin mitleidiger, als mein Mann. Kommt herein, ich will euch zum wenigsten nicht gleich fressen; ihr sollt den Trost haben, noch zwei oder drei Tage am Leben zu bleiben."

Als sie die Menschenfresserin so reden hörten, machten sie sich eilig davon, in der Meinung, sich durch die Flucht retten zu können. Aber ein einziger Schritt jenes Weibes maß fünfzig von den ihrigen; sie lief ihnen nach und erwischte sie, die Eine bei den Haaren, die andere beim Genicke und steckte sie alle Drei in einen Keller, der voll Kröten und Schlangen war und wo man auf nichts trat, als auf Menschengebeine.
Sie hatte große Luft, Finette sogleich zu verspeisen und ging, Essig, Öl und Salz zu holen, um sich einen Salat von ihr zu machen. Da hörte sie ihren Mann kommen und weil sie die weißen und zarten Prinzessinnen für sich allein behalten wollte, steckte sie sie rasch unter eine große Kufe, aus der sie nur durch ein Loch herausgucken konnten.
Der Menschenfresser war noch sechsmal größer und dicker als seine Frau. Wenn er sprach, so zitterte das Haus und wenn er hustete, so schallte es wie der Donner. Er hatte nur ein einziges großes und tückisches Auge. Seine Haare waren ganz borstig. Auf einen Baumstamm stützte er sich wie auf einen Spazierstab. Er trug einen zugedeckten Korb unter dem Arm, aus welchem er fünfzehn kleine Kinder herausnahm, die er unterwegs geraubt hatte und die er wie fünfzehn frische Eier hinunterschluckte.
Als die drei Prinzessinnen ihn erblickten, zitterten sie heftig unter ihrer Kufe und wagten nicht zu weinen, aus Furcht, er könne sie hören; ganz leise aber sprachen sie zu einander: „O, Himmel, wie retten wir uns, er wird uns alle lebendig auffressen!"
Jetzt sagte der Menschenfresser zu seiner Frau: „Höre, Frau, ich rieche Menschenfleisch, gib mir's her!"
„Ei ja!“, sagte die Menschenfresserin, „du glaubst immer Menschenfleisch zu riechen und es sind deine Schaft, die hier vorbeigekommen sind."
„O ich täusche mich nicht“, sprach er, „ich rieche ganz bestimmt Menschenfleisch und ich will es mir schon suchen."
„Ja, suche nur“, entgegnete sie, „du wirst nichts finden."
„Wenn ich es aber finde“, fuhr der Menschenfresser fort, „und du hast es vor mir versteckt, so schneide ich dir den Kopf ab und spiele Ball damit."

Diese Drohung machte der Frau doch ein wenig bange und sie sagte: „Sei nur nicht gleich so böse, mein kleines Männchen, ich will dir ja die Wahrheit gestehen. Ich habe heut' drei junge Mädchen eingesungen, aber es war' wirklich Schade, sie aufzufressen; denn sie sind sehr geschickt in der Wirtschaft. Ich bin alt und bedarf der Ruhe; du siehst selbst, wie unser schönes Haus so verwildert ist, die Suppe schmeckt dir nicht mehr so gut, das Brot ist auch nicht ordentlich gebacken und ich selbst komme dir lange nicht mehr so schön vor als früher, seitdem ich mich halb zu Tode arbeiten muss. Diese Mädchen nun sollen mir zur Hand gehen und uns bedienen. Ich bitte dich also, friss sie jetzt nicht. Solltest du ja einmal Appetit dazu haben, so steht es ja noch immer bei dir."
Dem Menschenfresser kam es sehr schwer an, seiner Frau das Versprechen zu geben, die Mädchen nicht auf der Stelle aufzufressen. „Lass mich nur“, sagte er, „ich will nicht mehr als zwei davon fressen."
„Nein, nicht eine einzige sollst du."
„Hör' doch, ich will ja nur die allerkleinste."
„Nein, auch nicht eine bekommst du jetzt“, entgegnete sie.
Endlich nach vielem Hin- und Herstreiten versprach er ihr, sie am Leben zu lassen. Die Menschenfresserin aber dachte bei sich: Wenn er auf der Jagd sein wird, so will ich sie ganz allein verspeisen und ihm sagen, dass sie davongelaufen sind. Nun verlangte der Menschenfresser, sie ihm wenigstens zu zeigen; die armen Mädchen starben beinahe vor Furcht. Das Weib holte sie heraus und als der Menschenfresser sie sah, fragte er, was sie denn könnten.

