Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
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Jan der Dieb - Niederländische Märchen
Jan der Dieb
Es war einmal eine blutarme Frau, die hatte nur einen Sohn namens Jan,
aber der machte ihr nicht viel Freude, denn er war so langfingerig,
dass er von allen, die ihn kannten, nicht anders geheißen wurde, als
Jan der Dieb. Die Frau hielt ihm häufig vor, dass er sein Leben ändern
und sich bessern müsse, wolle er nicht zuletzt mit Seilers Tochter
Hochzeit halten, aber das half alles nichts und Jan blieb stets der
Alte. Der letzte und einzige Trost, der dem armen Weib blieb, war
unser lieber Herrgott; alle Tage sah man sie in der Kirche, wo sie um
nichts anders betete, als dass Gott doch ihrem Jan einen andern Sinn
geben solle. Einmal hatte sie auch wieder lange gebetet und geweint;
endlich seufzte sie wie in halber Verzweiflung: „Ach, ach, was soll
aus meinem Jan doch noch werden!" Der Küster saß aber zufällig hinter
dem Altar und als er den Seufzer hörte, antwortete er: „Dieb, großer
Dieb, allzeit Dieb." Da erschrak die arme Frau über die Maßen, denn
sie meinte, unser Herrgott selber hätte ihr das zugerufen; doch fasste
sie sich bald und sprach: „Herr, dein Wille geschehe" und ging mit
rotgeweinten Augen nach Haus. Da kam Jan ihr just entgegen; als er
ihre Augen ansah, fragte er, warum sie denn wieder so betrübt wäre?
Sie erzählte ihm offenherzig, was ihr begegnet war, und sagte ihm
dabei, dass sie ihm lieber auf den Rücken sähe, denn es tue ihr zu
leid, ihn immer Dieb nennen zu hören und das selbst von unserm
Herrgott. Jan war des zufrieden, sie gab ihm noch eine tüchtige Kruste
Brot und ein Kännchen Wasser mit auf den Weg und so zog er in die
weite Welt.
Nach langem Wandern und als von seinem Brot schon längst kein
Krümchen mehr übrig war, kam er eines Tages an einen Bauernhof,
ging da dreist hinein und fragte, ob sie keinen Knecht nötig
hatten. Der Bauer sprach, er hätte wohl einen Knecht nötig, aber
er könne ihn doch nicht so aufs Geratewohl nehmen und müsse doch
wissen, wer er wäre. „Wenn ihr das wissen wollt, das kann ich euch
wohl sagen“, antwortete Jan, „alle, die mich kennen, heißen mich
Jan den Dieb."
— „Hm, hm, Dieb, Dieb“, brummte der Bauer, „und du baumelst
noch nicht am Galgen?" Darob lachte Jan und sprach: „Ihr sprecht
vom Galgen, ja davor nehme ich mich wohl in Acht, dem bin ich zu
klug." — „Bist du wirklich so klug“, sprach der Bauer, „dann will
ich es mit dir wagen; ich nehme dich in Dienst, aber unter drei
Bedingungen; kannst du damit fertig werden, dann gebe ich dir noch
dazu meine Tochter zur Frau. Du musst nämlich in Zeit von drei
Wochen dem Pastor all sein Geld, meiner Frau das Hemd vom Leibe
und die Pferde unter den Knechten, die drauf sitzen, weg stehlen.
Kannst du das, gut, dann weißt du, was du bekommst; bringst du es
aber nicht fertig, dann lass ich dich hängen." — „Ganz gut“,
antwortete Jan, setzte sich zu Tische, aß und trank tüchtig und
ging alsdann an seine Arbeit.
