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Das kleine Männlein - Märchen von J. W. Wolf
Das kleine Männlein
Es waren einmal drei Schwestern und davon lebten zwei zusammen in einem Häuschen
und die Jüngste wohnte in einem andern Häuschen, denn die zwei Eltern sprachen
immer, sie wäre zu dumm, um tot zu tun. Eines Abends nun geschah es, dass ein
kleines altes Männchen kam und an dem Hause anklopfte, wo die zwei Schwestern
wohnten. Da legte sich die Älteste ins Fenster und fragte: „Was wollt ihr?" —
„Ich hätte gern ein Unterkommen für die Nacht, weil es so kalt ist, dass ich
nicht draußen schlafen kann“, antwortete das Männchen. „Wir haben keinen Platz
im Haus“, sprach da die Älteste, „und ließ ich euch herein, dann brummte mir
meine Schwester acht Tage lang und das geht nicht, darum sucht euch anderswo ein
Unterkommen“; und mit den Worten schlug sie das Fenster zu und hörte das alte
Männchen nicht mehr an, wie sehr dasselbe auch bat und flehte. Als nun alles
nichts half, da ging das alte Männchen zu dem Häuschen, wo die Jüngste wohnte,
und klopfte da an. Da öffnete die Jüngste das Fenster und fragte: „Was hättet
ihr gerne, lieber Freund?" „Ich hätte gern ein Unterkommen für die Nacht, weil
es draußen so sehr friert“, sprach das Männchen und alsbald sprang die Jüngste
an die Tür und machte ihm auf und führte es in ein warmes Kämmerlein. Sie kochte
ihm Brei von Milch und Mehl und brockte das letzte Krümlein Brotes hinein,
welches sie in ihrem Schrank fand.
Dann ging sie hin und nahm ihr Stroh und schüttelte es recht auf, damit das
Männchen weich darauf liege; sie selbst schlief aber auf der Erde. Am andern
Morgen war das Männchen schon früh auf und sprach, es müsse nun weiter ziehen.
Das litt das gute Mädchen aber nicht und sie kochte zuvor noch einen Brei zum
Frühstück. Als das Männchen den gegessen hatte, bedankte es sich freundlich und
sprach:
„Es tut mir leid, dass ich euch eure Liebe und Freundlichkeit nicht
vergüten kann." — „O, was macht das“, sprach das Mädchen, „ich habe an keine
Bezahlung gedacht und wenn ihr nicht wisst, wo aus, wo ein, dann kommet nur noch
mehr zu mir und macht euch darum keinen Kummer."— „Ich danke euch vielmals von
ganzem Herzen“, entgegnete das Männchen, „und ich bitte Gott den Herrn, dass er
euch immerdar seinen Segen schenke und dass das Erste, was ihr heute beginnen
werdet, so wohl gelinge und euch also zu Nutze sei, dass ihr den ganzen Tag
nichts anderes tun könnt." Mit den Worten verbeugte es sich und ging weg und das
gute Mädchen sprang ins Haus zurück, um sich an die Arbeit zu begeben; auf den
Wunsch des kleinen alten Männchens hatte es gar nicht gehorcht.
Es holte schnell ein Stückchen Linnen vom Speicher, wo dasselbe getrocknet
hatte, und wollte es falten, und es faltete und faltete immer fort bis zum
Mittag und den ganzen Nachmittag und das Linnen nahm gar kein Ende und die ganze
Stube wurde davon voll; es hörte auch nicht eher auf, bis es stichdunkel war, da
kam das Ende erst. Die zwei ältern Schwestern waren aber sehr verwundert, dass
sie die Jüngste den ganzen Tag nicht sahen, und gingen darum am Abende zu ihr
hin. Da machten sie aber Augen und das war ein Verwundern! „Herr Gott im
Himmel“, schrie die Älteste, „wo hast du das Linnen her? In meinem ganzen langen
Leben hab ich nicht so viel zusammen gesehen." Da erzählte die Jüngste, sie
hätte es von dem kleinen alten Männchen und die beiden andern wurden so giftig
darüber, dass sie spien, wie Schlangen. „Muss dem Dummohr da ein solch Glück zu
Teil werden und — ich könnt mich an ihr vergreifen, der Gans“, schrie die Zweite
in ihrem Ärger; aber die Älteste sprach: „Ereifere dich nicht, Schwester, und
komm, dann wollen wir sehen, ob wir das Männchen noch einholen."