Sie antworteten, sie konnten auskehren, nähen und spinnen, gute Suppen machen, dass man gewiss nichts auf dem Teller lasse, Kuchen und Pasteten backen, dass man tausend Stunden weit aus der Umgegend danach käme.
Der Menschenfresser, welcher gern etwas Leckeres aß, sagte: „Gut, gut! ihr sollt gleich etwas zu tun bekommen. Aber“, sagte er zu Finette, „wenn du Feuer im Ofen angemacht hast, wie kannst du denn wissen, ob er heiß genug ist?"
„Gnädiger Herr“, antwortete sie, „ich werfe Butter hinein und versuche sie dann mit der Zunge."
„Nun wohl“, sagte er, „so zünde denn Feuer im Ofen an."
Der Ofen war so groß wie eine Scheune, denn der Menschenfresser und seine Frau aßen mehr Brot als eine ganze Armee. Die Prinzessin machte jetzt ein gewaltiges Feuer an, dass der Ofen wie ein Schmelzofen flammte, und der Menschenfresser, während er auf das frische Brot wartete, fraß hundert Schafe und hundert kleine Spanferkel. Liebesblümchen und Nachtschönchen machten indessen den Teig zurecht.
„Nun“, sagte der Menschenfresser, wie steht es? ist der Ofen heiß?"
„Gnädiger Herr“, antwortete Finette, „ihr kömmt euch selbst davon überzeugen." Sie warf vor seinen Augen tausend Pfund Butter tief in den Ofen hinein und dann sagte sie: „Nun muss man die Butter mit der Zunge kosten; allein ich bin zu klein dazu."
„Ich bin groß genug“, versetzte der Menschenfresser, bückte sich und stürzte so tief hinein, dass er nicht wieder heraus konnte, sondern mit Haut und Knochen verbrannte.

Als seine Frau an den Ofen kam, erstaunte sie nicht wenig, anstatt ihres Mannes einen Berg Asche zu finden. Liebesblümchen und Nachtschönchen trösteten sie in ihrer großen Betrübnis aufs Beste; sie standen aber nicht wenig Angst dabei aus, denn sie fürchteten, der Schmerz könne vielleicht ihren Appetit aufs Neue reizen und sie Salat aus ihnen machen, wie sie bereits im Sinne gehabt hatte. Sie redeten ihr also gut zu und sagten: „Beruhigt euch, denn es wird sich unfehlbar jetzt ein König oder ein Graf finden, der sich glücklich schätzen wird, euch zu heiraten."
Sie lächelte ein wenig und ließ dabei ihre langen, hässlichen Zähne blicken. Als die Mädchen sie so guter Laune sahen, sagte Finette zu ihr: „Wenn ihr nur diese abscheuliche Bärenhaut ablegen wolltet und euch ein wenig nach der Mode kleiden, wir wollten euch so allerliebst um den Kopf machen; ihr würdet schön wie ein Engel aussehen!"
„Lass sehen, was du kannst“, versetzte die Frau, „ich verspreche dir aber, wenn dann noch eine andere schöner aussieht als ich, so hacke ich dich kurz und klein, wie Pastetenfleisch."
Hierauf nahmen die Prinzessinnen ihr die Mütze ab und schickten sich an, sie zu kämmen und zu frisieren, und während sie in einem fort mit ihr schwatzten, ergriff Finette ein Beil und gab ihr von hinten zu einen so heftigen Schlag, dass der Kopf vom Rumpfe flog.
Eine solche Freude ist nie gewesen! Sie stiegen auf das Dach des Hauses und belustigten sich an dem Klingeln der Goldglöckchen. Dann sprangen sie durch alle Zimmer — da gab es Perlen und Diamanten und so kostbare Möbeln, dass sie vor Vergnügen ganz außer sich waren. Sie lachten und sangen in einem zu. Da fehlte Nichts, Zuckerwerk, Früchte, allerliebste Tändeleien, kurzum, alles war im Überfluss da.
Liebesblümchen und Nachtschönchen legten sich in die Betten von Brokat und Sammet schlafen und sagten zu einander: „Nun sind wir reicher als unser Vater, da er noch sein Königreich hatte. Nun fehlt nichts weiter, als dass wir uns gut verheiraten. Es wird aber Niemand hierher kommen, denn dieses Haus ist gewiss für eine Mördergrube verrufen und man weiß nicht, dass der Menschenfresser und seine Frau tot sind. Wir müssen also in die nächste Stadt gehen und uns dort in unsern schönen Kleidern zeigen, dann wird es auch nicht lange dauern, so werden sich angesehene und reiche Männer finden, die Lust haben, zwei Prinzessinnen zu heiraten."