In den ersten Tagen wusste er noch nicht recht, wie er's
angreifen sollte, um an das Geld des Pastoren zu kommen; endlich
aber fiel ihm etwas ein. Er ging hin und stahl dem Bauern zwei
Hühner vom Hof, machte sie tot und rupfte ihnen die Federn aus;
dann trug er sie zu Markte und schlug sie für gut Geld los; von
dem Erlöse kaufte er sich einen Topf Sirup und schlenderte nach
Hause zurück. Des Nachmittags nun ging er in die Vesper und
verbarg sich in der Kirche in einem Beichtstuhl, wo er still
sitzen blieb bis gegen Abend. Dann zog er seine Kleider aus,
bestrich sich den Leib mit dem Sirup und wälzte sich in den Federn
herum, so dass er aussah, wie ein Engel, tat drei Züge an der
Glocke und stellte sich schnell auf den Hochaltar. Als der Pastor
die Glocke lauten hörte, schrak er zusammen, denn er wusste wohl,
dass es noch nicht Morgen war; weil er aber dachte, dass Diebe in
der Kirche sein könnten, zog er sich schnell an und lief hin. Kaum
hatte er die Türe aufgeschlossen, als Jan von dem Hochaltar herab
rief: „O du frommer und tugendsamer Hirte dieser Pfarre; lange
genug hast du deines Amtes mit Sorgen und Mühen gepflegt und Gott
sendet mich, dich nach dem Himmel zu führen. Zuvor aber will er
dein Herz noch prüfen, ob es nicht am Irdischen hänge, darum
gebietet er dir durch mich, dass du all dein Geld hier auf den
Hochaltar bringst, auf dass es nach deinem Hingange unter die
Armen verteilt werde." Dem Pastor hüpfte das Herz im Leibe vor
Freude über seine bevorstehende Himmelfahrt, doch gefiel es ihm
nicht ganz, dass der Engel ihm sein Geld abfragte. Da er aber
fürchtete, durch Zweifeln oder Zögern den Zorn Gottes auf sich zu
laden, bat er den Engel nur, sein zu warten, und lief nach Hause
zurück, um das Geld zu holen; Jan, der auf jeden Fall gehen
wollte, sprang schnell vom Altar herab und folgte ihm, sah genau
zu, was er tat, und eilte wieder zurück auf den Altar. Gleich
darauf kam der Pastor und stellte zwei Geldsäcke auf den Altar,
sprach, da waren all seine Schätze, aber Jan wusste besser, wie es
stand und antwortete: „O du, dessen Herz noch so sehr am Irdischen
hängt, wie magst du einen Engel Gottes belügen wollen; hast du
nicht noch einen Geldsack in deiner Kiste zurückgelassen?" In
seinem ganzen Leben hatte der Pastor keinen größeren Schreck
bekommen, als in diesem Augenblick; rot bis hinter die Ohren lief
er, auch den dritten Geldsack zu holen, denn er meinte, sonst
gewiss und sicherlich für ewig verloren zu sein. Als er damit zu
dem Altar kam, lobte Jan seine Treue und sprach: „Nun bereite dich
zu deiner Himmelfahrt. Damit ich aber gemächlicher mit dir fliegen
könne, krieche in diesen Sack, ich lade dich dann auf die
Schulter." Der Pastor folgte und Jan sprang vom Hochaltar, lief
mit ihm die Turmtreppe hinauf, ließ sich am Glockenseil herunter
und schritt mit großen Schritten nach dem Pfarrhause. „Hier wären
wir an der Tür“, sprach er, „aber wo mag Sankt Peter sein? Warte
einen Augenblick, ich gehe zu ihm, den Schlüssel zu holen. Hüte
dich aber zu sprechen, oder anderes Geräusch zu machen, denn das
könnte dir übel bekommen, das Fegefeuer ist gleich hierbei." Mit
den Worten lief Jan weg, holte das Geld in der Kirche und trug es
zu dem Bauern, der vor Verwunderung stumm und steif stand
Als die Köchin des Pastors morgens früh die Türe öffnete und
den Sack sah, stieß sie einmal mit dem Fuße daran, um zu fühlen,
was darin wäre; als sich aber nichts darin regte noch regte,
schmiss sie ihn einmal herum, und damit fiel der arme Pastor so
arg auf den Kopf, dass er unmutig rief: „So lasst mich doch in
Ruhe, ihr stoßt mir den Kopf entzwei. Ein Engel hat mich hierher
gebracht und holt eben die Schlüssel bei Sankt Peter." Da lachte
die Köchin laut auf und öffnete den Sack und ihr Herr kroch
heraus. Man kann sich leicht denken, was der für Augen machte, als
er sich statt an der Himmelstür an seiner Haustür fand.
