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Van Piet Jan Clas - Niederländische Märchen
Van Piet Jan Clas
Es war einmal ein Mann, der hieß Piet Jan Clas, und der war so
neugierig, oh, so neugierig, dass es nicht zu sagen ist. Eines Tages
nun hörte er zufällig von dem Tode sprechen und die Leute sagten, das
wäre zwar ein gar hässlicher und grimmiger Kerl, aber gerecht dabei!
Wie kein anderer. Als Piet Jan Clas das hörte, da dachte er bei sich:
„Ach, den Tod möchte ich doch gern einmal sehen, das muss ein kurioser
Kauz sein“; und damit ging er nach Hause und nahm seinen Stock und
setzte seinen dreikantigen Hut auf und machte sich auf den Weg. Als er
nun schon weit gegangen war, da kam er in eine Stadt und sah da einen
Schuhladen voll Schuhe und der Schuster saß an der Türe und machte
immer noch neue Schuhe. „Guten Morgen, Meister“, sprach er und der
Schuster dankte, ohne jedoch von seiner Arbeit aufzusehen. „Was macht
ihr da Gutes?“, fragte Clas. „Wie ihr seht, Schuhe und immer Schuhe“,
antwortete der Meister und stach mit der Pfrieme ein Loch und zog,
„Krrrr“, den Pechfaden durch. „Aber ihr habt ja schon so viel fertig
da stehen“, sprach Clas weiter, „warum macht ihr denn noch immer
neue?"
— „Ah, um sie zu verschleißen und zu verkaufen und meine Frau und
Kinder mit dem Gelde zu ernähren." „Krrrr!“ „Und wenn ihr das denn
nun getan habt, was dann?“, fragte Clas weiter, und der Schuster
entgegnete: „Ei, dann lege ich mich aufs Ohr und dann kommt der
Tod und holt mich ab. „Krrrr!“ „Der Tod?“, schrie Clas verwundert,
„Ach, lieber Meister, tut mir doch um Gottes willen den Gefallen
und sagt mir, wo ich den finde. Habt ihr ihn nie gesehen?"
— „Nein, nein“, lachte der Meister, „und dafür danke ich
unfern lieben Herrgott, bin auch nicht gar neugierig darum." „Wo
könnte ich ihn denn finden?“, fragte Clas und der Schuster sprach
schmunzelnd: „Geht nur gerade aus und immer weiter eurer Nase
nach, da findet ihr ihn vielleicht." Clas bedankte sich für den
guten Bescheid und ging fröhlich weiter den ganzen Tag und die
ganze Nacht und den folgenden Tag bis Mittag, Da begegnete er in
einem Walde einem Bauer, der hatte schon einen ganzen Wagen voll
Holz gehauen und hieb noch immer mehr. „Aber sag mir doch,
Bruderherz“, sprach Clas, nachdem er den Bauer gegrüßt und der ihn
wieder gegrüßt hatte, „was willst du denn eigentlich mit all dem
Holze anfangen?" — „Ei“, sprach der Bauer, „ich binde Bündel
daraus, die ich im Winter brenne, und was ich für mich nicht nötig
habe, das verkaufe ich und hole mir Brot und Fleisch von dem Geld;
so bring ich mein Leben hin bis zu meinem seligen Tode." „Apropos
(übrigens)“, fiel Clas ein, „mit dem Tod; wisst ihr nicht, wo der
sich wohl aufhält und herumtreibt, ich möchte ihn so gern sehen,
dass mir der Bauch weh tut."
— „Da kann ich euch nicht dienen, Freund“, sprach der Bauer;
„aber geht einmal ganz gerade aus, es ist möglich, dass ihr ihn
antrefft." Clas dankte fein höflich für den Bescheid und ging
weiter und weiter, immer geradeaus, bis er abermals in eine Stadt
kam. Da saß ein Schneider in einem schönen Hause auf dem Tische
und nähte und um ihn herum war alles voll Kleider, so dass kein
Fleckchen Wand blieb, wohin auch nur eine Fliege sich hätte setzen
können. „Was tut ihr doch mit all den Kleidern“, fragte Clas,
nachdem er eine Zeit lang das Haus angestaunt hatte. „Die verkauf'
ich“, antwortete der Schneider, „die wollenen im Winter, die
linnenen im Sommer und die baumwollenen im Frühling und Herbst."
„Und wenn ihr die dann verkauft habt?“, fragte Clas. „Nun, dann
nähe ich wieder neue“, brummte der Schneider verdrießlich, „und
die verkauf ich wieder und nähe noch einmal neue und verkauf' sie
abermals, bis der Tod kommt." — „Dann könnt ihr mir gewiss auch
sagen, wo ich den Tod finden kann; nicht wahr, Meister?" fuhr Clas
neugierig fort, aber der Schneider sprach, er solle sich nur
geschwind aus der Tür machen, denn die Schneidermeister wären
nicht gar gut Freund mit dem Tode, der hole ihnen zu viel Kunden
weg. „Das ist ein grober Kerl“, dachte Piet Jan Clas und ging
seiner Nase nach weiter und als er wieder lange gegangen war, da
kam er in einen Wald, der so groß war, dass man kein Ende davon
sah.
