Märchen von Brüdern Grimm - ´Andersen - ´Klettke - ´Simrock - ´Wolf
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Märchen Titel: A B    C D E    F G    H I J    K L    M N    O P Q    R S    T U    V W    Z
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Die Brauerei - Elfen Märchen

Die Brauerei von Eierschalen

Frau Sullivan fürchtete, die Elfen hätten ihr jüngstes Kind gestohlen und ein anderes an seine Stelle gelegt, und gewisse Anzeigen schienen auch den Verdacht zu bestätigen, denn ihr gesundes, blauäugiges Kind war in einer einzigen Nacht zu einem armen Wicht zusammengeschrumpft, der unaufhörlich schrie und heulte. Die arme Frau Sullivan wurde dadurch recht unglücklich und alle die Nachbarn, mit denen sie über diese Angelegenheit sprach, sagten, dass ihr eigenes Kind ohne allen Zweifel bei dem stillen Volke sich befände und eins aus diesem dafür hingelegt worden wäre.

Frau Sullivan musste wohl glauben, was jedermann sagte, aber ein gewaltsames Mittel wollte sie doch nicht anwenden. Obgleich sein Gesicht verwelkt, sein Leib fast zu einem Gerippe abgemagert war, so hatte es doch eine bestimmte Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Kind und sie konnte sich nicht entschließen, es lebendig auf einen glühenden Rost zu legen, oder seine Nase mit einer glühenden Zange zu zwicken, oder es in den Schnee neben den Weg zu legen, ob ihr gleich diese und ähnliche Mittel angelegentlich empfohlen wurden, um ihr Kind wieder zurück zu erhalten.

Eines Tages begegnete Sullivan einer weisen Frau, unter dem Namen der grauen Lene in der Gegend wohl bekannt. Sie hatte die Gabe (wie sie auch immer mochte dazu gelangt sein) zu sagen, wo der Tod umgehe und was für die Ruhe der Seelen gut sei. Sie konnte Warzen und Kröpfe heilen und manches andere Wunder dieser Art vollbringen.

„Ihr seht mir heute so trübselig aus, Frau Sullivan", waren die ersten Worte der grauen Lene.

„Das geht natürlich zu, Lene", antwortete Frau Sullivan, „mein eigenes liebes Kind ist mir ohne weiteres aus der Wiege geholt worden und ein hässliches, winziges, eingeschrumpftes Ding von den Elfen an seine Stelle gelegt; kein Wunder, dass Ihr mich voll Sorgen seht."

„Das macht Euch keine Schande, Frau Sullivan", sagte Lene, „aber seid Ihr auch gewiss, dass es die Elfen getan haben?"

„Freilich!" erwiderte Frau Sullivan, „Gewiss genug zu meinem Leidwesen; und darf ich meinen beiden Augen nicht trauen? Jedes Mutterherz müsste es an meiner Stelle fühlen."

„Wollt Ihr den Rat einer alten Frau annehmen?" sagte die graue Lene, indem sie die unglückliche Mutter mit einem seltsamen, geheimnisreichen Blick anschaute und nach einigem Stillschweigen hinzufügte: „Doch Ihr werdet ihn vielleicht töricht nennen."

„Kann ich mein Kind zurückerhalten, mein eigenes liebes Kind, Lene?" fragte Frau Sullivan mit großer Bewegung.

„Wenn Ihr tut, wie ich Euch sage", antwortete Frau Lene, „so werdet Ihr es erfahren." Frau Sullivan schwieg voll Erwartung und die Alte fuhr fort: „Setzt einen Kessel mit Wasser über das Feuer und lasst es sieden, dann holt ein Dutzend frisch gelegter Eier, schlagt sie auf und nehmt die Schalen; das übrige schüttet weg. Wenn das getan ist, so werft die Schalen in den Kessel mit dem siedenden Wasser und dann werdet Ihr bald erfahren, ob es euer eigen Kind ist, oder ein Elfe. Findet Ihr aber, dass es ein Wechselbalg ist, so nehmt die glühende Feuerzange und stoßt sie ihm in seinen garstigen Rachen und er soll Euch weiter keinen Verdruss machen, dafür stehe ich Euch."

Frau Sullivan ging heim und folgte dem Rat der grauen Lene. Sie setzte den Kessel über das Feuer, legte Torf genug unter und brachte das Wasser in ein gewaltiges Sieden und Sprudeln.

Das Kind lag zum Erstaunen still und ruhig in der Wiege, doch jetzt, bei dem Anblick des großen Feuers und des Kessels mit Wasser darüber, riss es die Augen auf, die wie Sterne in einer Winternacht funkelten. Es sah mit großer Aufmerksamkeit zu, als Frau Sullivan die Eier aufschlug und die Schalen in das siedende Wasser warf Endlich fragte es, und es klang wie die Stimme eines alten Mannes: „Was macht Ihr da, Mutter?"

Der Frau war, wie sie selbst sagte, zu Mut, als ob ihr der Atem genommen würde, wie sie das Kind sprechen hörte. Doch sie beschäftigte sich nur damit, das Eisen in die Glut zu legen und antwortete, ohne ein Erstaunen über die Worte zu zeigen: „Ich braue, mein Sohn."

„Und was braut Ihr, Mutter?" fragte der Balg, dessen unnatürliche Gabe zu sprechen außer allen Zweifel gesetzt hatte, dass er von den Elfen abstammte.

„Wäre nur das Eisen schon glühend!" dachte Frau Sullivan; aber das erforderte einige Zeit und sie entschloss sich, ihn im Gespräch aufzuhalten, bis das Eisen geschickt wäre, durch seine Kehle zu fahren. Sie wiederholte deshalb die Frage: „Du willst wissen, was ich braue, mein Söhnchen?"

„Ja, Mutter", sagte er, „was braut Ihr?"

„Eierschalen, mein Söhnchen."

„Ach", schrie das Teufelchen laut auf, richtete sich in der Wiege in die Höhe und schlug die Hände zusammen: „Ich bin fünfzehn hundert Jahre auf der Welt und habe niemals gesehen, dass man Eierschalen braut!"

Indessen war das Eisen glühend geworden. Die Frau ergriff es und eilte damit nach der Wiege, aber wie es nun geschah, sie glitt mit dem Fuß aus, fiel auf den Boden und das Eisen fuhr aus ihrer Hand in die andere Ecke des Hauses. Sie raffte sich jedoch geschwind auf und lief zu der Wiege in der Absicht, den verwünschten Balg, der darin lag, in das siedende Wasser zu werfen. Doch was erblickte sie darin? Ihr eigenes Kind in süßem Schlafe, eins seiner weichen, runden Ärmchen auf das Kopfkissen gelegt, und seine Züge waren so mild, als wenn es niemals in seiner Ruhe wäre gestört worden, bloß der rote Mund ward von einem reinen und sanften Atem bewegt.

Wer kann beschreiben, was eine Mutter fühlt, die auf ihr schlafendes Kind blickt! Und diese hier erhielt eben den lang verlorenen Knaben wieder. Du kannst denken, dass ihr stillschweigend die Tränen über die Wangen liefen und sie sich keine Mühe gab, sie zurückzuhalten, denn sie weinte vor Freude.

Elfen, übersetzt von den Brüdern Grimm, Leipzig 1826, mit angepasster Schreibweise.

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