Das zweite Diebsstückchen von Jan war viel schwerer, aber er
verlor doch den Mut nicht. Er hatte gemerkt, dass der Bauer jeden
Abend in die Schenke ging, sein Gläschen zu trinken, und um im
Wiederkommen niemand im Schlafe zu stören, die Türe seiner Kammer
nur einklinkte und nie fest schloss. Am folgenden Abend schlich er
ein wenig vor der Zeit, wo der Bauer zurückzukehren pflegte, in
die Schlafkammer und legte sich ruhig zu der Frau ins Bett. Er lag
aber noch keine fünf Minuten da, als er mit halber und heiserer
Stimme sprach: „Frau, tu ein anderes Hemd an, ich habe gesehen, es
ist gar schmutzig, das ist keine Reinlichkeit und dem Dienstvolk
ein schlechtes Vorbild." Die Frau wollte noch Einreden machen,
aber es half nichts; als sie das frische Hemd nun anhatte, nahm
Jan das andere still zu sich und brummte, er müsse noch einmal in
den Hof gehen, ging aber, in sein Fäustchen lachend, nach seiner
Kammer zurück. Spät abends erst kam der Bauer nach Hause; als er
in die Kammer trat, schaute die Frau groß auf und fragte
verwundert: „Warum hast du dich denn wieder ganz angezogen und wo
bist du so lange geblieben?" — „Wieder angezogen?“, fragte der
Bauer verwundert; „ich habe mich diesen Abend noch nicht
ausgezogen, wie kannst du von wieder Anziehen sprechen?" — „Ei, du
wirst mir doch nicht weis machen wollen, dass ich geträumt, so
eben bist du im Hemde herausgegangen und nun kommst du in deinen
Kleidern wieder herein." Obgleich der Bauer nicht mehr nüchtern
war, begriff er doch, dass da etwas anderes im Spiel sein müsse,
fragte die Frau näher aus und erkannte, dass Jan sein zweites
Stückchen auch fertig gebracht. Er ging zu ihm und Jan gab ihm das
Hemd der Frau.
Um so mehr suchte der Bauer nun zu verhindern, dass Jan auch das
dritte Stückchen gelänge, und er passte so wohl auf, dass der
letzte Tag vor den festgesetzten drei Wochen da war, ohne dass Jan
zum Ziele gelangt wäre. Des Abends rief er gar die Knechte zu sich
und befahl ihnen, nicht nur in dem Stalle zu bleiben, sondern
selbst auf den Pferden sitzend die Nacht zu durchwachen. Das
gefiel Jan schlecht, doch verlor er den Mut nicht.