Da stürmten beide zur Tür heraus, um das Männchen zu suchen, aber sie waren kaum
einige Schritte weit gegangen, als sie es schon von ferne heranschleichen sahen.
Husch, husch waren sie bei dem Männchen und knieten und neigten sich und die
Zweite sprach: „Ach, lieber Herr, ihr wollet es meiner Schwester doch nicht übel
nehmen, dass sie euch gestern nicht in unser Haus gelassen und beherbergt hat;
ich habe vor lauter Leidwesen darüber die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ach,
wollt ihr mir doch den einzigen Gefallen tun und diesen Abend bei uns einkehren,
ihr macht uns alle beide zu den glücklichsten Menschen auf der Welt." Das kleine
alte Mannchen war darüber zufrieden und ging mit den beiden Schwestern, welche
ihm auf das Köstlichste auftischten und am Ende ihn in ein ganz weiches Bett
trugen, worin er schlief wie ein Prinz. Kaum hatte er sich am andern Morgen aus
den Federn gemacht, als die Schwestern ihm schon Kaffee mit Biskuit brachten. Er
dankte für Alles recht höflich und fein. Als er sein Frühstück verzehrt hatte,
da sprach er: „Es tut mir sehr leid, dass ich eure Freundlichkeit nicht vergüten
kann, aber…" — „Oho“, fiel da die Älteste ein, „meint ihr denn, wir wollten
etwas haben für die Bewirtung? Gott bewahre, daran haben wir nicht im Mindesten
gedacht, im Gegenteil, wir wünschten nur, dass ihr uns recht oft die Freude
machtet, bei uns einzukehren." „Das wird schwerlich möglich sein“, sprach das
Männchen, „aber ich danke euch doch herzlich für euern guten Willen und wünsche
nur, dass das Erste, was ihr diesen Morgen tut, den ganzen Tag sich fortfetze
und ihr nichts andres tun könnt." Damit empfahl das Männchen sich und die beiden
Schwestern wünschten ihm eine glückliche Reise.
Kaum hatte das Männchen die Türe gefasst, als die Älteste der Magd zurief:
„Geschwind, Mieken, geschwind, hole die Wäsche vom Boden, damit wir nur gleich
anfangen können zu falten; wir müssen doppelt so viel haben, als das Dummohr
hier neben." Die Magd sprang schnell auf den Boden, um die Wäsche
zusammenzusuchen; in der Zwischenzeit sprach die Zweite: „Aber, Schwester, wir
wollen uns doch erst ein Bisschen stärken, da steht noch ein Krug frischen
Bieres, das wollen wir zu einem Butterbrote genießen; mache nur alles bereit,
ich gehe inzwischen in den Garten, um zuvor schnell mein Wasser noch zu lassen."
—„Gut, tue das, Schwester“, sprach die Älteste, „aber eil dich“; und damit
fasste sie den Krug und setzte den vor den Mund. Die Magd hatte aber die Wäsche
schon lange zusammengesucht und in die Stube gebracht und sie wartete nur auf
die Schwestern, aber die kamen nicht und kamen nicht. Da ging sie in die Küche,
um einmal zuzuschauen, was sie machten; doch was kriegte das Mädchen nicht für
einen grausamen Schrecken! Denn, denke doch nur, da stand die Älteste und trank
und trank und konnte nicht aufhören zu trinken und die andere schrie aus dem
Garten, sie könne nicht aufhören, ihr Wasser zu lassen, und das dauerte fort,
bis es ganz stichdunkel war, da stand Hof und Haus in Wasser und sie mussten
alle die ganze Nacht arbeiten, um nur ein trocknes Plätzchen zu gewinnen, wo sie
ihre Füße hinsetzen konnten. Die Jüngste verkaufte aber das Leinen und wurde
reich und glücklich für ihr ganzes Leben lang.
Johannes Wilhelm Wolf, Deutsche Märchen und Sagen, 1845, mit angepasster Schreibweise.