Am andern Morgen, als sie angeputzt waren, sagten sie zu Finette, sie gingen jetzt spazieren, sie solle zu Hause bleiben und die Küche und die Wäsche besorgen; wenn sie zurückkämen, müsse alles sauber und aufgeräumt sein und wenn sie irgend Etwas nicht ordentlich mache, so solle sie für Schläge nicht sorgen.
Die arme Finette, das Herz von Kummer gepresst, blieb also allein zu Hause, kehrte, scheuerte, wusch, ohne sich auszuruhen, und weinte immer zu. „Wie unglücklich bin ich“, rief sie, dass ich meiner Pathe nicht gefolgt habe; der Undank meiner Schwestern straft mich dafür auf alle Weise. Sie haben mir meine schönen Kleider gestohlen und putzen sich jetzt damit; ohne mich wäre der Menschenfresser und seine Frau noch frisch und gesund. Was hilft es mir, dass ich sie beide um das Leben gebracht habe! Wäre es nicht besser, sie hätten mich aufgefressen, als dass ich ein solches Leben sichren muss?"
Bei diesen Worten schluchzte sie so heftig, dass sie hätte ersticken mögen. Da kamen ihre Schwestern zurück mit einer Menge Orangen und Zuckerwerk und waren sehr vergnügt. „Ach!“, sagten sie, „was haben wir für einen schönen Ball besucht! Was für Leute waren alles da! Der Sohn des Königs war auch da und hat uns tausend Artigkeiten gesagt. Komm', zieh' uns die Schuh' aus und bürste uns ab, denn dafür bist du da."
Finette gehorchte und wenn sie etwa nur den Mund aufmachte, um sich darüber zu beklagen, so sielen sie über sie her und schlugen sie halb tot. Am folgenden Morgen gingen sie wieder fort und als sie zurückkamen, hatten sie Wunderdinge zu erzählen.
Eines Abends Fass Finette beim Feuer auf einem Aschenhaufen und vor langer Weile suchte sie in den Ritzen des Kamins. Indem sie nun so suchte, fand sie einen kleinen Schlüssel, der war so alt und schmutzig, dass sie die größte Mühe von der Welt hatte, ihn rein zu bekommen. Als er nun blank war, sah sie, dass er von Gold sei und schloss mit Recht, dass ein goldener Schlüssel gewiss auch etwas sehr Kostbares verschließen müsse. Sie lief also gleich durchs ganze Haus und versuchte den Schlüssel an allen Schlössern, bis sie endlich ein sehr kunstreich gearbeitetes Kästchen fand, zu welchem er passte. Sie machte es auf und fand darin die kostbarsten Kleider, Diamanten, Spitzen, Wäsche und Bänder.

