Märchen Autoren: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Titel: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Märchen Themen: | A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Z |
Das Liebespaar - Märchen von Andersen
Das Liebespaar
Ein Kreisel und ein Bällchen lagen im Kasten beisammen unter anderem Spielzeug,
und da sagte der Kreisel zum Bällchen: „Wollen wir nicht Brautleute sein, da wir
doch in einem Kasten zusammen liegen?", aber das Bällchen, welches von Saffian
genäht war, und das sich eben so viel einbildete als ein seines Fräulein, wollte
auf dergleichen nicht antworten.
Am nächsten Tage kam der kleine Knabe, dem das Spielzeug gehörte; er bemalte den
Kreisel rot und gelb und schlug einen Messingnagel mitten hinein; das sah gerade
recht prächtig aus, wenn der Kreisel sich herumdrehte.
„Sehen Sie mich an!", sagte er zum Bällchen. „Was sagen Sie nun ? Wollen wir nun
nicht Brautleute sein? Wir passen so gut zu einander. Sie springen und ich
tanze! Glücklicher als wir beide würde niemand werden können!"
„So, glauben Sie das?", sagte das Bällchen, „Sie missen wohl nicht, dass mein
Vater und meine Mutter Saffian-Pantoffeln gewesen sind, und dass ich einen
spanischen Kork im Leibe habe?"
„Ja, aber ich bin von Mahagoniholz!", sagte der Kreisel, „und der Stadtrichter
hat mich selbst gedrechselt, er hat seine eigene Drechselbank und es hat ihm
viel Vergnügen gemacht."
„Kann ich mich darauf verlassen?", fragte das Bällchen.
„Möge ich niemals die Peitsche bekommen, wenn ich lüge!", erwiderte der Kreisel.
„Sie wissen gut. für sich zu sprechen!", sagte das Bällchen, „aber ich kann doch
nicht, ich bin mit einer Schwalbe so gut wie versprochen; jedes Mal, wenn ich in
die Luft fliege, steckt sie den Kopf zum Neste heraus und fragt: „Wollen Sie?"
und nun habe ich innerlich ja gesagt, und das ist so gut wie eine halbe
Verlobung; aber ich verspreche Ihnen, Sie nie zu vergessen!"
„Ja, das wird viel helfen!", sagte der Kreisel, und so sprachen sie nicht mehr
mit einander.
Am nächsten Tage wurde das Bällchen von dem Knaben vorgenommen. Der Kreisel sah,
wie es hoch in die Luft flog, gleich einem Vogel, zuletzt konnte man es gar
nicht mehr erblicken; jedes Mal kam es wieder zurück, machte aber immer einen
hohen Sprung, wenn es die Erde berührte, und das geschah entweder aus Sehnsucht,
oder weil es einen spanischen Kork im Leibe hatte. Das neunte Mal aber blieb das
Bällchen weg und kam nicht wieder; und der Knabe suchte und suchte, aber weg war
es.
„Ich weiß wohl, wo es ist!", seufzte der Kreisel, „es ist im Schwalbenneste und
hat sich mit der Schwalbe verheiratet!"
Je mehr der Kreisel daran dachte, um so mehr wurde er für das Bällchen
eingenommen; gerade weil er es nicht bekommen konnte, darum nahm seine Liebe zu;
dass es einen andern genommen hatte, das war das Eigentümliche dabei; und der
Kreisel tanzte herum und schnurrte, dachte aber immer an das Bällchen, welches
in seinen Gedanken immer schöner und schöner wurde. So verstrich manches Jahr —
— und nun war es eine alte Liebe.
Und der Kreisel war nicht mehr jung ! aber da wurde er eines Tages ganz und gar
vergoldet, nie hatte er so schön ausgesehen; er war nun ein Goldkreisel und
sprang, dass er schnurrte. Ja, das war doch noch etwas, aber auf einmal sprang
er zu hoch und — weg war er!
Man suchte und suchte, selbst unten im Keller, doch er war nicht zu sinken.
— Wo war er?
Er war in den Kehrichtkasten gesprungen, wo allerlei lag: Kohlstrünke, Kehricht
und Schutt, welcher von der Dachrinne herunter gefallen war.
„Nun liege ich freilich gut! Hier wird die Vergoldung bald von mir verschwinden,
ach, unter welches Gesindel bin ich hier geraten!" und dann schielte er nach
einem langen abgeblätterten Kohlstrunk, und nach einem sonderbaren runden Dinge,
welches wie ein alter Apfel aussah; — aber es war kein Apfel, es war ein altes
Bällchen, welches viele Jahre in der Dachrinne gelegen hatte und vom Wasser ganz
durchdrungen war.
„Gott sei Dank, da kommt doch einer unsers Gleichen, mit dem man sprechen
kann!", sagte das Bällchen und betrachtete den vergoldeten Kreisel. „Ich bin
eigentlich von Saffian, von Jungfrauenhänden genäht, und habe einen spanischen
Kork im Leibe, aber das wird mir wohl niemand ansehen. Ich war nahe daran, mich
mit einer Schwalbe zu verheiraten, allein da fiel ich in die Dachrinne, und
darin habe ich wohl fünf Jahre gelegen und bin ausgequollen! Glauben Sie mir,
das ist eine lange Zeit für ein junges' Mädchen!"
Aber der Kreisel sagte nichts, er dachte an sein altes Liebchen, und je mehr er
hörte, desto klarer wurde es ihm, dass sie es war.
Da kam das Dienstmädchen und wollte den Kasten umwenden: „Heisa, da ist der
Goldkreisel!", sagte sie.
Und der Kreisel kam wieder zu großem Ansehen und Ehre, aber vom Bällchen hörte
man nichts, und der Kreisel sprach nie mehr von seiner alten Liebe; die vergeht,
wenn die Geliebte fünf Jahre lang in einer Wasserrinne gelegen hat und
ausgequollen ist, ja man erkennt sie nicht wieder, wenn man ihr im
Kehrichtkasten begegnet.
Gesammelte Märchen, H. C. Andersen, 1847, mit angepasster Schreibweise.