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Vom glücklichen Schuster - Märchen von J. W. Wolf
Vom glücklichen Schuster
Es war einmal ein Schuster und der saß auf seinem Dreifuß und zog lustig seinen
Pechdraht und pfiff und sang dazu. Da kam der Herr Jesus an seinem Hause vorbei
und sah den fröhlichen Mann und setzte sich zu ihm hin und sprach: „Gott grüß
euch, Schustermeister!"— „Schönen Dank, Herr Wandersmann!“, sprach der Schuster,
denn er kannte den Herrn Jesus nicht, „Ihr scheint mir ein recht glücklicher
Mann zu sein“, fuhr Jesus fort und der Schuster entgegnete: „Ei, was sollte mir
auch fehlen? Gestern habe ich ein Paar Stiefel verkauft und von dem Gelde neues
Leder und frisches Brot mitgebracht und morgen sind die Stiefel wieder fertig
und da habe ich wieder Verdienst; ist das kein glückliches Leben?" — „Doch“,
antwortete Jesus, „aber hört einmal; ich muss heute noch fort von hier und hätte
doch gern etwas, von eurer Hand gemacht; wollt ihr mir den einen fertigen Schuh
verkaufen, ich will euch soviel dafür geben, dass ihr Leder für zwei und ein
halbes Paar kaufen könnt; seid ihr damit zufrieden?" — „Ja, warum nicht?“,
sprach der Schuster, „ich bin euch viel Dank schuldig; aber was wollt ihr mit
dem einen Schuh? Es ist ein gar wunderlicher Einfall von euch." — „Darum kümmert
euch nicht“, entgegnete Jesus und nahm den Schuh und gab dem Schuster das Geld
und ging seines Weges weiter.
Drei Wochen später kam der Herr Jesus desselben Weges um zu sehen, was der
Schuster mache; aber in dem Schusterhäuschen war es so stille, so stille, wie in
einem Mauseloche. Das wunderte den Herrn Jesum sehr und er trat hinein und
fragte den Schuster, warum er nicht mehr fange.
„Ei“, sprach der Schuster, „ich habe das Geld da liegen, was mir übrig blieb und
was ich durch dich gewann, und sehe nun, dass meine Kinder keine Schuh noch
Strümpfe haben und ich möchte sie ihnen doch so gerne kaufen; aber ich habe
nicht genug und liegt das Geld so da, wie leicht könnte es mir gestohlen
werden!" —„Wenn das deine ganze Sorge ist“, sprach Jesus, „dann will ich dir
schon helfen“, und gab dem Schuster Geld, um Schuh und Strümpfe für die Kinder
zu kaufen, und wünschte ihm einen guten Tag und ging seines Weges weiter.
Nach drei Wochen kam der Herr abermals in die Nähe des Schusterhäusleins und
freute sich schon, den Schuster nun recht lustig wieder singen zu hören, aber
darin betrog er sich, denn es war noch stiller in dem Häuslein als vorher.
Erstaunt trat Jesus hinein zu dem Manne und fragte, was denn nun noch fehle; er
sänge ja gar nicht mehr. „Ja, das danke dir der Gott-sei-bei-uns“, fuhr der
Schuster auf; „dein dummes Geld hättest du nur behalten sollen, das hat mir nur
Mäusenester in den Kopf gesetzt“, und damit griff er unter das Kopfkissen von
seinem Bett und nahm das Geld und warf es dem Herrn Jesus vor die Füße und Jesus
wurde böse darob und ging weg.
Am andern Morgen dachte der Herr, er müsse doch einmal zusehen, ob der Schuster
nun glücklicher wäre, und stieg aus dem Himmel nieder; aber er war gewiss noch
sechsmal so hoch als der höchste Kirchturm von der Erde, da hörte er den
Schuster schon singen und jauchzen: „Juchei, Juchheisa, Juchei." Da dachte der
Herr: „Ach, was wäre es für ein gutes Leben auf der Welt, wenn alle Menschen so
genügsam wären wie der Schustermeister!"
Johannes Wilhelm Wolf, Deutsche Märchen und Sagen, 1845, mit angepasster Schreibweise.