Sie ließ nicht ein Wort von ihrem glücklichen Funde verlauten, aber mit Ungeduld wartete sie am andern Tage, dass ihre Schwestern fort gingen. Sie waren ihr kaum aus den Augen, so kleidete sie sich an und war schöner als Sonne, Mond und Sterne.
So geschmückt kam sie auf den nämlichen Ball, auf welchem ihre Schwestern tanzten, und obgleich sie keine Larve vor hatte, war sie doch so verändert, dass jene sie nicht erkannten. Kaum erschien sie im Saal, so erhob sich ein Murmeln; die Einen bewunderten, die Andern beneideten sie. Man forderte sie zum Tanz auf und sie übertraf auch im Tanz alle Übrigen so sehr an Anmut, wie überhaupt an Schönheit. Die Dame vom Hause kam zu ihr, machte ihr eine tiefe Verbeugung und bat sie um ihren Namen. Finette entgegnete höflich, sie heiße Aschenbrödel.
Man hatte nicht Augen genug, sie anzuschauen, nicht Worte genug, um ihre Schönheit und Anmut zu preisen. Liebesblümchen und Nachtschönchen, welche anfänglich überall, wo sie erschienen waren, großes Aufsehen erregt hatten, wollten vor Ärger umkommen, da sie sahen, welcher Empfang dieser Neuangekommenen zu Teil wurde. Finette benahm sich bei dem Allen mit dein besten Anstande von der Welt; es schien ihrem ganzen Wesen nach, als sei sie nur zum Befehlen geboren. Liebesblümchen und Nachtschönchen, die sich ihre Schwester nur mit dem Ofenschmutz auf dem Gesicht dachten, waren so sehr von ihrer Schönheit überrascht, dass gar kein Gedanke, wer sie sei, in ihnen aufstieg, und sie Aschenbrödel, so gut wie die Übrigen, ihre Verehrung bezeigten.
Als der Ball fast zu Ende war, ging Aschenbrödel eiligst fort, kehrte nach Hause zurück, zog sich rasch aus und nahm wieder ihre Lumpen um. Als ihre Schwestern nach Hause kamen, sagten sie zu ihr: „Ach Finette, wir haben jetzt eine junge Prinzessin gesehen, die war über alle Maßen reizend, nicht so eine Meerkatze wie du. Sie war weiß wie Schnee und rot wie eine Rose. Ihre Zähne glichen Perlen, ihre Lippen Korallen. Sie hatte ein Kleid, welches viele tausend, tausend Taler wert war, es war von lauter Gold und Diamanten. Ach, wie schön war sie, wie liebenswürdig!"

Finette sagte ganz leise zwischen den Zähnen: „Das war ich, das war ich!"
„Was brummst du da?“, fragten sie. Noch leiser wiederholte Finette: „Das war ich!“, und dieses Spiel dauerte eine ganze Weile.
Fast kein Tag verging, an welchem Finette nicht in einem andern Kleide erschien, denn das Kästchen hatte die Gabe, dass je mehr man daraus nahm, desto mehr kam wieder hinein und so nach der Mode war alles, dass sich die Damen nur nach ihrem Muster kleideten.
Eines Tages hatte Finette mehr als sonst getanzt und sich ein wenig mit der Rückkehr verspätet. Da sie nun die verlorene Zeit wieder einholen und noch vor ihren Schwestern zu Hause sein wollte, ging sie sehr eilig und verlor dabei einen ihrer rotsamtnen, ganz mit Perlen bestickten Pantoffeln. Sie suchte zwar überall, um ihn wieder zu finden, aber es war so dunkel, dass alle ihre Mühe vergebens war.
Am andern Morgen ging Prinz Herzlieb, der älteste Sohn des Königs, auf die Jagd und fand Finettens Pantoffel. Er hob ihn auf, betrachtete ihn, bewunderte die Kleinheit und Zierlichkeit desselben, drehte ihn hin und wieder und steckte ihn in seinen Busen. Von diesem Tage an verlor er alle Esslust, wurde mager und abgezehrt, gelb wie eine Quitte und ganz niedergeschlagen und schwermütig. Der König und die Königin, die ihn zärtlich liebten, taten alles Mögliche, um ihn wieder herzustellen. Aber es war alles umsonst und er antwortete nicht einmal, was ihn die Königin fragte. Man ließ weit und breit die berühmtesten Ärzte herbeiholen, man führte sie zu dem Prinzen und nachdem sie ihn drei Tage und drei Nächte unausgesetzt beobachtet hatten, so erklärten sie einstimmig, seine Krankheit komme von Liebe her und er müsse sterben, wenn man nicht Rat schaffe.
Die Königin, die ihren Sohn so unaussprechlich liebte, zerfloss in Tränen, dass sie nicht erfahren konnte, wen er liebe, um sie ihm zur Gemahlin zu geben. Sie führte die schönsten Damen in sein Zimmer, aber er würdigte sie nicht eines Blickes. Endlich sagte sie zu ihm: „Mein geliebter Sohn, du willst uns gewiss noch vor Kummer sterben sehen. Du liebst und verbirgst uns den Gegenstand deiner Liebe; nenne mir, wen du willst, und wir wollen sie dir geben, und wenn es nichts weiter als nur ein Schäfermädchen wäre."
Dies Versprechen der Königin machte dem Prinzen Mut. Er zog den Pantoffel unter seinem Kopfkissen hervor und zeigte ihn der Mutter. „Da ist“, sagte er zu ihr, „die Ursache meiner Leiden! Ich habe, als ich neulich auf die Jagd ging, diesen kleinen, niedlichen, reizenden Pantoffel gefunden, und ich werde nie eine andere heiraten, als die, an deren Fuß er passt."