Er schritt aber gütig hinein und fand dort einen Einsiedler
mit langem, greisem Bart, kahlem Kopf, einer dicken groben Kutte
und einem Rosenkranze in der Hand. „Ach“, dachte Clas, „wenn das
nicht der Tod ist, dann weiß er mir doch sicherlich Bescheid davon
zu geben“, und ging auf den Einsiedler zu und grüßte ihn und der
Einsiedler grüßte Clas wieder und Clas fragte: „Was tut ihr denn
hier allein in der Einsamkeit; da wüsste ich nichts Angenehmes
dran zu finden, so allein zu sein." „Ach“, sprach der Einsiedler,
„ich habe mich von den Menschen abgesondert, um Gott besser dienen
zu können und wohl vorbereitet zu sein, wenn der Tod kommt, um
mich …" „Ja, wegen dem Tode wollte ich euch just fragen“, fiel ihm
Clas in die Rede, „den möchte ich für mein Leben gern einmal
sehen; könnt ihr mir vielleicht dazu verhelfen?" — „Den Tod kann
man nur einmal sehen“, antwortete der Einsiedler, „aber wollt ihr
ihn sehen, nun so geht weiter, jeden Abend seit ihr ihm einen Tag
näher." Das gefiel Clas und er dankte dem Einsiedler aus vollem
Herzen und sprach, als er die Klause eben aus den Augen verloren
hatte, zu sich selbst: „Das nenn' ich mir doch einmal einen
vernünftigen Bescheid, nur wird es mir jeden Tag zu lang werden,
ehe es Abend ist; aber ich hab’s dem Alten gleich angesehen, dass
er es wusste."
So schritt er munter fort über Berg und Tal, durch Wald und
Wiese, bis er eines Abends in der Ferne ein großes Schloss sah; da
ging er darauf zu. Als er an das Tor gekommen war, stand da ein
steinsteinaltes Mütterchen, die war so mager, dass man jedes
Knöchelchen an ihrem Leibe zählen konnte; dabei hatte sie
feuerrote Augen, ganz eingefallene hohle Backen und eine dicke
Hängelippe; auf ihrem Rücken saß ein dicker Buckel und darauf
stand ein Korb voll Fläschchen und Salbentöpfchen; außerdem hatte
sie ein großes Messer an ihrer Seite hängen. „Das könnte leicht
der Tod sein“, dachte Clas und trat zu ihr und zog seinen
Dreispitz und sprach: „Gott grüß euch, Mütterchen." „Schönen Dank,
mein Söhnchen“, sprach die Alte. „Ach, liebes Mütterchen, seid ihr
nicht der Tod?“, fragte Clas alsdann. „Nein, im Gegenteil“,
antwortete sie, „ich bin das Leben und heile mit meinen Salben und
Medizinen alle Schäden und Wunden und Krankheiten." — „Das ist
doch schade“, sprach da Clas, „ich hatte schon so große Freude,
indem ich dachte, ihr wärt der Tod; ich reise nun schon so lange
über Berg und Tal, durch Wald und Wiese, um ihn zu suchen, und ich
finde ihn nirgends; könntet ihr mir ihn nicht zeigen?" — „Doch das
kann ich wohl“, sprach die Alte. „Ach, lieb, lieb Mütterchen, dann
tut das doch!“, rief Clas entzückt aus; „ich bitte euch um alles
in der Welt, ihr könntet mir keinen größeren Gefallen erweisen." —
„Ja, das will ich gern“, sprach das Mütterchen, „zieh dich nur
vorerst ganz splitternackt aus." Da warf Clas voller Freude Hut
und Stock und Kittel hin und zog sich alsdann auch die übrigen
Kleider vom Leibe. Als das geschehen war, da sprach das
Mütterchen: „Nun knie dich nieder und leg deinen Kopf in meinen
Schoß“, und als er das auch getan hatte, da nahm sie ihr scharfes
Messer und schnitt ihm den Kopf ritsch ratsch ab, drehte ihn ganz
geschwind herum und setzte ihn wieder so auf, dass das Gesicht
nach dem Rücken gekehrt war Im selben Augenblicke sprang Clas auf
und schrie ganz jämmerlich: „Oje, oje, oje! o weh! Hilfe, Hilfe!
Oh rettet mich! Helft mir aus der grausamen Not! Oh was sehe ich
für gräuliche Sachen!" Das alte Mütterchen hörte aber nicht darauf
und ließ ihn zwei Stunden lang mit dem Gesichte auf dem Rücken.
„Du wolltest ja den Tod sehen, nun siehst du ihn“, sprach sie.
Clas ermattete aber dermaßen von all dem Schrecken, den er
ausstand, dass er endlich ohnmächtig zusammenfiel und kein
Lebenszeichen mehr von sich gab. Als die Alte das sah, schnitt sie
ihm den Kopf wieder ab und setzte ihn wieder zurecht, strich ein
bisschen Salbe aus einem ihrer Töpfchen auf die Wunde und in zwei
Minuten war sie heil und Piet Jan Clas wieder so gesund wie
vorher. „Hast du nun den Tod gesehen?“, fragte das Mütterchen.
„Ja, das sei Gott geklagt“, sprach Clas, „das ist nicht zum
Spaßen“; und er zog sich so schnell, wie er konnte, an und lief,
was er konnte, nach Haus zurück.
Deutsche Märchen und Sagen, Johannes Wilhelm Wolf - 1845, mit angepasster Schreibweise.