Gegen Abend begann es so schrecklich zu hageln und zu schneien, dass
man keinen Hund vor die Türe hatte jagen sollen; als es dunkelte,
gingen die Knechte alle zusammen in den Stall, zündeten eine
Laterne an und setzten sich auf die Pferde. Sie hatten noch nicht
lange da gesessen, als es an die Türe klopfte. Anfangs schwiegen
sie und gaben keine Antwort; als das Klopfen aber kein Ende nahm,
rief endlich einer von ihnen: „Wer ist da?" — „Ach, ein armer
Einsiedler“, war die Antwort, „der rund geht, sich ein Almosen zu
erbetteln. Die Nacht hat mich überfallen, nirgends sehe ich mehr
Licht, als hier, und ich bin ganz steif vor Nässe und Kälte. Gebt
mir doch ein Eckchen, wo ich die Nacht durchbringen kann." —
„Nichts da, nichts da“, riefen die Knechte, „es geht jemand darauf
aus, diese Nacht hier die Pferde zu stehlen und am Ende seid ihr
selbst der Spitzbub." — „Ach Gott, ich ein Spitzbub“, antwortete
der Einsiedler, „wie könnt ihr doch so hartherzig sein, mich bei
meinem Leid noch zu schimpfen; öffnet mir nur und sehet dann zu,
ob ich ein Spitzbub sein kann. Ich will im Gegenteil euch wachen
helfen und euch beistehen, so etwa ein Dieb in der Nähe sein
sollte; lasst mich doch nur ein." Da ließen die Knechte sich
bewegen und gingen hin, zu öffnen; denn, dachten sie, ist der
Einsiedler wirklich auch der Dieb, er kann doch nichts gegen uns
alle ausrichten." So machten sie denn die Türe auf und ein
stockalter Einsiedler trat ein, grüßte sie alle und kroch alsdann
in ein Hüttchen, wo er sich mit ein wenig Stroh deckte. Den
Knechten fiel die Zeit gewaltig lang auf den Pferden; darum
begannen sie bald ein Gespräch mit dem Einsiedler und der erzählte
ihnen von allerhand, so dass sie ihm endlich vertrauten. Als er
nun aber eine Zeitlang erzählt hatte, da zog er ein Fläschchen aus
der Tasche, setzte es an den Mund und tat einen tüchtigen Zug
daraus. Das hatten die Knechte nicht sobald gesehen, als sie auch
schon neugierig fragten, was das denn wäre, was er tränke?— „Ach,
das ist nicht viel", antwortete der Einsiedler; „ich stehe stets
so viel Kälte aus auf meinen Wallfahrten, dass ich schon seit lang
immer etwas mit mir trage, um mich zu erwärmen." — Das machte den
Knechten den Mund wässrig und sie baten ihn, doch ihnen etwas
davon mitteilen zu wollen. „Ich habe zwar nicht viel“, antwortete
der Einsiedler, „aber ich teile doch gern mit euch, weil ihr mir
so viel Freundschaft bewiesen habt." Mit den Worten reichte er
ihnen sein Fläschchen und sie tranken jeder einen tüchtigen Zug
daraus; es dauerte kein Viertelstündchen mehr und die Augen fielen
ihnen langsam zu und nach einer halben Stunde schnarchten sie wie
Bären.
„Nun bin ich weit genug“, sprach Jan, denn wer anders konnte der
Einsiedler sein? „und mein drittes Stückchen ist gespielt“; und
damit nahm er den Einen und setzte den rittlings auf die
Vorderwand der Krippe; dem andern legte er einen Sattel auf eine
Mistgabel und dem Dritten einen auf einen Rechen. Dann koppelte er
die drei Pferde an einen Strick und ging mit ihnen nach dem Hause,
wo der Bauer noch in der Küche saß. Als der Bauer den Einsiedler
sah, erschrak er gewaltig, aber Jan half ihm bald daraus, indem er
seinen Bart abriss, die Kapuze hintenüber warf und laut lachend
rief: „Da, da stehen die Pferde vor der Haustür." — „Und wo sind
denn die Knechte?“, fragte der Bauer erstaunt, und Jan antwortete:
„Geht nur in den Stall, da könnt ihr sie auf wunderlichen Pferden
sehen." Da ging der Bauer mit Jan in den Stall; wie er da gelacht
haben muss, das ist leicht zu denken. „Heda, der Stall brennt!“,
schrie der Bauer und alle drei Reiter fielen zugleich von Krippe,
Mistgabel und Rechen herab, rafften sich aber bald zusammen und
liefen mit all ihren Beinen weg, so schnell sie konnten; denn sie
schämten sich in den Tod, dass sie sich also hatten anführen
lassen. Jan heiratete aber des Bauern Tochter und wurde ein
reicher Mann und lebt vielleicht noch, wenn er nicht gestorben
ist.
Deutsche Märchen und Sagen, Johannes Wilhelm Wolf - 1845, mit angepasster Schreibweise.