„Gut, gut, mein Sohn“, erwiderte die Königin, „betrübe dich nur nicht weiter, denn wir wollen sie sogleich aufsuchen lassen."
Sie eilte zum Könige und hinterbrachte ihm diese Nachricht. Er war nicht wenig überrascht und befahl auf der Stelle, man solle mit Pauken und Trompeten bekannt machen, alle Mädchen und Frauen sollten herbeikommen, den Pantoffel anzupassen, und die, an deren Fuß er passe, solle die Gemahlin des Prinzen werden.
Da kamen Unzählige an den Hof und versuchten den Pantoffel, aber nicht Eine konnte ihn anziehen, und je mehr ihrer vergebens kamen, desto mehr betrübte sich der Prinz.
Liebesblümchen und Nachtschönchen putzten sich gleichfalls eines Tages aufs Beste heraus und als Finette fragte, wo sie denn hingingen, antworteten
Klette, Märchensaal Bd. I. II
sie, wir gehen in die Residenz, wo der König und die Königin wohnen, um den Pantoffel anzuprobieren, welchen der Sohn des Königs gefunden hat; wenn er einer von uns beiden passt, so heiratet sie der Prinz und sie wird eine Königin."
„Soll ich nicht auch mitgehen?“, fragte Finette. „Wahrhaftig“, riefen sie spöttisch, du bist doch eine rechte dumme Gans. Geh', geh' und begieße unsern Kohl, du taugst sonst zu nichts."
Finette war sogleich entschlossen, ihr schönstes Kleid anzuziehen und wie die Andern das Abenteuer zu bestehen, denn es ahnte ihr, dass es zu ihrem Glück ausschlagen würde. Sie zog sich also aus das Prächtigste an, ein Kleid von blauem Atlas, ganz mit Sternen und Diamanten besäet, und sie strahlte so sehr, dass man sie gar nicht ansehen konnte, ohne mit den Augen zu blinzeln.
Als sie die Tür öffnete, um fortzugehen, da stand zu ihrem großen Erstaunen das niedliche Pferd bereit, welches sie früher zu ihrer Pathe getragen hatte. Sie liebkoste es, streichelte es und sagte zu ihm: „Willkommen, willkommen, mein allerliebstes Pferdchen. Tausend Dank meiner guten Pathe Merlusche."
Es fiel auf die Knie und sie schwang sich hinauf. Es war ganz mit goldenen Schellen und Bändern bedeckt, Sattel und Zaum waren von unermesslichem Werte. Das kleine Pferdchen flog nur so dahin, während seine Glöckchen eine angenehme Musik machten. Als Liebesblümchen und Nachtschönchen es kommen hörten, drehten sie sich um und sahen ihm entgegen. Aber welche Überraschung! denn in diesem Augenblick erkannten sie ihre Schwester Finette. Sie >waren sehr beschmutzt und ihre schönen Kleider mit Staub bedeckt. „Schwester“, sagte Liebesblümchen zu Nachtschönchen, „wahrhaftig, das ist Finette Aschenbrödel." Und gleich darauf schrie auch die andere: „Ja, ja, sie ist es."
Als Finette bei ihnen vorbeikam, bespritzte ihr Pferd die beiden über und über mit Kot, Finette aber rief ihnen lachend zu: „Meine hohen Damen, Aschenbrödel verachtet euch so sehr, wie ihr es verdient!" Darauf war sie wie der Wind vorüber.
Nachtschönchen und Liebesblümchen sahen sich gegenseitig an und riefen: „Träumen oder wachen wir? Wer kann Finette die Kleider und das Pferd gegeben haben? Was für ein Wunder! Nun fehlt nur, dass ihr das Glück wohl will und der Pantoffel ihr passt, dann haben wir unsere Reise vergebens gemacht."

Während sie so ganz in Verzweiflung geraten wollten, kam Finette im Palast an. Jeder der sie sah, hielt sie für eine Königin. Die Wachen präsentierten das Gewehr, man schlug die Trommel, man stieß in die Trompete, man öffnete alle Tore und die, welche sie auf dem Balle gesehen hatten, liefen ihr voran und riefen: „Platz, Platz, dies ist die schöne Aschenbrödel, das Wunder des ganzen Erdkreises."
So gelangte sie endlich in das Zimmer des todkranken Prinzen. Kaum warf er einen Blick auf sie, so war er ganz bezaubert und sein Herz sagte ihm, dass der Pantoffel ihr passen müsse. Sie zog ihn mit Leichtigkeit an und wies nun auch den andern gleichen, welchen sie mitgebracht hatte. Da schrie man einstimmig: „Es lebe die Prinzessin Herzlieb, es lebe die Prinzessin, die unsere Königin werden wird!" Der Prinz erhob sich von seinem Lager, küsste ihr die Hände und bewies ihr tausend Zärtlichkeiten. Man benachrichtigte den König und die Königin, die sogleich herbeieilten; die Königin schloss Finette in ihre Arme, nannte sie ihre Tochter, ihr Herzpüppchen, ihre kleine Königin und machte ihr die kostbarsten Geschenke, welche der freigebige König noch überbot. Man feuerte die Kanonen ab, die Musikanten bliesen und geigten, man sprach von nichts als von Bällen und Lustbarkeiten.
Aschenbrödel erzählte nun in wenig Worten dem Könige, der Königin und dem Prinzen ihre Geschichte. Als sie hörten, dass sie eine geborene Prinzessin sei, war die Freude noch einmal so groß; als sie aber den Namen des Königs ihres Vaters und der Königin ihrer Mutter nannte, da entdeckte es sich, dass jene die früheren Beherrscher eben dieses Königreichs gewesen waren.
Finette beteuerte, sie würde sich nicht eher vermählen, als bis ihr Vater wieder im Besitz seines Königreichs sei, was ihr der König ohne Weiteres bewilligte, denn er besaß mehr als hundert Königreiche und es kam ihm auf eins mehr oder weniger nicht an.
Inzwischen waren Nachtschönchen und Liebesblümchen eingetroffen. Das Erste, was sie hörten, war, dass Aschenbrödel den Pantoffel angezogen habe. Nun wussten sie nicht, was sie tun sollten; sie wollten wieder umkehren, ohne ihrer Schwester vor die Augen zu kommen; Finette aber erfuhr kaum ihre Anwesenheit, so ließ sie sie hereintreten und anstatt sie mit einem finstern Gesicht zu empfangen und nach Verdienst zu bestrafen, ging sie ihnen entgegen und umarmte sie auf das Zärtlichste. Sodann stellte sie sie der Königin vor und sagte: „Gnädige Frau, das sind meine lieben Schwestern; ich bitte, ihnen gleichfalls euer Wohlwollen zu schenken."
Sie waren so bewegt von der Großmut ihrer Schwester, dass sie kein Wort hervorbringen konnten. Sie versprach ihnen, sie sollten in ihr Königreich wieder zurückkehren, denn der Prinz habe es ihrer Familie geschenkt, worauf sie ihr zu Füßen fielen und vor Freude weinten.
Mit aller nur ersinnlichen Pracht wurde die Hochzeit gefeiert. Finette schrieb an ihre Pathe und packte den Brief mit samt einer Menge der schönsten Geschenke auf das niedliche Pferdchen. Sie bat die Fee, ihre Eltern aufzusuchen, sie von ihrem Glücke zu benachrichtigen, und dass sie nun in ihr Königreich zurückkehren dürften.
Die Fee Merlusche entledigte sich ihres Auftrags auf das Pünktlichste. Finettens Vater und Mutter kehrten in ihre Staaten zurück und ihre Schwestern heirateten gleichfalls zwei Prinzen.

Märchen der Welt, nach einer Übersetzung von Dr. Kletke, 1846, mit angepasster Schreibweise.

top